Barbara Esser
· 24.04.2023
Vicenza, Norditalien: Sitz der kleinen Werkstatt von Alonso Corato. Porsche-Liebhaber aus aller Welt vertrauen ihm, seiner Liebe zur Originalität, seinem Gefühl für Formen.
Der Tag des Abschieds rückt näher. Alonso Corato weiß das. Bald wird der Porsche Coupé 1600 SC, dessen entkernter Metallleib gerade in der Lackierkabine auf sein neues Glanzkleid wartet, die Werkstatt wieder verlassen. »Es ist wie der Abschied von einem Kind, das in die Welt hinausgeht«, sagt Alonso Corato, der Mann, der den 356er, Bj. 1964, in den letzten Monaten seiner Wiedererweckung begleitet hat. Wie immer wird ihm der Abschied schwerfallen. Wie immer werden er und seine erwachsenen Kinder Rosita und Cristiano am roten Werkstatttor stehen und dem strahlend schönen Auto nachwinken. »Da geht wieder einer von uns«, wird Alonso Corato sagen und sich vielleicht einmal ganz schnell mit dem Handrücken über die Augen fahren.
»Mich fasziniert die Eleganz, die Einfachheit, die harmonische Linienführung.« Alonso Corato
Die meisterlichen Hände des Karosseriebauers aus dem norditalienischen Vicenza haben schon so vielen Porsche-Oldtimern zu neuem Leben verholfen, darunter auch dem einen oder anderen hoffnungslosen Fall. Seit mehr als 45 Jahren betreibt der inzwischen 70-jährige Carrozziere dort eine Restaurations-Werkstatt, die Porsche-Liebhaber aus der ganzen Welt anzieht. Er hat mit Ferraris begonnen, wie es einem Italiener gebührt. Aber seit vielen Jahren gilt seine wahre Liebe den Luftgekühlten aus Zuffenhausen.
Vatergefühle: Der Porsche-Profi baut zu seinen Restaurierungs-objekten eine Beziehung auf. Sie werden zu Subjekten, erfahren seine Liebe. Und doch muss er sie ziehen lassen. So ist das Leben.
»Mich fasziniert die Eleganz, die Einfachheit, die harmonische Linienführung«, sagt Corato. Er ist keiner, der zu viele Worte macht. Aber wer sieht, wie wissend und fast zärtlich seine Hände über die Flanke eines 356ers streichen, ahnt, wie tief seine Passion reicht. Alonso Corato ist mit Leib und Seele Originalist. »Das Original ist immer das Beste«, sagt er. »Und unsere Aufgabe ist es, so viel wie möglich davon zu bewahren.« Das gelinge auch, erklärt sein Sohn Cristiano, der als studierter Fahrzeugtechniker für die Werteinschätzung der Modelle und weltweite Beschaffung von Ersatzteilen verantwortlich ist. »90 Prozent bleiben Original, rund acht Prozent sind ›new old stock‹, nur zwei Prozent neu.«
Form im Kopf: Der Meister des Blechs kann ganze Fahrzeugteile ohne großartige Vorlagen nur mit dem Hammer und jahrzehnte-alten Maschinen anfertigen. Sein Gefühl ist das Kapital der Werkstatt. Das wissen auch seine Kinder, die ihn entlasten. Sie repräsentieren voller Stolz die vierte Generation von Karosseriebauern in der Familie Corato.
20 bis 30 alte Porsche gehen jährlich durch die Wiedererweckungs-Werkstatt von Alonso Corato. Fünf bis sechs Monate benötigen er und seine zehn Mitarbeiter für jedes Modell. Auf der Warteliste stehen mehr als 40 Autos, gut zwei Jahre Geduld müssen neue Kunden mitbringen. Sie kommen aus aller Welt, aus Deutschland, den USA, Taiwan. Sammler, Enthusiasten, Investoren. »Es hat sich herumgesprochen, dass mein Vater zu den wenigen Karosseriebauern gehört, die immer noch in der Lage sind, Wunder zu vollbringen«, sagt seine Tochter Rosita, die sich um die Verwaltung und das Marketing der väterlichen Firma kümmert.
Alonso Corato steht vor einer frisch eingetroffenen Rostlaube, die erst auf den zweiten Blick als der Rest eines Targa zu erkennen ist. Beifahrertür, Motorhaube, Sitze und hinterer Kotflügel fehlen. Rost überzieht das Autoskelett wie eine brüchige Haut. »Den kriegen wir wieder hin«, sagt Corato, »neun Monate, dann sieht er wieder aus wie zu seiner besten Zeit.«
Es wird viel Arbeit kosten und ein kleines Vermögen, aber natürlich lohnt es sich. Eine Restauration beginnt bei 20.000 Euro, nach oben gibt es keine Grenzen. Cristiano Corato weiß sehr genau, wie hoch die Margen sind und wann eine sechsstellige Investition Sinn macht. »Wir können viel selbst machen«, sagt er. »Das unterscheidet uns von anderen Restaurier-Betrieben.«
Vor allem in der Blechbearbeitung macht seinem Vater so schnell keiner etwas nach. Treiben, glätten, biegen –
Corato ist ein Meister darin. Er hämmert viel von Hand oder mithilfe der gut 50 Jahre alten Biege- und Rollenstreckmaschinen, die immer noch in Betrieb sind. Für das rechte Heckteil des 356ers gibt es eine originale hölzerne Klopfform als Vorlage. Die linke Seite treibt Corato ohne Vorlage aus dem Blech. »Es reicht ihm, dass er eine Hälfte sieht, die andere hat er im Kopf«, erzählt Tochter Rosita. Alonso lächelt nur still. Er brüstet sich nicht so gern mit seiner Arbeit. Dazu ist sie zu selbstverständlicher Teil seines Seins. Die Wohnung der Coratos liegt direkt neben der Werkstatt. Manchmal klingeln Kunden am Wochenende oder späten Abend. Corato macht immer auf. Und wenn es dringend ist, begibt er sich auch nach Feierabend in die Werkstatt. Noch heute bringt der Senior manchmal ein ganzes Wochenende damit zu, ein kompliziertes Karosserieteil aus Blech zu skulpturieren, an dem seine Mitarbeiter zuvor verzweifelt sind.
»Erfahrung reicht dafür nicht«, sagt Rosita. »Es muss auch ein Stück Genie dazukommen. Wir sind nun in der vierten Generation Carrozziere.« Stolz schwingt mit, wenn Rosita von ihrem Vater erzählt. Als sie klein war, holte er sie mit den restaurierten Ferrari und Porsche seiner Kunden von der Schule ab. Statt mit Puppen spielte Rosita mit den Modellautos, die ihr Vater als Großformat in der Werkstatt auseinandernahm. Noch heute liegen die Modellflitzer in der Vitrine im Werkstatt-Büro. Auf dem Schreibtisch fungiert ein Porsche-Zylinder als Stifthalter, ein anderer beherbergt einen Flakon mit Raumduft. »Wir sind eine echte Porsche-Familie«, sagt Rosita Corato lachend. Im Land der Ferraristi kommt das schon fast einem Akt der Widersetzung gleich.
»Ganz oder gar nicht« lautet Coratos Credo bis heute. Keine halben Sachen. Jeder Oldtimer wird auf einer original Richtbank aufgebockt, um Unkorrektheiten im Rahmen und Aufbau zu erkennen, und sodann bis aufs kleinste Schräubchen in alle Bestandteile zerlegt, um wieder instand gesetzt zu werden. Oft treten dabei die Flickwerke anderer Schrauber zutage. Grob eingeschweißte Blechflicken am Unterboden, notdürftig überspachtelter Rostfraß an der Karosserie. All das gilt es zu perfektionieren. Cristiano Corato dokumentiert jeden Arbeitsschritt, wohl wissend, dass die Restauration Teil der Geschichte ist. Was nicht Original ist, wird entsorgt, die brauchbaren Teile kommen in beschriftete Kisten und Tüten. Leitungen und Gummis werden ersetzt, Chromteile neu verchromt, Blechteile angefertigt – es ist ein langer Prozess zurück zum Original, und natürlich weckt er Emotionen. »Diese Autos erzeugen ein Bild von der Vergangenheit«, sagt Alonso. »Sie erinnern uns an den Enthusiasmus von damals. Wie ein Parfum, dessen Duft Erinnerungen wachruft.«
Irgendwann gegen Ende dieser Rückwärtsreise kommt der Tag, an dem sie das erste Mal den Motor anwerfen, der manchmal schon jahrelang keinen Mucks mehr von sich gegeben hat. Alonso sitzt am Steuer, er lässt den Boxermotor an, hört dessen Stottern, wie er kämpft, abstirbt, es wieder versucht. Und sich dann plötzlich an seine Kraft erinnert und diesen unvergleichlichen Sound der Luftgekühlten in die Werkhalle röhrt. Die Nachbarn eilen jedes Mal herbei und alle Mitarbeiter, die die Restaurations-Reise begleitet haben. Sie jubeln, sie beglückwünschen Alonso schulterklopfend, und dieser lächelt still. Er ist zufrieden, aber immer auch ein wenig wehmütig. Weil er weiß, dass wieder einer gehen wird.