Christina Rahmes
· 30.01.2023
Seit seiner Kindheit fühlt sich Peter Müller der Marke Porsche verbunden. Jetzt, mit 76 Jahren, möchte er sich von seinen Sportwagen aus Zuffenhausen trennen. Unter anderem von einem 911 Carrera RS – umgebaut auf RSR – und einem 904 Carrera GTS, mit dem Herbert Linge im Mai 1964 bei der Tour de France startete.
Wenn Peter Müller sieben Jahrzehnte zurückdenkt und von »Onkel Hans« spricht, dann kennen die meisten Porsche-Enthusiasten genau diesen Onkel, der gar nicht mit ihm verwandt ist: Hans Herrmann. Der gelernte Konditor und spätere Rennfahrer hat Müllers Eltern, die einst die Raststätte Stuttgart-Süd betrieben, mit Kuchen beliefert. »Schon als kleiner Bub bin ich gern zu Autorennen. An der heimischen Solitude-Rennstrecke durfte ich dann zu Onkel Hans ins Fahrerlager«, erinnert sich der gebürtige Stuttgarter an die frühen 50er-Jahre.
Heute lebt der zweifache Vater mit Gattin Christine und Hund Enzo am Bodensee, von seinem Grundstück aus hat er direkten Zugang zum Wasser. In seinem Garten thront ein großer gelber Stier mit der Aufschrift »Deutsche Post World Net – Truckteam«, eine Erinnerung an Müllers Zeit im Truck-Racing. Im Erdgeschoss zeigt er ein Zimmer, das unmissverständlich seine zwei Leidenschaften widerspiegelt: Motorsport und Jagd. Dort reihen sich Jagdtrophäen an Motorsportliteratur, Pokale und Fotos von Peter Müller mit Ayrton Senna, Michael Schumacher und Bernie Ecclestone.
Schöne Zufälle: Jeder Porsche aus seiner Sammlung hat zu ihm gefunden – nicht umgekehrt, da ist sich Peter Müller sicher. Jetzt ist es an der Zeit, sich von den Fahrzeugen zu trennen.
»Ich habe in meinem gesamten Leben 32 Porsche besessen, aktuell möchte ich meine kleine Sammlung auflösen«, erzählt Müller und blättert durch Fotobücher. Er möchte die Fahrzeuge selbst verkaufen und das nicht eines Tages seiner Christine und den Kindern Bianca und Ronnie – benannt nach dem schwedischen Rennfahrer Ronnie Peterson – überlassen. »Bianca fährt auf unserem Rennsimulator Formel-1-Zeiten«, sagt der stolze Vater über die 29-Jährige. »Früher durfte sie bei Jochen Mass auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, das hat sie bestimmt geprägt.«
Neben einem 911 GT3 RS aus dem Jahr 2018 ist Müller stolzer Besitzer eines 911 Speedster im Werksturbolook von 1989, der noch keine 5.000 Kilometer auf der Uhr hat. Außerdem nennt er einen Carrera GT von 2005 sein Eigen, »den fahre ich nur zu besonderen Anlässen«, erklärt er und zeigt die Unterschrift von Walter Röhrl über dem Handschuhfach. »Der Carrera GT ist für mich ein perfekter Porsche mit Rennwagentechnik für den Straßenverkehr. Walter Röhrl war an der Entwicklung beteiligt, besser geht’s nicht.« Und dann steht da noch der 911 Carrera RSR von 1974, der eigentlich gar kein RSR ist, sondern von Kremer Racing als Flatnose auf Basis einer RS-Karosserie gebaut und ein Jahr bei Rennen eingesetzt wurde.
Modell hierfür soll der legendäre Porsche 935 gestanden haben. »Den habe ich zufällig in einer Halle in Bayern entdeckt, als ich dort Kunststofffenster für meinen 904 Carrera GTS abholte«, erzählt Müller und verrät damit, welch raren Renner er sich vor mehr als 30 Jahren kaufte. »Alle Autos haben mich von sich aus gefunden«, berichtet er über viele schöne Zufälle. Müller ist gelernter technischer Kaufmann, hat anschließend eine dreijährige Kochlehre absolviert und in seinem bisherigen Leben viele Unternehmen aufgebaut. Die Branchen könnten nicht unterschiedlicher sein: So hatte der Motorsport-Enthusiast mit Blockheizkraftwerken und Geräten für Augenlaseroperationen Erfolg, außerdem gewann er DHL und Hasseröder als Sponsoren für die europäische Truck-Race- Szene.
Der Erste seiner Art: Der 904 Carrera GTS gilt auch heute noch als einer der formschönsten Sportwagen aller Zeiten. Mit ihm wurde die GTS-Idee begründet.
»Unsere Race Trucks wogen 4.600 Kilogramm und zählten 1.650 PS, unfassbar, oder?«, sagt Müller und zeigt Fotos aus dieser Zeit. »Ich hatte wirklich ein wildes Leben.« Er spult noch einmal ein paar Jahre zurück und erzählt weiter. Mit 19 Jahren ist er in die USA ausgewandert, auf den Bermudainseln betrieb er eine Strandbar. Später lebte er sieben Jahre in Monaco, dann in der Schweiz. »Anfang der 70er-Jahre startete ich beim 36-Stunden-Rennen an der Nürburgring-Nordschleife und bin dort die schnellste Runde im Nebel gefahren. Daraufhin habe ich für 1972 einen vierjährigen Formel- 3-Vertrag bekommen und durfte viele Rundstreckenrennen fahren, später mit einem Formel-1-March, dem ehemaligen Fahrzeug von Ronnie Peterson.« Im Jahr 2005 hat er das Bergrennen Arosa ClassicCar ins Leben gerufen: 7,3 Kilometer bergauf, 76 Kurven.
Sein Porsche 904 Carrera GTS ist aus dem Jahr 1964. Müller ist Viertbesitzer des ehemaligen Werkswagens mit der Fahrgestellnummer 904-108 (Rahmennummer 906/1). Einer der ganz besonderen 904 mit Straßenzulassung. Er verfügt über größere Lufteinlässe für den 2-Liter-Sechszylinder-Boxermotor, die von einigen auch als Elefantenohren bezeichnet wurden, sowie über Schiebefenster aus Kunststoff. Die Türen wurden nach unten verkürzt, um sie einfacher öffnen zu können. Porsche-Werksfahrer fuhren mehr als 6.000 Kilometer quer durch Frankreich und landeten am Ende auf dem dritten Platz von 136 im Gesamtklassement.
Ein Jahr später verunfallte der 904 Carrera GTS in Sizilien beim Training zur Targa Florio mit Andrea Vianini am Steuer. »Als der zuständige Ingenieur Eberhard Schulz das Fahrzeug im Werk vorfand, war es bereits zur Verschrottung freigegeben. Er zögerte nicht lange, kaufte es und richtete es wieder her«, erzählt Müller. In den 80er-Jahren besuchte er den Drittbesitzer, Designer und Ingenieur, der ihm dessen Isdera-Projekt zeigen wollte. Müller wiederum entdeckte vor Ort den seltenen Werkswagen, einen von nur sechs gebauten, und schlug zu. In den drei folgenden Jahrzehnten fährt er mit dem 210 PS starken Renner unter anderem auf der Nürburgring-Nordschleife, nimmt an einem Lauf der Rallye-Europameisterschaft in Italien teil, startet bei der Tour de France und der Rallye Lüttich–Rom–Lüttich.
Meisterwerk: »Der Carrera GT ist für mich ein perfekter Porsche mit Rennwagentechnik für den Straßenverkehr. Walter Röhrl war an der Entwicklung beteiligt, besser geht’s nicht.«
Das Meisterwerk aus Kunststoff mit Haifischschnauze und den markanten Scheinwerfern misst nur eine Höhe von 106 Zentimetern. Der Renner mit einer Höchstgeschwindigkeit von 195 bis 263 km/h – je nach Getriebe – eroberte den internationalen Langstreckensport im Sturm. Mit ihm wurde einst die GTS-Idee begründet. Auf das Nötigste reduziert, aerodynamisch perfektioniert, mit einer langen Nase und einem cw-Wert von 0,34. Bald trennt sich Müller von seiner kleinen Sammlung und seinem ganz besonderen Liebling mit der anhebbaren Kunststoffkarosserie. Bis dahin erzählt er noch ein paar Geschichten von seinem »wilden Leben« und »Onkel Hans«.