Michael Browning
· 20.02.2023
»Mad Max«. Wieso muss man sofort an »Mad Max« denken, wenn man diesen Porsche 911 sieht? Dabei ist das nichts weiter als ein ganz normaler Rallyewagen – vielleicht für eine nicht ganz so normale Rallye, aber was war schon normal im Jahr 1968?
Was soll das sein? Ein Sportwagen für die biblische Apokalypse? Oder ein rollendes Kunstwerk, eine Art mobile Version des Pariser Museums für moderne Kunst, des Centre Pompidou, das seine Versorgungsrohre außen zur Schau stellt? Alles falsch! Dieser rote Porsche 911 ist einer von drei sehr besonderen Rallyewagen. Und das hier ist ihre Geschichte. Rückblick ins Jahr 1968 und in die Rennabteilung, die sich damals im Werk 1 am Hauptsitz des Unternehmens in Stuttgart-Zuffenhausen befand. Die Ingenieure waren sich einig: Mit diesem Wagen würde man keinen Schönheitswettbewerb gewinnen: ein massiver Dachgepäckträger, groß genug für vier Geländeersatzreifen, Öl- und Benzinkanister, dickwandige Stahlrohre, die der so herrlich leichten Flyline folgen wie ein wildgewordenes Nashorn einer leichtfüßigen Gazelle. Dazu noch flexible Rohre, die die Abgase weit nach oben führen. Und das alles, um Flussdurchfahrten zu ermöglichen und wilde Tiere – insbesondere Kängurus – möglichst draußen zu halten, sollte es zu einem Unfall mit den schweren Tieren kommen. Alles Vorbereitungen für den London-Sydney-Marathon, dessen Entstehung allein schon wie ein Stück aus der Zeit um 1900 klingt, als tollkühne Männer in knatternden Kisten zu Rennen rund um die Welt aufbrachen.
Anfang 1968, in einer Zeit vor Massentourismus und dem allwissenden Internet, war die Welt für den Normalbürger ein weitgehend geheimnisvoller und relativ unbekannter Ort. Das machte die Idee einer 16.694 Kilometer langen internationalen Rallye von London nach Sydney über gesperrte, gefährliche oder verbotene Straßen umso kühner und reizvoller. Ausgeheckt wurde diese Idee von den beiden Eigentümer des britischen »Daily Express« und des australischen »Daily Telegraph« bei einem langen Mittagessen. Ob Whiskey im Spiel war und ob das Mittagessen eventuell bis in die Nachtstunden dauerte, wissen wir nicht. Aber eines wissen wir: Sie zogen es durch! Angesichts der Schwierigkeiten waren die Rahmenbedingungen bewusst flexibel: Die Teilnehmer in umgebauten Serienfahrzeugen konnten bei der Fahrt durch Asien entweder die nördliche Route durch das Elburs-Gebirge oder die südliche Route durch die Wüste zwischen Teheran und Kabul nehmen. Welche Route gefahren wurde, lag allein im Ermessen des jeweiligen Teams. Eine andere Sache war ziemlich sicher: Das Linienschiff »S.S. Chusan« würde im Hafen von Bombay warten, um alle verbleibenden Teilnehmer nach Perth an der Westküste Australiens zu bringen. In Australien angekommen, würde eine Reihe von Sprint-etappen über den australischen Kontinent die noch im Rennen verbliebenen Teams zum glorreichen Abschluss in Sydney führen.
Das war eine Herausforderung, der einige begeisterte Porsche-Rallye-Piloten aus Polen, Afrika und Großbritannien nicht widerstehen konnten. Sie baten die Rennabteilung des Werks um Hilfe. Der zweimalige Europameister Sobiesław Zasada aus Polen und sein Co-Pilot und Landsmann Marek Wachowski traten in einem 911 S an, der als »Werkswagen« galt. Die identischen Porsche, die parallel in Zuffenhausen aufgebaut wurden, waren der 911 S von Terry Hunter und John Davenport für Porsche Cars (GB) und der 911 T von Edgar Herrmann, dem späteren kenianischen Gewinner der East African Safari Rally, und seinem deutschen Co-Piloten Hans Schuller.
Anfang 1968 war die Welt für Normalbürger ein weitgehend geheimnisvoller und relativ unbekannter Ort.
Mit den 98 Startern, die sich am 24. November 1968 vor den Houses of Parliament in London aufstellten – 31 Etappen in elf Ländern in den nächsten 25 Tagen vor sich –, waren Marken wie Citroën, Simca, Hillman, Moskvitch und DAF vertreten. Viele zeichneten sich durch ein sehr defensives Äußeres aus. Offenbar fürchteten ihre Crews die physischen Wagnisse der Fahrt durch den Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien und das australische Outback 1968 weniger als politische Unsicherheiten. Sie erregten aber ebenso viel ungläubiges Staunen wie die drei Porsche.
Kurz nachdem die Entscheidung gefallen war, am Marathon teilzunehmen, machte sich Zasada daran, die Strecke gründlich auszukundschaften, um zu sehen, welche zusätzlichen Anpassungen ihr Porsche 911 benötigen würde. Beim Durchqueren der gewaltigen Nullarbor-Ebene zwischen Perth und den östlichen Bundesstaaten Australiens über den damals noch nicht asphaltierten Eyre Highway zerstörte Zasada seinen geliehenen VW Käfer bei einem Zusammenstoß mit einem Roten Riesenkänguru. Das glücklose Beuteltier wurde wahrscheinlich noch etwas größer, als der polnische Topfahrer nach seiner Rückkehr dem Leiter der Rennabteilung bei Porsche in Stuttgart, Fritz Huschke von Hanstein, von dem Unfall blumig und blumiger erzählte. Vor dem Hintergrund dieser Berichte wurde entschieden, alle drei Porsche für den Marathon mit massiven äußeren Anti-Känguru-Käfigen auszurüsten, die wilde Tiere aus dem Weg stoßen sollten. Drahtstränge vor der Windschutzscheibe sollten vor tieffliegenden Adlern schützen. Unten wurde ein fünf Millimeter dicker Karosseriepanzer aus Duraluminium angebracht.
Die zart fließende Karosserie des 911er war also mit Rohren, Drahtsträngen und Stäben überspannt. Um die Installationen möglichst sinnvoll zu nutzen, platzierte Porsche vier Räder und Reifen mit Schnellspannern auf dem Dach. Auf der Hinterseite wurden drei Kanister untergebracht – zwei für Kraftstoff, einer für Öl –, die den Motor ganz simpel per Schwerkraft versorgen konnten, falls der Standardöltank oder der 200-Liter-Kraftstofftank beschädigt werden sollten. Flexible Rohrverlängerungen aus Edelstahl konnten montiert werden, sollte man unterwegs auf tiefes Wasser stoßen. Im Inneren waren alle drei Autos mit einer Überlebensausrüstung ausgestattet, zu der eine Metallsäge, eine Axt und eine Handwinde gehören, welche auch über eine Verlängerung der Hinterradbolzen angetrieben werden konnte. In Herrmanns Wagen hatte Hans Schuller einen Fußschalter, um die vier unter der Motorhaube eingebauten Lufthörner ertönen zu lassen, damit zu neugierige Zuschauer und wilde Tiere verscheucht werden konnten. Außerdem hatte er in der Kopfstütze des Beifahrersitzes eine Pistole versteckt!
Alle drei Porsche hatten ähnliche mechanische Spezifikationen mit einem eng abgestuften Fünfganggetriebe und Sperrdifferenzial. Die Leistung des altbekannten luftgekühlten Zwei-Liter-Boxers wurde wegen der schlechten Kraftstoffqualität in Asien reduziert, und statt der etwa 130 kW bei normaler Rallye-S-Spezifikation senkte die 8,6:1-Verdichtung die Leistung auf 120 kW bei 6.400/min. Mit dem Gesamtgewicht des Fahrzeugs einschließlich Besatzung, Kraftstoff und Vorräten, das sich auf fast 1.500 Kilogramm belief, war die Leistung eher angemessen als beeindruckend.
Anfang 1968 war die Welt für Normalbürger ein weitgehend geheimnisvoller und relativ unbekannter Ort.
Zasada monierte, dass sein Auto mit der ganzen Ausrüstung zu schwer war und so viel Luftwiderstand erzeugte, dass die Höchstgeschwindigkeit bei nur 163 km/h lag. Auch wenn die »Känguru-Stangen« nie getestet wurden, gehörten zwei der drei 911er zu den 56 Fahrzeugen, die das Rennen beendeten. Nach Ärger mit den Bremsen und einem Rechenfehler an der Zeitkontrolle an der Grenze zwischen South Australia und Victoria, der sie 30 Minuten kostete, als sie um den Sieg mitfuhren, belegten Zasada und Wachowski schließlich den vierten Platz. Herrmann und Schuller beendeten das Rennen auf Platz 15. Hunter und Davenport hingegen hatten Pech: Sand war in den Motor gelangt. Sie verbrauchten schon in Afghanistan immer mehr Öl und mussten die Rallye schließlich in Kabul abbrechen.
Aber ein vierter und ein 15. Platz waren durchaus ordentlich bei einer so außerordentlichen Rallye, von der man heute kaum noch etwas weiß. Wäre interessant zu wissen, wo die Autos heute sind, oder? Fangen wir mit den schlechten Nachrichten an: dem Porsche 911 S von Hunter und Davenport.
Nach dem Rallye-Abbruch in Afghanistan erwarb ein Sammler aus Hamburg den 911er nach dessen Rückkehr und hegte ihn über Jahrzehnte, bevor das Auto bei einem Brand größtenteils zerstört wurde. Aber er ist noch da! Berichten zufolge gab es Pläne, das Auto im Rahmen eines gemeinsamen Projekts verschiedener Porsche-Abteilungen zu restaurieren und dann im Porsche Museum auszustellen. Diese Pläne wurden bislang aber noch nicht in die Tat umgesetzt.
Porsche Cars Australia kaufte die beiden Autos von Zasada und Herrmann nach dem Ende der Rallye in Sydney. Beide Fahrzeuge blieben zunächst für einige Zeit in Australien. Als Edgar Herrmann seinen arg geschundenen 1966er Porsche 911 nach dem Marathon verkaufte und kurz vor Weihnachten 1968 aus Australien abflog, war er zweifellos davon überzeugt, dass die Renntage dieses Autos vorbei waren.
Schließlich hatte das reise- und staubgeplagte rote Coupé nicht nur den ersten 16.000 Kilometer langen London-Sydney-Marathon beendet und mit den Piloten Herrmann und Schuller den 15. Platz belegt – die beste Platzierung eines privaten Teams. Sondern es hatte zuvor mit der Startnummer 55 bereits die Acropolis Rally in Griechenland, die East African Safari und den 84 Stunden dauernden harten Marathon de la Route auf der berüchtigten Nordschleife des Nürburgrings absolviert. »Zeit für ein neues Auto«, dachte Herrmann zweifellos, als er die Schlüssel an Alan Hamilton übergab, den Sohn des damaligen australischen Porsche-Händlers Norman Hamilton.
Er nahm 1969 an verschiedenen regionalen und nationalen Rallyes teil – siehe das Schwarz-Weiß-Foto des 911 ohne Bügel. Im November des gleichen Jahres zierte der 911er das Programmcover des ersten Australien-Rallycross-Rennens auf dem Calder Raceway in Melbourne. Er trat dort unter anderem gegen eine Reihe anderer Überlebender des »Marathons« an. Dieser Weg gipfelte in der Teilnahme am großen 1970 Ampol Around Australia Trial mit Start in Alice Springs. Für diese Veranstaltung wurde der 911er auf Rechtslenkung umgebaut, vollständig überholt, zu Ehren seines Sponsors Edgel, eines Unternehmens für Tiefkühlgemüse, hellgrün lackiert und auf den Spitznamen »Sweet Pea« getauft. Mechanische Probleme bremsten den Erfolg des 911er bei dieser Veranstaltung leider schon frühzeitig aus. Ironischerweise war es sein früherer Eigentümer Edgar Herrmann, dessen Datsun sich den ersten Platz mit dem Citroën von Lucien Bianchi teilte.
Nach dem »Ampol« verkaufte Hamilton den 911er an einen Porsche-Mitarbeiter, der den Innenraum des Fahrzeugs teilweise wieder gemäß den Standardspezifikationen instandsetzte, bevor er das Auto 1971 an ein Gründungsmitglied des Porsche Club of Victoria weiterverkaufte. Auch dieser sollte nur kurz der Eigentümer des 911er sein. Nach weiteren Stationen entdeckte Rallye-Fan und Porsche-Club-Mitglied Philip Bernadou das Auto 1986 in der Ecke einer Autowerkstatt in Melbourne, in der es nach einem Unfall sechs Jahre lang gestanden hatte. Er zerlegte den Wagen bis auf das blanke Metall, lackierte ihn wieder in der Farbe, die er als Originalfarbe vermutete, und baute anstelle des alternden 2,0-Liter-Motors, der überholt werden musste, einen Motor aus einem jüngeren 9.11 2.2E ein. Über zehn Jahre lang genoss der 911er ein neues und hektisches Leben als Rennwagen beim Australian Porsche Cup. Im ersten Jahr der Serie ging er als Gewinner in seiner Klasse hervor. Dabei trat er gleichzeitig als Auto eines Bundesstaats und als historisches Rennauto an.
Nachdem der 911er bei einer Auktion für weniger als 30.000 Australische Dollar versteigert worden war, gelangte er in die Hände des Melbourner Porsche-Sammlers Dr. Ian Henderson. In welche seiner früheren Rallye-Formen sollte der in die Jahre gekommene 911er nun zurückversetzt werden? Die Wahl fiel auf das Erscheinungsbild für den London-Sydney-Marathon, das wohl legendärste Kapitel im Leben des Fahrzeugs. Als deutlich wurde, dass die deutlich schwerere Rennausstattung bedeutete, dass das Auto nicht das gleiche fesselnde Fahrerlebnis bot wie das ursprüngliche Werksmodell des 911er seinerzeit (ein solches besaß Henderson bereits), wurde das Auto international angeboten. Zuletzt war bekannt, dass das Fahrzeug in Großbritannien seinen wohlverdienten Ruhestand genoss.
Aber wo steckte das bekannteste der drei werkseitig aufgebauten Marathon-Porsche – der 911 S mit der Startnummer 55, mit dem Zasada und Wachowksi antraten? Viele Jahre war sein Aufenthalt unbekannt, und er lag demontiert und verborgen in einem Stahlschiffscontainer in der Hauptstadt des Bundesstaats South Australia, Adelaide. Er war unrestauriert und demontiert, aber vor allem größtenteils vollständig, als er zur Tilgung einer offenen Verbindlichkeit von einem Finanzmakler erworben wurde. Der aktuelle Besitzer, Jim Ventrice, hat den Zasada-911er zu sich nach Hause in Brisbane, Australien, geholt. Dort ist er Teil von Ventrices kleiner werdenden Sammlung wichtiger Porsche, zu der ein 911 Carrera 2.7 RS von 1973, ein früher 3,3-Liter 930 Turbo und ein Turbo 3.6 der 964-Serie gehören. Also ein Happy End für zwei der Porsche und zumindest Hoffnung für den in Deutschland befindlichen Wagen. Was aber wurde aus der Rallye?
Anfang 1968 war die Welt für Normalbürger ein weitgehend geheimnisvoller und relativ unbekannter Ort.
Der Erfolg des Marathons von 1968 führte zur Neuauflage des London-Sydney-Marathons im Jahr 1977, der dieses Mal von Singapore Airlines gesponsert wurde. Dieses Rennen dominierte Mercedes-Benz, dessen werkseitiges Engagement mit einem beeindruckenden ersten und zweiten Platz mit modifizierten 280E-Limousinen belohnt wurde. Die Ausgabe des Marathons im Jahr 1993, 25 Jahre nach dem ursprünglichen Event, war jedoch ein voller Erfolg für Porsche: Der Brite Francis Tuthill und sein eigens dafür gebauter 911er konnten die 16.000-Kilometer-Rallye für sich entscheiden. Eine weitere Neuauflage des Original-Marathons wurde im Jahr 2000 als »Millennium Celebration« des legendären ersten Events veranstaltet. Stig Blomqvist und Ben Rainsford gewannen die Rallye in einem Ford Capri mit V8-Motor vor Michèle Mouton und ihrem Co-Piloten Francis Tuthill, dem Gewinner von 1993, in einem Porsche 911. Der Australier Rick Bates und Jenny Brittan belegten ebenfalls mit einem Porsche 911 den dritten Platz. Seitdem wurden zwar weitere ähnliche Rallye-Formate probiert, doch nichts sollte wieder den Charme der Rallye von 1968 haben. Und Känguru-Schutzkäfige gibt es heute auch nicht mehr.