Christina Rahmes
· 23.03.2023
Früher Vollgas, heute Schnitt: 40 Jahre nach ihrem ersten Monte-Sieg traten Walter Röhrl und Christian Geistdörfer noch einmal an, diesmal bei der Rallye Historique.
Prolog. »Ihr könnt mich mal«, sagte Walter Röhrl zu den Verantwortlichen von Pirelli, als sie ihm im Dezember 1979 vorschlugen, die Reifentests für die bevorstehende Rallye Monte-Carlo über die Weihnachtstage auszudehnen. Er reiste nach Hause. Schon wenige Wochen später, am 25. Januar 1980, einem Freitag, erfüllte sich sein beruflicher Lebenstraum: Christian Geistdörfer und er gewinnen die »Monte« auf einem Fiat 131 Abarth. Startnummer 10. Walter ging an diesem Tag, der seinen größten Wunsch hat wahr werden lassen, trotzdem früh schlafen, davon konnte ihn auch der Monte-Sieg nicht abhalten. In den kommenden vier Jahren entschieden sie die »Königin aller Rallyes«, wie Walter sie nennt, noch dreimal für sich. Einmal, 1981, traten sie nicht an. Die Bilanz: vier Siege in fünf Jahren. Auf Fiat, Opel, Lancia und Audi. Heldenhaft.
Rallye. 40 Jahre später sitzen sie in einem Porsche 911 SC mit 3,0-Liter-Boxermotor, Baujahr 1979, beide mit leichtem Husten. Diesmal starten sie bei der 23. Ausgabe der Rallye Monte-Carlo Historique. Schnittfahren ist angesagt. Gleichmäßigkeit statt Höchstgeschwindigkeit. Am Ende reicht es für Platz 49. »Ich bin nicht häufig in meinem Leben irgendwo angetreten mit dem olympischen Gedanken ›Dabei sein ist alles‹, aber bei der Rallye Historique bleibt mir nichts anderes übrig«, sagt Walter, bevor er mit Christian in Reims für das Team Scuderia Rapiditas startet. Eine für Weltmeister eher gemächliche Rallye steht bevor. Den Porsche 911 SC für die Jubiläumsfahrt stellten ihnen die Zwillingsbrüder Philippe und Antoine Cornet de Ways-Ruart, Peter George Livanos initiierte die Teilnahme, Porsche-Urgestein und Rallyeprofi Roland Kussmaul bereitete den Elfer als Supervisor gemeinsam mit Armin Knüpfing perfekt auf den Einsatz vor. »Der Automobile Club de Monaco würdigt unsere Teilnahme mit der Vergabe der Startnummer 10, mit der wir 1980 als Gesamtsieger vor dem Fürstenpalast vorgefahren sind«, erzählt Walter. »Mit der Teilnahme feiern wir das 40-jährige Jubiläum unseres ersten Sieges«, fasst Christian zusammen, der sich vor allem auf die »Nacht der langen Messer« freut, das neue Equipment zum Schnittfahren allerdings schon vor Rallyebeginn fürchtet. »Vielleicht schneit’s ja, dann wird’s besonders lustig«, wünscht sich Walter. Leider ohne Erfolg. Seine letzten Worte vor dem Start: »Vor 40 Jahren sind wir hier rumgetobt, unter größtem Druck und enormer Anspannung. Heute haben wir Hustensaft, Augentropfen und Müsliriegel dabei, das wird eine schöne Zeitreise, hoffentlich fühlen wir uns jünger, als wir es sind.«
»Das war ein beeindruckendes Jubiläum. Dort, wo wir früher mit 185 km/h über den Schnee gedonnert sind, fuhren wir heute bei Sonnenschein mit 49,9 km/h. Eine Reise mit vielen schönen Erinnerungen.«
Sonntag, 2. Februar 2020, 6.30 Uhr. Vier Prüfungen im Département Ardèche liegen vor ihnen. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass sich die Straßen hier in vier Jahrzehnten nicht verändert haben. Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben«, fasst Walter bei der ersten Zeitkontrolle zusammen. »Bei uns ist eben ein Film abgelaufen. Da brauchst du dich nicht lange zu unterhalten, die Strecke ist so voll von Erinnerungen und Emotionen. Und das Schöne daran: Es ist exakt derselbe Film, der sich in unseren Köpfen abspielt«, vermerkt Christian.
Jetzt mal ehrlich, Walter, Christian, gefällt euch das Schnittfahren? »Dort, wo wir früher mit 185 km/h über den Schnee gedonnert sind, fuhren wir heute bei Sonnenschein mit 49,9 km/h«, antwortet Christian mit hochgezogener Augenbraue. Er lächelt, weil er sich wohlfühlt im Team, weil alles perfekt vorbereitet ist, der Service sei herausragend. »Über die Tage bemerkten wir den Ehrgeiz der Profi-Schnittfahrer mit ihren Tablets, Smartphones und Spezialgeräten auf dem Armaturenbrett. Auch Christian arbeitete sich gut in die Materie ein. Wir sind diszipliniert gefahren und immer besser geworden, obwohl wir Schnitt-Amateure sind«, erzählt der Rallye-Weltmeister. »Aber es hat sehr im rechten Fuß gejuckt, muss ich zugeben. Gerade am Anfang hat mich das Langsamfahren wahnsinnig gemacht. Dann kam die letzte Nacht …« Und die hatte es in sich: Col de Braus, Dunkelheit, enge Straße, die Rallyehelden haben noch sieben Kilometer vor sich. »Schon vor der Etappe habe ich manche Teilnehmer gebeten, ab und an in den Rückspiegel zu schauen«, sagt der 72-jährige Bayer und lacht. »Dort sind wir dann ziemlich sportlich gefahren. Trotz Schnitt, wohlgemerkt«, ergänzt Christian.
Epilog. »Das Schnellfahren war mein persönliches Highlight, ab einer gewissen Geschwindigkeit lebe ich richtig auf«, resümiert Walter. Natürlich sei es für ihn auch schön gewesen, mit Christian wieder einmal ein paar Tage im Auto zu verbringen. Besonders berührt waren sie davon, dass die Zeit vermeintlich stehen geblieben ist. »Auf vielen Abschnitten hatte sich kein Meter Asphalt verändert. Wir konnten uns also in vier Tagen 40 Jahre jünger fühlen«, sagt Walter und schiebt hinterher, dass er inklusive Anfahrt auf den 3.600 Kilometern nicht eine Sekunde lang Rückenschmerzen gehabt habe. Überrascht seien die beiden von der riesigen Fangemeinde gewesen. »Die Italiener mögen uns, das wussten wir, aber dass uns so viele Fans und Funktionäre in Frankreich herzlich begrüßt, ja gar erwartet haben, das hat uns sehr verwundert«, erklärt Christian. »Zum ersten Mal in meinem Leben war ich berührt von den Menschentrauben, die sich bei Zeit- und Durchgangskontrollen um uns bildeten. Und das heißt was, denn eigentlich bin ich ja eher scheu«, sagt Walter, der vielleicht wiederkommt zu seiner »Monte«. Als Zuschauer.