Porsche-TechnikIm Windkraftwerk

Thomas Fuths

 · 23.02.2023

Porsche-Technik: Im WindkraftwerkFoto: Markus Bolsinger
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PORSCHE KLASSIK stellte einen 964 Targa und ein 964 Cabrio in einen Porsche-Windkanal. Es wurde eine stürmische Reise in die Geschichte der 911-Aerodynamik.

Die Ruhe vor dem Sturm: 964 Targa und 964 Cabrio vor der Düse im Porsche-Windkanal.
Foto: Markus Bolsinger

Weissach, Porsche-Entwicklungszentrum, im Juni 2020. Der für den Betrieb des Windkanals verantwortliche Ingenieur Dr. Matthias Lang fährt im Messzentrum für Aerodynamik die Turbine des Windkanals hoch. Wo eben noch völlige Ruhe herrschte und kein Lufthauch zu spüren war, entfacht nun mit zunehmender Lautstärke das 2.600 kW starke Gebläse einen Orkan. Mittendrin: ein 964 Targa. Hinter einer dicken Eisenpforte wartet geschützt vor dem künstlichen Sturm ein zweiter 964 auf seinen Einsatz: ein Cabriolet. Beide Porsche 911 kamen 1989 auf den Markt. Drei Jahrzehnte später kehren sie an jenen Ort zurück, an dem die Prototypen dieser offenen Porsche aerodynamisch perfektioniert wurden.

»Die Optik erinnert an den vertrauten 911, und doch ist der 911 Carrera 4 zu 85 Prozent ein neues Auto.« Porsche-Pressetext, 1989

Das Ziel: ein Open-Air-Test unter akademischen Versuchsbedingungen. Die dabei ursprünglich im Fokus stehende Frage: Wie pur, wie laut, wie stressig, wie angenehm, wie stürmisch ist das Fahren des letzten luftgekühlten Targa mit starrem Überrollbügel im Vergleich zum Cabriolet? Doch während der Produktion und der Recherche schob sich immer mehr ein weiterer Aspekt in den Vordergrund: Wie revolutionär war die Aerodynamik des 964 im Vergleich zum Vorgänger, dem 911 der G-Serie? Der Punkt: Rein optisch sind zwischen beiden Generationen – bis auf die wuchtigeren Stoßfänger des 964 – kaum Unterschiede auszumachen. Klar: Es ist allgemein bekannt, dass die Serie 964 die erste 911-Generation mit einem automatisch ausfahrenden Heckspoiler war. Doch wie groß damals der aerodynamische und damit auch fahrdynamische Sprung zwischen dem »G« und dem 964 gewesen ist, brachten erst wieder die Tests im Windkanal, alte Unterlagen und Gespräche mit Porsche-Ingenieuren ans Licht der Gegenwart.

Zur genauen zeitlichen Einordnung: Der 964 debütierte 1988 (Produktionsbeginn im Frühjahr 1989) zuerst als allradgetriebener Carrera 4. Porsche skizzierte 1989: »Die Optik erinnert an den vertrauten 911, und doch ist der 911 Carrera 4 zu 85 Prozent ein neues aAutomobil.« Und das traf auch auf die Aerodynamik zu: Zum ersten Mal war der Motor nach unten hin gekapselt, um einerseits die aktuellen Geräuschvorschriften zu erfüllen und andererseits durch den glattflächigen Unterboden die Durchströmung zu verbessern. Stark auf die Entwicklung Einfluss hatten darüber hinaus die Erkenntnisse, die Porsche mit dem 1986 vorgestellten 959 gewonnen hatte. Und dabei ist nicht nur der vom Supersportwagen abgeleitete Allradantrieb des 964 gemeint, sondern auch die Aerodynamik. Fakt ist, dass die Ingenieure in Weissach den Abtrieb an der Hinterachse signifikant erhöhen mussten, um das Fahrverhalten des 964 auf das Niveau eines 959 zu katapultieren. Ein permanenter, fester Heckspoiler – ganz gleich ob im Stil des 959 oder 911 Turbo – kam dabei aus stilistischen Gründen nicht in Betracht. Porsche entschied sich deshalb als Novum für den ab 80 km/h automatisch ausfahrenden Heckspoiler.

PORSCHE KLASSIK testete im 1986 eröffneten Porsche-Windkanal. Heute gibt es in Weissach eine noch größere, zweite Anlage.

Die Wirkung dieses ersten geschwindigkeitsabhängig eingesetzten 911-Spoilers war in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Zum einen vergrößerte er die Fläche des Lufteintritts in den Motorraum auf das nahezu Doppelte; entsprechend positiv waren die thermischen Auswirkungen auf den neuen, 250 PS starken 3,6-Liter-Sechszylinder-Boxer. Zum anderen reduzierte der ausgefahrene Heckspoiler in erheblichem Maße den Auftrieb an der Hinterachse. Das über Jahrzehnte typisch mulmige Segelgefühl am Volant des bei hohen Autobahn- oder Rennstrecken-Geschwindigkeiten immer leichter werdenden Elfers, war durch diesen Spoiler und die perfektionierte Aerodynamik des Gesamtfahrzeugs endlich abgestellt worden. Das belegen die theoretisch anmutenden und doch aussagekräftigen Abtriebsbeiwerte des 964 auch faktisch: Der Wert des Coupés lag mit eingefahrenem Heckspoiler bei 0,18. War der Spoiler ausgefahren, reduzierte er sich auf null – und damit auf das Niveau eines 911 der Neuzeit. Hintergrund: Dieser Nullauftriebswert ist stets ein Ziel der Entwickler, um den Abtrieb nicht auf Kosten des cw-Werts und damit des Verbrauchs zu erkaufen. Würde der Abtrieb – wie im Motorsport – noch weiter erhöht werden, ginge das zulasten der Effizienz.

Was aber passiert, wenn das aerodynamisch perfekt ausbalancierte Coupé wie im Fall des 964 zu einem Targa oder Cabriolet umgewandelt wird? Bei Porsche erstaunlich wenig: Der Auftriebsbeiwert steigt auf lediglich 0,05. Und das ist locker zu vernachlässigen. Wie gut zudem die generelle Aerodynamik der 964er-Modelle austariert war, zeigt indes der Blick auf die cw-Werte. Wie dargestellt, suchen die Aerodynamiker und Designer bei einem Serienfahrzeug stets nach einem optimalen Punkt, an dem der Auftrieb gegen null tendiert und der cw-Wert gleichzeitig möglichst niedrig ist. Das gelang beim 964 besonders gut: Im Vergleich zur G-Serie wurde der cw-Wert von 0,395 auf beachtliche 0,32 reduziert.Eine Welt – immerhin hatte Porsche den Fahrwiderstand damit um rund 20 Prozent reduziert.

Das geschlossene Cabriolet und der Targa waren mit 0,33 nur unwesentlich schlechter. Was aber passiert, wenn der 964 Targa und das 964 Cabriolet geöffnet werden, wie wir es im Windkanal gemacht haben? Eine Menge! Zum einen vergrößerte sich der Hinterachsauftrieb – beim Cabriolet stärker als beim Targa. Doch obwohl die zwei offenen 964 damit weniger gut ausbalanciert sind, ist auch das zu vernachlässigen, da es sich kaum jemand antut, mit 260 km/h offen über die Autobahn zu fliegen. Heute haben die Aerodynamiker übrigens auch dieses Thema im Griff: mit adaptiv geregelten Aerodynamikelementen. Sprich: Ein 991 oder 992 könnte wohl auch als Targa oder Cabriolet offen mit höchstem Tempo über die Autobahn getrieben werden – zu empfehlen ist jedoch auch das natürlich weniger.

Doch zurück zu den Klassikern: Erwartungsgemäß verschlechtert sich der cw-Wert der geöffneten 964, wobei auch das bei offen gefahrenen Cruiser-Geschwindigkeiten zu vernachlässigen ist. Viel interessanter ist jedoch die Tatsache, dass der Targa im Windkanal deutlich weniger Innenraum-Verwirbelungen zeigte als das Cabriolet. Der Grund: Designern und Aerodynamikern war es damals gelungen, den Bügel so zu gestalten, dass der Luftstrom im Wesentlichen darüber geleitet wurde. Im Cabrio hingegen gibt es eine Art Windwalze, die im Innenraum wie ein Rückenwind wirkt. Abhilfe schafft hier ein Windschott – wenn man das denn möchte. Denn mit allen Schotten runter machen beide offenen Porsche 911 am meisten Spaß.