Joshua Hildebrand
· 02.06.2021
Der Skoda Enyaq ist der Tschechen erstes Elektroauto auf Basis des MEB. Im Rahmen der Weltpremiere durften wir bereits mit dem Newcomer in der 204-PS-Version 80 iV herumstromern – und das war ziemlich spannend!
Die Freude war groß, als die Einladung ins Postfach trudelte. Endlich mal wieder eine richtige Fahrveranstaltung in heimischen Gefilden! Die tschechische VW-Tochter Skoda hat nämlich in die Zentrale nach Weiterstadt bei Darmstadt geladen, um hier die erste Weltpremiere überhaupt zu feiern – vom vollelektrischen SUV Enyaq iV. Oder wie der Vorstandsvorsitzende Thomas Schäfer sagt: „(…) dem Aushängeschild einer neuen Ära bei Skoda.“ Das neue Familienmitglied verkörpert den bislang größten Schritt der Tschechen bei der Umsetzung der Elektromobilitäts-Strategie. Der Bruder des VW ID.4 entsteht im Stammwerk in Mladá Boleslav und wird damit als einziges MEB-Modell in Europa außerhalb von Deutschland gefertigt. Doch uns interessiert vor allem eines: Wie fährt er sich? Und deswegen: Flink zum Counter, Fahrzeug auswählen, Schlüssel schnappen und dann kann‘s schon losgehen … Unsere Wahl fällt natürlich auf das derzeit erhältliche Topmodell iV 80 mit 150 kW Leistung und reinem Heckantrieb.
Optional mit Crystal Face
Schon beim ersten Zusammentreffen sind wir durchaus beeindruckt. Sein Auftritt in Velvet-Rot (1.030 Euro) ist kraftvoll, kantig und fügt sich für unser Empfinden sehr treffend in die aktuelle Design-Philosophie von Skoda ein. Mit 4,65 Metern Länge, 1,88 Metern Breite und 1,62 Metern Höhe präsentiert sich das SUV groß, aber nicht überzogen.
Optisch hat der Enyaq kaum Ähnlichkeit zum VW-Pendant, die Linienführung mit seinen Sicken erinnert tatsächlich an Modelle wie den aktuellen Octavia oder den Kamiq. Und auch am Heck scheint der Anblick vertraut: Skoda-Schriftzug in der Mitte, detaillierte Heckleuchten im „Crystal“-Design, dynamische Blinker und ein mattschwarzer Dachkantenspoiler, der bei einem Skoda nie größer war. Neben dem geschlossenen Kühlergrill und dem komplett verkleideten Unterboden ein wichtiger Helfer für die aerodynamisch günstige Stromlinienform des Enyaq, der mit einem klasse cW-Wert von unter 0,26 brilliert. Das ist auch ein wichtiger Faktor für die Reichweite der Batterie, dem
jedoch die 21 Zoll großen Optionsräder Betria etwas entgegenwirken dürften. Egal – toll aussehen tun sie allemal. Außerdem möchte Skoda zukünftig auch eine Felgenvariante mit abnehmbaren Blenden anbieten, die im montierten Zustand noch ein paar zusätzliche Kilometer Reichweite bringen sollen. Wer glaubt, dass der Enyaq mit schmalen „Pizza-Schneidern“ auf den Kunden losgelassen wird, der irrt. Das 80er-Modell rollt auf einer Mischbereifung in 235/45 R21 vorn und 255/40 R21 hinten – gut für eine stramme Straßenlage auch jenseits der 120 km/h.
Die knackige Front ist mit wenigen Öffnungen versehen, um Reichweiten-schädliche Luftverwirbelungen zu reduzieren. Unten ragt eine Frontspoilerlippe gleich mehrere Zentimeter hervor. LED-Scheinwerfer gibt’s – na logo: serienmäßig –, und optional auch Voll-LED-Matrix im Paket „Licht & Sicht Basic“ für 1.280 Euro. Nur den beleuchteten Kühlergrill namens „Crystal Face“ (Kaufzwang mit Matrix-LED), hatte unser Wagen nicht. Ein anderer jedoch, bei dem wir uns vom faszinierenden Lichtspiel (siehe „gute_fahrt_magazin“ auf Instagram) ein Bild machen konnten. Über 130 LED beleuchten dabei das Enyaq-Gesicht bei aktivem Abblendlicht und zeigen beim Aufschließen sowie Verriegeln animierte Coming- und Leaving-Home-Lichtspiele. Ja, Licht ist das neue Chrom – so ist das heutzutage. Und wissen Sie was: Das ist nicht nur ein Hingucker, sondern auch mega-cool. Ein bisschen Subjektivität muss eben auch mal sein …
Der Enyaq iV baut zwar kürzer als ein Skoda Octavia, bietet aber mehr Platz im Innenraum. Das liegt an der platzsparenden MEB-Architektur samt Lithium-
Ionen-Akku im Unterboden des Fahrzeuges. Im Innenraum wird der gewonnene Platz verstärkt für Ablagemöglichkeiten genutzt: Auf 48 Liter zusätzlichen Stauraum in der Kabine ist man bei Skoda besonders stolz.
Luftig und wohnlich fühlt sich der Innenraum an. Unterstützt wird dieses fast schon heimelige Gefühl vom großen Panorama-Glasdach, das viel Licht in den Innenraum lässt. Sowohl vorne als auch hinten sitzt es sich bequem und alles andere als eingeengt. Hinterbänkler profitieren deutlich von der elektrischen Architektur und vor allem den kleinen Motoren an der Hinterachse. Trotz vier Zentimetern kürzerer Wagenlänge als beim Octavia Combi, bietet das elektrische SUV Enyaq bei 2,77 Metern Radstand insgesamt mehr Platz: im Fond eine halbe Handbreite mehr Kniefreiheit und mit 585 bis 1.780 Litern zudem ein noch größeres Laderaum-Volumen. Respekt!
„Lounge“-Feeling im Innenraum
Modern wirkt der Enyaq nicht zuletzt wegen seines neuen Innenraumkonzeptes mit so genannten „Design Selections“. Jene ersetzen die klassischen Ausstattungslinien, welche im Stil moderner Wohnwelten farblich und materiell aufeinander abgestimmt sind sowie besonders nachhaltig produziert werden – etwa aus PET-Flaschen. Keine Sorge: Dass man auf ausgedienten Plastikflaschen sitzt, merkt man gar nicht. Im Gegenteil: In unserem Test-Enyaq mit Lounge-Ausstattung reisen wir schön flauschig, nehmen Platz auf gut stützenden Sitzen mit Bezug aus Leder und Mikrofaser und erfreuen uns einer hervorragenden Rundum-Sicht. Die Sitzposition sowie die -höhe passt. Fast schon monströs fällt das zentrale 13-Zoll-Display im Kino-Format aus – sooo … groß war noch kein Display bei Skoda. Neben ein paar wenigen klassischen Tasten folgt auch der Enyaq iV der fokussierten Intuitv-Bedienung des VW-Konzerns mit Touchen, Sliden und Sprechen. Über das Infotainment lassen sich so alle wichtigen Fahrzeugfunktionen steuern – auch jene für die Klimabedienung zum Beispiel.
Nicht zu vergessen sind auch die Tugenden der Marke, insbesondere die „Simply clever“-Lösungen, die den Alltag erleichtern. So lässt sich unser Enyaq via Smartphone-App in eine enge Parklücke zirkeln, wobei wir am Straßenrand stehen – eigentlich ein Gadget aus der Oberklasse. Wie bei den anderen Modellen gibt es auch wieder einen Regenschirm in der Fahrertür sowie einen Profiltiefenmesser und einen griffbereiten Eiskratzer, allerdings nicht wie bei Octavia und Co. in der Tankklappe, sondern an der Heckklappeninnenseite. Zwei USB-C-Anschlüsse und eine 230V-Steckdose hinten sowie ausklappbare Tischlein im Fond sind ebenfalls zu haben.
Doch zu Tisch gehen wir noch lange nicht. Denn die ersten Enyaq-Meter stehen bevor. Im aktuellen Topmodell iV 80 mit 204 Heck-PS und 310 Nm (bei 6.000 U/min) eine ziemlich spannende Sache. Die Batteriekapazität ist abhängig von der gewählten Leistung und beträgt hier 82 kWh brutto (77 kWh netto). Die WLTP-Reichweite soll hier über 500 Kilometer liegen. Versprochen: Den Wahrheitsgehalt werden wird bald im Test überprüfen!
Der Schlüssel ist da, der Startknopf bereits gedrückt, der D-Fahrmodus über den Schaltstummel in der Mittelkonsole eingelegt. Von einem etwas spacigen E-Sound begleitet, rollen wir vom Parkplatz. Angenehm griffig fühlt sich das aus dem Octavia bekannte Lenkrad an, während wir uns den digitalen Tacho zu Gemüte führen. Er zeigt die Geschwindigkeit, die Reichweite, den die Rekuperationsstufe sowie aktive Assistenzsysteme. Etwas Mäusekino-lastig, aber er erfüllt seinen Zweck, zumal das optionale Head-up-Display unterstützend wirkt. Wir biegen ab auf die nahegelegene Landstraße. Auf jeden Gaspedal-Stoß folgt dank 1-Gang-Getriebe ansatzlos Vortrieb. Etwa in 8,6 Sekunden auf Tempo 100, obwohl das Gewicht deutlich über zwei Tonnen liegt! Hauptverantwortlich hierfür ist der rund 500 Kilogramm schwere Akku im Fahrzeugboden, der jedoch nicht nur gewichtige Gründe, sondern auch Vorteile mit sich bringt. Das Gewichtsverhältnis liegt annähernd bei 50:50, zudem zeigt sich die Masse vor allem bei der heckgetriebenen Version als Traktions-Garant. Aber auch der niedrige Schwerpunkt des Enyaq und die breiten Reifen machen sich vorteilhaft bemerkbar – vor allem auf kurvigem Terrain und bei Geschwindigkeiten über 100 km/h.
Eines muss jedoch gesagt sein: Wer es fliegen lässt, wird den von Skoda angegebenen WLTP-Verbrauch mit 16 kWh pro 100 Kilometer nicht hinbekommen, waren es schon bei unserer kurzen 80-Kilometer-Testrunde eher 20 kWh. Ein paar „Kilowättchen“ lassen sich aber über Rekuperieren (Energierückgewinnung) wieder zurück in den Akku speisen. Über Wippen am Lenkrad lässt sich die Rekuperationsstufe wählen, entsprechend stark verzögert der Enyaq beim Lupfen des Gaspedals. So lässt sich zwar nicht der komplette Akku füllen, aber mit einer vorausschauenden Fahrweise immerhin ein paar Kilometer Reichweite zurück verdienen.
Die 24 Li-Ion-Batteriezellen sind mit einer Ladeleistung von bis zu 125 kW (DC) schnellladefähig, so dass die Batterie im derzeitigen Topmodell in rund 40 Minuten von fünf auf 80 Prozent vollgeladen werden kann. An einer Wallbox mit elf Kilowatt Wechselstrom dauert dies in etwa acht Stunden. Doch zurück zum Fahren: Ziemlich wenige Wankbewegungen sowie eine gute Spurtreue machen den Enyaq zu einem bodenständigen, leicht fahrbaren Weggefährten. Der „80er“ präsentiert seine geballte Technikkompetenz mit unschlagbaren Komforteigenschaften, die nicht nur der hervorragenden Geräuschdämmung (samt Akustik-Scheiben) zu verdanken ist, sondern auch dem stufenlos verstellbaren Adaptivfahrwerk DCC (im Paket Drive Sport Plus für 900 Euro). Ist dieses dann auch noch auf Comfort gestellt, filtern die Dämpfer so gut wie alle Störfaktoren weg. Es sei denn, es kommen doch mal diese seltenen, aber fiesen Querfugen …
Geräuschlos, ohne verbrennertypische Geräuschkulisse und ohne Vibrationen – das hat was! Aber mal ehrlich: In Kombination mit dem ultra-ruhigen E-Antrieb ist eigentlich nur Fliegen schöner. Das Fahren im Enyaq ist so ausgewogen, dass wir binnen kürzester Zeit ein immenses Vertrauen aufgebaut haben. Da er auf der
MEB-Plattform basiert, sind fahrtechnisch gewisse Parallelen zum VW ID.4 zu erkennen, der Komfort ist mustergültig.
Und weil wir glauben, dass so ein BEV (Battery Electric Vehicle) vor allem auch in der Stadt funktionieren muss, haben wir uns zum Abschluss unseres Fahrtermins noch ein Parkhaus gesucht. Nicht unbedingt das beliebteste Terrain von Auto- fahrern: eng, unübersichtlich, nicht selten sehr Felgen-unfreundlich gebaut. Doch was wir mit dem Enyaq erleben, überrascht uns erneut positiv. Dank optionaler Progressivlenkung (ab 230 Euro) ist die Lenkung leichtgängig und das Rangieren fast schon spaßig. Positiv überrascht der Spurkreisdurchmesser von nur 9,3 Metern, was für ein Fahrzeug dieser Größe richtig gut ist. Zum Vergleich: beim VW Golf 8 sind es rund elf Meter.
Vollgepackt mit Sicherheitstechnik
Im Enyaq unterstützen jede Menge Assistenzsyteme den Fahrer. So hat der iV 80 einen Regensensor samt Fahrlichtassistenz mit Coming- und Leaving-Home-Funktion, eine Verkehrszeichen-Erkennung, Parksensoren vorn und hinten sowie eine Rückfahrkamera schon serienmäßig am Start. Darüber hinaus auch eine Ausweichunterstützung inklusive Abbiegeassistent, Frontradarassistent mit Fußgänger- und Radfahrererkennung sowie City-Notbremsfunktion und auch eine Geschwindigkeitsregelanlage samt Speed-
limiter. Einen adaptiver Abstandsassistenten (ACC), einen Spurhalteassistent (Lane Assist) sowie einen Spurwechsel- und Ausparkassistent gibt es gegen Aufpreis. Die Spitze des sprichwörtlichen Eisberges stellt der teilautonome Fahrassistent Traveller mit Notfallassistent dar: Damit kann der Enyaq sogar eigenständig Fahren, inklusive Bremsen und Lenken.
Skodas erstes Vollelektro-SUV ist auf dem besten Weg, ein ganz großer Wurf zu werden! Technisch ausgeklügelt, innen wie außen optisch ansprechend, dazu fahrtechnisch mehr als gelungen. Ein tolles Elektroauto, dass auch im Alltag gut funktioniert – Stichwort: Anhängerkupplung. Denn bis auf das 50er-Modell können alle Enyaqs für den Hängerbetrieb eingesetzt werden, das 80er-Modell bis maximal 1.400 kg (bei 12 Prozent Steigung). Mutige Details, wie der beleuchtete Kühlergrill, setzen der ganzen Thematik schlussendlich die Krone auf. Es bleibt abzuwarten, ob auch die von Skoda versprochene Reichweite von mehr als 500 Kilometern realistisch ist.
Die 50er-Einstiegsversion des Enyaq gibt es bereits ab 34.990 Euro, vor Abzug der Fördermittel. Für die 80er-Version werden mindestens 43.950 Euro fällig, dafür halten sich aufpreispflichtige Extras hier preislich im Rahmen. Die Modelle „50“, „60“und „80“ sind bereits konfigurierbar. Damit nicht genug: Auch Allrad („x“) und ein extra-sportliches RS-Modell mit gut 300 PS wird es laut Skoda bald geben.