Arne Olerth
· 16.02.2023
Fans des kubischen Caddy ordern das Raumwunder in der Regel mit einem TDI. In Zeiten von galoppierenden Diesel-Preisen aber rückt der TSI verstärkt in den Fokus. Was kann der neu entwickelte Basismotor mit 114 PS?
Was heute noch en vogue ist, kann morgen bereits zum alten Eisen gehören – das ist bei der Mode nicht anders als in der Automobilindustrie. Erinnern Sie sich noch an die kleinen Roadster und Cabriolets, die einst zuhauf unsere Straßen bevölkerten? Heute gelten sie als Raritäten. Oder die Vans, die noch vor gar nicht so langer Zeit die Einfahrten bundesdeutscher Neubausiedlungen dominierten? Auch diese haben heute beinahe schon Seltenheitswert, gelten aktuell doch SUV als der letzte Schrei. Einer scheint von diesen kurz- oder längerlebigen Strömungen vollkommen unbeeindruckt: der Hochdachkombi aus dem Hause Volkswagen, der VW Caddy. Seit Mitte der Neunziger Jahre mit dieser extrapraktischen Karosserieform im Angebot, scheinen automobile Trends und Marketing-Versprechungen an seiner Fangruppe abzuperlen wie Wassertropfen von den Blättern der Lotusblume. Laderaumvolumen, Praktikabilität und Variabilität stehen dafür ganz oben auf der Prioritätenliste. Der Caddy begeistert Freizeitsportler, die ihr Mountainbike ohne großes Tamtam verstaut bekommen genauso wie Familien- väter, die neben dem Nachwuchs auch den Hund und den großen Kinderwagen transportieren können – ohne dass Letzterer vorher umständlich geklappt oder gefaltet werden muss. Im Segment der Handwerker und Paketboten ist der Tausendsassa aus Hannover erst recht nicht wegzudenken.
Genauso unerschütterlich zeigen sich die Fans auch bei der Aggregatewahl: Hauptsache Diesel, so lautet das Credo der Caddy-Käufer seit eh und je. Und das ist durchaus berechtigt, muss der Hochdachkombi doch mit erhöhten Fahrwiderständen zurecht kommen: Seine große Stirnfläche sorgt für erhöhten Luftwiderstand, die extragroße Nutzlast verlangt bei voller Ausnutzung nach Power. Ein TDI mit seinem bulligen Drehmomentverlauf ist geradezu prädestiniert für diesen Einsatz, begeistert zudem mit niedrigem Verbrauch. Volkswagen trägt der Nachfrage Rechnung und hält für den neuen Caddy gleich drei Dieselmotorisierungen bereit. Auch GUTE FAHRT hat sich bei den ersten Tests von Generation fünf (GF 6/21, 10/21, 9/22) stets auf die Selbstzünder konzentriert. Günstiger freilich ist der Benzinmotor, den es nur in einer Leistungsstufe (114 PS) gibt.
Fans des kubischen Caddy ordern das Raumwunder in der Regel mit einem TDI. In Zeiten von galoppierenden Diesel-Preisen aber rückt der TSI verstärkt in den Fokus. Was kann der neu entwickelte Basismotor mit 114 PS?
Volkswagen hat dem Caddy hier ein völlig neues Aggregat spendiert, das mit 220 Newtonmetern nicht nur angemessen bullig, sondern durch den Einsatz von pfiffigen Spritspartechnologien auch besonders effizient zu Werke gehen soll. Ist er damit eine Alternative zum Diesel? Schaun wir mal! Volkswagen Nutzfahrzeuge schickte mit dem Modellwechsel 2020 den altgedienten 1.4 TSI in Rente. In Caddy-Generation fünf kommt ein 1.5 TSI zum Zuge. Ein Blick auf die technischen Daten des Vorgängers sorgt erst einmal für Verwunderung: Trotz größeren Hubraums leistete der Youngster 16 PS weniger als der 131-PS-Vorgänger. Noch erstaunlicher aber erweist sich der zweite Vergleich: Der neue Caddy TSI verbraucht nach NEFZ im Schnitt exakt einen Liter weniger als der Vorgänger – trotz einer Gewichtszunahme von satten vier Zentnern.
Sicher, der Luftwiderstandsbeiwert (cW) konnte von 0,33 auf erstklassige 0,30 gesenkt werden, bei etwas vergrößerter Stirnfläche, doch liegt ein wesentlicher Schlüssel zu solch einer drastischen Verbrauchsreduktion beim Motor. Noch beeindruckender wird dies anhand der Tatsache, dass der 1.5 TSI eine strengere Abgasnorm erfüllen muss, was in der Regel mit einem Mehrverbrauch einhergeht. Neben einer Vielzahl von Detailoptimierungen gibt es zwei Schlüsseltechnologien, die den Hightech-Motor so sparsam machen: sein Brennverfahren und die Zylinderabschaltung. Diese sorgt dafür, dass der TSI bei geringer Last und niedrigen bis mittleren Drehzahlen zwei der vier Zylinder ausknipst. Schnürt der Caddy etwa entspannt über Land, so werden oft nur zwei Pötte befeuert – das spart Kraftstoff. Laufkultur und Geräuschentwicklung des Motors blieben dabei unverändert. Bei spontanem Leistungsabruf – etwa für einen Überholvorgang – werden blitzschnell die ruhenden Zylinder aktiviert, die volle Leistungsbereitschaft des TSI wieder hergestellt.
Das funktioniert ganz selbstverständlich und ohne jegliches Rucken. Lediglich ein im Display aufleuchtendes Piktogramm kündet vom Wechsel des Betriebsmodus. Je entspannter der Fahrer, desto häufiger kommt die Zylinderabschaltung zum Einsatz. Doch auch forsche Caddy-Piloten profitieren von dem neuen Motor – durch das „Miller-Brennverfahren“. Dabei schließt das Einlassventil früher als gewöhnlich. Das senkt das Temperaturniveau und erhöht den Wirkungsgrad des Motors. Auch das deutlich erhöhte Verdichtungsverhältnis (12,5:1 statt bisher 10,5:1) fördert den Wirkungsgrad. Die schlechtere Füllung resultiert gleichwohl in einer niedrigeren Leistungsausbeute, die VW mit einem Turbolader mit verstellbarer Turbinengeometrie (VTG) zumindest teilweise wieder kompensiert. Genial!
Hightech-Benzinmotor
Zu viel Theorie? Ab auf die Messstrecke! Hier muss der neue TSI beweisen, was in ihm steckt. Schon auf dem Weg dorthin unterstreicht der Turbo-Benziner seine Berechtigung im Aggregate-Portfolio: Kein bisher getesteter Caddy-Motor bot einen derart großen Akustikkomfort wie der TSI. Er agiert enorm lauf- ruhig, wurde hervorragend gedämmt. Nicht, dass die knurrigen TDI die Nerven strapazieren würden, doch der TSI serviert klar den besseren Akustikkomfort. Mit 11,1 Sekunden im Standardsprint auf Tempo 100 untermauert der TSI seine Alltagstauglichkeit. Er zeigt sich sogar 0,3 Sekunden schneller als der Top-TDI mit 122 PS und DSG. Offensichtlich aber stand unser Testwagen gut im Futter, notiert das technische Datenblatt doch 11,9 Sekunden für den TSI mit Schaltgetriebe.
Seine Höchstgeschwindigkeit? Mehr als ausreichende 181 km/h. Gleichwohl fühlen sich der Caddy und sein Fahrer bei Autobahnrichtgeschwindigkeit am wohlsten, darüber mangelt es dem Antrieb dann doch ein wenig an Durchzugsvermögen. Bei Autobahnsteigungen oder voller Beladung muss im Vergleich zum bärigen TDI auch früher zum Schalthebel gegriffen werden, der sich gleichwohl ausgesprochen präzise dirigieren lässt. Alternativ zur toll abgestuften Sechsgang-Handschaltbox steht auch ein automatisiertes Siebengang-DSG zur Wahl. Bei vollem Ausdrehen des Motors dringt das Motorengeräusch etwas präsenter durch, sonst wahrt der TSI stets die Contenance. Das gilt auch für seine Trinkgewohnheiten: 7,3 Liter im Testschnitt sind richtig gut, zumal der Wert durch vorausschauende Fahrweise leicht auf unter sechs Liter gedrückt werden kann. Für entspannte Fahrer und gemäßigte Anforderungsprofile empfiehlt sich der TSI also durchaus als Alternative zum TDI. Dieser bleibt für hohe Lastanforderungen und Langstreckeneinsätze aber erste Wahl.
Unendliche Weiten: Auch in der fünften Generation hat der Caddy nichts von seiner wichtigsten Tugend verloren, dem Raumangebot. Ganz im Gegenteil: Mit bis zu 2,6 Kubikmetern ist es so groß wie nie zuvor. Dabei baut der Caddy kürzer als ein Tiguan
Komfortable Hinterachse
Gerade in Sachen Fahrverhalten distanziert sich Generation fünf klar vom Vorgänger, auch der Komfort ist deutlich höher als bisher. Verantwortlich dafür zeigt sich die mit Schraubfedern, Längslenkern und Panhardstab überarbeitete Starr-achse an der Hinterhand. Nur bei kleinen Querfugen kann sie ihre Bauweise nicht gänzlich verleugnen. Fleißig Punkte sammelt der Caddy zudem beim Handling, hat seine Nutzfahrzeug-Wurzeln abgelegt. Mit der präzisen und rückmeldefreudigen Servolenkung kommt sogar Fahrfreude auf. Die Bedienung wurde dem Golf angeglichen. Statt Drücken und Drehen heißt es jetzt Touchen und Sliden. Die blickgeführte Bedienung erfordert aber etwas mehr Aufmerksamkeit. Lautstärke, Raumtemperatur und Sitzheizung werden via Fingerwisch gesteuert. Optional gibt es digitale, einstellbare Anzeigen.
Das Wichtigste sehen Sie nicht auf dem Foto: die neue Hinterachse. Sie beschert dem Caddy ein deutlich aktiveres Fahrverhalten – und einen erstaunlich hohen Fahrkomfort
Auf Knopfdruck fährt der Caddy teilautonom
Assistenz kann er auch, und wie: Der Radartempomat ACC (Aufpreis) hält den Abstand zum Vordermann, der optionale große Bruder „Travel Assist“ übernimmt auf Knopfdruck dazu die Lenkarbeit – der Caddy fährt damit teilautonom. Am Ziel parkt er automatisch ein j Der einzige Benzinmotor im Aggregate-Portfolio macht einen richtig guten Job! Er ist erstaunlich sparsam, laufruhig und günstig in der Anschaffung, wuppt den normalen Alltag mit links
(Aufpreis). Erfreulich: Lane Assist und der Auffahrunfälle vermeidende Front Assist gehören zur Serienausstattung, genauso wie der Abbiegeassistent. Toll: Alle Plätze bieten einen klasse Sitzkomfort. Die Konturierung der Möbel passt genauso wie die langstreckentauglich straffe Polsterung. Der Zustieg zum Fond erfolgt über praktische Schiebetüren – ein Segen in engen Parkbuchten. In Länge, Breite und Radstand übertrumpft der Caddy seinen Vorgänger deutlich – was sich im wirklich komfortablen Raumangebot auf allen Plätzen widerspiegelt. 1.213 Liter fasst der riesige Kofferraum, baut man im Fond die Zweier-Sitzbank
Caddy, watt haste dir verändert! Statt Tasten und Drücken heißt es heute auch beim Hochdachkombi: Touchen und Sliden. Das digitale Cockpit steht optional zur Wahl
und den Einzelsitz aus, wächst das Volumen auf gigantische 2,6 Kubikmeter. Alternativ können die Möbel gewickelt oder umgelegt werden. Letzteres klappt auch mit der Beifahrerlehne. Und: Der Caddy TSI kann bis zu 1,4 Tonnen an den Haken nehmen. Wem das immer noch nicht reicht, greife zum Caddy mit langem Radstand, der etwa 2.800 Euro teurer ist. Zeit für einen Blick auf die Preise: 28.780 Euro kostet der Einstieg in die Caddy-Welt mit dem 114-PS-Basis-TSI in der Ausstattungslinie „Caddy“. Mit Stahlfelgen, unlackierten Stoßfängern markiert er schon äußerlich die Einstiegslinie. Mehr Pepp bietet die Ausstattungslinie „Life“, in der auch unser Testwagen antrat (30.547 Euro). Hier gehören Dachreling, 16-Zoll-Alufelgen, elektrisch anklappbare Außenspiegel, Mittelarmlehen und ähnliches mehr bereits zur Serienausstattung. Mit kesser Metalliclackierung und schicken 17-Zoll-Alus, 2-Zonen-Climatronic, Digitalcockpit, dem prima ErgoComfort-Fahrersitz, Parkpiepsern sowie LED-Scheinwerfern und -Heckleuchten bleibt man noch diesseits der 35.000 Euro und erhält dafür ein gleichermaßen schmuckes wie universell-praktisches Automobil, das über viele Jahre den Alltag erleichtern kann. Übrigens: Den Caddy gibt es auch in SUV-Optik als PanAmericana (34.188 Euro), der ein Gros der GF-Ausstattungsempfehlungen bereits von Hause aus mitbringt. Sogar als hipper Lifestyler bleibt der Caddy also sehr vernünftig.
Test kompakt
Hohe Dieselpreise rücken den TSI auch beim Raumwunder Caddy in ein ganz anderes Licht: Der neu entwickelte Benzinmotor kann mit erstaunlicher Sparsamkeit und gutem Komfort punkten. Für normale Alltagsaufgaben reicht er völlig aus, auch für Autobahnreisen bei Richtgeschwindigkeit. Den bärigen Punch eines Diesel freilich kann er nicht bieten, ist dafür günstiger in der Anschaffung.