Arne Olerth
· 25.10.2022
Gute Laune ist garantiert, wenn der ID. Buzz Mitfahrer und Passanten mit seinem Wirtschaftswunderzeit-Design erfreut. So gar nicht retro aber zeigt sich der E-Antrieb, eher verantwortungsvoll für heute und morgen
Kontaktscheu darf man als ID. Buzz-Fahrer nicht sein, das jedenfalls wird schon auf den ersten Metern klar. Wir sind in Dänemarks Landeshauptstadt Kopenhagen und dürfen das erste Mal ans Steuer des Serien-Autos. Im Gegensatz zum kurzen Fahrcheck im Frühjahr in einem lustig mit Streifenmuster getarnten Vorserienmodell entspricht unser E-Bulli heute genau dem Stand, den der Kunde ab Oktober geliefert bekommt.
Retro-Elemente und eigene Linie
Mit nochmals nachjustiertem Fahrwerk, lackiert in kesser Zweifarb-Lackierung Candy-Weiß/Limonengelb Metallic. Die kostetet zwar 2.642 Euro Aufpreis, gehört aber zum gelungenen Retro-Design des ID. Buzz unbedingt dazu. Und das dreht die Köpfe der Passanten, wie derzeit wohl kein anderer Neuwagen. Diese machen ihre Begleiter durch Anstupsen auf den vorbeifahrenden E-Bulli aufmerksam, Kinder winken fröhlich und zeigen mit dem Finger hinterher, fast Jedem zaubert der Anblick des kubischen Stromers ein Lächeln ins Gesicht – kurz: der ID. Buzz verbreitet gute Laune. Dem Autor sind diese Reaktionen bekannt, allerdings nur von Fahrten mit Bulli-Klassikern der ersten Generation aus den Fünfziger und Sechziger Jahre. Und genau an das Design des Kultklassikers T1 knüpft die Formgebung des ID. Buzz an. Mit Erfolg, wie die Reaktionen der Kopenhagener Passanten zeigen. Doch der ID. Buzz ist keine bloße Kopie der Ikone aus der Wirtschaftswunderzeit. Zwar zitiert sein Design bewusst Elemente des seligen Urahnen, doch geht der ID. Buzz seinen ganz eigenen Weg. Vollelektrisch, mit modernsten Assistenten ausgerüstet – und mit einer gehörigen Portion Fahrspaß gesegnet. Doch der Reihe nach! Mit 4,71 Metern Länge baut der ID. Buzz etwa 20 Zentimeter kürzer als ein T6.1 Multivan, mit 1,93 Metern Höhe zwei Fingerbreit flacher, dafür satte acht Zentimeter breiter (1,99 Meter). Stilprägend ist zudem der riesige Radstand von knapp drei Metern (299 Zentimeter). Daraus resultieren kurze Überhänge – gerade vorne, ganz wie beim T1. Das große Markenemblem in der Mitte und eine V-förmige Linienführung prägten seine Front, der ID. Buzz greift diese Stilelemente auf und interpretiert sie neu. So ist das „V“ deutlich in die Breite gezogen, das Markenemblem das größte seiner Art in der aktuellen VW-Modellfamilie – verzichtet aber auf das LP-Format des Urahnen. Anstelle von ovalen Scheinwerfern gibt es beim ID. Buzz nach innen gepfeilte, flache Leuchteinheiten, die seitlich weit in die Kotflügel auslaufen. Statt Bilux-Funzeln illuminieren heute Matrix-LED-Einheiten (IQ.Light; Aufpreis) das Vorfeld taghell, die zugehörige Lichtspange weckt Begehrlichkeiten. Die Leuchteinheiten sind der Pupille eines menschlichen Auges nachempfunden, mit denen der aufmerksame ID. Buzz dem Schlüsselträger beim Nähertreten keck zublinzelt.
In der Seitansicht wirkt der E-Bulli länger als er ist – die Zweifarblackierung streckt gehörig. Oben zitieren die vorderen Dreiecksfenster die kultigen Drehfenster der ersten Bus-Generation genauso wie drei schwarze Kontrastdekore an der stämmigen Hecksäule an die Motorraum-Belüftungsschlitze von T2 und T3 erinnern. Achtern gliedert ein flaches Leuchtband das Heck, dessen horizontale Linien für optische Breite sorgen.
So farbenfroh-positiv der zweifarbig lackierte Bulli die Passanten zum Lächeln bringt, so heiter umgarnt er auch seine Insassen – allerdings nur, wenn man die graue Serien-
tristesse des Interieurs durch die Wahl des optionalen Interieur-Style-Pakets vertreibt. Gelb, Blau, Grün und Orange stehen zur Wahl – stets in Kombination mit einem silbernen Weiß. Platz genommen hinter dem Steuer stellt sich sofort das typische Bus-Gefühl ein. Das liegt zum einen an der aufrechten Sitzposition im Stile des T4 bis T6.1, zum anderen an den klasse Sitzen, die groß geschnitten und straff gepolstert Appetit auf die Langstrecke machen. Natürlich sind die klasse Armlehnen, geschätzt von Generationen von Bulli-Fahrern, auch wieder an Bord. Das Auge erfreuen die penible Verarbeitung und die liebevollen Details, die Finger ertasten feine Materialien. Armauflagen und Lenkrad sind mit veganem Leder bezogen, das sich richtig klasse anfühlt.
Dank der hohen Sitzposition verwöhnt der ID. Buzz mit einem prima Überblick über das Verkehrsgeschehen, die Instrumente und Bedien- elemente sind von den ID-Geschwistern bekannt: Auf der Lenksäule sitzt ein kleines 5,3“-Display, das den Fahrer mit rudimentären Informationen wie Geschwindigkeit, Lade- zustand, ACC oder Navianweisungen versorgt. Das zentrale Touchdisplay (10 oder 12 Zoll) liefert tiefer gehende Informationen, dient den Fahrzeugeinstellungen und fungiert als Multimediazentrale und Navisystem. Darunter sitzt der aus vielen Modellen bekannte Slider zum Steuern von Temperatur, Sitzheizung und Lautstärke, sowie vier Schnellwahlbuttons und der Warnblinkschalter.
Fondpassagiere genießen ein gleichermaßen exzellentes Raumangebot wie die Passagiere in Reihe eins. Bei eher aufrechter Sitzposition fallen Kopf- und Beinfreiheit langstreckentauglich komfortabel aus. Es gibt eine Doppelsitzbank und einen Einzelsitz, die getrennt um 150 Millimeter längs verschoben werden können. Zudem lässt sich die Lehne umklappen. Ein Schienensystem wie im Multivan ist technisch nicht realisierbar, wohl aber wird es demnächst eine Version mit langem Radstand und drei Sitzreihen geben. Beim hier gefahrenen „Shorty“ schließt sich nach hinten ein Gepäckraum von 1.212 Litern an, der sich auf bis zu 2.123 Liter erweitern lässt.
Darunter sitzt in den Tiefen der aufwendigen Fünflenker-Hinterachse verborgen der 204-PS-Motor, der seine Kraft über ein Einganggetriebe an die Hinterräder weiterleitet. Auf geht´s!
Den Fahrmodusschalter auf einem Lenkstockhebel flitschen wir nach vorne auf „D“ und senken das Fahrpedal. Souverän schiebt die Fuhre an, 310 Newtonmeter kaschieren 2,5 Tonnen Leergewicht effektiv. Und da ist es wieder, dieses entspannende Fahrgefühl, das aktuelle E-Volkswagen ausmacht: Die luxuriöse Ruhe an Bord und der lässige Antritt lassen Stress und Alltagssorgen abfallen. Reisen statt Rasen – im ID. Buzz kommt jeder in den Flow. Das liegt auch an dem samtigen Abrollverhalten, das an ein DCC-Fahrwerk erinnert, gleichwohl ganz ohne Adaptivdämpfer erzielt wurde. Respekt! Im Cityverkehr flitschen wir erneut am Fahrmodus- schalter, „B“ sorgt für starke Rekuperation bei Gaswegnahme – der Bulli lässt sich so fast ohne Bremsen manövrieren. Der mit 11,1 Metern auf Golf-Niveau liegende kleine Wendekreis macht das Zirkeln in engen Gassen zum Kinderspiel.
Das Navi reagiert flott auf Sprachbefehle, signalisiert Richtungsänderungen auch mit einem Laufband unterhalb der Windschutzscheibe (ID. Light). Natürlich umsorgt der ID. Buzz den Fahrer auch mit modernsten Assistenten – bis hin zum Travel Assist, der auf Kopfdruck automatisch lenkt, bremst und beschleunigt. Einparken kann der E-Bulli auch automatisch, speichert auf Knopfdruck das Szenario für Wiederholungen ab.
Begeistert Sie nicht? Ab auf die kurvige Landstraße! Hier läuft die Mehrlenker-Hinterachse zur Höchstform auf, sorgt für ein präzises Handling. Im Verbund mit der mitteilsamen Lenkung, die durch den Heckantrieb ganz ohne Antriebseinflüsse aufspielen kann, und den tiefen Schwerpunkt – der 500 Kilo schwere Akkupack ist unterflur zwischen den Achsen angeordnet – sorgt das für ein hohes Maß an Fahrvergnügen, wie es sie in einem Bulli bisher noch nie gegeben hat . Den T7 einmal ausgenommen. Sicher ist der ID. Buzz kein Sportwagenschreck – doch hey, wir reden von einem Bulli! Kurzweil am Steuer jedenfalls ist garantiert. Das Datenblatt notiert 10,2 Sekunden für den Standardsprint – das fühlt sich an Bord aber viel flotter an. Autobahnfahrten werden eher mit Richtgeschwindigkeit absolviert – bei 145 km/h ist Schluss, VW limitiert die Höchstgeschwindigkeit.
Echtes Bulli-Fahrgefühl
Und die Reichweite? Auf unserer 150 Kilometer-Tour, die größtenteils über Land führte, erwies sich der ID. Buzz als erstaunlich sparsam, nahm im Schnitt 20,3 kWh. Mit dem 77-kWh-Akku wären wir 380 Kilometer weit gekommen. Geladen wird mit maximal 170 kW, was den Akku in einer halben Stunde von 5 auf 80 Prozent füllt.
Aktuell gibt es nur diese Motor/Akku-Kombination („Pro“), weitere folgen. Dennoch sind in den ersten Wochen schon über 10.000 Vorbestellungen eingegangen, etwa die Hälfte für den Transporter-Bruder ID. Buzz Cargo. Der bietet nicht nur dasselbe liebevolle Design, sondern zieht auch beim aufwendigen Fahrwerk und dem Antriebsstrang gleich. Fahrspaß und -komfort gibt es daher in Zukunft auch für Handwerker und Lieferdienste. Und die sind in der Regel schon von Hause aus nicht kontaktscheu.