PORSCHE-DOSSIER – PATINALebensfragen

Thorsten Elbrigmann

 · 26.02.2023

PORSCHE-DOSSIER – PATINA: LebensfragenFoto: THEODOR BARTH, DENNIS KISSLING
Von der Sonne verbrannt: 356 A Coupé von 1957 in Steingrau. Rostig der Chrom, stumpf der Lack, alles Gummi hart wie Kohle und brüchig. Wohin wird sein Weg ihn führen?
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Porsche ist Perfektion und Schönheit ab Werk, beides zu erhalten ein ungeschriebenes Gesetz der weltweiten Community. Patina erscheint da wie das glatte Gegenteil: ein Monument des Unperfekten, ein Aufruf zu mehr Body Positivity – Narben und Falten statt Instagram-Filter. Ist das noch Porsche? Die Suche nach der Antwort führt an Stuttgart vorbei tief in den Süden Deutschlands.

UV-Licht, Sand und Termiten: Der 356 hat in Kalifornien in einer offenen Scheune gestanden. Links ist er mehr verwittert als rechts. Sogar ein Termitennest hat er mal beherbergt.
Foto: THEODOR BARTH, DENNIS KISSLING

Sie sind ein eingespieltes Team: Wer Ande Votteler (63) und Dennis Kissling (29) beobachtet, dem fällt ihre große Gemeinsamkeit auf: Gelassenheit. Mit Ruhe und Sorgfalt gehen die beiden Geschäftspartner ihre Porsche-Projekte an. Beide Fans, beide studierte Maschinenbauer und Schrauber, die aufblühen, wenn sie über ihr zum Beruf gemachtes Hobby reden. Kennengelernt haben sie sich über ihre Liebe zu alten Unimogs und schnell gemerkt, dass sie ganz ähnlich ticken. Ande holt schon seit Jahrzehnten alte Porsche aus den USA nach Deutschland, Dennis wird das künftig tun und das Unternehmen Ande Votteler GmbH weiterentwickeln, das schon immer für eine bestimmte Art Porsche stand: patinierte »true survivor« oder »untouched originals«, möglichst unangetastete und original erhaltene Fahrzeuge.

Ein Autoleben gelebt: Ein extrem patinierter Wagen wie dieser ist nicht jedermanns Sache. Die Spuren der Jahre haben den Porsche zu einem Kunstwerk gemacht.

Genau deshalb sind wir hier. Denn nirgends sonst findet man wohl so viele gute Patina-Beispiele wie in Balingen, noch mal eine gute Autostunde südlich von Zuffenhausen, wo die Schwäbische Alb lockt mit ihren herrlichen Straßen. Gleich zwei Porsche mit Vorzeige-Patina stehen für einen Trip bereit: ein traumhafter signalroter 356 A Speedster von 1957 und ein hellgelbes 911 Coupé von 1973 – allerdings schon mit K-Jetronic wie das 74er -Modell. Beide in verschiedenen Stufen patiniert, beide zur Abfahrt bereit. »Später«, meint Ande augenzwinkernd und geht mit Dennis Richtung Werkstatt, wo ein kleines Patina-Tutorial wartet.

Dreimal Patina: Der hellgelbe Porsche 911 zeigt nur bei genauem Hinsehen Altersspuren, der steingraue 356 könnte kaum verwitterter aussehen, der signalrote Speedster ist moderat gealtert und immer nur bewegt und repariert worden.Foto: THEODOR BARTH, DENNIS KISSLING
Dreimal Patina: Der hellgelbe Porsche 911 zeigt nur bei genauem Hinsehen Altersspuren, der steingraue 356 könnte kaum verwitterter aussehen, der signalrote Speedster ist moderat gealtert und immer nur bewegt und repariert worden.
Restaurieren kann man immer. Aber Patina gibt es nur einmal. Deshalb verändert sich der Charakter großer Fahrzeugsammlungen – Historie kommt vor Glanz
Steingrau: So sieht eine behutsam erneuerte Reserveradwanne aus, bei der die Patina angeglichen wurde.
Foto: THEODOR BARTH, DENNIS KISSLING

Patina – der Begriff kommt eigentlich aus dem Lateinischen: patina/patinae, Femininum – Pfanne, Schüssel. Und da sich früher auf metallenen Pfannen mit den Jahren eine Schicht ablagerte, wurde Patina in der Renaissance, als man die Klassik und ihre Sprachen und Sitten wiederentdeckte, auch zum Begriff für solche Schichten. Egal ob oxidiertes Kupfer oder Messing und später sogar nicht metallische Oberf lächen: Alles Patinierte empfand man als erhaben, von Benutzung geadelt, aber – und das ist ein wichtiger Punkt – nicht verschlissen oder vernachlässigt. Ein patiniertes Objekt galt und gilt als qualitativ hochwertig. Jede Schicht ein Beleg von Alter und sinnhaftem Gebrauch.

Im Grunde also ein perfekter Begriff für einen Porsche, der sein Leben gelebt hat und nun ehrenvoll die Halle eines Museums betritt oder die Garage des nächsten Besitzers entert, der ihn hegt und pf legt. Doch seit die Oldtimerszene den Begriff vor gut 15 Jahren für sich entdeckt hat, wird mit ihm viel Schindluder getrieben. Von der Kippenschachtel im Fußraum bis zum fußballgroßen Rostloch war auf einmal alles Patina. Ein ehrfurchtsvolles Wort, hinter dem sich gut die eigene Faulheit in der Wagenpf lege verbergen ließ. Es musste eine Definition gefunden werden.

Die Charta von Turin der Fédération Internationale des Véhicules Anciens (FIVA) hilft heute, patinierte Fahrzeuge von Verbrauchtmobilen in unpf legender Letzthand zu unterscheiden. In 11 Artikeln fordert die Charta zur Erhaltung der historischen Substanz unter Verwendung zeitgemäßer Materialien und Arbeitsprozesse auf, wenn es um die Erhaltung, Restaurierung oder Reparatur historischer Fahrzeuge geht. Ein Handbuch erläutert diese 11 Gebote guten Handwerks und lässt auch Auslegungen zu. War in den 80er-Jahren der Spruch »besser als neu« noch gängig in jeder zweiten Kleinanzeige, so weiß man heute, dass manches Fahrzeug besser nicht neu lackiert worden wäre, weil damit ein Stück Autogeschichte verloren gegangen ist. Ande Votteler geht noch einen Schritt weiter: »Damals hat man meistens überlappend und mit Schutzgas geschweißt. Es wurde millimeterdick gespachtelt, was das Zeug hält. Wenn ich da heute die Lackdicke messe, dann wird deutlich, wie weit diese Manie des ›Besser als neu‹ uns gebracht hat.« Er sieht darin ein Generationenproblem: »Gerade die Kriegsgeneration wollte alles Unperfekte, alles Graue hinter sich lassen. Heile Welt war Trumpf. Das hat sich auch in den Restaurierungen widergespiegelt.«

Signalrot: Wieso sind da drei Nieten? Weil da mal ein Spiegel war...
Foto: THEODOR BARTH, DENNIS KISSLING

Am steingrauen 356 Coupé lässt sich wunderbar ablesen, was eine Patina-Restaurierung bedeutet. Der 1957 gebaute Wagen hat sehr lang in einer Art offenen Scheune gestanden. Vermutlich wegen eines Motorschadens ist er abgestellt worden. Der Zahn der Zeit hat an einigen Stellen genagt. An vielen aber erfreulicherweise überhaupt nicht. Die Reserveradwanne ist neu angefertigt, was man aber überhaupt nicht sieht. »Hier haben wir so wenig wie möglich herausgetrennt und dann auf Stoß WIG-geschweißt,« erläutert Dennis Kissling. Anschließend wurde der Bereich im Aussehen angepasst.

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Dennis hat jeden Arbeitsschritt mit der Kamera dokumentiert: »Das machen wir bei jedem Auto, das wir aufarbeiten.« Die besondere Kunst ist, dass man am Ergebnis praktisch nicht sieht, dass eingegriffen wurde, ein Nachpatinieren, das sich lohnt: Die Reserveradwanne des 356 wirkt, als könnte es gar nicht anders sein.

Bei den Sitzen ist allerdings Totalersatz angesagt. Das Kunstleder ist so von der Sonne verbrannt, dass es schon bei leichtem Druck einfach zerbröselt. Hier werden Alu-Sitzschalen mit passendem Bezug Einzug halten. Auch wegen des Seitenhalts. Bei der Technik schlägt das Pendel immer deutlich in Richtung Haltbarkeit und Zuver- lässigkeit aus. Der Einsatz späterer, von Porsche in der Serie verbesserter Bauteile? Definitiv ja! Ein historisch korrektes Leistungs-Upgrade für den Motor unter Beibehaltung möglichst vieler Anbauteile im ursprünglichen, nur gereinigten Zustand? Sehr gern! »Es kommt auf die Kundenwünsche an. Wir beraten sehr viel, diskutieren Möglichkeiten, raten im Zweifel auch mal von Ideen ab, damit der originale Charakter des Fahrzeugs erhalten bleibt«, so Ande Votteler. Gleiches gilt auch für die Konservierung. »Es gibt keinen rostfreien Oldtimer. Irgendwo, in irgendeinem Winkel wird immer Rost oder zumindest Rostansatz sein«, weiß der erfahrene Restaurator. Beim Thema Hohlraumversiegelung gibt es für ihn dennoch keine Dogmen: »Eine Versiegelung ist sicherlich sinnvoll, aber wenn ein Besitzer nicht möchte, dass Hohlräume angebohrt werden, und er den Wagen vielleicht eher in eine Sammlung integriert und wenig fährt, dann muss das nicht sein.«

Wie restaurieren wir künftig? Behutsamer Umgang mit historischer Substanz, meisterhafter Ersatz von Blech und hochwertige Reproduktionen sind gefordert.

Die Patina am 356 war für den Kunden ein wichtiger Kaufgrund. Für Ande und Dennis ist Patina aber nur ein Argument beim Autokauf. Originalität ist der entscheidende Faktor: »Die Substanz muss stimmen. Natürlich ist es gut, wenn noch nichts angetastet wurde. Oft bedingt das eine das andere. Ich würde nie ein billiges Restaurierungsobjekt kaufen einfach nur, weil es billig ist. Da steckt man viel mehr hinein«, weiß vor allem Ande aus fast 30 Jahren Erfahrung in diesem Geschäft. Er mag Patina gern, sein roter Speedster ist dafür der Beweis: »Die Gelassenheit des Vorbesitzers fasziniert mich. Er hat den Wagen immer gut gepf legt und repariert, aber nie zu viel gemacht.« Der Porsche wurde bei Slalomrennen und sogar bei der Pan American Rally III im Oktober 1962 eingesetzt, wovon bis heute die kleine Plakette am Armaturenbrett gleich links vom Motorola-Radio Zeugnis ablegt.

Ganz unbemerkt ist ein Schlüsselbegriff gefallen, der wie kein anderer für Patina steht und die Brücke bildet zu Ande und Dennis: Gelassenheit. Je gelassener die Vorbesitzer gehandelt haben, umso mehr hatte die Patinaschicht Zeit zu wachsen. Geduldig hat Ande schon immer nach solchen Fahrzeugen gesucht. Und mit der gleichen Gewissenhaftigkeit und Gelassenheit gehen Dennis und er mit ihren Partnern und Mitarbeitern an die Restaurierung der in Ehren ergrauten Porsche. Porsche und Patina passen zusammen. Perfekt oder unperfekt ist ebenso wie der Begriff Schönheit etwas Subjektives. Der Kult um vollständige Dokumentation und Patina geht Ande eigentlich schon zu weit: »Oft werden schlechte oder mittelklassige Fahrzeuge mit einer guten Historie aufgepeppt. Doch die Substanz des Autos ist wichtiger. Eine gute Historie ist das Tüpfelchen auf dem i.« Sein Credo: »Möglichst lang erhalten, restaurieren kann man immer noch. Auch zwei- oder dreimal. Patina-Autos sollte man schonen und sammeln. Doch kaputt stehen sollen sie sich auch nicht.

Und so folgt endlich der Fahrteil der Geschichte. Dennis und Ande gönnen sich eine Runde über die Schwäbische Alb. Die hochgereckten Daumen, die sie auf dieser Fahrt ernten, legen sich wie Balsam auf die Seele. Beide Autos zirkeln perfekt um die Ecken, laufen seidenweich. So soll es sein, so wird Dennis im Dienste des Hobbys weiterarbeiten. Patinaschicht für Patinaschicht. :::

»Oft werden schlechte oder mittelklassige Fahrzeuge mit einer guten Historie aufgepeppt. Doch die Substanz ist wichtiger.«
Keine Kompromisse: Technisch müssen auch patinierte Fahrzeuge wie neu sein. Nur so bleibt in jeder Kurve das gute Gefühl erhalten, einen Porsche zu fahren.
Keine Kompromisse: Technisch müssen auch patinierte Fahrzeuge wie neu sein. Nur so bleibt in jeder Kurve das gute Gefühl erhalten, einen Porsche zu fahren.