Axel E. Catton
· 02.05.2023
Moderne Porsche in klassischer Optik werden immer beliebter. Wir fuhren nach Norwegen, um uns den »Sooner« des Porsche Classic Center anzusehen.
Wir Porsche-Fans haben alle unsere Lieblingsepoche, egal ob es nun die luftgekühlten sind, F-Modelle, G-Modelle, Langhauber, 964er, 993er. Welcher es auch ist, sicher hätten wir gern einen und würden ihn auch fahren, oder? Nun ist es bei manchen frühen Modellen immer schwieriger, sie im Alltag einzusetzen, vom Risiko einer Beschädigung eines unrestaurierten Originalfahrzeugs einmal ganz abgesehen. Außerdem haben wir uns mittlerweile an eine ganze Reihe von Features gewöhnt, die wir auch in alten Fahrzeugen nicht mehr missen möchten.
Auftritt der sogenannten Retrobuilds, Umbauten modernerer 911er auf den Look früherer Modelle, dabei ausgestattet mit moderner Technik. Jetzt nicht gleich weglaufen, bitte. Ich verstehe Ihre Zurückhaltung (»Das ist doch gar kein richtiger Porsche mehr«; »Das sind ja bloß Angeber«). Am Ende geht es uns doch allen um die Erhaltung dessen, was einen Porsche zum Porsche macht. Es geht um das Vergnügen am Besitz, am Fahren und, ja, auch am Teilen eines solchen Autos mit anderen. Und wenn uns ein Retrobuild alles dies erlaubt und mehr, warum denn eigentlich nicht? In den letzten Jahren haben sich eine Reihe von Firmen diesem aufblühenden Markt verschrieben, allen voran Singer Vehicle Design in L. A.
Was aber, wenn Porsche nun seinen eigenen Retrobuild bauen würde, hauptsächlich mit echten OEM-Porsche-Teilen? Also, ganz so ist es hier natürlich auch nicht, aber so gut wie. Seit einiger Zeit sorgt ein Auto namens »Sooner« vom Porsche Classic Center Norwegen für Aufregung. Ja, Sie haben richtig gelesen. Das Porsche Classic Center in Son ist der offizielle Hersteller eines der aufregendsten Modelle dieser neuen Gattung. So aufregend, dass wir uns nach Skandinavien aufgemacht haben, um mehr über den Sooner zu erfahren. Son ist ein kleiner Ort 30 Minuten südlich von Oslo in der Region Akershus. Von der norwegischen Hauptstadt führt eine Autobahn mit maximal 110 km/h zu einem von drei Porsche Classic Zentren in der Welt (die beiden anderen sind in Gelderland in den Niederlanden und in Reims in Frankreich). Hier in Son begannen vor 27 Jahren die Gründer Espen Olsen und Egil Haugen mit dem Verkauf gebrauchter Porsche, bis sie 2010 offizielle Porsche-Händler wurden.
Wir wollen heute aber mehr über den Sooner erfahren. Die Bezeichnung ist ein Spiel mit dem alten Namen des Ortes, der früher Soon geschrieben wurde, und dem englischen Begriff soon, also bald. Jeder Sooner beginnt als ein 964er-Modell, das komplett bis auf die Karosserie heruntergestrippt wird. Espen Olsen grinst von einem Ohr zum anderen. »Wenn ich sage, komplett, dann meine ich das auch. Die meisten Kunden wollen mehr als nur einen 964er, der wie ein frühes F-Modell aussieht. Alles ist möglich, und da, wo es geht, werden nur originale Porsche-Teile verwendet. Unsere Kunden stellen sich daraus ihren eigenen Traum-Porsche so zusammen, wie sie ihn immer haben wollten.«
Dabei belässt es der groß gewachsene Norweger nicht beim Wort. Vor seiner 2.000 m² großen Halle aus Stahl und Glas steht sein jüngstes Modell, ein maritimblauer Sooner 4.0 – ein Kundenfahrzeug, das kurz vor der Auslieferung steht. »Jeder Sooner wird auf Bestellung gebaut«, bestätigt Olsen. »Wenn wir mit dem Bau anfangen, hat sich der Kunde schon umfassend mit allen Möglichkeiten der Personalisierung befasst.« Als offizielles Porsche Classic Center geben die Norweger natürlich auf ihre Arbeit eine volle Garantie, denn die überwiegende Mehrheit aller verwendeten Teile sind originale Porsche-Teile. Hin und wieder sind sich Olsens Mannen aber nicht zu schade, auch das ein oder andere Detail hinzuzufügen, dass es so nie in Zuffenhausen gab. Der Bau eines Sooner beginnt mit dem Strippen, dem »Nullen«, wie es Olsens Team nennt. Das Basisfahrzeug wird in den ursprünglichen Stand zurückversetzt und damit alle im Laufe seines Lebens hinzugefügten Veränderungen zurückgebaut. Gleichzeitig werden mögliche Karosserieänderungen, die der Kunde bestellt hat, schon in diesem Stadium vorbereitet. Sooner gibt es mit 3,8-Liter- und 4,0-Liter-Boxermotoren. Jedes neue Projekt bringt dabei neue Herausforderungen mit sich. »Während wir also schon in der Küche kochen, verlängert sich draußen unsere Speisekarte unaufhörlich«, lacht Olsen.
Wie die meisten begann auch unser Testwagen sein Leben als 964er-Modell vom Ende der 90er. Der Kunde, ein erfolgreicher Manager aus Oslo, wollte Alltagstauglichkeit mit dem klassischen Look der frühen 70er kombinieren. Die Karosserieumbauten wurden komplett in Stahl ausgeführt, während die Stoßfänger vorn und hinten und der »Entenbürzel« Eigenkreationen der Norweger sind. »Wir wollen klarstellen, dass wir keine 1:1-Kopien alter Porsche bauen, sondern Kundenwünsche erfüllen«, versichert Espen, »unsere Kunden erträumen sich diese Autos nach Jahrzehnten der Leidenschaft für die Marke.«
Der Motor im Sooner ist die Vierliter-Variante mit 102 mm Bohrung und einem auf 80,4 mm verlängerten Hub. Die Leistung gibt Porsche Son mit 382 PS bei 7.000/min an und das Drehmoment mit eindrucksvollen 420 Nm bei 5.500/min. Das Sechsganggetriebe stammt aus einem späteren 993. Vorn tragen 9x17-Zoll-Felgen Reifen der Größe 225/45 17, während hinten 10x17-Zoll-Felgen mit breiten 275/40 17 großen Schlappen versehen sind. Das Fahrwerk komplettieren Bilstein-PSS10-Dämpfer und Bremsen mit 322 mm Bremsscheiben vorn und 288 mm hinten mit Porsche-4-Kolben-Bremsen. »Auch deshalb wählen unsere Kunden einen Sooner«, sagt Olsen, »der Look kann so auffallend oder so dezent sein, wie sie wollen, während die Technik unter dem Blech dem Einsatz im Alltag oder auf der Rennstrecke ohne Probleme gewachsen ist.« Hier in Norwegen muss es die Strecke sein, denn die Höchstgeschwindigkeit von 309 km/h kann hier anders nicht erfahren werden.
Für uns geht es heute aber nicht um Top Speed, auch nicht um die Beschleunigung von 4,3 Sekunden auf 100 km/h. Wir wollen den Sooner sozusagen in seiner natürlichen Umgebung erleben. Der Innenraum dieses jüngsten Umbaus ist eine Mischung aus bekanntem 70er-Jahre-Look und modernen Details auf Kundenwunsch. Die Sitze sind mit geflochtenem weißen Leder bezogen, die Seitenteile, Türtafelumrandungen und das Armaturenbrett in kontrastierendem Blau. Es gibt einen wunderschön integrierten Überrollkäfig, der mit dem gleichen blauen Leder bezogen ist und so fast nicht auffällt. Die Instrumente sind klassisch Porsche, und auch das Retro-Navi fügt sich perfekt in das neue Umfeld ein.
Der Sound ist eine aufreizende Mischung aus metallisch-hellem Boxersound und unerwartet tiefem Brabbeln. Unser Auto ist noch nicht auslieferungsfertig, also brauchen wir zum Anfahren noch mehr Drehzahl als zunächst erwartet, um ihn nicht abzuwürgen. Woher ich das weiß? Nun ja … Einmal in Bewegung, lässt sich dieses Einzelstück auffallend normal bewegen, Kupplung und Gangschaltung sind typisch leicht zu bedienen. In der Stadt schickt uns unser Fotograf Marius Viken, der sich sonst mit Food- und Modefotografie seine Brötchen verdient, immer wieder in den dichter werdenden Morgenverkehr der Metropole. Die Lenkung ist leichtgängig,die Bremsen greifen mit Präzision und Biss zu.
Für unsere Standaufnahmen wagen wir uns immer weiter in die nur für Fußgänger zugänglichen Bereiche des hippen Osloer Stadtteils »Barcode« – der so heißt, weil die Skyline wirklich wie ein Barcode aussieht. Am meisten überrascht uns die soziale Akzeptanz dieses Autos auch während kurzer Ausfahrten auf Bürgersteigen und Radwegen, um zu unseren Locations zu gelangen. Statt uns von Passanten vor einem Café anzuhören, wie ungehörig es doch sei, in einem solchen Auto in die Fußgängerbereiche vorzudrängen, zücken auch ältere Menschen ihre Smartphones und verwickeln uns schnell in Gespräche.
Am Ende wird mir klar, wer einen solchen Sooner kauft. Besonders in Norwegen ist eine solche Kombination aus der sozialen Akzeptanz und dem Spaß an der unerwarteten Kombination aus altem Look und neuer Technik ein ansprechendes Angebot – für diejenigen, die es sich leisten können. Espen Olsen und sein Team rufen für diesen Sooner rund 350.000 Euro plus MwSt. auf, aber wie man so schön sagt, wenn man schon nach dem Preis fragen muss.
TECHNISCHE DATEN
Porsche Sooner 4.0