Christina Rahmes
· 31.01.2023
In der Architektursprache gilt die Farbe Weiß als besonderes Stilmittel. Schließlich komprimiert sie die Schönheit auf ihre reinste und ehrlichste Form. Michael Bieder ist Architekt – und zeigt PORSCHE KLASSIK seine Sammlung.
Der Sonntag, den er nie vergessen wird, ist der 20. Juli 1969. Michael Bieder ist vier Jahre alt und starrt auf den Bildschirm des Schwarz-Weiß-Fernsehers. Es läuft: die erste bemannte Mondlandung. Apollo 11 weckt sein Interesse für den Weltraum. Für das, was uns hier unten alle ganz klein und demütig erscheinen lässt. Es vergehen zehn Jahre, bis ihm die Raumfahrt wieder in den Sinn kommt. Die Mondlandung und das fesselnde Sonntagabendprogramm sind präsent wie nie, als er mit seinem Fahrrad bei einem Porsche-Händler in der Nähe seines Elternhauses stoppt. Er hat soeben sein Traumauto entdeckt: ein weißer Porsche 928. Diese Begegnung entfacht seine Liebe zur Marke. Was er in diesem Moment noch nicht ahnt: Weiße Porsche werden ihm nie mehr aus dem Kopf gehen. »Dieser Sportwagen in seinem damals wie heute zeitlos modernen Design erschien mir wie ein Space Shuttle, das zehn Jahre zuvor auf dem Mond hätte landen können. Als wäre es direkt vom Mond auf die Erde gekommen«, erinnert sich der heute 56-Jährige aus Taunusstein in Hessen.
»Ein Porsche geht mit dir durchs Leben und wächst mit dir. Die Marke stellt immer einen Bezug zwischen Vergangenheit und Zukunft her, statt nur mit der Mode zu gehen. Diese Beständigkeit gefällt mir.«
Bei der Konstruktion des 928 stand für Porsche das Thema Leichtbau im Vordergrund. Die Türen, die vorderen Kotflügel sowie die Motorhaube fertigte der Sportwagenhersteller aus Aluminium statt aus Stahlblech. Hinter den in die Karosserieform integrierten Kunststoffstoßfängern befinden sich Aluminiumprofile, die einen Aufprall bis zu 8 km/h ohne Beschädigung überstehen. Und weil Porsche mit diesen besonderen Kunststoffstoßfängern geworben hat, drückt Bieder seinen Fahrradreifen gegen das Heck des Sportwagens. Beweisführung eines Teenagers. »Der Händler hat mich dabei erwischt und nach innen zitiert. Nicht jedoch, um mich zu schimpfen, sondern um mir ein paar Prospekte über den 928 mitzugeben«, erzählt der dreifache Vater. Einer seiner größten Träume ist es fortan, irgendwann einen solchen Porsche zu besitzen. Also beginnt der damals Jugendliche Zeitungen auszutragen und auf Baustellen mit anzupacken. Er spart jeden Pfennig, bis er als 22-jähriger Architekturstudent genügend Geld für seinen ersten Porsche zusammenhat. »Für einen 928 reichte es leider noch nicht, dafür aber für einen 911 SC, außen carraraweiß, innen schwarz«, verrät er und öffnet sein Garagentor. »Eine tolle Kombination. Wie die Mondlandung, die war auch schwarz-weiß.« Der Elfer, den er sich vor fast 35 Jahren kaufte, wird zu seinem Alltagsfahrzeug. »Bis heute hat er mich nie im Stich gelassen«, resümiert Bieder und gibt den Blick auf seinen ersten Sportwagen frei. Von außen ist die Garage unscheinbar, ein Tor, wenig spannend, häufig gesehen. Innen eröffnen sich dem Betrachter völlig neue Dimensionen – das Werk eines Architekten.
Geduldsprobe: Vier Jahre lang hat Michael Bieder den Vorbesitzer überreden müssen, erst dann verkaufte der ihm sein Porsche 356 Cabriolet von Gläser mit der Geteiltscheibe aus dem Jahr 1950.
Warum er sich für ein Architekturstudium entschied, beschreibt der 1,96 Meter große Hesse, dessen Vater in Schlesien als Pferdezüchter arbeitete, so: »Schon als Kind habe ich riesige Lego-Städte gebaut und mir Wege gut merken können.« Er führt sein räumliches Vorstellungsvermögen und seine Passion, etwas zu erschaffen, das bleibt, auf die frühen Jahre zurück. »Ich finde den Gedanken, Dinge fürs Leben zu kreieren, auch fünf Jahrzehnte später noch spannend. Häuser und Bürogebäude sind Kreationen, die Bestand haben – wie Porsche-Sportwagen. Ein Porsche geht mit dir durchs Leben und wächst mit dir. Die Marke stellt immer einen Bezug zwischen Vergangenheit und Zukunft her, statt nur mit der Mode zu gehen. Diese Beständigkeit gefällt mir.«
Freiheit ohne Ende: Weil er die Sonne und den Wind gern spürt, entschied sich Michael Bieder für die Karosserievariante Cabriolet. Das Verdeck ist für ihn nur eine Art Notlösung.
Heute ist Michael Bieder stolzer Besitzer von 14 Porsche, alle sind weiß, bis auf einen Sportwagen ist jeder ein Cabriolet. Die Ausnahme bildet genau der Porsche, mit dem einst alles begonnen hat, der 928, den er nach langer Suche in den USA gefunden hat. »Der Besitzer konnte die Batterie des Porsche nicht finden, deshalb hat er ihn 35 Jahre in der Garage stehen lassen. Nach dem Tod entdeckte der Sohn das Auto unter vielen Kartons«, schildert der Porsche-Enthusiast, der nach der Batterie in seinem Traumfahrzeug natürlich nicht suchen muss. »Ich mag das Gefühl von Wind und Sonne. Für mich ist das genauso zeitlos wie Weiß«, erklärt er seine Passion für offene Verdecke und die hellste aller Farben. In der Architektur wird Weiß als besonderes Stilmittel eingesetzt. Es steht für Reinheit und Ehrlichkeit, komprimiert die Form auf ihr Wesentliches. Nichts lenkt ab, nichts wird verfälscht. »Weiß bringt die beste Form heraus, während Schwarz sie verschluckt. Das Spiel von Licht und Schatten kann für mich nicht schöner sein als auf weißen, neutralen Oberflächen. Formen lassen sich in Weiß wunderbar miteinander vergleichen und erleben«, erklärt der Architekt, dem es bei seiner Porsche-Sammlung wichtig ist, die Evolutionsgeschichte der Fahrzeuge darzustellen. Deshalb besitzt er Basismodelle. »Mit allen Grundvarianten als Hauptmodellen ist die Sammlung nun komplett.«
Seine Garage gleicht einem Treffpunkt für Autoenthusiasten: Lounge-Ecke, Nummernschilder, Devotionalien, eine Whiskey-Sammlung ab dem Jahr 1952. »Whiskey und Oldtimer lagern ganz wunderbar bei derselben Temperatur, 16 bis 17 Grad.« Von jedem Auto hat er ein Bild malen lassen, der Stil hat sich über die Jahre verändert, die Kunstwerke zieren eine Wand. Gleich hinter dem Tor steht sein letzter Neuzugang: das Fahrzeug, das seine Sammlung vollendet hat. Ein Porsche, nach dem er zwölf Jahre lang gesucht hat und zu dessen Verkauf er den Vorbesitzer vier Jahre lang hartnäckig überreden musste: ein Porsche 356 (Geteiltscheibe) von der Karosseriefirma Gläser. »Es gibt, soweit ich weiß, nur noch vier Cabriolets von Gläser mit vierstelliger Fahrgestellnummer weltweit«, meint Bieder und öffnet die Tür des Oldtimers aus dem Jahr 1950. Es ist die Nummer 5154. Bereits ab Werk hatte sein Exemplar eine rote Lederinnenausstattung. Der Motor mit 1.100 cm³ stammte vom Volkswagen Käfer und wurde von 34 auf 39 PS gesteigert, die Geschwindigkeit von 115 auf 140 km/h. »Ich habe jahrelang nach einem weißen Reutter- oder Gläser-Cabriolet gesucht. Endlich habe ich eines gefunden.«
Unterirdische Gänge führen von der Garage seines Wohnhauses an einem Pool vorbei durch das Fitnessstudio bis hin zur zweiten Garage. Über dem Pool leuchtet die Milchstraße in Form von LED-Spots: »Das Universum beeindruckt mich, ich kann nicht anders«, sagt Bieder. Auch ein Stockwerk darüber, im Wohnzimmer, ist das Universum präsent. Dort leuchten die Sternzeichen seiner Kinder Olivia, Alicia und Jesse sowie sein eigenes und das von Gattin Regina an einer sogenannten Führungswand. »Die Sternzeichen wachen über uns.« Seine Familie bedeutet ihm unglaublich viel, weil er selbst nie eine »richtige Familie« hatte. »Ich würde mir wünschen, dass meine Kinder in der Nähe wohnen bleiben.« Regina ist in Oakland in Kalifornien geboren und mit vier Schwestern aufgewachsen. Vor fast 30 Jahren verliebten sich die beiden in den USA. Er war mit einer Harley-Davidson unterwegs. Heute steht eine in seiner Garage, »eine Traditionsmarke mit einem Porsche-Motor: win-win.«
Zurück zu den unterirdischen Gängen: »Wir haben selbst benachbart gewohnt und dann noch einmal neu gebaut. Alle sieben Jahre ändert sich der Lebensstil und mit ihm die Ansprüche an das Leben. In dem Duktus baue ich gerne Häuser für meine Familie«, erzählt er ein wenig mit Augenzwinkern und ein wenig ernst gemeint. Als die Familie nebenan wohnte, faszinierten ihn der Sonnenuntergang und die Birke auf dem Nachbargrundstück. »Die Sonne gestaltet die Form eines Hauses. Die Birke ist für mich ein weißer Riese, der ›Genius Loci‹, der Geist des Ortes, der meinen Entwurf maßgeblich mitgestaltet hat.« In einer halben Stunde geht die Sonne unter. Zeit genug für den Architekten, sie noch einmal zu spüren, sich den Fahrtwind durch die Haare wehen zu lassen. In einem Cabriolet, das für Michael Bieder mehr darstellt als nur eine Karosserievariante: eine
Lebenseinstellung. :::