Christina Rahmes
· 23.02.2023
Ein Motorradunfall teilte sein Leben in eine Zeit davor und eine danach. Danach kämpfte sich Georg Kreiter an die Weltspitze der Monoskifahrer. Nun ließ er den Elfer seines Vaters umbauen.
Die Hälfte seines Lebens sitzt er bereits im Rollstuhl. Georg Kreiter ist 35 Jahre alt, aufgewachsen in Thanning bei Bad Tölz, 900 Einwohner, Bergblick, jeder kennt dort jeden, und alle kennen die Kreiters. Mit siebzehneinhalb Jahren erleidet Georg einen Motorradunfall, der das Dorf erschütterte. Er erinnert sich nicht an den Sturz, der sein Rückenmark verletzte und sein Leben für immer veränderte. »Ich war auf dem Weg zu einem Fußballspiel und bin sechs Tage später im Klinikum Harlaching aus dem Koma erwacht«, erzählt der Oberbayer, der seit diesem Septembertag 2002 vom 5. Brustwirbel abwärts gelähmt ist. Im Querschnittzentrum in Murnau startete er drei Wochen später mit der Rehabilitation und dem Comeback in sein Leben. Mit eisernem Willen und hartem Training.
TECHNISCHE DATEN
Porsche 911 Carrera 3.2 Cabriolet (Turbolook)
»Nach dem Unfall hatte ich nicht viel Zeit, mit meinem neuen Leben zu hadern, es gab genug zu tun. Außerdem hätte es echt schlimmer kommen können«, sagt Georg, dessen Lebensmotto keinen Platz lässt für Gedanken ans Aufgeben. Im Gegenteil, schnell möchte sich der sportliche Teenager wieder auspowern, beginnt mit Rollstuhlbasketball, Handbike und Tischtennis, macht jeden Tag Fortschritte und wird fünf Monate nach dem Unfall aus dem Krankenhaus entlassen. Drei Jahre später sitzt er zum ersten Mal in einem Monoski, der aus einer dem Körper angepassten Carbonschale besteht, in der der Körper bis zur Lähmungshöhe fixiert wird. »Mir war sofort klar, dass meine sportliche Zukunft im Monoski liegt«, erklärt Georg, der kurz darauf in den Nachwuchskader des Deutschen Paralympic Skiteams Alpin (DPS) aufgenommen wird. 2015 gewinnt er die Titel im Riesenslalom und der Super-Kombination im kanadischen Calgary und darf sich fortan zweifacher Monoskiweltmeister nennen. Medaillen und Pokale in seinem Wohnzimmer erinnern an die Zeit. Auf dem Klavier neben den Trophäen lehnt das Notenblatt von »He’s a Pirate«, dem Soundtrack von »Fluch der Karibik«, federführend komponiert von Klaus Badelt aus Hessen, der auch die Musik für die Abschlusszeremonien bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 schrieb. Georg spielt die Titelmusik und blickt beim letzten Ton auf das Foto seines verstorbenen Vaters neben den Noten. Von ihm hat er nicht nur den Vornamen, sondern nach dessen Tod im März 2019 auch den Porsche 911 bekommen. Höchste Zeit für eine Ausfahrt.
Er rollt zur Garage, öffnet die Tür, greift zum linken Ende des großen, flachen Heckspoilers und zieht sich schwungvoll über die kleine Schwelle nach innen, am Porsche vorbei. Vor dem Fahrzeug steht eine Zündapp, 50 Kubik, Georg deutet auf das Zweirad: »Wie gerne würde ich damit fahren. Das würde auch wunderbar klappen, nur beim Anhalten hätte ich ein Problem; ohne einen Fuß auf den Boden stellen zu können, würde ich einfach umkippen«, Georg lacht, schiebt sich ein wenig zurück und öffnet die Tür des Porsche 911 Carrera 3.2 Cabriolets im Turbolook. Außen grandprixweiß, das Interieur rot mit gelben Akzenten an den Sitzen.
Er faltet seinen Rollstuhl zusammen und verstaut ihn vorsichtig hinter den Sitzen. Georg war ein Jahr alt, als sich sein Vater 1986 den Traum vom ersten Porsche erfüllte.
»Mein Vater hat dieses Auto geliebt«, erzählt er und streicht über das Lenkrad, meist sei er nur bei Sonnenschein gefahren. Der Motor des 911 Carrera mit Drei-Wege-Katalysator und Lambda-Regelung leistet bei 5.900 Umdrehungen pro Minute 207 PS und beschleunigt in 6,5 Sekunden auf 100. »Das starke Herz des Carrera«, heißt der Motor im Porsche-Prospekt aus den 1980er-Jahren. »Während ich noch in Murnau in der Reha-Klinik war, baute mein Vater zu Hause bereits alles um, kümmerte sich um jeden Behördengang, entfernte Stufen, zimmerte Rampen, ließ Aufzugspezialisten kommen.« Im Handschuhfach liegen Bilder von Georg und Georg. Beim Wandern, beim Lachen. »Der Porsche bedeutet auch mir viel. Ab und an saß ich als Kind auf dem Schoß des Vaters und durfte über das Lenkrad schauen«. Schöne Erinnerungen.
»Nach dem Unfall hatte ich nicht viel Zeit, mit meinem neuen Leben zu hadern, es gab genug zu tun. Außerdem hätte es echt schlimmer kommen können.« Georg Kreiter
Georg hat zwei ältere Brüder und eine ältere Schwester. Sein Vater besaß eine Druckerei, in der Georg seine Ausbildung zum Mediengestalter absolvierte. Auch heute arbeitet er noch dort, einer der Brüder führt den Familienbetrieb weiter. Den Porsche hat der 35-Jährige bei der Graf Fahrzeugtechnik GmbH in Peißenberg umbauen lassen. »Wir sind Fachleute für behindertengerechten Fahrzeugumbau. Unser Ziel ist es, Behinderten ein großes Stück Mobilität zurückzugeben«, sagt Kundenbetreuer Bernd Müller, der selbst im Rollstuhl sitzt. Für Rollstuhlfahrer ist Schalten ohne Kuppeln wichtig, deshalb haben die Spezialisten die automatische Kupplung »Click and Go« in den Elfer eingebaut. Dank dieser Zusatzeinrichtung ist es möglich, ohne Fußbetätigung des Kupplungspedals per Knopfdruck anzufahren und den Gang zu wechseln. Beim Bremsen via Handbediengerät kuppelt »Click and Go« bei weniger als 20 km/h komplett aus. Bei höheren Geschwindigkeiten erfolgt das Ein- und Auskuppeln per Knopfdruck am Schalthebel. Georg kann also schalten, während er bremst oder beschleunigt. »Mir war besonders wichtig, dass der Porsche nichts an Originalität einbüßt und ein Rückbau in den ursprünglichen Zustand jederzeit möglich ist«, erzählt der zweifache Monoskiweltmeister. Auch da hat ihn der Ehrgeiz gepackt, entweder der Umbau wird zu 100 Prozent perfekt gemacht – oder gar nicht. Nur keine halben Sachen.
»Meine Karriere hat mir viele unvergessliche Momente beschert«, sagt Georg, der sich im Oktober 2019 aus dem aktiven Leistungssport verabschiedete. »Zuvor habe ich mich immer wieder zurückgekämpft, jedem Rückschlag folgte ein Comeback«, erzählt er. Aktuell bauen seine Verlobte Claudia und er sein Elternhaus weiter um, möchten dorthin zurückziehen, wo er aufgewachsen ist, wo der Elfer schon immer in der Garage stand. Dorthin, wo Georgs Liebe zu Porsche begonnen hat. Comeback.