Porsche-DNAPariser Plätze

Thomas Fuths

 · 23.03.2023

Porsche-DNA: Pariser Plätze
Foto: Markus Bolsinger
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Im September vor 20 Jahren wurde der Carrera GT als Studie in Paris vorgestellt. 2020 startet PORSCHE KLASSIK noch einmal den V10 des ersten aus Kohlefaser gefertigten Serien-Porsche.

Projektnummer 980: der Porsche Carrera GT vor dem Brandenburger Tor auf dem Pariser Platz in Berlin.
Foto: Markus Bolsinger

Es war noch vor Sonnenaufgang in den ersten Morgenstunden des 28. September 2000, als Porsche der Weltpresse in Paris die Studie des Carrera GT vorstellte. Walter Röhrl saß am Steuer des neuen Supersportwagens. Er pilotierte den 558 PS starken V10-Mittelmotor-Boliden über den Place Charles-de-Gaulle, der als Place de l’Étoile viel bekannter ist, da sein Kopfsteinpflaster einen Stern formt, aus dem der Arc de Triomphe emporsteigt. Röhrl hatte den Job, die schiere Kraft des Motors an diesem verregneten Morgen vor den Augen der internationalen Medien einigermaßen sauber über die Hinterachse auf das nasse und rutschige Pflaster des Platzes zu bringen. Der zweifache Rallye-Weltmeister meisterte die Angelegenheit souverän: Die Bilder von Röhrl im offenen Carrera GT auf dem Weg vom Triumphbogen zum Louvre, eskortiert von französischen Motorradpolizisten, gingen als automobile Sensation um die Welt. Denn Porsche hatte mit dieser Studie den neuen Status quo der Sportwagen definiert und die Grenzen des Machbaren verschoben. Kleine Jungs hängten sich fortan das Poster der Studie in die Kinderzimmer, große Jungs träumten von diesem Porsche, und reiche Jungs wollten ihn einfach bestellen. Doch es gab ihn nicht. Porsche musste den Carrera GT erst noch zu Ende entwickeln und dann schließlich irgendwo bauen. Denn im Jahr 2000 war dieser Sportwagen nicht mehr als eine kühne Vision, entstanden aus den Modulen eines neuen Rennwagens, der eigentlich bei den 24 Stunden von Le Mans um den Sieg fahren sollte.

Es gibt Sportwagen. Und es gibt Rennwagen. Der aus einem Le-Mans-Prototyp abgeleitete Porsche Carrera GT ist ein 612 PS starker Rennwagen mit Straßenzulassung.

20 Jahre nach dem Debüt des Conceptcars in Paris hatten wir den Plan, mit dem 612 PS starken Serienwagen an die Seine zurückzukehren. Doch Pläne taugen 2020 wenig, weil Corona sie alle über den Haufen wirft. Paris wurde wieder zum Risikogebiet mit Ausgangssperren. Und so entschieden wir uns, den Porsche Carrera GT als
Hommage an Paris auf dem Pariser Platz in Berlin zurück in die Gegenwart kehren zu lassen. Brandenburger Tor, Oktober 2020. Es nieselt, genau wie vor 20 Jahren in Paris. Trotz Corona ist der Pariser Platz belebt. Die Kameras der Smartphones nehmen den Carrera GT ins Visier. »Darf ich mal reinschauen?«, fragen die kleinen und großen Jungs von heute und lassen sich von ihren Schwestern, Freundinnen und Müttern mit dem Wagen ablichten – übrigens kein Klischee, sondern erlebte Realität. Dieser Porsche spielt noch heute in einer eigenen Liga. Und das erkennen die Menschen, auch wenn die meisten von ihnen das Auto selbst nicht mehr kennen. Kopfsteinpflaster liegt auch auf dem Pariser Platz in Berlin. Ich starte den Motor und bemühe mich, den Wagen möglichst unspektakulär in Bewegung zu setzen. Doch die »Porsche Ceramic Composite Clutch«, eine kurz PCCC genannte Keramikkupplung, und der V10 hinter der Rückenlehne machen es mir nicht gerade leicht. Ich ahne, wie es Röhrl mit dem Wagen damals wohl in Paris ergangen sein könnte – gibst du einen Hauch zu viel Gas auf dem nassen Pflaster, drehen die 20-Zoll-Hinterräder gnadenlos durch.

Der Carrera GT hat eine unglaubliche Strahlkraft. Er ist ein Kunstwerk. Die Menschen begegnen dem Wagen mit Respekt.

Trotz Traction Control. Bei zu wenig Drehzahl läufst du indes Gefahr, den Zehnzylinder hinter dir abzuwürgen – auch ein peinliches Desaster, wenn ohnehin alle Blicke auf dem Wagen ruhen. Also zusammenreißen und los geht es durch das nächtliche Berlin und irgendwann raus in Richtung Avus. Mit Drehzahlen zwischen 2.000 und 3.000 U/min schieben wir uns im zweiten und manchmal dritten Gang vorbei am Potsdamer Platz und dem neu aufgebauten Stadtschloss zur Museumsinsel. Ganz gleich ob Touristen oder Berliner – die meisten blicken dem Wagen respektvoll hinterher, Daumen gehen hoch. Die Linienführung des Carrera GT entstand im Team des damaligen Porsche-Chefdesigners Harm Lagaaij; unter seiner Regie schuf dieses Team ein automobiles Kunstwerk, das auch nach 20 Jahren nichts von seiner Strahlkraft verloren hat.

Diese Strahlkraft allerdings beruht ebenso auf der unvergleichlichen technischen Basis des Carrera GT. Am Anfang des Projektes stand wie skizziert ein reiner Rennwagen: der lange Zeit geheim gehaltene Porsche LMP2000. Dieser nie in einem Rennen eingesetzte und intern 9R3 genannte Le-Mans-Prototyp wurde 1998 fertig und besaß einen V10-Motor; das Chassis des Rennwagens bestand aus Kohlefaser. Weshalb auch immer fiel die Entscheidung, zunächst einmal nicht nach Le Mans zurückzukehren. So entstand die Idee, mit den technischen Filetstücken des 9R3 die Sportwagenwelt aufzumischen. Dem folgte die Entwicklung der auf dem Mondial de l’Automobile in Paris gezeigten Studie. Dass dann noch einmal zweieinhalb Jahre bis zum Debüt der Serienversion auf dem Genfer Salon 2003 vergingen, hatte diverse Gründe. Einer davon war die Aerodynamik: Die Optik der Serienversion sollte sich gegenüber der Studie nicht mehr verändern.

Kein Spielzeug: Der Porsche Carrera GT lässt dich als Fahrer jede Sekunde wissen, dass er ein Rennwagen ist. Deshalb fährt man ihn sehr bewusst und konzentriert.

Um den später 330 km/h schnellen Serienwagen sicher auf die Straße zu pressen, musste deshalb ein ausgeklügeltes Aerodynamikkonzept entwickelt werden. Sichtbar ist davon nur der elektrisch ausfahrbare Heckflügel. Darüber hinaus aber ist der komplette Carbonunterboden verkleidet; zusammen mit einem Heckdiffusor wird durch die Unterbodengeometrie ein Ground-Effekt wie bei einem Rennwagen erzeugt, der den Wagen förmlich auf die Straße klebt. Die größte Herausforderung war jedoch die Fertigung des Monocoque-Chassis und des Aggregateträgers – erstmals bei einem Serien-Porsche wurde beides komplett aus leichtem, aber hochfestem CFK hergestellt. Dazu richtete Porsche 2003 im neuen Werk Leipzig eigens eine Manufakturfertigung ein. Hinzu kamen weitere Feinheiten wie aus Kevlar geformte und damit ebenfalls sehr leichte Sitzschalen, Keramikbremsscheiben, Doppelquerlenker-Pushrod-Achsen (getrennte Führung und Federung) und die weltweit erste Zweischeiben-Trockenkupplung aus Keramik.

Mit einem Scheibendurchmesser von 169 Millimetern baut diese hoch belastbare Kupplung besonders kompakt und erlaubt es so, für den V10 und das 6-Gang-Schaltgetriebe einen sehr tiefen Schwerpunkt zu realisieren. Gegenüber der Studie wurde der Hubraum von 5,5 auf 5,7 Liter und die Leistung auf 612 PS erhöht. Der Punkt ist, dass diese Leistung auf nur 1.380 Kilogramm trifft – 2,25 Kilogramm pro PS. Die messbare Folge: Auf der Avus katapultiert der V10 den Wagen in nur 3,9 Sekunden auf 100 km/h. Sehr präzise ist die Schaltung; perfekt in der Hand liegt der hoch angeordnete Schaltknauf aus Buchenschichtholz – ein wunderbares Detail aus der Frühzeit des Motorsports und ein dezenter Hinweis darauf, dass der Carrera GT trotz Straßenzulassung im Kern ein Rennwagen geblieben ist. Und genau das macht diesen Porsche so unvergleichbar faszinierend.


Foto: Markus Bolsinger
Foto: Markus Bolsinger

TECHNISCHE DATEN

Porsche Carrera GT

  • Motor: V10-Zylinder-Saugmotor, 68° Zylinderwinkel
  • Hubraum/Verdichtung: 5.733 cm³/12,0:1
  • Leistung: 450 kW/612 PS bei 8.000 U/min
  • Max. Drehmoment: 590 Nm bei 5.750/min
  • Getriebe: 6-Gang-Schaltgetriebe mit Keramikkupplung
  • Beschleunigung: 3,9 s auf 100 km/h, 9,9 s auf 200 km/h
  • Höchstgeschwindigkeit: 330 km/h
  • Leergewicht: 1.380 kg
  • Länge/Breite/Höhe/Radstand: 4.613/1.921/1.166/2.730 mm
  • Bauzeit/Stückzahl/Werk: 2003 bis 2006/1.270/Leipzig
  • Neupreis 2003: 452.690 Euro