Porsche-TechnikLuft gegen Luft

Hendrik Dieckmann

 · 08.02.2023

Porsche-Technik: Luft gegen LuftFoto: Andreas Lindlahr
| Porsche AG
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Luft bremst. Und Luft erzeugt Auftrieb, der bei höherem Tempo unerwünscht ist. Doch Luft hilft auch, Abtrieb zu erzeugen. Erstmals beim 911 Turbo der Generation 991 wird per Luft sogar der Frontspoiler ausgefahren, um den Sportwagen optimal auf die Straße zu pressen.

PAA – Porsche Active Aerodynamics – nennen sie in Zuffenhausen das zuerst für den 911 Turbo (Generation 991) eingesetzte Spoilersystem. Es besteht aus dem aktiven Heckflügel und dem in drei Stufen pneumatisch ausfahrenden Frontspoiler. Durch das Plus an Anpressdruck verbessert sich dank PAA die Rundenzeit auf der Nürburgring-Nordschleife um bis zu zwei Sekunden.

Drei Stellungen: Start-Position... | Porsche AG
Foto: Andreas Lindlahr

Schauspiel in drei Akten: In der Start-Position ist der Frontspoiler eingefahren. Dann folgt die Speed-Position mit ausgefahrenen Außenelementen. Das sorgt für eine optimale Effizienz. In Performance-Position klappt auch das Mittelteil aus und erhöht so den Abtrieb.

Vollflächig verkleidet ist der Unterboden des Porsche 911 Turbo der Generation 991 (linke Seite). Das ermöglicht einen Ground-Effekt wie im Motorsport: Der 911 saugt sich dabei förmlich an die Straße an. | Porsche AGFoto: Andreas Lindlahr
Vollflächig verkleidet ist der Unterboden des Porsche 911 Turbo der Generation 991 (linke Seite). Das ermöglicht einen Ground-Effekt wie im Motorsport: Der 911 saugt sich dabei förmlich an die Straße an. | Porsche AG

Manche Geschichten sind so gut, die kann man nicht erfinden. Selbst bei einer Premiummarke wie Porsche. Etwa wie die des Spoilers für den 911 Turbo der Generation 991. Spitze 315 km/h, da muss schon richtig Abtrieb her, um in diesen Bereichen ein stabiles Fahrverhalten zu realisieren. Mit tief hinabreichenden Frontspoilern, die für kräftigen Unterdruck unter dem Fahrzeug sorgen. Nur wäre das für den Alltag mit seinen Bordkanten, Tiefgaragen-Ausfahrten und was sich einem sonst noch so in den Weg stellt, eher weniger geeignet.

Am Heck gibt es dagegen keine Probleme, da blickt Porsche bei seinen Straßenfahrzeugen auf 50 Jahre Erfahrung zurück, der 911 RS 2.7 mit seinem charakteristischen Entenbürzel erschien bereits 1972. Und 1989 erhielt die neue Baureihe 964 einen bei Tempo 80 elektrisch ausfahrenden Heckspoiler – heute würde man so was als adaptive Aerodynamik bezeichnen. Und die war auch für das Spitzenmodell des 991 angedacht. Wobei früh feststand, dass sich die hochgesteckten Entwicklungsziele nicht ohne beweglichen Frontspoiler realisieren lassen würden. Schließlich sollte uneingeschränkte Alltagstauglichkeit mit hohem Anpressdruck bei über 300 km/h einhergehen, da waren frische Ideen gefragt. Natürlich lag es nahe, den Spoiler elektrisch auszufahren. Was aber so dicht über der Straße ein Risiko darstellt, denn schon ein Fremdkörper wie eine verlorene Zuckerrübe würde Spoiler und Elektromechanik nachhaltig beschädigen.

Jeder pneumatische Aktuator des 911 Turbo besteht aus mehreren Lagen Gewebe, die zu einem kunstvollen Labyrinth miteinander hochfrequenzverschweißt werden. | Porsche AG
Foto: Andreas Lindlahr

Den fertigen Aktuator für einen der beiden seitlichen Flaps zeigt das linke Bild. Mitte und rechts: Jedes frisch gefertigte Element wird geprüft. Zunächst mit geringem Druck, damit sich bestimmte Schweißstege lösen und die konstruktiv erwünschte Form entsteht. Anschließend erfolgt eine Überdruckprobe mit 2,0 Bar.

Weshalb die Überlegungen relativ schnell die Richtung wechselten – und Luft zum Thema wurde. Luft ist leicht, elastisch und beliebig komprimierbar, im Reifen funktioniert das schon eine ganze Weile sehr ordentlich. Zusätzlich keimte die Idee auf, die komplette Spoilerlippe elastisch und damit widerstandsfähiger gegen Fremdkörper oder auch Eis und Schnee zu machen. Doch wie das Ganze zu einer zuverlässigen Einheit zusammenbringen, die auch bei 300 Sachen nicht ins Flattern gerät?

Porsche beauftragte mehrere Zulieferer, Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Von denen aber keiner die erwünschten Eigenschaften erzielte. Dann ereilte einen der Porsche-Ingenieure ein Geistesblitz: Als Hobbysegler besaß er schließlich eine automatische Schwimmweste. Die sich zwar ziemlich zügig, aber auch genau definiert aufblasen muss. Und so wandte er sich an den Hersteller seines Rettungsmittels: Secumar.

Der im beschaulichen Holm in Schleswig-Holstein ansässige mittelständische Betrieb stellt von einfachen Feststoff-Westen für den Wassersport bis zu Rettungswesten für Jet-Piloten, die auch einen Ausstieg mit dem Schleudersitz bei 1.000 km/h überstehen müssen, so ziemlich alles her, was aufblasbar ist und der Sicherheit dient. Und sagte spontan zu, als Porsche anfragte. Aber nicht nur das, der Legende nach soll Dipl.-Ing. Guido Berge den funktionsfähigen Prototyp innerhalb von ein paar Tagen zusammengeschweißt haben.

Der Bugspoiler des allradgetriebenen Porsche 911 der Baureihe 991 in der voll ausgefahrenen Performance-Position. | Porsche AG
Foto: Andreas Lindlahr
Drei Aktuatoren gibt es im Frontspoiler des Porsche 911 Turbo: zwei seitliche Flaps und einen Mittelteil.

Und tatsächlich ist das eigentliche Betätigungselement für den Spoiler, der Aktuator, recht simpel aufgebaut. Er besteht, grob gesagt, aus fünf miteinander verklebten Schläuchen, von denen drei nebeneinander und dort wiederum zwei obendrauf liegen. Diese beschreiben beim Aufblasen eine Kreisbahn, die den Spoiler aus seiner nach hinten geklappten Ruhelage zunächst nach unten und dann noch ein Stück nach vorn bewegt. Wobei sich das aus einem sehr langlebigen Elastomer gefertigte Material um zehn Prozent dehnt. Von diesen Aktuatoren gibt es beim Turbo drei Stück, je einen kleinen für die beiden Flaps außen vor den Rädern und einen langen für die breite Mitte. Diese werden in der voll ausgefahrenen Performance-Stellung von einem kleinen Kompressor mit bis zu 0,8 Bar versorgt; zum Einfahren wird die Luft einfach wieder abgesaugt, und der Spoiler kehrt in seine Ruhelage zurück, wo er von zwei Permanent-Magneten gehalten wird. Ob so eine luftige Konstruktion zuverlässig funktioniert? Secumar-Chef Benjamin Bernhardt grinst und meint, 60.000 Zyklen seien immer drin. Schließlich sei Secumar bereits vor dem Porsche-Auftrag eine Premium-Marke gewesen.