Michael Wirbitzky
· 11.11.2022
SWR3-Hörer kennen unseren Leser Michael Wirbitzky als Teil des Duos Zeus & Wirbitzky. Gemeinsam rocken die zwei ihre Morningshow – und die Bühnen im wilden Süden mit ihrer Comedy-Tour. Aber es gibt auch eine ernste Seite an Michael Wirbitzky. Denn da ist ein Trauma aus einer Zeit, als die Welt noch fast schwarz-weiß war …
Echt jetzt? Keine 80 Sachen mehr? Bei Vollgas? Die Eifelautobahn zwischen Koblenz und Trier mit ihren Kurven und Bergen ist ein Traum. Es sei denn, man ist mit 29 PS unterwegs. Die 80er-Jahre gehen gerade zu Ende und meine Geduld mit meinem 2CV auch. Jedes Wochenende bin ich auf dem Weg nach Luxemburg zu RTL. Ich habe die Hoffnung, dass in mir ein großer Radiomoderator steckt. Die in Luxemburg müssen das allerdings erst noch merken. Die Autobahn ist völlig leer, und an einem langen Anstieg passiert es dann: erst ganz klein im Rückspiegel und dann schon vorbei – ein 911er! Einer von den ganz Neuen, mit der »dicken Lippe« vorn. Typ 964. Mühelos mit sattem Sound zieht er die Steigung hoch und verschwindet hinter der nächsten Kuppe. »Wow! Wie großartig muss das sein, so ein Auto zu fahren?«, denke ich. Und ich denke noch etwas: »Eines Tages …«
Der Tag kommt im Mai 2015. Die »SWR3 Morningshow« ist gerade vorbei, und in mir steckt ein müder Radiomoderator. Auf dem Handy poppt eine Message auf: »Ich hätte da einen. Den könnten wir uns anschauen«, schreibt Karl-Heinz Reck, Spezialist für historische Porsche am Baden-Airpark. Darunter der Link zu einem Angebot im Netz. Seit etwa einem Jahr suche ich da bereits gemeinsam mit ihm nach einem schönen 964. Ein Cabrio soll es sein. Cruisen statt rasen, das ist inzwischen mein Ding. Ich bin dankbar für die Unterstützung, denn ohne den Blick des Profis ist die Suche nach einem bald 30 Jahre alten Porsche ein Abenteuer. Der Markt ist nicht arm an verbastelten, runtergerockten und schlecht reparierten Fahrzeugen. Klar, es gibt die Top-Autos, die »Sammlerstücke«. Bei Porsche Zentren mit Classic-Abteilung steht gelegentlich so eins. Technisch und optisch wie neu, aber nichts für mich. Zum einen, weil – wie sagt man? – der Preis und mein Budget oft in einem kritischen Verhältnis zueinander stehen. Zum anderen aber suche ich wirklich einen »Daily Driver«, ein Auto, das ich auch im Alltag bewegen möchte. Gepflegt und in gutem Zustand sollte mein 964 sein, aber er darf auch ein bisschen Patina haben. Auch sich selbst sollte man einschätzen. Bin ich der »Oldtimertyp«, der das polierte Schmuckstück nur dann aus der Garage holt, wenn die Wettervorhersage ein stabiles zweiwöchiges Hoch verspricht? So einer, der im Handschuhfach immer ein Blutdruckmedikament liegen hat, falls das Auto doch mal nass wird? Eher nicht, rede ich mir ein. Ich bin der »Jugendtraum jetzt!«-Typ, der Fahrspaß möchte, so oft es Job und Familie zulassen.
Die Suche im Netz nach einem entsprechenden Auto öffnet die Tür in ein Paralleluniversum. In den diversen Porsche-Foren trifft man auf eine bemerkenswerte Mischung aus echten Aficionados, klassischen Schraubern, nervigen Klugscheißern, Witzbolden und heiligen Kriegern. Obwohl ich außer volltanken nicht viel kann, bin auch ich schon nach wenigen Monaten ein ausgewiesener Experte. Ich kenne die vielen Stärken der 964er, aber auch jeden noch so exotischen Defekt, den es jemals an einem der nur 11.000 gebauten Carrera 2 Cabrios gegeben hat. Eine Hilfe in Sachen Kaufentscheidung ist das nicht. Im Gegenteil, es gibt den Satz: »Wer zu viel liest, kauft nicht.« Einige Empfehlungen oder Warnungen tauchen allerdings immer wieder auf. Bei der Farbe zum Beispiel heißt es: am besten triple black, also Lack, Verdeck und Leder schwarz. Bei der Herkunft gilt: kein US-Import, schlecht für die Wertsteigerung. Karosserie: besser Coupé als Cabrio und, und, und. All das habe ich also im Hinterkopf, als ich die Message auf dem Handy sehe. Ich öffne den Link und schmunzle: Das Auto ist rot und ein Reimport aus den USA. Ein Carrera 2 Cabrio, Baujahr 91, handgeschaltet, indischrot (Erstlack), Verdeck und Leder schwarz. Das Bild vom Tacho zeigt 73.600 Meilen (knapp 120.000 km). Wer’s glaubt …
»Sieht schon irgendwie sexy aus. Warum eigentlich nicht rot?«, denke ich und mache einen Termin noch für denselben Abend aus. Das Auto ist ein Privatverkauf, wird aber über einen Zwischenhändler abgewickelt. »Ist das nicht ein bisschen doof?«, fragt meine kluge Ehefrau, erkennt aber an meinem Blick, dass ich für Einwände dieser Art nicht mehr zugänglich bin. Am Ende geht dann alles ganz schnell. Wir treffen uns auf einem Parkplatz hinter einem Schwimmbad. Das Auto sieht sensationell aus, der Sound ist unglaublich, die Probefahrt meißelt mir ein Grinsen ins Gesicht. K.-H. Reck, der Porsche-Profi, opfert seinen Feierabend und legt sich unter das Auto. Er checkt mögliche Unfallschäden, Ölverlust und Korrosion, aber auch Elektrik und Lack. Keine gravierenden Mängel, alles okay. Der Händler zeigt mir einen Aktenordner mit Wartungsbelegen und Rechnungen der drei Vorbesitzer in den USA. Als ich den Carfax-Report (unfallfrei) anschaue, weiß er längst, dass es für mich kein Zurück gibt. Wir einigen uns zügig auf einen Preis, der aus heutiger Sicht ein Schnäppchen ist.
Ende vergangenen Jahres habe ich das H-Kennzeichen beantragt und für die entsprechende Versicherung ein Oldtimer-Gutachten erstellen lassen. Der ermittelte »Wiederbeschaffungswert« hat mich lächeln lassen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass man immer wieder Geld in das Auto steckt, so zuverlässig und langlebig ein 964 auch sein mag. Was wirklich zählt, ist ohnehin etwas ganz anderes: Dieses Auto macht einfach Spaß! Ich liebe dieses direkte, fast ruppige Fahrgefühl, die tanzenden Zeiger der Analoginstrumente, den Blick nach vorn auf die schlanken Kotflügel, den kernigen Sound im Rücken, und selbst, wenn ich bloß in die Garage schaue, denke ich: »Wow, wie kann man nur so etwas Schönes bauen?« Ein offener 964 hat Klasse, wirkt nicht protzig, und die Menschen begegnen ihm mit Sympathie.
Ich mag auch seine Geschichte. Am 1. 12. 1991 wurde das Cabrio in Branchville/New Jersey zum ersten Mal zugelassen. Das ist keine 60 Meilen von New York entfernt. Ist der »Rote« also schon über die 5th Avenue gerollt? Oder über die Brooklyn Bridge? Was hat Doreen Hoskins an dem Auto geliebt, nachdem es in den Süden nach Georgia verkauft wurde? Und wie würde Michael Balfour es finden, dass seine schwarz lackierten Cup-Felgen wieder gegen silberne getauscht wurden? Er war der letzte Besitzer, bevor das Auto zurück nach Deutschland verschifft wurde. 24 Jahre nach der ersten Atlantikreise. Wer auch immer damit gefahren ist, hat den Wagen gut behandelt. Und auch ich ertappe mich inzwischen immer öfter dabei, dass ich pingeliger werde. Als der Termin für die Porsche-Klassik-Fotos steht, öffne ich die Wetter-App auf dem Handy: Niederschlagswahrscheinlichkeit 90 %. Echt jetzt?