Karsten Arndt
· 26.02.2023
Wir schreiben das Jahr 1981, die Arbeitslosenzahl in Deutschland liegt bei rund 1,3 Mio. Einer von ihnen: Walter Röhrl, amtierender Rallye-Weltmeister – und das auf einem ersten Zenit seines kometenhaften Aufstiegs in den Motorsportolymp.
Es war aber nicht etwa eine mit der Gewerkschaft abgestimmte Massenentlassungswelle, die ihn ohne Cockpit dastehen ließ, sondern seine grundehrliche Einschätzung gegenüber seinem neuen Arbeitgeber Mercedes-Benz. Die Stuttgarter setzten mit ihrem heckgetriebenen SLC auf Sieg, doch Walter kannte die Tücken der Monte und sah sein Einsatzgerät realistischerweise bei Schnee chancenlos. Die erfolgsverwöhnten Schwaben zögerten nicht lange, und so wurde die Rallyeabteilung schneller geschlossen, als man den Namen des damaligen Motorsportchefs Waxenberger im Kopf buchstabieren kann.
Jetzt schlug die Stunde der alten Wegbegleiter, die es nicht mit ansehen konnten, dass Röhrl nun zum Beispiel Eisnoten für Kollegen schreiben oder die Erfol-ge d er letztjährigen Konkurrenten für das Fernsehen kommentieren sollte. Einer dieser engagierten Freunde war der damals erst 25-jährige Dieter Röscheisen. Der Testfahrer und Versuchstechniker bei Porsche saß selbst als ambitionierter Amateur bei einigen Rallyes hinterm Lenkrad, und so kannte man sich von Starts bei der Deutschen Meisterschaft. Die beiden kamen ins Gespräch und verstanden sich auf Anhieb, sodass Röscheisen auch zur Feier des neuen Weltmeisters im Bayerischen Wald eingeladen war. Hier fädelte Röhrl sogar den Verkauf von Röscheisens Rallye-Porsche ein, was er in der Folge schnell bereuen sollte, wie sich Röscheisen erinnert: »Er hat dann bei mir eines Tages angerufen und gesagt ›Mensch das ist doch schade. Wenn wir dein Auto damals nicht verkauft hätten, könnten wir jetzt wenigstens die Zeit überbrücken, bis wir nächstes Jahr wieder einen Werksvertrag bekommen.‹«
Die Presse überschlug sich, Sponsor Doduco war in aller Munde, und die Fans konnten sich auf einige Rallyeeinsätze ihres Idols freuen.
Man kann sich förmlich vorstellen, welche Gedanken während dieses Telefonats durch Röscheisens Kopf schwirrten, und so zögerte er nicht lange: »Was hältst du denn davon, wenn ich versuche, Geld zu kriegen, und wir dir noch mal so ein Auto aufbauen?« Er ließ sich noch zusichern, dass Walter garantiert fährt, wenn Geld und Auto aufgetrieben würden, und dann ging alles ganz schnell. Über gute Beziehungen kam man zur Firma Doduco, einem Pforzheimer Hersteller von elektrischen Kontakten, und so hatte Dieter Röscheisen jetzt zwar den damals besten Rallyefahrer der Welt sowie das nötige Sponsorengeld, aber noch kein Auto. Also opferte er seinen kompletten Jahresurlaub, um einen gebrauchten 911 SC in Windeseile zum konkurrenzfähigen Rallyeauto umzustricken. Das Know-how dazu hatte er vom Aufbau seines eigenen Vorjahresautos, und auch Ideen zur Verbesserung f lossen in den blauweißen Doduco-911er ein. Da die Zeit knapp war, wurde der passende Motor direkt bei Porsche in Zuffenhausen zugekauft. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet dieser Werksmotor gleich beim ersten Rallyeeinsatz den Geist aufgab. Bei der italienischen Piancavallo lag Walter im Spitzenfeld und hatte gute Chancen, die Rallye zu gewinnen, bis eine defekte Ölleitung den Schmierstoff aufschäumte und einen kapitalen Motorschaden verursachte. Bei Porsche fand man schnell die Ursache für den Fehler, und postwendend wurde gratis ein nagelneuer Motor geliefert.
Bei zwei Rallyes saß Walter hinterm Steuer und war vor den Defekten auf Podiumskurs: bei der italienischen Piancavallo und der Manx-Rallye auf der Isle of Man.
Wenn Dieter Röscheisen gewusst hätte, was ihm beim zweiten Einsatz des Doduco-Porsche noch blühen sollte, er hätte den Motor sicher lieber in Zuffenhausen gelassen. Auf der anderen Seite wäre die Geschichte dieses Autos um einige kuriose Anekdoten ärmer gewesen. Doch der Reihe nach:
Zur Vorbereitung auf die Rallye San Remo, die Walter in einem Werksauto unter der Bewerbung der Brüder Alméras bestreiten sollte, eentschied man sich für die Manx-Rallye. Dort sollte der Doduco-Porsche wieder zum Einsatz kommen. Die Zeit war knapp, und nach einem kurzen Technikcheck in der Pfalz, wo Walter gerade mit einem anderen Werks-Porsche trainierte, fuhren Dieter Röscheisen und Techniker Kurt Roth, in dessen Würzburger Werkstatt der Wagen aufgebaut worden war, mit dem vollgepackten Servicefahrzeug und dem Rallyewagen auf dem Anhänger in Richtung Isle of Man. Es ist nicht verwunderlich, dass ein Gespann mit einem offen transportierten Rally-Porsche, auf dessen Seite der Name des Weltmeisters prangt, für einiges Aufsehen gesorgt hat. Die von Röhrl am Rande der Probefahrt vorgeschriebenen Autogrammkarten waren jedenfalls schnell vergriffen, mit Blankokarten wollte Dieter Röscheisen die Fans aber auch nicht enttäuschen.
»Und dann habe ich gesagt: ›Komm, ich probiere mal, die Unterschrift nachzumachen‹, und irgendwie hat es auch ganz gut funktioniert, und ich habe dann einfach ein paar Karten unterschrieben und die verteilt, und die Leute waren glücklich.« Was man nicht alles für die Fans tut …
In England angekommen, zerstörte eine Vollsperrung vor London alle Hoffnungen, die Fähre von Liverpool in Richtung Isle of Man noch pünktlich zu erreichen, um die technische Abnahme nicht zu verpassen. Getreu dem Motto »Die Hoffnung stirbt zuletzt«, steuerte das Rallyegespann den Fährhafen an, wo Dieter Röscheisen seinen Augen kaum trauen wollte: »Ich sehe bei der Anfahrt zum Hafen, dass die Fähre noch da ist. Die hatten die Klappe noch auf und waren gerade dabei, die Stricke loszumachen.« Jetzt brach im Auto Hektik aus. »Ich sage zu Kurt: ›Du fährst jetzt auf die Klappe drauf, und dann schauen wir mal, was passiert.‹ Das haben wir auch gemacht, alles blockiert, sind ausgestiegen und haben das Auto abgeschlossen.« Nun entbrannte eine wilde Diskussion darüber, wie man das Gespann noch auf die bereits vollbeladene Fähre fädeln könnte. Der Kapitän hatte schließlich ein Einsehen, und man verabredete, zumindest das abgeladene Rallyeauto noch auf die Fähre zu quetschen. Die Sicherungsgurte wurden in Windeseile gelöst, und jetzt musste nur noch kurz der Motor angelassen werden, um den Porsche wie verabredet auf dem Schiff zu parken, wie sich Teamchef Röscheisen erinnert. »Ich habe mich reingesetzt, und jetzt war Folgendes: Für den Einspritzmotor haben wir eine Startanreicherung gebraucht. Dazu haben wir eine kleine Pumpe eingebaut, die über Schläuche ein bisschen Sprit in den Ansaugtrakt gespritzt hat, damit der Motor beim Kaltstart anspringt. Ich drücke da drauf, es gibt einen Knall, und das Auto steht hinten in Flammen.«
Die Fähre wollte gerade in Richtung Isle of Man ablegen. Wir parkten das Gespann auf der noch offenen Auffahrrampe und warteten ab, was passieren würde.
Man muss sich diese Szene einmal bildlich vorstellen: Der Wagen wurde auf der offenen Klappe abgeladen, um sicherzugehen, dass die Fähre nicht doch noch kurzerhand ablegt, während man an Land rangiert. Zwischenzeitlich hatten sich einige Hundert Passagiere, darunter zahlreiche weitere Rallyeteams und Fahrer wie Björn Waldegård, auf dem Deck versammelt, um zu sehen, was dort vor sich geht, und wurden nun Zeuge, wie das Auto ihres vielleicht härtesten Gegners schon bei der Überfahrt Feuer fängt. Zum Glück waren damals schon Löschanlagen vorgeschrieben, sodass sich der Schaden in Grenzen hielt.
Nur die Geduld des Kapitäns war am Ende, und so durfte der Wagen in der Folge nur noch geschoben werden. Aufatmen bei Dieter Röscheisen beim Blick zurück vom ablegenden Schiff. Das Serviceauto stand an Land und würde mit der nächsten Fähre nachkommen, Röscheisen und das Rallyeauto hatten es doch noch an Bord der Fähre geschafft und würden nun rechtzeitig die technische Abnahme erreichen, wo am nächsten Tag Fahrzeug und Papiere kontrolliert würden. »Und da ist mir eingefallen: Die Fahrzeugpapiere, unser Geld, alles ist in einem Aktenkoffer im Serviceauto! Und dann hab ich gerufen: ›Kurt, ich brauche den Koffer!‹ Der war ganz perplex, holte den Koffer und schrie, was er jetzt damit machen sollte. Ich sag ›schmeiß!‹. Wir waren vielleicht vier bis fünf Meter weg, und dann hat er den Koffer rübergeworfen, und damit hatte ich alles, was nötig war. Nur rief er mir jetzt zu: ›Und was ist mit mir? Ich habe kein Geld, ich habe überhaupt nichts mehr.‹ Er stand an Land, und ich erwiderte: ›Du hast jetzt zwei Tage Zeit, sieh zu, dass du irgendwie da rüberkommst!‹«
Nach einer entspannten Nacht im Hotel folgte dann am nächsten Morgen auf dem Weg zur technischen Abnahme ein wahrhaft weltmeisterlicher Auftritt – wenn auch in Abwesenheit des Weltmeisters. Walter wollte nämlich ausschlafen und schickte seinen Copiloten Christian Geistdörfer zusammen mit Dieter Röscheisen los, wie sich dieser erinnert: »Wir gehen aus dem Hotel raus, und es war eine Menschentraube um das Auto herum. Christian ist dann auf der Beifahrerseite eingestiegen, ich auf der Fahrerseite. Ich hatte mich noch gar nicht richtig angeschnallt, da sind schon die ersten Bücher bei mir durchs Fenster gereicht worden, weil die Fans Autogramme haben wollten. Ich war ja schon ein bisschen trainiert von der Fähre und hab dann halt in zwei, drei Bücher mal so ›Walter Röhrl‹ reingeschrieben. Christian hat gesagt: ›Ich kann es nicht mehr mit ansehen – fahr los jetzt!‹« Die Fans waren jedenfalls zufrieden, das Selfie noch lange nicht erfunden, und der Mann neben Christian Geistdörfer ist nun mal Walter Röhrl – ob mit Schnauzbart oder ohne!
Das Ergebnis lag dann leider unter den hochgesteckten Erwartungen. Das Team Röhrl/Geistdörfer hatte diesmal kaum technische Probleme und war trotz des immensen Reifenverbrauchs immer sicher auf Podiumskurs unterwegs, bis 500 Meter vor der allerletzten Zieldurchfahrt eine Achswelle gebrochen ist, die auf die Belastung durch die zahlreichen Sprünge nicht ausgelegt war. Das Ziel lag am Ende eines Bergaufstücks, was das Schieben des Autos unmöglich gemacht hätte. Trotz der beiden Ausfälle konnte Walter die Rallyefans mit seiner überragenden Fahrzeugbeherrschung begeistern, und Dieter Röscheisen war nach der Manx-Rallye um einen Spitznamen reicher: Nach seiner Showeinlage auf der Fähre war er von nun an »der Feuerteufel«. :::
Gebrochene Halbwellen waren ein stetiger Begleiter von Walters Rallyeeinsätzen auf Porsche. So auch im Doduco 911 SC.
Das ganze Interview von Karsten Arndt mit Dieter Röscheisen gibt es hier