Porsche in Ost und WestDer Osten rockt

Dani Heyne

 · 23.03.2023

Porsche in Ost und West: Der Osten rocktFoto: Dani Heyne
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Vor elf Jahren rollte der erste Porsche Panamera in Leipzig vom Band, inzwischen – seit wenigen Wochen – in der dritten Generation. Porsche ist Osten. Wegen des Werks und wegen der Fans. Zeit für eine Tour dorthin – in einem Panamera der ersten Serie.

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Foto: Dani Heyne

Heimat. Dieses starke Gefühl – verankert an einem besonderen Ort, den man nie vergisst, egal wie weit raus einen das Leben spült. Der Porsche Panamera ist gut herumgekommen in der Welt, hat ferne Straßen entdeckt, Fans begeistert. Für sie verkörpert er die erste echte Sportlimousine. Einen perfekter Gran Turismo, einen Business-Jet auf Rädern. Manche sehen in ihm gar einen großen Elfer.

Kürzlich hat das Modell seinen elften Geburtstag gefeiert. Ja, über elf Sommer ist das schon wieder her, dass Porsche in der 94. Etage des World Financial Center in Shanghai eine Premiere der besonderen Art feierte. In 400 Metern Höhe präsentierte die Marke ihre erste Sportlimousine. Flach, gestreckt und ganz schön bullig glänzte sie in luftiger Höhe. Dafür musste der Panamera zuvor hochkant in einen Lastenaufzug manövriert werden. 60 Mitarbeiter mühten sich über Stunden. Der Aufzug brauchte nur eine Minute. Präzisionsarbeit. So, wie an den Bändern im Porsche-Werk in Leipzig. Hier ist die Heimat des Panamera. Hier lief seine Fertigung im April 2009 an. Nach dem Cayenne und dem limitierten Carrera GT war er das dritte Modell des sächsischen Porsche-Standorts.

Die Entscheidung, den Panamera in Leipzig zur Welt zu bringen – sie fiel im Mai 2006. Damals legte man auch das Entwicklungskürzel G1 fest. Zeitgleich fiel der Startschuss für die zweite Werkserweiterung in Leipzig. Der Plan des Volkswagen-Konzerns sah vor, dass die Panamera-Karosserien im Werk Hannover hergestellt, lackiert und anschließend per Zug nach Leipzig transportiert werden sollten. Um dort Vor- und Endmontage, sowie Qualitätskontrollen und Auslieferungen vorzunehmen. Ein guter Plan – wie sich am 30. Mai 2009 zeigen sollte. Damals lief das erste Kundenfahrzeug in Leipzig vom Band: ein Panamera 4S.

Mit genau so einem Modell stehen wir heute in der Boxengasse der Teststrecke im Porsche-Werk Leipzig. Nieselregen tanzt aus einem dunkelblauen Himmel, leichter Nebel schiebt wohltuende Stille über die Strecke. Wir sind früh dran, um den Ort einzuatmen. Die Heimat des Panamera. Mit ihm verwirklichte die Marke eine Idee, die jahrzehntelang gereift war. Genau genommen tüftelten die Porsche-Ingenieure seit den 50er-Jahren an einem Viersitzer. Erstmals verwirklichten sie ihre Idee auf Basis des 356. Der Typ 530 jener Tage besaß einen verlängerten Radstand, vergrößerte Türen und ein angehobenes Dach im Fond. Es war die erste Fingerübung in Sachen Gran Turismo. Die zweite dieser Art setzte Ferdinand Alexander Porsche mit dem Typ 754 um. Im viersitzigen Prototyp atmete bereits ein Sechszylinder-Boxer, das Heck schmückte eine stark gewölbte Scheibe. 1987 bot sich der 928 an, die Idee einer Sportlimousine erneut anzugehen. Neben längerem Radstand und steiler Heckklappe sorgten zwei zusätzliche Türen für Aufsehen: Entgegen der Fahrrichtung angeschlagen, öffneten sie sich nach vorn. Es schien die richtige Zeit für solch ein Fahrzeug zu sein, also begann 1988 die Entwicklung eines von Grund auf neuen Viertürer-Projektes. Mit dem Typ 989 verwirklichten Designer und Ingenieure die Idee vom 911 für die ganze Familie. Der Prototyp überzeugte, die Serienfertigung scheiterte jedoch an den Kosten. Noch.

Als der Yachtingblaue Panamera 4S auf die Teststrecke des Leipziger Werks rollt, zieht der Nebel auf wie ein Vorhang. In der von Porsche-Designchef Michael Mauer gezeichneten, lang gestreckten Bugpartie brummt sich ein 4,8-Liter-Sauger warm. Der V8 steht auf glatte Zahlen: 400 PS, 500 Newtonmeter Drehmoment, fünf Sekunden von null auf 100. Nach wie vor ein starkes Herz, das einst bereits im Cayenne beeindruckte und zum Start des Panamera verfügbar war. Sogar in Kombination mit einem Sechsgang-Schaltgetriebe – dann allerdings stets mit Heckantrieb. In der Allradversion 4S flanschte Porsche serienmäßig ein Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe von ZF an den Achtzylinder.

State of the Art war 2009 der Panamera Turbo. Doppelt aufgeladen servierte er 500 PS und brutale 700 Newtonmeter Drehmoment. Zwei Jahre später katapultierte der Turbo S mit 550 PS und 750 Newtonmeter Drehmoment den Panamera in unter vier Sekunden auf Tempo 100 und machte ihn bis zu 306 km/h schnell.

Zurück auf die Strecke, ins Cockpit des Panamera 4S der ersten Generation. In perfekt einstellbaren Sportsitzen verankert genießt man eine analoge Welt, erfreut sich an der Rückmeldung der Lenkung, dem tadellosen Geradeauslauf und dem dynamischen Charakter des Porsche-Flaggschiffs. Mit verstellbarem Fahrwerk und Klappenauspuff ist ihm bis heute eine Sonderstellung innerhalb des Luxussegments sicher. Dazu passt das in seinem Ansprechverhalten beeinflussbare Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe, das blitzschnell die Gänge sortiert und den wuchtigen Zweitonner ohne Zugkraftunterbrechung nach vorn stürmen lässt. Da muss sich der neue Panamera 4 E-Hybrid anstrengen, um im Windschatten zu bleiben. Seine 462 PS aus zwei Herzen fallen ebenfalls über alle vier Räder her. Damit stürmt er auf dem Papier sogar noch einen Wimpernschlag schneller nach vorn als der Yachtingblaue Oldi. Interessant ist jedoch die optische Präsenz beider Sport-Limousinen. Im direkten Vergleich wirkt der ältere Panamera keinesfalls altmodisch, eher angenehm gereift – so, wie wir das von Elfern kennen, die in die Jahre kommen. Die Zeit fügt ihnen keine Wunden zu.

Ein Abschiedsbild noch im Leipziger Porsche-Werk, dann zieht es den Panamera nach Dresden. In den frisch eröffneten Neubau des Porsche Center. Die 50 Autobahnminuten vergehen wie im Flug und schmecken nach Wellness. Kein Wunder, schnelle Sprints durch die Republik liegen dem Panamera – und machen einmal mehr klar: kein Porsche-Modell ist langstreckentauglicher. Entsprechend entspannt schütteln wir in Dresden die Hand von Marko Wegat. Seit 2011 ist er Chef im Porsche Center Dresden und erzählt uns, wie die Marke in Sachsen ankommt. »Sehr gut«, antwortet er und strahlt. »Wir reden hier aber von einem Marktanteil unter einem Prozent«, fügt er hinzu. In Wegats Anfangszeit war der Panamera noch ein junger Hund und brauchte etwas, um durchzustarten. »Als der Viertürer 2011 den Dreiliter-Diesel heiraten durfte, wurde er für mehr und mehr Kunden interessant.«

Die Porsche-Leidenschaft in Sachsen beschreibt Wegat so: »Porsche fahren ist ein Jugendtraum. Wir haben viele Kunden im besten Alter, die sich mit dem Kauf eines 911 einen Lebenstraum erfüllen. Die sagen sich: Ein Boxster reicht nicht. Ich habe lange dafür gearbeitet und möchte den Klassiker: den Elfer.‹ Dann treten sie in einen Porsche-Club ein und unternehmen gemeinsame Ausfahrten. Unter dem Motto: Ganz oder gar nicht.« Nachvollziehbar. Ein Fan der Marke ist Wegat ganz besonders in Erinnerung geblieben: »Er kam vor Jahren mit seinem Sohn im Trabi auf den Hof gefahren, zeigte auf einen Elfer und rief: ›So einen möchte ich!‹ Zwei Tage später stand der Mann mit einer Einkaufstüte voller Geld im Verkaufsraum. Er hatte die Summe für den 911er in kleinen Scheinen dabei. Und pflegt das Auto bis heute. Witzig ist, dass er uns zu Feiern immer noch im Trabi besucht. Den Porsche holt er nur selten aus der Garage. Der wäre für gut.« Wir schmunzeln über die Geschichte und danken Marko Wegat für seine Zeit. Dann geht’s auch schon nach Chemnitz. Zu Oliver Kreider – und seiner ausgefallenen Porsche-Geschichte.

Kreider pflegt eine besondere Beziehung zu Chemnitz und zu Porsche. Er kam am 23. Oktober 1989 mit einem Knall in der Stadt an – damals hieß sie noch Karl-Marx-Stadt und Kreider war auf der Durchreise nach Berlin. Dann platzte dem gebürtigen Hessen in Sachsen ein Reifen. Eine Panne, die sein Leben umkrempeln sollte. Durch die besonderen Umstände jener Zeit und mit einer großen Portion Glück fand der junge Mann seine Bestimmung in der Region – und traf ein paar Jahre später in einem einfachen Wirtshaus in der Gegend auf den Porsche-Vertriebschef Hans-Bernhard Port und Erich Gehringer, den baldigen Chef des ersten Porsche Center in Ostdeutschland. Die beiden hatten sich gerade ein passendes Grundstück für das geplante Autohaus in Chemnitz angeschaut und wollten darauf anstoßen. Kreider gesellte sich zu ihnen und war nach der zweiten Flasche Wein in bester Laune, um sich einen 911 zu bestellen. An sich eine super Idee, doch weder Port noch Gehringer hatten Kaufverträge dabei. Kreider ließ nicht locker, und so wurde der Vertrag über den ersten Porsche 911 nach der Wiedervereinigung im Osten auf einem Bierdeckel festgehalten. Das schwarze Cabrio bekam Kreider wenige Wochen später in Stuttgart feierlich übergeben. Der Marke ist er bis heute treu geblieben und fuhr mittlerweile über 15 Modelle. »Darunter war auch ein Carrera GT, mit dem ich 180000 Kilometer geflogen bin«, erinnert er sich selig. Den ersten Panamera hatte er ebenfalls. »Ein toller Reisewagen.« Der erste Boxster ging übrigens auch an Kreider – besser gesagt an seine Frau.

Wie gut die Marke beim weiblichen Geschlecht in Sachsen ankommt, bestätigt uns auch Mareike Friedrich. Sie, Baujahr ’91, sitzt in der Stadt Meerane in einem weißen 992 Cabrio und strahlt. In diversen Porsche-Modellen aufgewachsen, gibt es für die junge Frau nur eine Marke, die Alltag und Sportlichkeit auf so hohem Level verbindet. »Porsche!«

So ähnlich sieht es auch Andreas Müller, der zusammen mit seinem Bruder unter der Marke »Mühle« hochwertige und formschöne Accessoires rund um die Nassrasur herstellt. Die weltweit bekannte Manufaktur aus Stützengrün wurde 1945 von Großvater Otto Johannes Müller gegründet – und steht für beste Qualität. Es ist kein Zufall, dass Andreas Porsche fährt. Einen 1961er 356 T5 Coupé und einen 1995er Carrera 4. »Ich mag das direkte, pure Fahrgefühl und die Historie der Marke. Sie gleicht einer Manufaktur.«

Wenn wir schon im Erzgebirge sind, ist ein Besuch beim Porsche Werkzeugbau GmbH Pflicht. Das 450 Mann starke Unternehmen verarbeitet seit über 100 Jahren Metalle. Der Handwerksbetrieb gehört seit 2015 zum Porsche-Universum und ist einer der Marktführer in der Entwicklung von Schneid- und Umformwerkzeugen für die Automobilindustrie. In Schwarzenberg entstehen die riesigen Werkzeuge, die in innovativen Pressen eingesetzt werden, um die Formteile moderner Automobile auszuspucken. Seitenteile. Dächer. Heckklappen. Motorhauben. Türen. Alles aus Aluminium. »An einem Werkzeug arbeiten wir viele Monate«, beschreibt Ralph Teumer die Präzision der Werkzeuge. Das der Werkzeugbau eine 100-%-Porsche-Tochter ist, erfüllt ihn und die Region mit Stolz. Es ist in gewisser Weise auch die Heimat des Panamera – die Bleche der zweiten Generation werden mit Werkzeugen aus Schwarzenberg gepresst.

Auf dem Weg nach Leipzig lassen wir es gemütlich angehen, genießen den Luxus des großen Porsche. Wie leise er die Luft schneidet, fast spielerisch über den Asphalt huscht. Und mit seinem luftigen Innenraum Clubatmosphäre serviert. Er ist ein wahrer Gran Turismo – und auf dem besten Weg zum begehrten Youngtimer.