Jürgen Lewandowski
· 08.03.2023
In den frühen 50er-Jahren war der 356 1500 Super ein Racer, für die Rennstrecke gedacht, vielfach verheizt. Doch dieses Exemplar hat als Zeitkapsel überlebt. Seine Erstbesitzerin hatte nicht Rasen, sondern Reisen im Sinn.
Am 7. März 1955 bestellte Elfriede Becher – die Gattin des Tabak- und Automaten-Großhändlers Ernst Becher aus Winterborn bei Waldbröhl – bei dem Kölner Porsche-Händler Fleischmann ein Porsche-Automobil Typ 356 / Coupe 15oo cm³ Super 70 PS. Schon damals ein seltenes Modell, denn der 1500 Super galt mit seinen 177 km/h Höchstgeschwindigkeit als Rakete unter den 356-Varianten, die bevorzugt von Sportfahrern erworben wurde. Doch Ernst Becher hatte nicht vor, mit seinem 1500 Super auf dem Nürburgring Gas zu geben – er wollte mit seinem Schmuckstück stilvoll in den Urlaub fahren.
Und so stattete er den silbernen 356 – Farbe und Ausstattung wurden erst bei einem Besuch in Zuffenhausen ausgewählt – mit allem aus, was seine Vergnügungsfahrten angenehmer werden ließ. Da war zuerst einmal ein Golde-Schiebedach, dazu kam ein Becker-Mexiko-Autoradio – das samt Antenne mit Kurbelbetrieb so viel wie ein VW Käfer kostete –, zudem verzichtete er auf die Lederausstattung und bestellte stattdessen eine Skai-Kunstleder-Ausstattung, die damals sehr en vogue war.
Damit nicht genug: Becher orderte spezielle Sonnenblenden, ein Ölthermometer und neben dem Radio montiert eine große Zeituhr. Dazu kam ein ganz besonderer Wunsch: Er hatte sich in die flachen, aerodynamisch verfeinerten Rückspiegel des frisch vorgestellten 550 Spyder verliebt – und so wurde dieser 1500 Super als wahrscheinlich einziges Modell seines Stammes ab Werk mit einem 550-Spyder-Sportspiegel ausgeliefert. Ein Besuch bei Porsche, der sich auf den Kaufpreis auswirkte: Stand in der Bestellung noch ein stattlicher Gesamtpreis von 13.800 Mark, so endete die Summe bei der Auslieferung bei 22.800 Mark. Für die Differenz hätte Becher nahezu ein 356 1100 Coupé erwerben können. Womit dieser 356 1500 Super eines der teuersten Fahrzeuge gewesen sein dürfte, die im Frühsommer 1955 ausgeliefert wurden. Im Mai 1955 war es dann so weit: Am 17. Mai konnte Ernst Becher seinen Traumwagen zulassen – das Kennzeichen: R 723 313.
Seine Ursprünge hat der 1500 Super im Jahr 1952, als das noch junge Unternehmen – auf Anregung aus den USA – beschloss, eine besonders sportliche Variante des 356 für Sporteinsätze zu bauen. Das Ergebnis war der nur in 17 Exemplaren gebaute American Roadster (Typ 540), der mit seinem 70 PS leistenden 1,5-Liter-Triebwerk auf den Rennstrecken für Aufsehen sorgte.
Ein Wunder an Originalität – der 1500 S hatte stets das Glück, Kenner als Besitzer zu haben. Und er hat erst 38.927 Kilometer auf dem Tacho.
Allerdings hatte Porsche schon länger über einen 1,5-Liter-Motor nachgedacht, denn das bis dato verwendete VW-Triebwerk ließ sich konstruktionsbedingt nicht über 1,3 Liter Hubraum vergrößern. Der Startschuss dafür wurde am 31. Juli 1950 gegeben, als die Arbeit an einem »1,5-Liter-Sport-Rennmotor« mit der Typnummer 502 aufgenommen wurde. An der Entwicklung beteiligt war die Firma Mahle, deren chrombeschichtete Aluminiumzylinder eine Aufbohrung von 73,5 auf 80 mm erleichtert hatten – dazu kam die Albert Hirth GmbH mit ihren mehrteiligen Kurbelwellen, die durch die Abwesenheit von Pleuellagerbolzen den Hub um 10 mm auf 74 mm steigern ließen und so einen Hubraum von 1.488 cm³ ermöglichten.
Diese Hirth-Kurbelwellen, auf die Ferdinand Porsche bereits bei den Auto-Union-GP-Rennwagen zurückgegriffen hatte, waren rollengelagert, später wurden sie für den normalen 1500 mit Gleitlagern ausgeliefert – man sieht, dass sich Porsche, um im Motorsport zu reüssieren, auf eine aufwendige Konstruktion eingelassen hatte, die – um die gewünschten 70 PS zu erreichen – mit einer auf 8,2:1 erhöhten Verdichtung, einer neuen Nockenwelle sowie größeren Solex-Vergasern ergänzt wurde. Erstmals lief dieser Motor dann 1952 in Le Mans. Im 1500-Super-Serienmotor kamen Solex-40-PBIC-Vergaser zum Einsatz, während der etwas zahmere 1500-Motor mit 55 PS Leistung mit kleineren Solex-32-PBI-Vergasern bestückt wurde.
Karl Ludvigsen schreibt dazu: »Die beiden Motoren ergänzten sich perfekt: Der 1500 Super wandte sich an den schnellen Fahrer – der 1500 an diejenigen, denen ein allzeit runder und leiser Lauf wichtiger als extremes Tempo und rapide Beschleunigung war. Da er keinen Beinamen hatte, wurde der schwächere 1500 im Werk bald als ›Normal‹ und im Volksmund als ›Dame‹ bezeichnet.«Von 1953 an erhielt der 1500 Super auch das neue, nun voll synchronisierte Vierganggetriebe und vergrößerte Bremsen – die knapp 180 km/h Höchstgeschwindigkeit hatten danach verlangt.
Ernst Becher sah seinen 1500 Super – der als Topmodell erst im Herbst 1955 durch die DOHC-Carrera-Motoren, die Ernst Fuhrmann entwickelt hatte, abgelöst wurde – nie als verkappten Rennwagen. Er polierte ihn permanent und intensiv, sodass heute teilweise die Grundierung durchscheint. Und er genoss in ihm seine Urlaubsfahrten, wie die Vielzahl von Emblemen an der vorderen Stoßstange beweist. Dass dies ein besonderer Porsche war, wusste auch Elfriede Becher, die – nachdem der Gatte verstorben war – beschloss, ihn an einen Kenner zu verkaufen, bevor ihn der Sohn erben würde. Der Glückliche war ein Arzt, der ihn vor etwa 25 Jahren weiterveräußerte – aber auch er suchte einen Kenner, der mit dem zuweilen kapriziösen Triebwerk umzugehen wusste.
Nach einer vorweihnachtlichen Fahrt durch das Rheinland kam das Juwel dann vor rund einem Vierteljahrhundert zu dem heutigen Besitzer, der ihn seitdem hegt und pflegt – und in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mit ihm ganze 3.200 Kilometer zurückgelegt hat. Eine Zeitkapsel, die Classic Data so beschreibt: »Dieser 356 / 1500 S ist in einem absoluten, außergewöhnlichen Originalzustand und somit von einem unwiederbringlichen Wert«.
TECHNISCHE DATEN
Porsche 356 1500 Super