Christian Steiger
· 03.03.2023
Vor 70 Jahren beginnt bei Porsche die Ära Carrera. Für den ersten Achtungserfolg in Mexiko braucht es nicht viel: zwei serienmäßige 356 Super 1500, einen jungen Mechaniker aus Weissach, vier junge Adelige mit Vollgas-Gen – und den Leichtsinn der frühen Nachkriegszeit.
»Das Cabriolet, in dem ich fuhr, war der Privatwagen des Prinzen, ein normaler 1500 Super und im Übrigen damals der einzige Porsche in Mexiko.«
»Am Ziel tat mir der rechte Fuß weh vom dauernden Vollgasgeben.«
Sie sind zu fünft, ein Baron, ein Fürst, ein Graf und ein Prinz, nur Herbert Linge ist nicht von Geburt an adlig, sondern ein bürgerlicher Kfz-Mechaniker aus Weissach bei Stuttgart, deshalb machen sie ihn zum Herzog. Die mexikanischen Zeitungen glauben das gern, weshalb »Das königliche Team mit den kleinen Autos« die Schlagzeilen fett macht. So einfach ist es vor 70 Jahren mit den Public Relations, als die ersten beiden Porsche bei der Carrera Panamericana mitfahren. Das ganze große Land dreht durch, wenn das Langstrecken-Rennen über die neue Fernstraße von der Grenze zu Guatamela bis nach Ciudad Juárez im Norden läuft. Zum dritten Mal findet das Spektakel im November 1952 statt, doch die Organisatoren haben erst im Jahr zuvor das Reglement gelockert, jetzt sind auch Sportwagen dabei und nicht mehr nur Fünfsitzer. Und zum ersten Mal gehen deutsche Teams an den Start. Natürlich bringt Mercedes den neuen Flügeltürer mit. Gleichzeitig beginnt für Porsche die Ära Carrera, auch wenn es nicht der Hersteller selbst ist, der die 356er meldet. Darum kümmert sich in bester Guerilla-Manier der Club junger Blaublüter, die ihren Schrauber kurzerhand in den Adelsstand erheben.
Glamouröse Typen sind sie alle, deshalb lohnt sich ein Blick in ihre Lebensläufe, bevor es ums Rennen geht. Der Platz ist zu knapp, um alle Vornamen des damals 28-jährigen Prinzen zu Hohenlohe-Langenburg aufzuzählen, deshalb nennen wir ihn einfach Alfonso. Die Kommunisten haben ihn von seinen böhmischen Besitzungen nach Mexiko verjagt, in die Heimat seiner Mutter, wo er neben zahlreichen Jetset-Aktivitäten als Volkswagenund Porsche-Importeur wirkt. Der Sportwagen-Absatz könnte allerdings besser anlaufen, sein dunkelblaues 356 1500 Super Cabriolet ist vor 70 Jahren der einzige Porsche in der Weite des boomenden Lands. Das soll sich mit der Carrera Panamericana ändern, beschließt der Prinz, deshalb ist auch ein gelbes 1500er Coupé auf dem Weg nach Mexiko. Blöd nur, dass ihm seine Familie die Teilnahme an der Carrera verbietet.
Es hilft, dass Alfonso noch immer gut in der alten Heimat vernetzt ist, so kommen Paul Alfons Fürst von Metternich (damals 35) und Philipp Constantin Graf von Berckheim (28) ins Spiel. Den Besitz großer Weingüter haben sie ebenso gemeinsam wie ihre Liebe zum Rennsport. Metternich wird später Präsident des Automobilclubs von Deutschland und vor allem der FIA werden, die Teilnahme an der Carrera traut er sich anfangs ohne Beifahrer zu. Doch dann steht da zwei Tage vor dem Start auf einer Cocktailparty in Tuxtla-Gutierrez Manuel Baron de Teffé von Hoonholtz, ein brasilianischer Diplomat mit Rennvergangenheit.
»Er war Feuer und Flamme«, erinnert sich Metternich später, »am nächsten Tag nahm ich ihn gleich mit an die Strecke.« Da wartet auch schon der 24-jährige Herbert Linge aus Weissach, der es nicht weit nach Mexiko hatte, weil er für Porsche und den New Yorker Traumwagen-Großhändler Max Edwin Hoffman gerade das amerikanische Servicenetz aufbaut. Tagsüber soll er als Beifahrer ins Coupé des Grafen Berckheim steigen und nachts an den beiden Autos schrauben, so viel offizielle Unterstützung aus Zuffenhausen muss vorerst reichen.
Zwar fährt zur Unterstützung auch der Prinz zu Hohenlohe mit, auf dessen Oldsmobile in fetten Lettern »Mama Porsche« steht, doch völlig inoffiziell ist es das Serviceteam von Mercedes-Benz, das für die schwäbischen Kollegen unter anderem den Transport der Reifen übernimmt. Dafür hilft der ortskundige Prinz Alfonso dem Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer beim Verhandeln mit den mexikanischen Behörden. Im Porsche-Hausmagazin »Christophorus« klingt es hinterher so, als müsste es ein Wochenschau-Sprecher mit vielen rollenden rrrr sprechen: »Es stand hier keine Minute eine Konkurrenzfrage zur Diskussion, wir alle waren eben deutsche Sportsleute, die eine große Aufgabe zu erfüllen hatten. Wir haben in den wenigen Wochen in der Neuen Welt vielleicht mehr für den deutschen Namen getan, als es der beste Diplomat in Jahren vermag.«
Doch vorher kämpfen die deutschen Teams mit denselben Problemen. In der Sportwagen-Klasse treten sie gegen den Vorjahres-Sieger Ferrari an, als ebenso zähe Gegner erweisen sich aber die Amischiffe mit ihren getunten V8-Motoren und massiv modifizierten Fahrwerken, zu denen pro Rad zwei armdicke Stoßdämpfer gehören. In ihren rasenden Festungen geben die Amerikaner einfach Vollgas, wenn sich vor ihnen eine tiefe Senke auftut, die den leichten Wettbewerber aus Old Germany schon bei Tempo 50 abheben lässt. Und die Bodenwellen sind im Mexiko der frühen Fünfziger überall, weil sie während der Regenzeit als Wasserabläufe dienen und gleichzeitig Schnellfahrer vor den Ortseingängen bremsen sollen.
Auch auf den rauen Asphalt der Fernstraße sind die Deutschen nicht vorbereitet. Die mexikanische Fahrbahndecke »ist eine Teer-Makadam-Schicht, aus der die einzelnen Körnchen wie kleine Nadeln herausstehen«, wie Fürst Metternich notiert. Das Gummi der europäischen Dunlop-Reifen raspelt die Oberf läche in Rekordzeit ab, es kommt sogar zu Leinwandbrüchen, wie der Fürst berichtet. Auf den 3.371 Kilometern Gesamtstrecke verschleißt er im Schnitt alle 100 Kilometer einen Reifen, trotzdem reißt er die letzte Etappe mit einem Schnitt von 169 km/h ab. Und am Ende kommt er als d er Gesamtwertung ins Ziel, was die Muchachos im Publikum so begeistert, dass sie vor Freude auf den kleinen Heldenwagen springen.
Das gelbe Coupé des Grafen Berckheim dagegen fällt schon in der zweiten Etappe von Oaxaca nach Puebla aus. Es liegt am Getriebe, so viel steht fest, doch von da an unterscheiden sich die Quellen. Der deutsche Journalist Günther Molter berichtet von »einem Stein, der das Getriebegehäuse durchschlagen hat«, während Porsche-Protokollant Ghislaine Kaes am 12. Dezember 1952 mit dem Hinweis »Vertraulich« festhält, was wirklich los war. »Mehrmals sprang der vierte Gang heraus, bis kein Gang mehr einzuschalten war. Herr Linge mühte sich etwa eine halbe Stunde ab. Dann konnte der zweite Gang eingeschaltet werden. Mit dem zweiten Gang fuhr Graf von Berckheim die Vormittagsetappe zu Ende. Am darauffolgenden Nachmittag musste ein Durchschnitt von 86 km/h gehalten werden. Graf von Berckheim versuchte das mit dem zweiten Gang. Der Versuch mißlang.«
Mit einem zerstörten Getriebe und den Beulen im Blech des Cabriolets kommen die Deutschen gut weg. Legendär wird die dramatische Begegnung der Mercedes-Piloten Karl Kling und Hans Klenk mit einem Aasgeier, der in die Windschutzscheibe ihres 300 SL f liegt und den Gesamtsieg dennoch nicht vereitelt. Bitterer gehen die diversen Kollisionen mit frei laufenden Kühen und Eseln aus, »obwohl Polizei und Militär den Befehl haben, sämtliches Viehzeug an der Strecke abzuschießen«, wie der staunende Günther Molter damals schreibt. Doch auch ohne lebendes Hindernis legt sogar ein alter Routinier wie Alberto Ascari seinen Ferrari 340 aufs Dach. Und sein französischer Kollege Jean Behra kommt – so noch einmal Molter – »nur durch ein Wunder mit dem Leben davon«, als er mit seinem Gordini Type 15 S in eine Felsschlucht rast. Dem Fürsten Metternich im blauen 356 Cabriolet tut im Ziel dagegen nur der rechte Fuß weh – »vom dauernden Vollgasgeben«.
Prinz Alfonso ist es recht, er bestellt nach dem Rennen erst einmal drei weitere Neuwagen in Zuffenhausen. »Für Porsche zeichnet sich eine erfolgreiche Zukunft in Mexiko ab«, meint auch Ghislaine Kaes und nimmt für die Teilnahme an der Carrera 1953 die Anregungen des Prinzen zu Hohenlohe-Langenburg und des Grafen zu Berckheim auf. Ganz wichtig: »Fahrer und Beifahrer sollten Sturzhelme tragen«. :::