Tobias Aichele
· 31.01.2023
Am 8. Oktober wurde Valentin Schäffer 90 Jahre alt. PORSCHE KLASSIK blickt auf seine 34 Jahre bei Porsche zurück, in denen er aus der zweiten Reihe in der ersten Liga spielte. Mit dem Motorentyp 916 nimmt dabei ein gänzlich unbekanntes Projekt eine zentrale Rolle ein.
Wie kann es sein, dass ein so genialer Techniker wie Valentin Schäffer so viele Jahre fast unbemerkt an allen maßgeblichen Porsche-Rennmotoren entwickeln konnte? Bereits 1955 kam Schäffer als Motorenmechaniker zu Porsche in die Rennabteilung, arbeitete sofort an dem 547/2-Triebwerk für den 550 A Spyder RS und absolvierte 1961 seine Techniker- und Meisterprüfung. Damit waren intern die Weichen gestellt, um ihn 1966 zum Leiter der Rennmotoren-Entwicklung zu befördern. Sein Chef war Ferdinand Piëch, der von 1965 an die Entwicklungsabteilung leitete. Mit im Team war Hans Mezger, der damals den Sechszylinder-Boxermotor für den 356-Nachfolger final entwickelte. Diese Zeit war der Beginn eines langen gemeinsamen Arbeitslebens, bis zu Schäffers Ruhestand im Jahr 1989. Mezger blieb noch bis 1994 im Dienst des damaligen Sportwagenherstellers, für den er insgesamt 38 Jahre entwickelte. »Hans hat gezeichnet, ich hab’ gebaut«, bringt Schäffer diese ungewöhnlich lange Zusammenarbeit und auch Freundschaft auf den Punkt – mit Blick auf eine lange Liste von Rennmotoren.
»Wollen Sie in der Fremdentwicklung arbeiten oder der Motoren-Entwicklungsleiter des Porsche-Teams bleiben?«
Technik-Vorstand Helmuth Bott
Gemeinsamer Auftakt war der 1,5-Liter-Achtzylindermotor (Typ 753) des Formel-1-Rennwagens Porsche 804, mit dem Dan Gurney 1962 den Großen Preis von Frankreich und das Solitude-Rennen gewann. Es folgten die Achtzylindermotoren (Typ 771) für die Rennwagenmodelle 718 (»Großmutter«), 904, 906, 910, 907 sowie 909 (»Känguru«). »Diese große Zeit der Bergrennen mit dem Gewinn zahlreicher Meisterschaften begründet meinen größten Erfolg«, zieht Valentin Schäffer ein Zwischenresümee, zumal er den Löwenanteil zu diesen reinrassigen Rennaggregaten mit der sagenhaften Literleistung von 138 PS beitrug. Die Motorenära gilt übrigens auch als eine Art Heiliger Gral des Motorenbaus. Die Triebwerke waren durch ihre über Königswellen angetriebenen vier Nockenwellen höchst kompliziert im Aufbau und dadurch auch teuer in der Herstellung. Die meisten unmittelbar nachfolgenden Triebwerke kamen mit Kettensteuerung aus. Das waren die Zweiliter-Sechszylinder-Motoren 901/20, im Jahr 1966 eingesetzt im Typ 906, sowie die Triebwerke 901/21 für die Modelle 907 und 910, erstmals mit einer mechanischen Einspritzpumpe ausgestattet. 1968 folgte schließlich der Achtzylinder 908. Die Zwölfzylinder-Triebwerke vom Typ 912 für den 917, 912/51 für die Turbo-Version 917/10 sowie 912/52 für die letzte Turbo-Evolutionsstufe 917/30 entsprachen im Grundsatz zwar auch den Porsche-Tugenden, hatten aber als Besonderheit einen sogenannten Mittelabtrieb. Die Antriebskraft wurde also in der Mitte der Kurbelwelle per Zahnrad abgenommen und diente über ein Räderwerk als Antrieb der je zwei oben liegenden Nockenwellen pro Zylinderreihe sowie zur Steuerung des Kühlluftventilators.
Das Arbeitsverhältnis und die Freundschaft auf den Punkt gebracht: »Hans hat gezeichnet, ich hab’ gebaut.«
Valentin Schäffer
Der »Turbo-Valentin«
Mit einem solchen rund 1.200 PS starken Triebwerk konnte dann auch Mark Donohue im Januar 1975 auf dem Talladega Superspeedway einen Geschwindigkeitsweltrekord aufstellen. »Die Challenge dabei war, die Temperatur zu beherrschen – und nicht die schiere Leistung. Die Problemlösungen kannte ich aus dem Effeff«, erinnert sich Schäffer. Weniger bekannt ist der im selben Jahr eingesetzte Motorentyp 911/78 mit sechs Zylindern für den 908/03 Spyder Turbo. Es folgten weitere Turbo-Motoren für die verschiedenen 911-Derivate. Hier ist vor allem der Carrera RSR Turbo mit dem 500 PS starken 2,1-Liter-Motor hervorzuheben. Diese Entwicklung sorgte nicht nur in Le Mans mit einem zweiten Platz für Furore, sondern aus den gewonnenen Erkenntnissen konnten auch die Serien-Turbos realisiert werden, wie Schäffer hervorhebt. Es folgt schließlich die Ära der sagenhaften 956/962-Boliden mit der Krönung 1982 in Le Mans, als die Porsche-Armada die Plätze eins bis drei belegte. Aufgrund seiner langjährigen Entwicklungsarbeit an Porsche-Turbo-Triebwerken erhielt Schäffer den Spitznamen »Turbo-Valentin«.
Das 916-Triebwerk hat Valentin Schäffer so nebenher entwickelt.
Während seiner Laufbahn musste Schäffer auch zwei unvergessen wichtige Entscheidungen treffen. Im Jahr 1971 wurde Piëch technischer Geschäftsführer. Ab August 1972 verantwortete er bei Audi Sonderaufgaben, bis er 1975 in den Vorstand berufen wurde, zuständig für Technik. Piëch wollte Schäffer mit zu Audi nehmen. »Die Versuchung war groß, ich bat aber um ein Jahr Bedenkzeit«, erinnert sich Schäffer. Helmuth Bott, damals noch Stellvertreter von Piëch, bekam die Absichten seines Chefs mit und machte seinem Mitarbeiter Schäffer klar, dass ihn Porsche für die Entwicklung des Turboladers dringend brauche. »Als mich Herr Piëch dann nach genau einem Jahr anrief, kam ich merklich ins Stocken. Er nahm daraufhin sofort die Spannung aus dem Gespräch mit den Worten: ›Ich merke, dass Sie lieber bei Porsche bleiben wollen.‹«
Daraufhin fragte Piëch Schäffer, den er in die Pläne eines Zwölfzylinder-Triebwerks bereits eingeweiht hatte. Er war ihm durch seine ungeheure Schaffenskraft bereits aufgefallen.
Eine zweite wichtige berufliche Entscheidung musste Valentin im Jahr 1981 treffen. Als sich die saudi-arabische TAG-Gruppe mit den Mc-Laren-Männern Ron Dennis und John Barnard zusammentat, um den schnellsten und besten Rennwagen der Welt zu bauen, entschieden sie sich für Porsche als Motorenlieferanten. Es war eine große Herausforderung für Porsche, nach zwei Jahrzehnten Abstinenz von der Königsklasse. Und für den 1,5-Liter-Turbomotor wäre Schäffer prädestiniert gewesen. Es war eine Fremdentwicklung, und Technik-Vorstand Bott musste Schäffer die Glaubensfrage stellen: »Wollen Sie in der Fremdentwicklung arbeiten oder der Motoren-Entwicklungsleiter des Porsche-Teams bleiben?« Schäffer blieb bei seinem Kernteam.
Mehr Zeitdruck wegen Hubraumgrenze
Die Aufzählung der Motorenkonstruktionen ist noch nicht vollständig. Es fehlt die Motorentypbezeichnung 916. Dabei handelt es sich um das Projekt, einen 911-Motor mit vier Nockenwellen zu bauen, und zwar als Rennversion, um die gestiegenen Leistungsansprüche der Sportfahrer zu befriedigen – und als deutlich zahmer abgestimmte Straßenversion. Ein inzwischen vorliegender Motorenstammbaum aus den Sechzigerjahren zeigt im Baukastensystem eine erstaunliche Vielfalt. Der Typ 916 war mit 2,4 Liter Hubraum als Straßenmotor geplant und zusätzlich mit vier Ventilen pro Zylinder unter der Bezeichnung 926 angedacht. Die Rennversion sollte aus zwei Liter Hubraum und mechanischer Einspritzung rund 230 PS bei 9.000 Touren pro Minute mobilisieren. Es ist als Entwurf zudem noch eine Version mit drei Ventilen pro Zylinder gelistet.
Ebenfalls vorliegende Konstruktionszeichnungen geben Aufschluss über die Reihenfolge der Motorenentwicklungen. Bereits am 26. Juli 1966 wurde der Steuerungsantrieb des 916 zu Papier gebracht und am 7. September des Jahres der gesamte Motorquerschnitt. Damit können sämtliche Spekulationen und Behauptungen ausgeräumt werden. Der Motor 916 ist der Vorläufer aller 908-Triebwerke. Die erste Zeichnung des 908-Motors ist nämlich erst von Juli 1967; im Juli 1968 schließlich wurde die Konstruktion des 912-Triebwerks für den 917 gestartet. Alle drei Motoren, ob mit sechs, acht oder zwölf Zylindern, haben im Grundsatz einen vergleichbaren Aufbau.
Der 916er-Motor wurde zunächst erdacht, um leistungshungrige Sportfahrer zufriedenstellen zu können. Kurbelgehäuse und Kurbelwelle blieben praktisch unverändert. Die Zylinderwände hingegen erhielten eine stärkere Verrippung, und der Winkel der in V-Stellung stehenden Ventile wurde etwas vergrößert. Auch sollte es der erste Porsche-Motor werden, der Tassenstößel erhält. Drei Zeichnungen geben darüber Aufschluss. Auch das auf Basis des 916 abgeleitete neue Achtzylinder-Triebwerk für den Sportprototyp 908 war bereits im Sommer 1967 verabschiedet – und damit der Abschied des aufwendigen Königswellenantriebs für die oben liegenden Nockenwellen zugunsten der im 911 bewährten Kettenlösung besiegelt. Piëch war aber gedanklich bereits weiter und erhöhte nochmals den Zeitdruck für Projekt 916. Es war nämlich inzwischen durchgesickert, dass die FIA mit Wirkung zum 1. Januar 1968 die in der Markenweltmeisterschaft gültige Hubraumgrenze von drei auf fünf Liter erhöhen wird. Seine Antwort war das 912-Triebwerk, keinesfalls aber erdacht als ein doppelter 916-Motor. Der geniale Techniker wollte lediglich wissen, mit welcher Leistungsausbeute er für den 912er-Motor tatsächlich rechnen kann. Deshalb mussten Leistungswerte für den 916er-Motor her, da dieser, wie auch beim Typ 912 vorgesehen, über vier oben liegende Nockenwellen verfügte.
Piëch wandte sich an Paul Hensler, der seit 1963 im Motorenversuch arbeitete: »Wer kann schnell ein 901-Triebwerk auf den Viernockenwellenantrieb umstellen und auf dem Prüfstand sowie bei Testfahrten die Leistung ermitteln?« Die Voraussetzungen waren gegeben. Die wichtigsten für Rennmotoren relevanten Komponenten wie Titanpleuel waren bereits in den Motorentypen 901/20 und 901/21 getestet worden. Das Team um Hensler veranschlagte fünf bis sechs Monate. Daraufhin fragte Piëch Schäffer, den er in die Pläne eines Zwölfzylinder-Triebwerks bereits eingeweiht hatte. Er war ihm durch seine ungeheure Schaffenskraft bereits aufgefallen. Der damals 35-Jährige versprach, in fünf Wochen Daten liefern zu können, wenn er zur Unterstützung zwei Mechaniker zur Seite gestellt bekommt. Am 22. Juli 1967 war es so weit: Der erste Versuchsmotor war in einem 910 montiert und rollte im Training mit Gerhard Mitter am Steuer auf die Strecke in Mugello. Nach einigen Runden kam der Werksfahrer zurück in die Boxengasse. Er attestierte dem Triebwerk zwar Leistung, mochte die Motorcharakteristik mit dem schmalen Drehzahlband aber überhaupt nicht. »Die Leistung setzt bei zu hoher Drehzahl ein und dann mit zu viel Wucht. Dafür ist der Wagen zu leicht und wird unkontrollierbar«, ist die Aussage des Porsche-Werksfahrers überliefert. Für das bevorstehende 500-km-Rennen am Folgetag wünschte er sich wieder den bewährten Achtzylinder vom Typ 771 – und bekam ihn eingebaut.
Was aber wurde aus dem Projekt 916? »Für die Rundstrecke war der Motor aus meiner Sicht noch nicht fertig entwickelt. Die Rallye-Abteilung zeigte aber Interesse für den brandaktuellen 911R«, erinnert sich Schäffer. Die Kombination aus einem nur 820 Kilogramm schweren Wagen und einem derart leistungsstarken Triebwerk schien eine unschlagbare »Waffe«. Der große Auftritt war dann die Korsika-Rallye 1968. Das Werk präparierte drei Fahrzeuge und hatte drei Ersatzmotoren im Handgepäck, die nicht benötigt wurden. Vielmehr setzten ein Unfall, ein zerstörtes Differenzial sowie Probleme mit dem Ölkreislauf alle drei Fahrzeuge außer Gefecht. 1969 versuchte es Porsche dann nochmals bei der Targa Florio. Bevor das Team Toivonen/Spoerry das Potenzial des R mit dem wuchtigen Sechszylinder unter Beweis stellen konnte, brannte der Wagen ab. Auch Gérard Larrousse hatte bei der Rallye Lyon-Charbonnières im Jahr 1971 kein Glück. Das Projekt 916 war von der Tagesordnung verschwunden. Die aus ihm entstandenen Achtzylinder- und Zwölfzylinderversionen rannten indes von Sieg zu Sieg.
Der zweite Frühling bei KMW
Nach dem Ausscheiden von Ferdinand Piëch Ende 1971 verantwortete Helmuth Bott alle Motorsport-Aktivitäten. Vor rund 50 Jahren tobte der Motorsport nicht zuletzt durch die Interserie, die 1970 als Pendant zum amerikanischen CanAm-Cup in Europa ausgetragen wurde. Porsche dominierte auch diese Rennserie mit dem 917, selbst die 908-Versionen konnten das schnelle Tempo nicht mehr mitgehen. Die Sechszylinder-Versionen vom Schlage eines 910 waren nur noch vereinzelt auf den Rennpisten zu sehen. Nur wenige Teams aber konnten sich die Zwölfzylinder-Rennwagen leisten, zumal das Wettrüsten mit der neuen Turbo-Technologie das Handling immer aufwendiger machte. Porsche konnte damals keine »bezahlbaren« Fahrzeuge für den Kundensport in der Prototypen-Klasse liefern. Die luftgekühlten Sechszylinder-Triebwerke hingegen wurden ständig weiterentwickelt, zum 2.7 RS und schließlich sogar zum 2.8 RSR über 300 PS. Die Triebwerke galten zudem als äußerst robust.
1971 schließlich brachte die Firma KMW die bezahlbare Lösung: In Rosenheim entstanden rund 500 Kilogramm leichte Sportprototypen mit den bewährten Sechszylinder-Triebwerken. Von dem modernen Monocoque-Chassis war Bott, damals Chef des Entwicklungszentrums in Weissach, so begeistert, dass sich die kleine Rennwagenschmiede KMW-Porsche nennen durfte. Dieses Privileg bekamen in der Folge nur noch zwei weitere Rennställe: Behnke aus München und Chanabé aus Toulouse. Die Beziehung des Rosenheimer Rennstalls zu Porsche war so ausgeprägt, dass Bott einen Verbindungsmann abstellte. Es war Eberhard Braun, heute wohnhaft in Königswinter. Er kam 1966 zu Porsche und startete bei Albert Junginger im Fahrversuch, bevor er in die Rennabteilung abberufen wurde. Braun fuhr einen Großteil der Dauerläufe und erinnert sich noch genau, wie Hans Müller alle Teilewünsche erfüllt wurden. Ende 1970 schließlich brachte KMW erstmals einen KMW nach Zuffenhausen, um diesen zu präsentieren. Es existieren im Porsche-Archiv zahlreiche Fotos, auf denen der SP 20 in der Porschestraße 42 unweit des Eingangs zum ehemaligen Porsche Museum zu sehen ist. Bei diesem Treffen handelte Bott mit Hans Müller auch einen bemerkenswerten Deal aus. Für einen Anstandsbetrag erhielt KMW alle sieben noch existierenden 916-Triebwerke. Das ist in der Porsche-Geschichte vor allem deshalb einmalig, weil normalerweise Versuchsmotoren vernichtet wurden, zum Beispiel indem, wie sich Braun erinnert, mit einem Bergepanzer darübergefahren wurde. Hans Müller war es auch, der den 916er-Motor zur absoluten Spitzenleistung weiterentwickelte und dem Werk Schäffers noch die Krone aufsetzte.
Abschließend kommen wir nochmals zurück zu der anfangs gestellten Frage; nämlich wie es möglich ist, dass so herausragende Leistungen eines Technikers meist unter dem Radarschirm bleiben konnten. Dazu lassen wir unseren Jubilar selbst antworten: »Es war nie meine Art, im Rampenlicht zu stehen. Natürlich betreute ich Renneinsätze auch vor Ort. Oftmals aber reiste ich bereits wieder ab, wenn alles funktionierte, um meinen Entwicklungen in der Werkstatt in Weissach wieder nachgehen zu können«. Und er fügt schmunzeln hinzu: »Als der Ruhm verteilt wurde, habe ich also meist schon wieder gearbeitet.«
TECHNISCHE DATEN
Porsche Projekt 916 (Ära KMW)