Porsche-MenschenChristian Geistdörfer–Der Vorleser

Elmar Brümmer

 · 14.11.2022

Porsche-Menschen: Christian Geistdörfer–Der VorleserFoto: Tom Ziora
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Christian Geistdörfer ist der Mann, auf den Deutschlands bester Autofahrer hört. Wer also wäre besser für eine Laudatio auf Walter Röhrl geeignet als sein Beifahrer. Eindrücke einer Fahrgemeinschaft über elf Jahre und aus nächster Nähe – am Ende wird Christian das für ihn größtmögliche Kompliment machen: »Walter ist mein Lebensmensch.«

"Walter Röhrl und mich verbindet die Leidenschaft fürs Skifahren, das war unser erstes Bindeglied."
Foto: Tom Ziora

Gerade saßen wir noch in den Sesseln einer Bibliothek in München, doch plötzlich fliegen Schneewände und Tannen vorbei, die Straße wird abschüssig, die Steinmauer einer kleinen Brücke rast auf uns zu, der Asphalt schimmert verdächtig. Tatsächlich: Glatteis! Im letzten Moment die Kurve gekriegt. Col de Turini, Krönungsetappe der Rallye Monte Carlo.

Als Interviewer sollte man tunlichst nicht die Augen schließen, schon gar nicht, wenn eine Legende des deutschen Sports vor einem sitzt. Aber für dieses eine Mal war es nötig. Christian Geistdörfer liest seinen Aufschrieb zum Col de Turini. Ein Hörereignis, bei dem sich aus wenigen gesprochenen Worten Bilder zu einem Film formen. Der Zuhörer kann plötzlich annähernd begreifen, wie die große Kunst der erfolgreichsten deutschen Fahrgemeinschaft im Rallyesport funktioniert hat. Natürlich hatte Walter Röhrl damals immer die Augen auf, wenn Geistdörfer ihm diktierte, was er jetzt noch einmal rezitiert: »50 trocken, fortwährend, mittellinks plus, 40 Ortsende Schild, mittelrechts plus, sofort links voll, 60, mittellinks plus von außen sofort, Achtung, mittellinks, Achtung, nass, wird glatt von außen nach innen, sofort mittelrechts nass, Wasser auf Brücke von außen, 70, trocken, links minus nass zu mittellinks plus nass, rechts minus, 100 trocken, rechts voll feucht.«

Christian Geistdörfer liest sein Gebetbuch zur Königsetappe. Das Tempo fast so wie damals, 1980, als Walter Röhrl und er zum ersten Mal die berühmteste aller Rallyes gewonnen haben − ein wunderbarer, absurder, außergewöhnlicher Moment hier in der Bibliothek.

Wir sind zurück im Münchener Drivers & Business Club, Christian Geistdörfer ist Ehrenmitglied. Hier in der bayerischen Hauptstadt hat er zum ersten Mal den Namen Röhrl gehört, 1972 bei der Olympia-Rallye. Damals waren ihm Skifahren, Fußball und die Banklaufbahn wichtiger. Bereits fünf Jahre später saß er neben dem Idol Walter Röhrl und beide fuhren gemeinsam in die Rallye-Geschichte. Heute, im Abstand von 50 Jahren, möchten wir aus erster Hand wissen, wie Walter Röhrl denn wirklich war und ist. Es gibt keinen besseren Laudator zum 75. Geburtstag als Christian Geistdörfer. Er lässt uns teilhaben an seiner Fähigkeit, sich zurückzunehmen und trotzdem präsent zu sein. Hinter ihm im Regal steht sein Buch »Unsere vier Monte-Siege«, in wenigen Tagen folgt das Werk »Walter Röhrl – 75 Jahre einer Legende«. Dieses Interview ist das gesprochene Vorwort dazu.

Eine Portion Lässigkeit ist unabdingbar für einen Rallye-Beifahrer. Wie entspannt waren Sie, als Sie das erste Mal Walter Röhrl getroffen haben?

»Das war 1975 bei Opel in Rüsselsheim. Ich wurde als Beifahrer eines anderen Walters, nämlich Walter Smolej, vorgestellt. Walter Röhrl brachte zeitgleich sein Auto vom Monte-Training zurück. Für mich war das ein besonderer Moment, schließlich war es das Zusammentreffen mit meinem Idol. Röhrl war immerhin amtierender Rallye-Europameister. Ich habe ihn respektvoll begrüßt: ›Grüß Gott, Herr Röhrl‹. Er hat dann auf Bayerisch ›Griaß di‹ geantwortet; ›Du bist also der, der mit dem Narrischen fährt‹, sagte er und lachte dabei. Nach vier, fünf Minuten war er dann schon wieder weg.«

Wie sind Sie dann von dem einen Walter zum anderen gekommen?

»Mit Walter Röhrl verbindet mich die Leidenschaft fürs Skifahren, wir haben uns anfangs noch privat in Saalbach getroffen. Das war unser erstes Bindeglied. Ihm war zudem aufgefallen, dass ich immer gut vorbereitet war im Auto und ein paar Dinge anders gemacht habe als andere. Wieder getroffen haben wir uns dann 1976, als ich bei der Rallye Monte Carlo gemeinsam mit Rauno Aaltonen Eisnoten für ihn machen durfte – damit ist er dann hinter drei Lancia Stratos Vierter geworden.«

Es kann also losgehen mit der gemeinsamen Legendenbildung. Das Drehbuch für eine Rallye entsteht im Training. Sie nennen es Gebetbuch. Training heißt dabei, sehr zügig unterwegs zu sein. Der Fahrer diktiert, der Beifahrer notiert, später wird präzisiert und perfektioniert. Geistdörfer hat sich schon früh einen besonderen Block mit festerem Papier gesucht, dazu einen stabilen Druckbleistift von Faber-Castell und ein Brett für den nötigen Halt.

Was macht ein erfolgreiches Gebetbuch aus?

»Vorbereitung ist alles. 80 Prozent der Arbeit passieren vorher; die restlichen 20 Prozent während der Rallye im im Auto sind Kür. Die Struktur muss stehen, damit man flexibel sein kann. Das braucht Akribie. Langstrecken-Rallyes sind immer sehr strategische Angelegenheiten. Man muss die Dinge so aufbereiten, dass sie auch den Weg in den Kopf des Fahrers finden. Es gibt nichts Schlimmeres als Überraschungsmomente. Es ist immer ein Zusammenspiel. Im Rallyeauto macht niemand etwas allein.«

Wie spricht man im Rallyeauto?

»Sehr ruhig, gelassen und extrem deutlich. Wir hatten im Helm immer sehr gute Mikros und Kopfhörer. Ich musste nie schreien, um gehört zu werden. Generell vergleiche ich das gern mit einem dreidimensionalen Raum. Du spürst das Jetzt, sprichst aber bereits über das, was gleich kommt, und dein Auge ist noch eine Passage weiter. Wenn es sehr zügig dahingeht, muss man schneller sprechen, damit die Ansage punktgenau ankommt.«

Grundlage für die rasante Gesprächsführung und die Beziehung zu Röhrl sind für Geistdörfer frühe eigene Rallyeerfahrungen; es begann mit sogenannten Orientierungsfahrten. Spaß machte es ihm aber erst bei Fahrten gegen die Uhr. Schnell dämmerte ihm mit einer gewissen Ironie: »Wenn man überleben will, ist es hilfreich, auf die Qualität des Fahrers zu achten.«

Was ist die große Qualität von Röhrl?

»Es ist die Art und Weise, wie er fährt. Er besitzt hinterm Lenkrad dieses Zeitlupenhafte. Er nimmt die Lenkung schon weg, bevor es glatt wird. Er beherrscht dieses intuitive Autofahren, das ist faszinierend. Dabei lenkt er so sacht, dass der Mitfahrer den Eindruck hat, dass alles ganz normal ist – auch bei Tempo 180 nachts auf Schnee und Eis durch den finsteren Wald. Extrem schnelles Autofahren wird erst möglich, wenn man alle Einflüsse so filtert, dass man alles Wichtige wahrnimmt und dadurch vorbereitet ist.«

Ist Walter Röhrl ein guter Beifahrer?

»Wenn wir auf Achse heimgefahren sind in seinem Dienstwagen, saß er oft daneben. So wie 1983 nach dem Monte-Sieg, da bin ich in fünfeinhalb Stunden von der Côte d’Azur nach München gefahren. Walter hat geschlafen, nur ab und zu hat er mal hochgeschaut und gegrummelt: ›Du denkst schon dran, dass es glatt sein könnte.‹«

Hätten Sie gern mal den Sitz getauscht?

»Nein, nie. Mir war schnell klar: lieber Weltklasse als Beifahrer als Mittelklassepilot.«

Kein Neid?

»Im Gegenteil: Ich war froh, dass sich alles auf den Fahrer fokussierte. Wer Beifahrer wird, der muss als Berufsbild akzeptieren, dass er die Nummer zwei ist. Ich konnte das wunderbar. Walter mit seinen 1,96 Meter hat ja anders als ich mit meinen 1,76 immer die Menge überragt. Ich war froh, dass ich entspannt zum Abendessen konnte. Walter brauchte meist gar kein Besteck in die Hand zu nehmen. Andererseits ist es auch so: Der Beifahrer verliert, der Fahrer gewinnt.«

Wer hat mehr Macht?

»Solche Spielchen haben wir nicht gespielt. Fahrer und Beifahrer müssen sich absolut synchronisieren. Es muss bei beiden ein Gefühl für die gefahrene Geschwindigkeit entstehen, nur so kommt es zu einem Gleichklang der Seelen. Ich muss 100 km/h genauso empfinden wie Walter. Das ist wichtig für mein Vorlesen, insbesondere unter erschwerten Bedingungen wie Nebel, Nacht, Schneefall. Es muss einfach zusammenpassen. Wenn es eng wird, darf keiner nachdenken müssen. Wir haben uns mit Blicken verstanden, ich konnte mit meinen Antennen seine Gemütsverfassung registrieren. Er war gewohnt, dass ich perfekt funktioniere.«

Das klingt nach Harmonie. Gab es nie Streit?

»Sagen wir so: In manchen Dingen bin ich nicht zu ihm durchgedrungen. Zum Beispiel 1987, als ich unbedingt die Safari-Rallye gewinnen wollte. Die Safari ist der Ritterschlag für alle Beifahrer. Walter war niedergeschlagen, fast deprimiert und uninspiriert, entsprechend fuhr er. Ich habe ihn gefragt, was das soll, ihm ausführlich erklärt, dass sich so der Schritt nicht ausgehe. Er war fest davon überzeugt, mit seinem langsamen Speed die Safari zu gewinnen. Am Ende habe ich mein Buch zusammengeklappt: ›So, das war’s jetzt‹. Als ihm das ebenfalls aufgegangen ist, war es zu spät, die Safari verloren.«

Sonst hat er immer auf Sie gehört?

»Eigentlich schon – nur einmal hat er meine Worte nicht wahrgenommen. 1978 bei der San-Remo-Rallye. Wir hatten schon mit zweieinhalb Minuten Vorsprung geführt, aber Walter spürte, dass etwas mit dem Getriebe nicht stimmt. Also hat er genauer hingehört, meine Worte nicht mehr richtig wahrgenommen. Es waren fünf Linkskurven, und er dachte, wir sind erst in der vierten, wir waren aber schon in der fünften – kurz vor einer Kehre: Das gab dann eine krachende Landung auf einem Hüttendach.«

Röhrl erklärt immer wieder, dass Geistdörfer der beste Beifahrer der Welt sei. Geistdörfer habe stets das richtige Gefühl gehabt, wann und wie er Informationen weitergeben müsse, das sei die höchste Qualität des Nebenmannes. »Er hat mir alles abgenommen, ich musste an nichts Gedanken verschwenden, einfach nur fahren.« Nur so konnte über elf Jahre hinweg so viel Einmaliges entstehen.

Lassen wir die Erfolge einmal kurz beiseite, was war für Sie das Schönste beim Fahren mit Röhrl?

»Auto- und Skifahren haben etwas gemeinsam: diesen wunderbaren Flow, wie bei einem weiten Schwung auf einer unberührten sonnigen Piste, mit dem du immer schneller wirst. Das leichte Abheben beim Übergang in den nächsten Schwung. Diese extreme Leichtigkeit, dieses Sich-schwerelos-Fühlen, gibt es auch beim Rallye − fahren. Das sind die geilsten Momente, wenn in einem langen Drift alles ganz leicht wird, fast fließend – und du spürst: Das geht sich aus, das passt haarscharf.«

Das klingt, als ob es süchtig macht.

»Tatsächlich habe ich das Autofahren bei einer Rallye immer genießen können, obwohl es Arbeit war und hohes Risiko bedeutet. Es kann eine Euphorie in einem auslösen. Das Aneinanderreihen besonderer Momente, die perfekte Linie, ergibt dann die Bestzeit. Du spürst im Rallyeauto alles so intensiv, das ist der Hammer. Das sind die Momente, in denen man weiß, warum man den Sport macht.«

Ging das Walter Röhrl auch so?

»Es hat extrem gut funktioniert mit uns. Wie ein richtig guter Golfschlag, total weich, richtiger Rhythmus, es fühlt sich fantastisch an, der Ball fliegt hoch – fast endlos. So ist es, wenn du gemeinsam eine Bestzeit fährst. Jeder spürt es, ohne auf die Uhr zu schauen.«

Wie emotional kann Walter Röhrl werden?

»Ich möchte mit dem Vorurteil aufräumen, dass Walter emotionsfrei ist. Das war er nach außen hin vielleicht. Aber wie es in ihm brodelt und macht und tut, das ist unvorstellbar. Er kann ja nichts larifari machen. Nicht mal, wenn er heute zum Genuss auf Skiern den Berg hochrennt. Die Competition ist immer noch in ihm.«

Ein schlaksiger Mann steckt seinen Kopf durch den Türrahmen zur Bibliothek. Zieht sich fast augenblicklich wieder zurück. Er wolle nicht stören beim Interview, sagt Walter Röhrl. Ja, tatsächlich Walter persönlich. Die beiden stehen sofort Seite an Seite, wie sie es gewohnt sind. Keine Umarmung, aber ein verbindlicher Händedruck. Das machen sie immer so. Gelernte Handreichungen. Das gemeinsame Schweigen haben sie geübt auf endlosen Fahrten. Sie können mit den Augen reden. Wenn sie dann doch sprechen, ist es kurz, knapp. Rallyefahren gräbt sich ein in die Sprache. Kurzes Nicken, bis später, es geht weiter. Dass sie sich gegenseitig das Leben anvertraut haben, ist auch ohne Worte zu spüren.

Gab es mehr als den Sport zwischen ihnen?

»Wir sind Freunde geworden im Auto. Du sitzt zwölf Stunden nebeneinander, und das ist anders, als im Büro zu sein, Schenkel an Schenkel, Schulter an Schulter. Du musst immer zusammenarbeiten. Und das über 220 Tage im Jahr. Da war es zwischendrin auch mal sehr schön, nichts zu sagen. Wir sind beide keine Labertaschen. Walter behauptet immer: ›Wir konnten uns sehr gut anschweigen.‹«.

Sportliche Zwillinge?

»Ich bin ein großer Bestandteil seiner Karriere und seines Lebens geworden. Aber ich bilde mir nichts darauf ein, obwohl wir uns jetzt fast 50 Jahre, eine gefühlte Ewigkeit, kennen.«

Und umgekehrt?

»Er war für mein Leben extrem wichtig. Walter ist mein Lebensmensch.«

Ein großes Wort.

»Im wahren Sinn des Wortes habe ich ihm mein Leben zu verdanken, weil er in den entscheidenden Sekundenbruchteilen genau das Richtige gemacht hat. Das verschweißt einfach.«

Angst ist ein Gefühl, an dem Helden wachsen. Das weiß jeder Erzähler. Hier haben wir es mit einer speziellen Heldenreise zu tun - erzählt anhand von Sonderprüfungen. Die Stimmlage von Christian Geistdörfer verändert sich in Nuancen, denn es geht um die Vertrauensfrage.

Hatten Sie mal Angst bei Walter im Auto?

»Nie. Ich hatte vorher Fahrer, mit denen ich schreckliche Unfälle erlebt habe. Deshalb habe ich viel Intensität darauf verwendet, mit wem ich fahre. Glück bleibt dabei natürlich trotzdem ein ganz entscheidender Faktor. Als wir für den Mercedes-Werkseinsatz 1980 Testfahrten absolvierten, kam uns morgens um halb fünf bei der letzten Fahrt ein Holztransporter entgegen, auf dem schmalsten und schnellsten Stück. Zwei Lichter, ein großer dunkler Schatten, links und rechts tiefgefrorene Schneewände. Du weißt, bremsen reicht nicht mehr. Erst im allerletzten Sekundenbruchteil hat Walter ausgelenkt, das Auto nach rechts in die meterhohe Schneewand gedreht – so hat es uns nur das Heck weggerissen. Das hätte niemand außer ihm so kalkulieren können. Später im Hotel haben wir dann Geburtstag gefeiert.«

Lässt sich das verdrängen?

»Das war schon sehr einschneidend. Ich habe die Szene noch mehrfach geträumt. Es war notwendig, sofort wieder aktiv zu werden. Das Risiko und der Tod ist eine abstrakte Begleitung, die aber in diesem Sport immer mit dabei ist. Ich hatte zweimal den Flash, wenn das Leben in Schwarz-Weiß und in atemberaubendem Tempo vorbeizieht. Du wunderst dich, wenn du die Augen aufmachst und spürst, dass alles noch dran ist. Das sind Momente, die dir zu denken geben.«

Haben Sie mit Walter Röhrl darüber gesprochen?

»Klar haben wir darüber gesprochen. Bei allen Unfällen war wichtig, dass wir uns erklären konnten, warum etwas passiert ist. Wir sind immer davon ausgegangen, dass uns nichts Schlimmes passiert. Wir waren schließlich von dem, was wir getan haben, total überzeugt.«

Wer braucht mehr Vertrauen, Fahrer oder Beifahrer?

»Ich denke, der Beifahrer. Du hast keine aktive Eingriffsmöglichkeit. Es ist ja kein Fahrschulauto mit einem zweiten Bremspedal. Du bist dem Fahrer ausgeliefert.«

Christian Geistdörfer spricht fast drei Stunden über die gemeinsamen Zeiten, über Walter Röhrl. Offen, ehrlich, begeistert, nachdenklich. Wie eine Synchronstimme unterstreicht er dessen Charakter. Schnell ist klar, dass der heute 69-Jährige nicht nur mitgefahren ist, sondern andere begeistern und mitnehmen kann. Elf Jahre, in denen er Röhrls Leben protokolliert hat, zumindest die Wegstrecken. Auswendig – das ist er sich schuldig.

Das Wichtigste war die Rallye Monte Carlo. Warum?

»Da ist zunächst die Historie: eine der drei ältesten Motorsportveranstaltungen neben Le Mans und Indy. Zu Waldegård-Zeiten, 1968, ging die Anfahrt der Monte durch Regensburg, daher war Walter schon früh fasziniert. Er ist mal über Nacht mit Freunden in seinem Capri zum Zuschauen an den Turini gefahren. Als wir dann selbst gestartet sind, war für Walter die Monte wichtiger als die Weltmeisterschaft. Die WM-Gesamtwertung war das Sahnehäubchen. Die Monte zu gewinnen war das Nonplusultra. Wir haben den Sport gelebt, gebrannt dafür. Ich kannte jede Zeile im Reglement, und kreative Ideen hatten wir genug.«

1980 feierte das Duo Röhrl/Geistdörfer seinen ersten Monte-Sieg, wie war das?

»Diesen Moment werde ich nie vergessen; ich kriege heute noch Gänsehaut. Walter hatte feuchte Augen, ich war total ergriffen. Später sitzen wir dann auf dem Dach des Fiat 131. Walter dreht sich zu mir, völlig überraschend. Er umarmt mich in diesem Moment. Er ist ein Mensch, der mit solchen Emotionen sehr sparsam umgeht. Diese Umarmung war mehr, als ihm eigentlich möglich war. Diese körperliche Nähe gab es nie wieder. Für ihn war dieser erste Erfolg die Erfüllung seines Lebenstraums.«

Wie lange hielt das Glücksgefühl an?

»Wieder daheim, nachdem der ganze Trubel auf uns eingestürzt war, kam die kritische Situation überhaupt. Walter wollte aufhören. Für ihn hatte sich alles erfüllt. Ich bin dann zwei-, dreimal nach Regensburg gefahren, weil ich es nicht akzeptieren konnte; ich kämpfte für die Fortsetzung unserer Erfolgsgeschichte. Die Entscheidung: weitermachen oder aufhören?, fiel mit einer einzigen Frage von mir an ihn: ›Hast Du eigentlich keinen Spaß mehr am Autofahren?‹ Ich habe diesen Satz einfach so stehen gelassen. Und dann habe ich gemerkt, das hat etwas bei ihm ausgelöst. Dieser Satz hatte ihn zurückgeholt. Dass daraus WM-Titel und weitere Monte-Siege werden sollten, hatte ich da null auf dem Schirm.«

Christian Geistdörfer hat kein Lenkrad in der Hand, aber auch das wird deutlich: Natürlich hat auch er gelenkt. Was wäre der beste Autofahrer Deutschlands wohl ohne ihn?

Sie sagen oft: »Das ist speziell Walter«. Was heißt das?

»So wie ich es sage. Ich habe später mit Ayrton Senna gearbeitet, der war ebenfalls eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Ich traf viele Menschen im Motorsport, denen Talent in die Wiege gelegt wurde, und extrem wenige, die es genutzt haben. Vor einer absoluten Erfolgsgeschichte stehen Disziplin, Wille und Fleiß. Nur wer das beweist, kann den Weg in die Weltspitze schaffen. Das zu begreifen, zu akzeptieren, ist die große Kunst.«

Können wir da alle etwas lernen von Walter Röhrl?

»Ich habe viele erfolgreiche Menschen kennengelernt. Alle haben eines gemeinsam: Sie ruhen in sich selbst, sie schauen ein Stück weiter nach vorn. Sie machen das unterbewusst, intuitiv, um im entscheidenden Moment präpariert zu sein. Das war Walter hinterm Lenkrad.«

War der jähe Ausstieg von Audi 1987 auch das Ende des Duos Röhrl/Geistdörfer?

»Wir haben uns damals zwangsweise auseinandersortieren müssen, wurden wie Zwillinge getrennt, haben uns aber nie aus den Augen verloren. Erst 2001 saßen wir erneut gemeinsam in einem Rallyeauto, um unseren Sport in Deutschland wieder populärer zu machen. Wir sind mit einem Porsche 911 GT3 als Vorausfahrzeug bei der Deutschland-Rallye gestartet. Das war eine sehr überraschende, schöne Wiedervereinigung und eine sehr emotionale.

Ging das auf Anhieb gut?

»Wir haben uns ins Auto gesetzt und den Aufschrieb gemacht, wie all die Jahre vorher. Es war, als sei die Uhr zurückgestellt worden. Alles hat super funktioniert. Walter fuhr so gut wie früher. Er hat sich ja bis heute einen unglaublich hohen Grundspeed bewahrt, sich seine Perfektion in der Lenkradhandhabung und seine Sensibilität für die Geschwindigkeit erhalten.«

Die Tür geht auf. Walter kommt zurück. Fototermin draußen vorm Drivers & Business Club. Auf dem Weg dahin freundliche Worte für Gäste, die staunen, das beste Rallyeduo aller Zeiten zufällig zu treffen. Röhrl ist großzügig mit seiner Zeit und professionell beim Shooting vor der Backsteinwand. Nur ein ganz sanftes Lächeln gönnt er sich – Christian rechts neben ihm strahlt. Arbeitsteilung auch hier.