Christian Kornherr
· 30.01.2023
Weniger Gewicht plus mehr Kraft funktionierte schon beim Carrera RS 2.7 und 3.0 fantastisch. Der 964 Carrera RS übersetzte den Gedanken des Sport-Spartaners geradlinig in die Neunzigerjahre und gilt für viele bis heute als einer der besten Elfer überhaupt.
Ich muss es zugeben: Der beste Tag, den ich je mit einem 964 Carrera RS hatte, war jener, an dem ich ihn wieder zurückgeben musste. Ich arbeitete Anfang der Neunzigerjahre an einem Buch über die Carrera-RS-Legende, und die freundlichen Salzburger Importeure stellten mir zur geistigen Inspiration sechs bis sieben Wochen lang das damals gerade brandneue Modell zur Verfügung. Als junger Journalist und zweifacher Familienvater hätte ich auch andere Dinge als Autofahren im Kopf haben sollen. War aber nicht so. Der Heimweg aus dem Büro wurde jeden Tag ein Stück länger, das Tempo ein wenig forcierter. Der Carrera RS war zur Sucht geworden und ich am Ende froh, dass durch die Rückgabe ein harter Entzug einsetzte. Seither kam das Elfer-Fieber immer wieder, aber niemals so heftig wie damals.
Es gab einmal Zeiten, da hatte der 964 nicht die beste Reputation in der Elfer-Gemeinde. Der Stellenwert in der Hierarchie war eher gering, was wiederum auf die Marktpreise drückte. Aus heutiger Sicht ist das kaum mehr nachvollziehbar. Das Unternehmen Porsche hatte zwar in den späten Achtzigerjahren nicht seine allerbesten Jahre, die Verkaufszahlen zeigten sich eher überschaubar, und die kleine Entwicklungsmannschaft in Weissach wäre eigentlich vollends mit Hege und Pflege der Modellreihen 924, 944 und 928 ausgelastet gewesen. Aber der zu dieser Zeit existente 911 war einfach nicht totzukriegen.
Umso erstaunlicher deshalb der im Herbst 1988 präsentierte Carrera 4, den das Magazin »auto motor und sport« damals schlicht das »Wunder von Weissach« nannte. Helmuth Bott, einer der Väter des 911 und langjähriger Entwicklungsvorstand, wollte offenbar mit seiner Abschlussarbeit vor der Rente noch einmal künftigen Ingenieursgenerationen zeigen, wo der Hammer hängt. Mit Allradantrieb, Schräglenkerhinterachse, ABS, Doppelzündung, Servolenkung und einer aerodynamisch optimierten Karosserie samt elektrisch ausfahrbarem Spoiler stellte der 964 ohne Zweifel den schärfsten Einschnitt in der bis dahin etwa 25-jährigen Entwicklungsgeschichte des Elfers dar. Und der allgemeine Tenor der Testberichte lautete dann auch: ein Porsche 911 auf der Höhe der Zeit.
Und doch stand, bei allem Respekt vor der Innovationskraft der Stuttgarter Ingenieure, unter den wahren Fans, den sogenannten »Gusseisernen«, der dringende Verdacht der Verweichlichung im Raum. Da gab es plötzlich eine Heizung, die auch an kalten Tagen Wärme spendete. Es gab Servolenkung – und schlimmer noch: allradakkurate Fahrstabilität. Dauerhaftes Untersteuern! Sozusagen gebürtige Elfer-Fahrer mussten erst einmal nachschlagen, was das überhaupt bedeutet. (Aha, das ist dieses ungemütliche Schieben, bevor das eigentliche Kurvenfahren beginnt.)
Kurz: Gemessen an der Legende, die der 911 damals schon aufgebaut hatte, gab es einen Haufen neumodernes Zeugs zu verdauen. Dementsprechend wurde der Carrera 4 und eine Saison später auch der heckgetriebene Carrera 2 für Komfort, Vernunft und Alltagstauglichkeit geachtet. Unter den »Gusseisernen« identifizierte man Herzblut und Leidenschaft aber noch immer mit dem G-Modell.
Eine ganz schön lange Vorrede. Aber all das muss man wissen, um zu ahnen, welchen Befreiungsschlag, welche Erlösung der mit dem Modelljahr 1992 präsentierte 964 Carrera RS darstellte. Dabei ging man bewährte Wege und wählte die gleichen, im Grunde simplen Mittel, die schon beim 73er Carrera RS und ein Jahr später beim Carrera RS 3.0 so überzeugend funktioniert hatten: weniger ist mehr. Auch die tief im Rennsport verwurzelten Gene passen perfekt in die Ahnenreihe. Wohl um den schwächelnden Verkauf anzukurbeln, sollte bereits 1990 ein 911 an den erfolgreichen 944er-Cup anschließen. Darüber hinaus wollte man eine Homologation nach dem N/GT-Reglement (Minimum 1.000 Stück) erreichen, um den Kunden markenübergreifenden Motorsport zu ermöglichen. Die Besonderheit dieser Varianten ist, dass es sich um die letzten Renn-Porsche handelte, die sich ohne Einschränkungen für den Straßenverkehr zulassen ließen. Der 964 Carrera RS ist außerdem der Urvater des heute noch hochattraktiven Porsche Carrera Cup, längstwährender Markenpokal weltweit.
Vom 964 Carrera RS wurden vier Varianten gefertigt: Cup-Autos (50 Stück im Modelljahr 1991, 112 Stück im Modelljahr 1992), N/GT-Version (290 Stück im Modelljahr 1992) und 1.989 Exemplare nach Straßenmodifikation. (Alle Zahlen stammen aus dem Standardwerk »Das große Buch der Porsche-Typen« von Jürgen Barth und Gustav Büsing.) In den Modelljahren 1993/94 wurde extra für die USA der Carrera RS America (701 Stück) gebaut, der über den Serienmotor mit 250 PS, eine bessere Ausstattung und einen festen Heckspoiler verfügt. Zum Produktionsschluss des 964 wurde 1993 der Carrera RS 3.8 aufgelegt, der allerdings eine eigene Geschichte wert ist. Das abgebildete Fotomodel dürfte ein Unikat sein. Es handelt sich um eines der besonders raren Cup-Modelle, das noch dazu niemals im Renneinsatz war und nicht einmal 6.000 Kilometer auf dem Tacho hat.
Der 944 Cup hatte vor allem durch seine Seriennähe die perfekte Vorlage für attraktiven, kundennahen Motorsport geliefert, dieses Rezept wollte man fortsetzen. Deshalb hielten sich die technischen Änderungen für den 964 Carrera RS in engen Grenzen. Modifikationen an der Motronic brachten in der Serienversion 10 PS mehr. Das Fahrwerk saß vier Zentimeter tiefer und war deutlich härter abgestimmt. Die Bremsanlage wurde vom Turbo übernommen und überarbeitet. Noch bedeutender für den Thrill der dritten Auflage des Carrera RS waren jedoch die Karosserie-diät und der rigorose Verzicht auf Komfort-Features. Statt einer aufwendig zu produzierenden Dünnblechkarosserie wie bei den ersten beiden Varianten kamen Hauben und Türen aus Aluminium zum Einsatz. Aber auch die Magnesiumfelgen im damals riesigen Straßenformat 7,5 x 17 (vorn) und 9 x 17 (hinten) unterstützten die Gewichtskur, die unterm Strich das Leergewicht auf 1.225 Kilogramm drückte – 175 Kilogramm weniger als beim Carrera 2.
Abgerundet wurde das Paket durch das Weglassen von Ausstattungsdetails, die in einschlägigen Fachkreisen gern als »überflüssiger Luxus« bezeichnet wurden: Ihr wollt eine Klimaanlage? Coole Typen brauchen sowas nicht. Einen Airbag? Lernt lieber Autofahren. Servolenkung? Abmarsch ins Fitnesscenter. Auch Pragmatiker mussten ganz stark sein. Wer sich darüber beschwerte, dass wegen des Verzichts auf Unterbodenschutz nur drei statt zehn Jahre Garantie gegen Durchrostung gegeben wurden, war ohnehin im falschen Film. Außerdem wurde Gewicht an den Türverkleidungen, dem Teppichmaterial und durch den weitgehenden Verzicht auf Dämmmaterial gespart, was den Carrera RS spätestens auf Autobahnetappen in die Kategorie »Jenseits von laut« katapultierte. Auf schnellen Landstraßen konnte man sich dagegen den seligsten Hörsturz seit Jimi Hendrix’ Love-and-Peace-Konzert zufügen.
Zusammenfassend darf gesagt werden, dass mit dem 964 Cerrara RS zarte masochistische Tendenzen tadellos bedient wurden. Das Ding war sehr schnell, sehr hart, sehr laut – und zwar nicht nur nach den Maßstäben der bereits ein wenig verzärtelten Neunzigerjahre. Die Fangemeinde stöhnte jedenfalls in wohligem Schauer auf. Selbstverständlich kosteten der Komfortverzicht und die Züchtigung im Fahrbetrieb zusätzlich. Die Preisdifferenz zum normalen Carrera 2 betrug mehr als 30.000 D-Mark, eine Summe, für die man einen hübsch ausgestatteten Golf GTI bekam.
Das alles tat dem Erfolg keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Die dritte Auflage wurde die bis dahin kommerziell erfolgreichste Carrera-RS-Variante. Damals nahm die im Werk bis heute ungeliebte Tradition ihren Anfang, dass in einschlägigen Inseratenteilen Kaufverträge weit über dem Listenpreis angeboten wurden. Dabei ist die 964-Variante in Serienversion der King of Understatement unter allen Carrera RS: kein Flügelwerk, keine dicken Backen. Die Linie blieb schlank, der Heckspoiler war wie beim Serienmodell ausfahrbar. Allein die Magnesiumfelgen weisen den rechten Weg.
Der 964 Carrera RS war wohl deshalb so begehrt, weil er einen gelungenen Brückenschlag zwischen den ursprünglichen Werten des 911 und den Segnungen des Fortschritts bot. Ganz oben in der Urteilsbegründung muss stehen, dass die Vorzüge des modernisierten Konzeptes ausgeschöpft wurden und doch auch die heiß geliebte Kernigkeit ein Comeback feiern durfte. Exemplarisches Beispiel dafür ist die Fahrdynamik. Die gegenüber der Serie deutlich strammere Fahrwerkabstimmung versprach mehr Nervenkitzel und wurde in der Zielgruppe der Nicht-Weicheier freudig begrüßt. Die rein blutdruckunterstützte Lenkung bietet im Zusammenspiel mit der Schräglenkerhinterachse präzises Handling und direktes Feedback, bleibt dabei aber zickig genug, um sich den Respekt der Auskenner zu sichern. Die Bedienung ist ganz auf das Wesentliche konzentriert: Lenkrad zum Drehen. Pedale zum Drücken. Hebel zum Schalten. Und sehr viel mehr ist da nicht. Braucht es auch nicht. Die nur hauchdünn mit Leder umspannten Sitzschalen bieten überraschenderweise bis heute letztgültigen Fahrkomfort. Niemals möchte man wieder anders sitzen, ehrlich.
Weil so seriennah, lässt der Motor alles zu, was der Alltag so verlangt, vom Rumwürgen im Stau bis zu den Jubelmomenten auf der einsamen Landstraße. Saftig im Anbiss, durchzugsstark auf der Etappe, anspruchslos wie eine Großserienmaschine. Aber diese Klangkulisse! Ein lieber Kollege schrieb einmal, der Sound ist »schärfer als Elefanten-Pisse«, was ich so leider nicht bestätigen kann, weil mir der Vergleich fehlt. Tatsache ist, dass sich der 3,6-Liter-Boxer in diesem nahezu dämmungsfreien Klangkörper voll entfalten kann. Sonores Brummen am Stand, metallisches Singen in der Mittellage, obenrum dann dieses süchtig machende Kreissägeninferno.
In zeitgenössischen Testberichten lässt sich nachlesen, dass der RS bloß um drei Zehntel schneller auf 100 war als der normale Carrera 2, und der Topspeed war wegen des Drehzahlbegrenzers sogar identisch. Also alles nicht so dramatisch? Wie so oft im Leben sind es eben die kleinen, feinen Unterschiede, die das gewisse Etwas ausmachen.