Arne Olerth
· 19.03.2021
Endlich gibt es den Sechszylinder-Boxermotor auch wieder diesseits des Boxster Spyder. Im Porsche 718 Boxster GTS 4.0 verdichtet er Drehfreude, Punch und maximale Emotionalität zu einem grandiosen Porsche-Fahrerlebnis
Viernull – in der kleinen Zahlenkombination auf den Flanken des 718 Boxster GTS steckt wahrscheinlich mehr Drama, als der flüchtige Betrachter denken dürfte. 4.0 steht hier nicht wie bei manch anderem Hersteller neumodisch für eine Leistungsklasse, sondern ganz klassisch für den Hubraum. Und satte vier Liter sind nicht nur ein echtes Pfund für den kleinen Roadster aus dem Hause Porsche, nein, sie läuten gleichzeitig auch die Rückkehr des legendären Flat6 in ein Breitenmodell der 718 Boxster- Baureihe ein. Balsam für die geschundenen Seelen der hartgesottenen Fans.
Was war geschehen? 2016 spendierte Porsche der dritten Generation des Boxster und seines Coupé- Zwillingsbruders Cayman eine Produktaufwertung: frische Optik, neuer Namenszusatz (718), neue Typbezeichnung (982 statt 981) und andere Motoren. Stärker, sparsamer, druckvoller – die Eckdaten klangen erst mal vielversprechend. Erzielt wurden diese durch einen Paradigmenwechsel unter der Haube: Turbo- statt Saugmotor, Vier- statt Sechszylinder. Und damit war die Sinnkrise der gusseisernen Fans geboren. Nicht, dass man den Boxern mit vier Zylindern ihre Leistungsdaten vorwerfen könnte, die Zuffenhausener Ingenieure haben schließlich ganze Arbeit geleistet. Doch das bisher durch das Boxster-Cockpit tobende Flair des legendären Bruders 911 war Geschichte. In Sachen Klang und Aura ordneten böse Zungen den Flat4-Porsche gar in der Nähe von frisierten Volkswagen-Boxermotoren ein – denen eben auch die entscheidenden zwei Zylinder fehlen. Bourgeoisie statt Aristokratie, Pommes statt Champagner! Schwarz- weiß-Malerei sagen Sie? Ein wenig, ohne Zweifel. Doch sorgte die 718- Produktaufwertung eben nicht für explodierende Verkaufszahlen – zumindest hierzulande.
Flat6 – der Mega-Entertainer
2019 gab es dann den Lichtblick: Mit dem Porsche 718 Spyder pulverisierte die schwäbische Sportwagen-Schmiede das Gerücht, der Sechszylinder-Boxer würde nicht in den Motorraum der 718-Serie passen. Der Flat6 war zurück – und wie. Mit vier Litern Hubraum, 420 PS, Motorsport-Fahrwerk, exklusivem Verdeck und noch exklusiverem Preis: Bei 94.571 Euro ist der Elfer schon in Sichtweite, nur etwa 12 Prozent teurer. Geschlossen zwar und schwächer, doch hey: ein echter Elfer eben – nicht der vermeintlich kleine Bruder.
Strahlkraft auf die bodenständigeren 718 Boxster-Modelle hat das neue Flaggschiff sicher, doch erst mit dem neuen GTS 4.0, dem zweiten 718 Boxster mit Flat6 wird eben dieser demokratisiert. Sicher: 84.313 Euro sind für die meisten Lohnempfänger nach wie vor wohl unerreichbar. Doch zumindest löst die neue Motorisierung einen innerfamiliären Konflikt auf. Denn: Bisher wurde der 718 Boxster GTS von einem 2,5-Liter großen Turbo-Boxer mit vier Zylindern angetrieben. Genau wie das S-Modell. Der Leistungszuwachs von 15 PS auf 265 PS war überschaubar, die Differenzierung minimal. Mit jetzt 400 PS und den prestigeträchtigen sechs Zylindern ist die Rangfolge zum rund 14.000 Euro günstigeren S-Modell klar abgegrenzt.
Beim Dreh des Zündschlüssels links verblassen die Zahlenspiele, werden unwichtig: Der Flat6 im Heck bellt heiser auf, lässt die Nackenhaare blitzartig stramm stehen. Genau das ist es, was die Fans beim 718 bisher so schmerzlich vermisst hatten. Den röchelnd- heiseren Leerlaufsound des Sechszylinders gab es im Boxster schon bei seiner Einführung 1996. Dieser hier aber krönt das Konzept, spielt die gesamte Klaviatur der sportlichen Emotionalität rauf und runter. Er hängt so hellwach am Gas, setzt das kleinste Zucken im Zeh derart verzögerungsfrei in Vortrieb um, dass jeder aufgeladene Motor verschämt die Leitschaufeln seines Turbos leckt – und seien diese noch so verstellbar. „Gib mir mehr“ röchelt der Motor dem Fahrer zu, strotzt nur so vor Lebensfreude. Die kann der GTS-Pilot in reinstes Fahrvergnügen ummünzen.
Nenndrehzahl: 7.000 Touren
Logisch: Das hat jetzt einen ganz anderen Charakter als bisher. Zwar zieht der neue Saugmotor mit 420 Newtonmeter maximalem Drehmoment mit dem bisherigen Turbo-GTS gleich, doch erreicht er den Zenit erst ab 5.000 Touren. Beim Turbo lag das Pfund schon bei 1.900 Umdrehungen auf der Waage. Heißt: Wo der alte Turbo dem Fahrer schon knapp über Leerlauf den Tritt ins Kreuz verpasste, muss der neue gedreht werden – eine klasse Saugmotor-Charakteristik alter Schule eben, die wunderbar zum Boxster passt. Tristesse freilich kommt auch hier untenrum dank dicker Hubraum-Basis, variabler Sauganlage und Variocam-Nockenwellenverstellung nicht auf. So wuchtet der 4.0 schon mehr als 330 Newtonmeter bei 2.000 Touren auf die Welle. Es ist ein breiter Strom, der oben heraus – gedreht werden darf bis 7.800 /min – explosionsartig zur Springflut eskaliert.
Orchestraler Hochgenuss
Solche Orgien feiert die klappengesteuerte Sportabgasanlage (Serie) mit einem emotionalen Soundtrack, der sich vom dumpfen Grollen, schlürfend über porschiges Sägen bis zum herzerweichenden Kreischen bei Nenndrehzahl ausweitet. Zum Niederknien schön, maximal authentisch. Suchen Sie diese Emotionalität einmal bei einem E-Sportler – und sei er noch so kräftig. Sicher: Dank Otto-Partikelfilter im Abgasstrang und strengem Bundesimmissionsschutz-Gesetz tönt der Boxer etwas distinguierter als manch heißer Elfer-Bruder vergangener Dekaden. Doch auch hier vermag jeder Gasstoß den kleinen Espresso zu ersetzen, bringt das Blut in Wallung – famos.
Porsche wäre nicht Porsche, hätten sie dem Hauptdarsteller nicht ein ebenso kompetentes Fahrwerk mitgegeben. Vorne wie hinten sorgen Federbeinachsen für optimalen Fahrbahnkontakt, verfeinert durch Stoßdämpfer mit variabler Dämpfung (PASM). Zudem wurde die Trimmlage beim GTS um 20 Millimeter abgesenkt. Die Lenkung arbeitet mit variabler Übersetzung, 235/35 ZR20 Pneus sorgen für eine möglichst verlustfreie Umsetzung der Befehle. Zugunsten des perfekten Gripp liegt die Breite hinten bei 265 Millimetern. Dem gleichen Ziel dient auch die mechanische Quersperre (Serie), die durch Torque Vectoring die Lenkung zusätzlich unterstützt. Die Verbindung zum Boxer läuft über ein Handschaltgetriebe, aufgehangen an variablen Lagern – eine unbedingte Empfehlung für dieses Auto. Sicher: Porsches Doppelkupplungsgetriebe PDK (3.255 Euro) ist bekannt für seine perfekte Schaltstrategie, doch die Handarbeit rechts verzahnt den Fahrer wahrlich intensiver mit dem Auto. Und wer möchte auf dieses zusätzliche Stück Emotionalität schon verzichten? Der GTS 4.0 zelebriert das Einlegen niedriger Schaltstufen zudem mit herrlichen Zwischengas-Stößen, die den flotten Wechsel erleichtern.
Derart ausstaffiert beweist sich der GTS als Präzisionsinstrument. Er klinkt sich beim Kurveneingang – je nach Kompetenz des Fahrers – quasi in den Verlauf der Ideallinie ein und folgt dieser absolut stoisch durch die Kehre. Die feinnervige Lenkung versorgt den Piloten dabei mit allen wichtigen Informationen über die Beschaffenheit des Untergrunds, ohne sich aufdringlich in den Vordergrund zu spielen. Auch die aufgebauten Haltekräfte liegen auf genau dem richtigen Niveau. Besser geht es kaum. Seitenneigung? Zeigt der Roadster kaum, selbst in schnell gefahrenen Kurven. Er wirkt jederzeit perfekt ausbalanciert – wunderbar. Sollten Sie keine Renn-Linzenz in der Tasche haben, werden Sie den Porsche wohl kaum in den Grenzbereich bewegen können. Erst Recht nicht im Geltungsbereich der StVZO. Zum süchtig machenden Fahrerlebnis tragen auch die perfekt dosierbaren Bremsen mit Sechs- beziehungsweise Vierkolbenzangen bei, die auch bei langen, engagierten Fahrten nicht in die Knie gehen. Der Griff zu den optionalen Keramik-Scheiben ist daher kein Thema – es sei denn Sie haben ein Jahresticket für den Ring. Mit superbem Fahrwerk und der beeindruckenden Längsdynamik, Null-Zwohundert in 14,0 Sekunden, wäre dieser Boxster sicher für die eine oder andere Bestzeit gut.
Doch seien wir ehrlich: Der tiefere Sinn eines Roadsters liegt woanders – schließlich bietet der Boxster auch in Sachen Frischluftvergnügen maximale Emotionalität, nimmt kaum Rücksicht auf die Fönfrisur. Und das Fahrwerk zeigt sich trotz seiner sportlichen Kompetenz erstaunlich komfortabel. Was kann es schöneres geben als das Frühlingserwachen im Boxster zu erleben? Den heiseren Sechszylinder im Ohr, den Wind in den Haaren und die Vorfreude auf die nächste Kurve in den Mundwinkeln. Der Porsche bereitet gerade bei lässigem Cruisen viel Freude, auch an der Tankstelle. Dank Zylinderabschaltung bleibt der Verbrauch hier unter zehn Liter. Artgerecht bewegt kommen etwa weitere fünf Liter dazu, auf der GF-Normrunde mit Autobahnabschnitten waren es 11,3 Liter.
Porsche distanziert den GTS auch optisch von seinen zivilen Brüdern – ein wenig zumindest. Außen gibt es schwarz abgesetzte Designelemente an der Bugschürze und eine neue Heckschürze, innen schwarzes Alcantara. Doch der Konfigurator hält eine schier unglaubliche Vielzahl an Möglichkeiten bereit, um den GTS weiter zu veredeln. Wer das Besondere im Sinn hat sollte sich auch das betörend komponierte, limitierte Sondermodell „Boxster 25 Jahre“ (GF 3/21) anschauen, das auf dem 718 Boster GTS 4.0 aufbaut. Das kostet zwar noch einmal etwa 10.000 Euro mehr, doch wird dieses Auto – so man überhaupt noch eins bekommt – eher an Wert gewinnen.
Mutig, im Downsizing-Zeitalter bei der Motorenentwicklung den umgekehrten Weg zu gehen – der aber viele Fans umso glücklicher machen wird. Danke, Porsche!
Test kompakt:
Sechs on wheels – der Porsche 718 Boxster GTS hat mit dem Wechsel zum 4.0 ungemein gewonnen. Zwar ging der Vorgänger mit dem Turbo-Vierzylinder kaum schlechter, verbrauchte gar weniger. Doch erst die Aura und der Klang des Flat6 adeln den GTS zum echten Porsche. Mehr Emotionalität ist in der gesamten Produktpalette kaum zu finden – ein echter Geheimtipp