Martin Santoro
· 08.08.2022
Klassischer Van oder lifestyliger SUV – welches Familien- Konzept überzeugt nachhaltiger? Zur Klärung hat GUTE FAHRT die beiden Volkswagen Touran und Tiguan mit dem bewährten 150-PS-TDI zum Vergleich gebeten
Beim Siegeszug der SUV bleibt bald kein Segment mehr unberührt: Konzentrierten sich die Hersteller anfangs auf die noble Luxusklasse, geht es heute quer durch alle Ränge bis hinunter zu den praktischen City-Flitzern. Selbst vor Cabrios machen sie nicht Halt, wie der offene T-Roc von Volkswagen seit 2017 zeigt. Obendrein sorgen Fortschritte bei der Aerodynamik sowie gewichtsmindernde Maßnahmen dafür, dass ein Verbrauchsnachteil gegenüber herkömmlichen Fahrzeugkonzepten weniger denn je zu Diskussionen führt. Insbesondere der wahlweise Entfall des schweren Allradantriebs hilft zahlreichen Modellvarianten beim Kraftstoffkonsum ein tolles Ergebnis an der Tankstelle zu erzielen. Zusätzlich unterstützt der Einsatz des hochmodernen Modularen Querbaukastens MQB den darauf aufbauenden Kraxlern deutliche Packaging-
Fortschritte mit auf den Weg zu geben – heute passt bei gleichen Abmessungen mehr als früher hinein. Die Händler erfreut das gewachsene Angebot beim Verkauf. Sie können die angesagten Lifestyle-Vehikel nun auch in Segmente anbieten, die zuvor wenig Wahlfreiheit zuließen. Beispielsweise fragen sich Familien-Väter beim Kauf eines neuen Autos, ob es wirklich der bewährte Familien-Van sein muss. Kann es nicht auch ein trendiges SUV sein, mit dem sich der Familienalltag ebenso komfortabel bewältigen lässt?
Zwei Kompakte für die Familie
Gehen wir doch zur Klärung solcher Überlegungen über und wählen als Paradebeispiel zwei Platzhirsche im Kompakt-Segment aus: Auf SUV-Seite betritt der hippe VW Tiguan den Ring. Ihm stellen wir Europas bestverkauften Familien-Van gegenüber, den Dienstältesten im VW-Programm: den universellen Touran.
Angetreten sind beide mit kräftigem Allround-Motor, dem inzwischen supersauberen 2.0 TDI mit doppelter SCR-Reinigung, der 150 PS leistet und seine Kraft hier wie dort an die Vorderräder leitet – beim Tiguan portioniert durch ein Sechsgang-Handschaltgetriebe.Diese Schaltbox ist beim Van nur mit dem schwächeren 122 PS-Motor zu haben. Beim Zweiliter-Diesel unseres Testwagens mit 150 PS nimmt die Abstufung generell ein Siebengang-DSG automatisch vor. In der günstigsten Ausstattungslinie Comfortline liegt der Touran dann bei 39.390 Euro. Ein vergleichbarer Basis-Tiguan kostet 1.650 Euro weniger. Fairerweise ist zu berücksichtigen, dass der Touran Comfortline etwas besser ausgestattet ist. Im wesentlichen mit mehr Zierrat an Karosserie und Interieur, Lendenwirbelstützen vorn, den variablen drei Einzelsitzen im Fond, Einparkhilfe und Müdigkeitserkennung sowie mehr Ablagefächer und einem gekühlten Handschuhfach.
Der Tiguan kontert mit LED-Scheinwerfern und 17-Zoll-Rädern. Sinnvolles, wie Klimaanlage, geräuschdämmende Wärmeschutzverglasung oder Front Assist mit City-Notbrems- funktion bringen beide Volkswagen in Serie mit. Das Comfortline-Paket des Touran gilt weiterhin als empfehlenswert und lässt sich mit Extras individuell weiter ausstaffieren. Einzige Alternative ist das zum Test angetretene Topmodell Touran Highline, welcher ohne Extras auf 43.325 Euro kommt. Beim Tiguan stehen hingegen fünf Ausstattungen zur Wahl. Hier bietet sich für unseren Vergleich am ehesten die Premium- Linie Elegance an. Gesetzt – für 40.845 Euro. Gleichwohl bleiben Unterschiede in der Serienausstattung bestehen.
Erstaunlich, dass sich die beiden Markenbrüder bei den äußeren Abmessungen auffallend ähneln: Der Tiguan ist mit 4,51 Meter Länge zwei Zentimeter kürzer als der Touran sowie je ein Zentimeter breiter (1,84 Meter) als auch flacher (1,68 Meter) – und das bei völlig unterschiedlichen Proportionen: Van-typisch ist beim Touran die Windschutzscheibe weit nach vorn gezogen mit einem fließenden Übergang zur kurzen Motorhaube. Diese fällt beim Tiguan flacher aus und setzt im Vergleich stärker auf eine prägnante Formensprache, was sich stilistisch in Kraft und Stämmigkeit ausdrückt. Während seine Heckscheibe sportlich schräg steht, sorgt ihr bald senkrecht aufragendes Pendant am Touran für beste Raumökonomie. Dessen Raumangebot profitiert darüber hinaus vom um elf Zentimeter längeren Radstand (2,78 Meter). Doch trotz unterschiedlicher Konzepte wirkt ihr jeweiliges Design in sich stimmig. Schnittige Van-Eleganz oder maskuline SUV-Souveränität – hier entscheidet letztendlich der persönliche Geschmack, zumal beim Tiguan seit der Modellaufwertung 2020 ein extra Schuss Modernität an Front und Heck zusätzliche Frische bringt.
Viel mehr als Optik es je vermag, entscheidet die Gestaltung des Innenraums über den Grad der Familientauglichkeit. Starten wir die Besichtigung vom meistgenutzten Arbeitsplatz aus, dem Fahrersitz. Allein das Raumangebot in der ersten Reihe ist fürstlich. Bei genauer Vermessung lässt der Touran eine Nuance mehr Luftigkeit erkennen. Hierbei sind erste Vorzüge des optionalen Panoramaglasdaches nicht zu übersehen. Bei der Innenraumbreite herrscht wiederum Gleichstand. Auch die großzügig dimensionierten Sitze sind beiderseits komfortabel. Gerade das Ergo Active-Gestühl mit vielfältigen Einstellmöglichkeiten ist eine Empfehlung wert. Ihre wählbare Massagefunktion will man auf langen Strecken nicht mehr missen. Warum die Sitze beim Touran 65 Euro teurer sein müssen als beim Tiguan (465 Euro) erschließt sich allerdings nicht.
Überzeugende Innenraumkonzepte
Trotz leicht unterschiedlichem Design bieten beide Armaturentafeln die typische Ergonomie und Bedienlogik, für die Volkswagen gern gelobt wird. Jünger wirkt dennoch der Tiguan seit dem Facelift, was insbesondere das Multilenkrad sowie seine Klimabedienung mit Touchfeldern durchblicken lässt. Die große Drei-
zonen-Climatronic gibt es in beiden Linien übrigens on Top, bei Touran noch mit leichter zu bedienenden Drehreglern. Zudem gibt es bei beiden mit dem Digital Cockpit Pro wahlweise Digital-Instrumente. Beim Tiguan zählt das 10,25 Zoll große Display zur Ausstattung Elegance, während das Feature beim Touran 390 Euro Aufpreis kostet.
An einer guten Übersicht mangelt es beiden Volkswagen nicht. Der Van bietet bauartbedingt weiter nach unten gezogene Fensterflächen, zeigt sich lichtdurchfluteter als der SUV. Der Tiguan kontert mit einer etwa zwei Fingernbreit höheren Sitzposition und einem winzigen Vorteil bei der Übersicht.
Erhebliche Unterschiede finden wir in Reihe Zwei vor. Bei gleicher Innenbreite und -Höhe folgen die Sitzkonzepte verschiedenen Ansätzen: Der Tiguan erfreut mit einer im Verhältnis 1/3 zu 2/3 geteilten und in der Länge verschiebbaren Bank mit einstellbarer Lehnenneigung. Beim Touran sind hingegen drei fast gleichwertige Einzelsitze montiert. Das wirkt zwar sperriger, schlägt den Tiguan allerdings haushoch bei der Variabilität. Denn alle drei Sitze lassen sich eigenständig längs verschieben und in der Lehnenneigung einstellen. Darüber hinaus können sie mittels Schlaufen- zug völlig flach im Boden gefaltet werden. Die um Handlänge größeren Türausschnitte vereinfachen zudem den Ein- und Ausstieg von Kindern sowie beim Hantieren mit Kindersitzen. Fahrgäste auf den äußeren Plätzen kommen dem Dacheinzug aber näher als im Tiguan. Der mittlere Platz im Van bietet dagegen mehr Luft nach oben als – ohne Kardantunnel – auch im Fußraum. Die Kniefreiheit ist hüben wie drüben regelrecht opulent. Besteht die Familie aus mehr als fünf Mitgliedern, kann der Touran für 640 Euro in dritter Reihe um zwei Plätze erweitert werden. Diese Ergänzung der Sitzplatzliste bietet der Tiguan erst als deutlich teureres Allspace-Modell. Dessen längerer Aufbau macht die Parkplatzsuche nicht immer einfacher.
Der Van geht auch für sieben Passagiere
Bei voller Besetzung aller sieben Plätze fällt das Gepäckabteil des Touran mit 137 Liter dürftig aus. Sind nur fünf Reisende an Bord, so wächst das Volumen auf bis zu 743 Liter. Maximal sind gewaltige 1.857 Liter möglich. Wird der Fünfsitzer geordert, passen gar 1.980 Liter Transportgut hinein. Damit übertrifft er den immer noch klasse Tiguan mit seinen 615 bis 1.655 Litern bei Weitem, auch in allen anderen Messwerten wie Breite und Länge. Die Ladekante sitzt niedriger. Unter den mit rund 1,6 Tonnen Gewicht nahezu gleich schweren Marken-Brüder darf der Touran mit 673 kg Zuladung 70 kg mehr aufnehmen. Der Tiguan wiederum punktet mit 2.500 kg Anhänge- last, womit er 700 kg mehr an den optionalen Haken nehmen darf. Dessen Stützlast erlaubt mit 100 zu 80 kg auch den Mehrtransport von etwa einem Fahrrad.
Mögen beide Volkswagen im Auftritt doch sehr unterschiedlich sein, so geben sie sich vergleichbar im Fahrbetrieb. In Sachen Standardsprint erweist sich der 150-PS-TDI mit 9,8 (Tiguan) zu 10,0 Sekunden beiderseits als ausgesprochen souveräner Antrieb. Das gilt bis zur Höchstgeschwindigkeit von 201 beziehungsweise 206 km/h, mit einem marginalen Vorsprung für den Touran. Achsen und Lenkung entstammen dem gleichen Baukasten, In Sachen Handling und Fahrkomfort sind die Kontrahenten Vergleichbar angestimmt. Der Tiguan wirkt dank Progressivlenkung (Option) und 18-Zol-Rädern (Aufpreis) etwas agiler, während der Touran mit längerem Radstand und 17-Zoll-Bereifung den etwas kommoderen Typ abgibt. Zweifellos trägt das bei beiden verbaute DCC-Fahrwerk (1.045 Euro) mit adaptiven Dämpfern zum Komfortgewinn bei. Gleichermaßen erfreulich waren auch die Tankstellenbesuche. Mit 5,9 Litern Diesel verbrauchte der Touran 0,3 Liter weniger als der Tiguan, eine eher zu vernachlässigende Größenordnung.
Letztlich bietet der Touran mit einem 150-PS-Benziner und den beiden Zweiliter-Selbstzündern mit 122 und 150 PS eine deutlich geringere Auswahl als der SUV. Dieser erfreut mit Benzinern von 130 über 190 bis 245 PS – ungeachtet des R-Modells mit 320 PS. Im TDI-Portfolio geht es bis zu 200 PS hinauf. Auch der 4-Motion-Allradantrieb bleibt dem Tiguan vorbehalten, was für die meisten Touran-Fahrer zu verschmerzen sein dürfte. Tabu ist beim Van auch das Head-Up-Display sowie LED-Matrixscheinwerfer (IQ.Light). Ansonsten gibt es hier wie dort optional reichlich Fahr-
assistenz und Multimediasysteme bis zum Navi Discover Pro inklusive Streaming und Internet-Zugang.
Beide Karosserieformen haben ihren Reiz. Geht es um rein praktische Vorzüge, hat der Touran die Van-Nase vorn. Braucht es dessen enormes Raumangebot inklusive der Option zum Siebensitzer nicht, dann ist der trendige, in der Basis etwas günstigere SUV die richtige Wahl. Müssen aber viel Platz und dritte Sitzreihe dann doch sein, lässt sich immer noch mit dem längeren Tiguan Allspace liebäugeln.
Test kompakt
Trendiger SUV-Allrounder oder doch lieber der pragmatischere Van? Preislich liegen Tiguan und Touran eng beieinander. Es lohnt sich also, genau hinzuschauen, welcher Familienbedarf erfüllt werden muss. Der Tiguan bringt neben äußerlichem Schick reichlich Stauraum, eine variable Rückbank, eine größere Motorenauswahl und wahlweise Allrad-Antrieb mit. Geht es aber um ein Höchstmaß an Ladevolumen und Variabilität, so führt kein Weg am Touran vorbei. Erst recht, wenn Platz für sieben Passagiere verlangt wird. Im Fahrbetrieb und beim Verbrauch liegen beide Modelle trotz unterschiedlicher Konzepte gleich auf.