Joshua Hildebrand
· 18.11.2020
Ohne Zweifel: Der Porsche Taycan ist der Sportliche unter den Elektrikern – vor allem als Turbo oder Turbo S. Doch wie gut ist eigentlich das Einstiegsmodell? Ausfahrt mit dem 4S in Frozenbluemetallic!
Der Hockenheimring. Eine ziemlich geschichtsträchtige Rennstrecke im Norden Baden-Württembergs, auf der schon die größten Rennfahrer dieser Welt unterwegs waren und siegten. Seit rund einem Jahr ist er um eine Attraktion reicher, denn Porsche eröffnete hier das markeneigene Experience Center (PEC) direkt an der Sachskurve (wir berichteten in GF 12/19). Ein Ort, gebaut, um einem Porsche so richtig die Sporen zu geben. Ein Wink mit dem Zaun… äh, Stromkabel? Vielleicht. Dass das Thema Elektromobilität auch hier inzwischen eine zentrale Rolle spielt, dürfte jedenfalls nicht mehr allzu sehr verwundern.
Mit langen Geraden und engen Kurven ist das hier der richtige Rahmen, um einem ganz besonderen Elektro- Sportwagen auf den Zahn zu fühlen: dem Taycan. Nachdem wir bereits das Turbo-Modell mit 680 PS testen konnten (Ausgabe 5/20), ist nun das Einstiegsmodell 4S an der Reihe. Dabei muss zwischen zwei Varianten unterschieden werden: dem mit der 79,2-kWh-Peformance-Batterie und jenem mit der aufpreispflichtigen 93,4-kWh-Performance-Batterie Plus (PBP, 6.356 Euro). Davon abhängig ist nicht nur die Reichweite – maximal 407 zu 463 km nach WLTP – sondern auch die Leistung des 4S: bis zu 530 PS, beziehungsweise 571 PS (im Overboost; 2,5 Sekunden).
Die cleverste Art, Taycan zu fahren?
Ist doch klar, dass wir uns den mit dem größeren Akku geschnappt haben. Weil wir mutmaßen, dass das die beste Art sein könnte, Taycan zu fahren. Wer braucht schon 700 PS? Vor allem, wenn bereits das 4S-Modell richtig gut im Futter steht? Eben. Im „Nicht-Vollgas-Modus“ rollt der Taycan 4S mit 435 PS, respektive 490 PS (PBP) über unsere Straßen. Der Vorteil: Weniger Leistung bedeutet auch weniger Stromverbrauch. Denn wer sich die Batterie der Turbo-Modelle in den 4S ordert, wird tendenziell am weitesten kommen: theoretische 463 km schafft nur der 4S, während den Topmdellen bei rund 400 Kilometern der „Saft“ ausgehen dürfte. So oder so heißt es irgendwann: Laden! Und das geht dank Performance-Batterie mit maximal 270 kW Ladeleistung auch richtig flott. Ein Taycan 4S mit konventionellem Energiespeicher kommt auf „nur“ 225 kW. Nichtsdestotrotz gibt Porsche für alle Modelle, egal mit welchem Akku, rund 23 Minuten Ladezeit (5 bis 80 Prozent) an – Powercharger vorausgesetzt.
Der 4S ist mit mindestens 103.802 Euro fast schon ein Schnäppchen, denn als Turbo (ab 149.158 Euro) kostet der Taycan rund 45.000 Euro und als Turbo S (ab 181.638 Euro) sogar knapp 78.000 Euro mehr! Halleluja, dafür gäbe es dann fast schon einen 718 GTS 4.0 dazu. Aber wie singt ein bekannter Schlagersänger so gern: „Egal!“ Denn wer hat, der hat‘s. Stellt sich also eher die Frage, worin die Unterschiede denn genau liegen, wenn die Leistung hauptsächlich eine Angelegenheit der ECU-Software ist. Lohnt sich der Aufpreis zum Topmodell? Optisch betrachtet wird der Laie Mühe haben, Unterschiede zu entdecken. Das geschulte Auge aber sieht: Es gibt sie. So ist die Frontschürze beim Basismodell 4S immer schwarz, auch der Diffusor im Heck verliert die Wagenfarbe.
Die Front- und Heckschürzen der Turbo-Modelle sind etwas sportiver gestylt. Etwas nachhelfen ließe sich beim 4S mit dem separat erhältlichen „SportDesign“- Paket für rund 4.500 Euro. Während der Einstiegs-Taycan serienmäßig auf 19-Zoll-Felgen steht, sind optional aber auch alle weiteren Felgen der Taycan-Familie bis 21 Zoll erhältlich – etwa die Mission-E-Design-Räder für 4.129 Euro (hier zu sehen). Gleiches gilt auch für die Fahrwerksoptionen. Von der aktiven Wankstabilisierung bis zur Allradlenkung ist für den 4S alles bestellbar. Die Bremssättel sind in Kombination mit der serienmäßigen Stahlbremsanlage rot lackiert. Apropos Lack: Aufpreisfrei sind beim 4S lediglich die Exterieurfarben Weiß und Schwarz. „Unser“ wunderschönes Frozenbluemetallic gibt‘s nur gegen Zuzahlung (1.067 Euro). Ganz ehrlich: Wer durchaus gewillt ist, Aufpreise für Sonderausstattungen zu zahlen, kann außen wie innen fast ganz vertuschen, dass er den „schwächsten„ Taycan geordert hat. Na, dann mal hinein in die gute Stube, Sitz und Lenkrad einstellen – passt! An Sitzposition und Ergonomie gibt‘s nichts zu meckern, für die sportlichere Gangart empfehlen sich anstatt der Komfortsitze (14-Wege, 1.612 Euro) die Sportsitze „Plus“ mit stärkerer Konturierung und noch besserem Seitenhalt. Etwa für die 2,8 Kilometern lange Strecke im PEC mit insgesamt 19 Kurven, zwölf Metern Streckenbreite sowie einigen Höhen und Tiefen. Da geht es schon mal wilder zur Sache. Und das Beste: Es gibt hier keinen, der uns für bekloppt hält! PSM auf Sport, linker Fuß auf die Bremse. Rechter Fuß aufs E-Pedal, Launch Control … Abfahrt! Wie brutal der allradgetriebene Elektro-Porsche nach vorn prescht und akkurat Meter macht, ist einfach nur sensationell!
Fahrdynamisch ein echter Porsche
Auch der 4S besitzt zwei permanent erregte Synchronmaschinen an Vorder- und Hinterachse sowie ein Zweigang-Getriebe an der Hinterachse. Somit entspricht er bei der Antriebsarchitektur im Wesentlichen seiner Modellbrüder. Kleine Unterschiede: Die E-Maschine an der Hinterachse ist acht Zentimeter kürzer als die im Turbo und Turbo S. Zudem findet die Reduzierung der Leistung über den Pulswechselrichter an der Vorderachse statt, der beim Taycan 4S mit 300 Ampere operiert, anstatt mit 600. Reduzierung der Leistung? Vergessen Sie es. In rund vier Sekunden schießt man auf Tempo 100. Der Kavalierstart offeriert bis zu 571 PS und 650 Nm.
Und das soll der schwächste Taycan sein? Kaum zu glauben, denn trotz des hohen Gewichts geht auch der „Kleine“ wie die Hölle. Das Drehmoment liegt unmittelbar an, die Kraft wird mit einem Paukenschlag auf alle vier Räder übertragen, dann folgt eine angenehm homogene Leistungsentfaltung ohne spürbare Traktionsverluste. Sowieso: Schlupf kennt der 800-Volt-Sportwagen so gut wie nicht. Auch der automatische Wechsel in den zweiten Gang (Hinterachse) verläuft so sanft, dass wir es nicht einmal mitbekommen. Schaltwippen am Lenkrad? Gibt es nicht, dafür aber eine Rekuperationstaste am Lenkrad. Auch wenn die Beschleunigung der Turbo-Modelle noch heftiger ist (0 – 100 in 3,2/2,8 Sek.), sind es viel mehr die Komponenten drumherum, die sich auf das Fahrverhalten auswirken. Ein Punkt: Die Bremsen. Der Taycan 4S rollt serienmäßig mit Stahlbremsen in den Formaten 360 mm vorn und 358 mm hinten um die Ecke. Reicht eigentlich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass auch die E-Maschine beim Rekuperieren wie eine zusätzliche Bremse wirkt. Dennoch gäbe es auch die größere „Surface Coated Brake“ (410/365mm), deren Scheiben Grauguss mit Keramikbeschichtung kombinieren. Vorteil: Das reduziert die Bremsstaubbildung, übrigens Serie beim Turbo-Modell. Oder man holt sich gleich – wie in unserem Fall – die Top-Stopper in Form der 10-Kolben-Keramik-Bremsanlage (8.711 Euro) samt 420-mm- Scheiben vorn und 410-mm-Scheiben hinten, die in jeder Hinsicht noch einen Bremsklotz drauflegen. Trotzdem: Für den Alltag sind die fast überqualifiziert. Aber keine Sorge: Das agile und direkte Fahrverhalten ist auch beim Standard-Modell ohne Extras inklusive. Das liegt daran, dass der Elektrosportler bereits ab Werk ein ausgeklügeltes Fahrwerk mit vielen technischen Raffinessen kombiniert. So stehen der Alu-Doppelquerlenker-Vorderachse und der Alu-Mehrlenker-Hinterachse ein ausgeklügeltes Fahrstabilisierungssystem à la PSM, ein integrierter Fahrwerksregler namens 4D-Chassis-Control sowie eine adaptive Luftfederung inklusive elektronischem Wankausgleich serienmäßig bei.
Mit Extras schmilzt der Turbo-Vorsprung
Vorbei die Zeiten in denen es nur ein Grundsetup gab. Auch der Taycan lässt sich optional mit jeder Menge Ausstattung individualisieren sowie dynamisieren. Ein kleiner Auszug der Liste: Porsche Dynamic Chassis Control Sport (PDCC Sport, 3.272 Euro), Hinterachslenkung mit geschwindigkeitsabhängiger Servolenkung (2.332 Euro) und Porsche Torque Vectoring Plus (PTV Plus, 1.450 Euro) inklusive elektronischer Differenzialsperre. All diese fahrrelevanten Dinge kosten in Summe zwar jede Menge Geld, machen den Taycan 4S aber zu einem noch agileren Auto, das es querdynamisch dann fast mit dem Turbo S aufnehmen kann. Ja, er hat‘s schon drauf. Leider aber auch viele Kilos: über 2.200, um genau zu sein. Turbo und Turbo S sind nur unbedeutend schwerer. Allerdings lässt sich das hohe Gewicht (der Batterie) ziemlich gut kaschieren. Unser Taycan 4S fährt sich nicht wie ein schweres Auto. Anbremsen? Mit ordentlicher Verzögerung. Lenken? Wie auf Schienen und fast ohne Wankbewegungen. Lastwechsel? Je nach PSM-Einstellung neutral und unproblematisch. Rausbeschleunigen? Ohne Traktionsprobleme. Driften? Geht sogar auch – aber, pssst!
Und ja, es gibt Unterschiede zwischen dem Einstiegs-Taycan 4S und den Turbo-Modellen. Wenn auch nur kleine, bedingt durch die Extra-Ausstattungen. Kräftig genug ist er jedenfalls, die Performance Plus Batterie ist jedoch Pflicht – nicht zuletzt aufgrund der größeren Reichweite. Ansonsten ist auch der 4S ohne Schnickschnack ein richtiger Porsche – optisch sowie fahrtechnisch. Alles andere ist wohl eher eine Frage des Geldbeutels und des Prestige.