Christina Rahmes
· 17.02.2023
Während Porsche-Chefdesigner Michael Mauer die Reise vom abstrakten Übermorgen zurück ins Morgen beginnt, ist Skilegende Aksel Lund Svindal seinem Körper gedanklich eine Sekunde voraus. Für beide entscheiden die Ausflüge in die Zukunft über Erfolg oder Niederlage in der Jetztzeit.
Michael Mauer blickt auf 20 Jahre mehr Vergangenheit zurück als Aksel Lund Svindal. In der Gegenwart sprechen sie die gleiche Sprache. Wer die beiden gemeinsam erlebt, kann danach viele Geschichten mit den verschiedensten Metathemen schreiben. Über Mut und Leidenschaft, über Glück und die perfekte Linie, über das Zusammenspiel von Träumen und Ehrgeiz. Oder einfach über das Aufstehen nach dem Hinfallen.
»Uns verbindet der Ehrgeiz, die Dinge immer besser machen zu wollen – und die Liebe zu den Bergen.« Michael Mauer
Am Abend vor dem virtuellen Treffen hat der Designchef die Autobiografie Größer als ich zu Ende gelesen. Svindal widmete die 320 Seiten über katastrophale Stürze und spektakuläre Comebacks seinem Vater und seinem Bruder Simen. »Das Buch hat mich inspiriert und nachdenklich gemacht, ich habe mich häufig wiedererkannt. Am meisten fasziniert hat mich deine mentale Stärke, ein Jahr nach deinem Unfall in Beaver Creek genau dort wieder ganz oben zu stehen. Diese Kraft zu haben, nach einem solchen Sturz aufzustehen und an die Weltspitze zurückzukehren, finde ich bewundernswert«, sagt Mauer, der früher im Schwarzwald als Skilehrer arbeitete, bis ihm sein Vater das Automobildesign näherbrachte.
Abfahrt ist eine Erzählung mit einfacher Dramaturgie. Es gibt keine Haltungsnoten. Alles, was zählt, ist, Erster zu werden. Die Schwerkraft. Die Zentrifugalkraft. Die Geschwindigkeit. Ich kämpfe gegen Gegner, die so alt wie die Erde sind. Dann ist es vorbei. Weil ich die Ziellinie überquere. Oder weil ich gar nicht so weit komme.
Svindal war 24 Jahre alt und an der Weltspitze angekommen, als er am 27. November 2007 in Beaver Creek stürzte. Der Hang im US-amerikanischen Bundesstaat Colorado ist eine der steilsten Passagen im Weltcup. Er war an diesem Dienstag, der sein Leben verändern sollte, mit etwa 110 km/h unterwegs, als er beim Absprung aus der Balance geriet und 50 Meter weiter auf der Eispiste aufschlug. Wie jeder Rennfahrer ist auch Svindal jede Piste viele Male im Kopf abgefahren, bevor er an den Start ging. Danach übernimmt der Instinkt, das Gedächtnis des Körpers. Dann beginnt die Abfahrt, die kürzestmögliche Linie mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit.
»Das Einzige, was ich sah, waren Wolken und Himmel, nicht der Hang, nicht die Baumspitzen, nicht das orange-farbene Sicherheitsnetz, nichts«, sagt der zweifache Gesamtweltcupsieger, zweimalige Olympiasieger und fünffache Weltmeister, der sich vor mehr als 13 Jahren schwer verletzte. »Nach einem solchen Sturz ist es wichtig zu verstehen, dass du etwas falsch gemacht hast. Du darfst nicht denken, dass es Pech war. Denn über Glück oder Pech hast du keine Kontrolle, das liegt niemals in deinen Händen. Ich wollte während meiner Karriere immer so viel wie möglich unter Kontrolle haben. Wenn man den Fehler, der den Unfall verursachte, erkannt hat, dann muss man die Verantwortung für ihn übernehmen. Man muss wissen: Es war meine Schuld«, erzählt der 38-Jährige, der vor zwei Jahren seinen Rückzug als Skirennläufer bekannt gab. Zuvor kämpfte er sich zurück an die Weltspitze. »Ich wusste, dass ich es schaffen kann. Vor meinem Sturz war ich ganz oben, diese Erfahrung teilen wenige Menschen mit mir. Nur wenn du schon ganz oben warst, hast du viel zu verlieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich es wieder dorthin schaffe, war für mich sehr hoch.«
»Nach einem Sturz ist es wichtig zu verstehen, dass du etwas falsch gemacht hast. Du darfst nicht denken, dass es Pech war. Denn über Glück oder Pech hast du keine Kontrolle.« Aksel Lund Svindal
Um ein Rennen gewinnen zu können, musst du dir bildhaft vorstellen können, dass du gewinnst, sonst hast du keine Chance. (…) Es ist für mich kein Problem, an Zahlen zu glauben. Zahlen sind absolut, sie sind unbestreitbar. Ich wusste, dass ich 90 Prozent der Strecke unter Kontrolle hatte, dass ich nur bei den 10 Prozent, auf denen ich gestürzt war, unsicher war. Eine kurze Kopfrechnung sagte mir, dass ich für die Länge der Strecke von 2,7 Kilometern ungefähr hundert Sekunden brauchen würde. Mit anderen Worten hatte ich Angst vor einem Streckenabschnitt, den zu durchfahren maximal zehn Sekunden dauern würde, vielleicht sogar nur fünf.
Nach vielen Monaten harten Trainings hörte er auf, die Strecke als Ungeheuer zu betrachten. Svindal kämpfte sich körperlich zurück und legte sich einen mentalen Plan zurecht: sich bei der Abfahrt 2008 auf den großen Teil zu konzentrieren, der ihm liegt, und die Unfallpassage langsamer anzugehen. Seine Angst verschwand, das Risiko schien beherrschbar. Er blieb cool. Und gewann.
In seiner Freizeit ist das Ausnahmetalent aus Norwegen begeisterter Freerider. Das und seine Liebe zu Details und Design eint ihn mit Michael Mauer. »Es hat mich sehr überrascht, dass ein Vorzeigeathlet ein so großes Gespür für Design hat. Aksel schaut sich einen Porsche an und stellt beeindruckende Fragen. Von jemandem, der so tief aus einer anderen Welt kommt, hätte ich dieses Verständnis und diese Neugierde nicht erwartet«, erzählt Mauer, der Svindal bei einer Führung durch das Designstudio in Weissach kennenlernte. Der gebürtige Norweger war schon von klein auf von Autos fasziniert: »Ich erinnere mich daran, dass ich mit meiner Mutter auf dem Weg zum Kindergarten am Bahnhof vorbeiging. Ich kannte nicht die Namen der verschiedenen Modelle, doch ich erkannte die Marken. Und ich achtete darauf, ob die Autos ein oder zwei Auspuffrohre hatten.« Heute ist das Ausnahmetalent Markenbotschafter von Porsche, ein Testimonial, das nicht echter sein könnte. »Die Marke passt zu meiner Philosophie. Porsche kommt aus dem Rennsport und hatte immer die Mentalität, besser zu werden. Diese Einstellung finde ich ehrlich, der Wille, sich ständig verbessern zu möchten, beeindruckt mich. So ist es im Sport, und so ist es auch bei Porsche.« Es geht eben nicht nur um einen Sieg, sondern auch um Passion, Selbstvertrauen und Durchhaltevermögen.
»Uns verbindet der Ehrgeiz, Dinge immer besser machen zu wollen, nie mit dem Status quo zufrieden zu sein. Und natürlich die Freude am Skifahren, die Liebe zur Natur und den Bergen«, fügt Mauer hinzu. An dieser Stelle kann man getrost erwähnen, dass der Designchef nicht davor zurückschreckt, sich von einem 911 GT2 RS an einem Seil über eine Eispiste ziehen zu lassen. Skijöring, kein Ding für den gebürtigen Hessen, der Menschen wie Aksel Lund Svindal bewundert: »Von seiner mentalen Stärke, die für sportliche Spitzenleistungen notwendig ist, nehme ich viel für mein Leben und für meinen Beruf mit.« Wenige Monate nach der ersten Begegnung verabredeten sich die beiden zum Skifahren in den Schweizer Alpen rund um St. Moritz. Berninapass, Albulapass, alles passt. Ein Porsche Taycan bringt sie auf der Suche nach der perfekten Linie bis zum Parkplatz.
Svindal hat sein Leben damit verbracht, der schnellstmöglichen Linie nachzueifern. Der Ideallinie, die von vielen Faktoren abhängt. Sie bei allen Bedingungen und 150 km/h perfekt zu treffen unterscheidet den Skifahrer vom Profi. »Wie auf der Rennstrecke ist auch die Blickführung bei der Abfahrt wichtig. Ich bin in der Zukunft, bei der Geschwindigkeit muss ich 40 Meter voraus sein. Eine Sekunde. Das Adrenalin pumpt. Nur ein Sturz holt mich sofort zurück ins Jetzt.« Nach seinem Rücktritt kann der 1,90 Meter große Sportler die Berge heute anders genießen, sagt er. Mauer ist überzeugt davon, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen Automobildesign und Skifahren gibt. Er holt sich Inspiration auf Skiern, gönnt seinem Gehirn eine Auszeit. Nach dem Skifahren ist er kreativer. Kann weiter vorausschauen, die Zukunft der Mobilität denken, bevor sie entstehen kann. Gedanklich beginnt der 58-jährige Designer im Übermorgen und reist dann mit seinem Team zurück ins Morgen, ein toller Weg, um innovativ und modern zu sein. »Wenn du aus dem Übermorgen zurückkommst, wirst du Entscheidungen im Morgen anders treffen.« Er zeichnet die Linien der Zukunft, arbeitet schon längst am nächsten 911, während Porsche-Enthusiasten gerade erst das aktuelle Modell feiern. :::