Porsche@Mille MigliaDer Wagen meines Vaters

Axel E. Catton

 · 31.01.2023

Porsche@Mille Miglia: Der Wagen meines VatersFoto: Markus Bolsinger, Archiv Crister Kaiser & Corsaresearch
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Wer davon spricht, dass jemand »in etwas hineingeboren wurde«, hat so jemanden wie den Schweden Crister Kaiser vor Augen. Der 59-jährige Stockholmer stammt nämlich aus einer der autoverrücktesten Porsche-Familien der Welt und besitzt zwei außergewöhnliche Porsche-356-Carrera Rennwagen.

Serienstand: Schon der 356 1500 Carrera GS war als Rennwagen für Privatfahrer konzipiert. Mit 100 PS Leistung bei 800 Kilogramm Gewicht stimmten die Rahmendaten.
Foto: Markus Bolsinger, Archiv Crister Kaiser & Corsaresearch

Crister Kaiser lag die Liebe zum Automobil sprichwörtlich in der Wiege. Schon sein Vater Gert, geboren 1925 in Berlin und in den Wirren des Krieges nach Schweden entkommen, ging als Kind mit Cristers Großvater zur Berliner Avus, um dort die Großen des Automobilrennsports Anfang der 1930er-Jahre zu bewundern. Als Besitzer eines Alfa Romeo war nämlich auch Großvater Kaiser der Faszination Automobil erlegen. Nach der Ankunft der Familie in Schweden betrieb Gert Kaiser zunächst eine Bäckerei, aber schon bald einen Gebrauchtwagenhandel.

Konkurrenzfähig: Neben dem berühmtesten Einsatz bei der Mille Miglia fuhr Persson mit »255« auch eine Reihe wichtiger lokaler Rennen.

1952 kaufte Gert einen zwei Jahre alten »Gmünder Porsche«, den 32. gebauten 356, der 1950 neu in Schweden verkauft worden war. Darauf angesprochen, erklärt Crister: »Schweden war im Krieg neutral geblieben, daher konnten sich damals reiche Käufer teure Autos leisten. Von den 50 Gmünder Porsche ging ein Drittel neu nach Schweden.« Mit diesem ersten einer ganzen Reihe von Porsche startete Vater Gert schon 1952 gegen Größen wie Huschke von Hanstein und Max Nathan bei der Rallye Mitternachtssonne.

Schwabenvariante: Für Rennfahrer und Erstbesitzer Olof Persson standen niedriges Gewicht und wohl auch niedrige Kosten im Vordergrund. So verfügt der 1500er Carrera GS über so gut wie keine Sonderausstattungen. Erst später bekam er die GT-Bremse, die er heute noch hat.

Diese Nähe zur Marke und zu Ferdinand Porsche war es auch, die dem jungen Crister schon als Kind den Weg zur Stuttgarter Sportwagenmarke geebnet hatte. »Wegen seiner Rennfahrerei kaufte mein Vater jedes Jahr mindestens ein oder zwei neue Porsche. Einmal im Jahr fuhren wir dann nach Stuttgart ins Werk, um einen großen Service machen zu lassen. Dabei besuchten wir auch jedes Mal Ferry Porsche in seinem Büro.« Den Firmenpatriarch erlebte der junge Schwede als einen äußerst gastfreundlichen und großzügigen Menschen. »In einer Glasvitrine in seinem Büro hatte Ferry Porsche, der mich immer Junior nannte, eine Auswahl von Modellautos stehen, von denen er mich jedes Mal eines aussuchen ließ – als Kind war das immer mein kleines Highlight.« Dass Cristers Familie Jahre später zu Ferrys 75. Geburtstag eingeladen war, müsste dann das große Highlight gewesen sein.

Zufallsfunde: Am Anfang hatte es Crister darauf abgesehen, den Wagen seines Vaters zu finden. Als er das Auto und zwei Motoren dazu fand, kam ihm auch der Mille-Miglia-Klassensieger in den Weg.

Erst nach dem Tod seines Vaters Anfang der Nullerjahre begann sich Crister gemeinsam mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Staffan intensiver mit der Renngeschichte seines Vaters zu befassen. »In den 1950er-Jahren hatte unser Vater aufregende Autos. 1955 fuhr er einen 550 Spyder, im Jahr darauf kaufte er einen der ersten 356 Carrera mit dem Königswellen-Boxermotor«, sagt Crister. Seine intensiven Kontakte brachten ihn zusammen mit Rolf Sprenger, der ihm bei der Suche nach den Autos seines Vaters half. »Den 1956er 356, Fahrgestellnummer 55818, mit dem mein Vater damals an vielen schwedischen Rennen teilgenommen hatte, haben wir mit Rolfs Hilfe in Österreich auftreiben und kaufen können. Allerdings ohne einen Motor.« Weitere Recherchen brachten einen 82-jährigen früheren schwedischen Besitzer des Kaiser-356 zutage, der im nordschwedischen Avesta noch im Besitz eines korrekten Motors für Gerts Rennwagen sein sollte.

Originalgetreu: Wieder wurde Kunstleder verwendet, und selbst das Zollkennzeichen wurde nachgestellt. Aber nur für den Einsatz abseits öffentlicher Straßen.

»Anfangs wollte der nichts von uns wissen und legte den Hörer einfach wieder auf. Aber wir blieben dran, und hatten am Ende einen so nicht erwarteten Erfolg.« Denn der schwedische Liebhaber hatte nicht nur zwei Königswellenmotoren, sondern auch den legendären Klassensieger der 1956er Mille Miglia, einen 356 Carrera, der mit der Startnummer 255 berühmt wurde. »Am Ende hatte ich nicht nur das Auto meines Vaters und einen passenden Motor, sondern auch noch einen zweiten und das Mille-Miglia-Auto«, erzählt Crister und strahlt.

55818 war in keinem besonders guten Zustand, »aber er war komplett, was mir viel wichtiger war«, ergänzt »Junior«. Viel spannender war aber 255, der Mille-Miglia-Wagen. Der kauzige Schwede, von dem Crister die Rennlegende erworben hatte, war der siebte Besitzer – und besaß ihn mehr als 50 Jahre. »Noch aufregender aber war, dass 255 zwar über die Jahre auf Stand gehalten wurde, aber niemals komplett restauriert worden war. Da war noch alles original, die Karosserie, der Innenraum, Motor und Getriebe, alles so, wie er 1956 in Italien an den Start ging.«

255 – der Mille-Miglia-Wagen – wurde Anfang 1956 mit der Fahrgestellnummer 56063 gefertigt und im April 1956 an seinen Erstbesitzer, den schwedischen Rennfahrer »Grus Olle« Olof Persson, verkauft. »56063 war ein Carrera, also bereits ab Werk ein richtiger Rennwagen. Persson hatte den bestellt, reiste im April mit der Bahn nach Stuttgart und fuhr das Auto dann auf Zollkennzeichen direkt zur Mille Miglia.« Was heute unvorstellbar klingt, war für damalige Rennfahrer nichts Außergewöhnliches. »Am Ende wurde Persson 18. im Gesamtklassement und gewann die GT-Klasse bis 1,6 Liter«, sagt 255-Besitzer Crister voller Stolz.

Bei sechs Rennen zwischen 1952 und dem Ende der Mille Miglia 1957 gingen 99 Porsche an den Start, doch nur neun Fahrzeuge konnten dabei ihre Klasse gewinnen. »255 ist einer davon und nur eines von zwei Fahrzeugen, das zwei Rennen bestritt, denn 255 trat 1957 noch einmal an«, erklärt der Schwede. Das zweite war das von Max Nathan, der 1954 und 1955 mit dem gleichen Wagen antrat. Auf der Suche nach dem Auto ihres Vaters besaßen die Kaiser-Brüder nun zwei historisch wichtige Rennwagen, die drei Wochen nacheinander gebaut wurden – »und die 1956 sogar zweimal gegeneinander antraten, bei der Mitternachtsrallye und dem Grand Prix von Schweden«, ergänzt Crister.

Mit dem Kauf von 255 war es aber natürlich nicht getan. Bei der Suche nach 55818 hatte sich Crister an Rolf Sprenger gewandt, mit dem er durch seine engen Kontakte zum Werk über Jahrzehnte verbunden war. Sprenger brachte ihn mit Christoph Schlagenhauf von der Boxer Motor GmbH in Dotternhausen in der Nähe von Stuttgart zusammen, die für Crister die akribische Restaurierung durchführte. Der schwäbische Restaurateur erinnert sich: »Bei dieser Arbeit mussten wir ganz besonders darauf aufpassen, so wenig wie möglich von der originalen Materie zu verlieren. Angefangen beim 1,5-Liter-Königswellenmotor mit 100 PS und dem Getriebe ist alles noch original an diesem Auto. Der Kunde bestand auf eine äußerst detailgenaue Wiederherstellung, so suchten wir zum Beispiel lange nach dem richtigen Bezug für die Seriensitze in Perssons 255.« Der Schwede hatte damals alles auf den Sieg gesetzt und nichts in unnötige Sonderausstattungen investiert. So verfügt 255 über Seriensitze im einfachsten Bast-Kunstleder, wie es die Speedster damals hatten. »Die in Leder neu zu machen wäre einfach gewesen, aber er sollte so sein wie 1956«, erklärt Schlagenhauf, »für den zweiten Einsatz bei der Mille 1957 hatte Persson dem GS die vordere belüftete Bremsanlage vom GT-Modell spendiert, und die hat er heute auch noch.«

Die Lackierung wurde im Originalfarbton Polyantharot R604 ausgeführt. Schlagenhaufs Leute fanden auf der Innenseite des Handschuhfachdeckels noch Überreste der Originallackierung, die sie später mit dem Farbarchiv von Reutter vergleichen konnten. »Die Startnummer war dabei vielleicht noch das Schwierigste, denn die wurde vor 65 Jahren am Start bei der Mille von einem Rennmitarbeiter mit Pinsel und Farbe mit der Hand aufgemalt. Wir haben uns das Original sehr lange angesehen und schließlich die Optik so perfekt wie möglich nachgestellt. Der Kunde bestand sogar auf ein Zollkennzeichen, wie es Perssons 356 damals trug.«

Außer der von Hand aufgepinselten Startnummer und der auffälligen, mit dem Hupenring bedienten Extrahupe weist nichts darauf hin, dass es ich hier um einen Mille-Miglia-Rennwagen handelt. Ende 2020, mitten in der Pandemie, konnte Schlagenhauf den Renner an Crister übergeben. Welcher von beiden 356ern liegt ihm denn nun mehr am Herzen? Für Crister »…die schwierigste Frage überhaupt. Das Auto meines Vaters hat eine emotionale Komponente, die kein anderes Auto hat, ich fahre auch Rennen damit. Mit 255 würde ich das nicht tun. Der ist so original und hat mehr als
60 Jahre im Originalzustand überlebt, es würde mir das Herz brechen, wenn er bei einem Einsatz zu Schaden käme.«


TECHNISCHE DATEN

Porsche 356 1500 Carrera GS

  • Motor: Vierzylinder-Boxer
  • Hubraum: 1.498 cm³
  • Gemischaufbereitung: Zwei Solex-Doppelfallstromvergaser
  • Maximale Leistung: 100 PS bei 6.200/min
  • Radstand: 2.100 mm
  • Höchstgeschwindigkeit: 200 km/h