Thomas Fuths
· 24.04.2023
Der Antrieb eines 964 Cup geriet in einen normalen Carrera 2. Es entstand ein Sportwagen höchster Güte.
Mai 2016. Die künftigen Eigentümer eines äußerst ungewöhnlichen Porsche betreten das »Oldtimer Studio« im norddeutschen Lohne zwischen Oldenburg und Osnabrück. Dort haben sie einen 964 entdeckt. Dessen Eckdaten sind geheimnisvoll. Ein serienmäßiger Carrera 2, allerdings mit Cup-Motor und -Getriebe, jedoch kein Cup-Fahrzeug. Offiziell gab es eine solche Kombination von Porsche nie. Doch dieser Elfer existiert. Lackiert in Indischrot. Hervorragender Zustand. Schalter. Zugelassen immer in Deutschland. Irgendetwas über 100.000 Kilometer auf dem Tacho. Preis okay. Jagdfieber kommt auf. Aus »nur mal schauen« wird ein »must have«. Kurze Probefahrt. Ungewöhnlich agil im Antritt. Rauf auf die Bühne. Genau begutachten. Auch von unten. Pablo, dem der Wagen wenige Augenblicke später zusammen mit Martina gehören wird, streift um das Heck. Ganz darauf konzentriert, das Fahrwerk über sich auf der hochgefahrenen Bühne zu untersuchen, stößt er mit dem Kopf gegen den noch heißen Wärmetauscher der Abgasanlage. So als hätte der 964 nun genug von dieser Musterung. Take it or leave it. Sie nehmen ihn. Nicht trotz, sondern auch wegen des unfreiwilligen Brandmals. Martina: »Es war nicht so, dass wir uns das Auto ausgesucht hätten, dieser Elfer hat uns ausgesucht.«
Am 19. Mai 2016 melden die neuen Eigentümer den C2 im Straßenverkehrsamt ihrer Heimatstadt irgendwo Richtung Nordsee an. Nahezu auf den Tag genau 24 Jahre nach der Erstzulassung und dem Beginn einer bewegten Geschichte. Einer Geschichte, in deren Verlauf dieser Sportwagen zu einem Unikat wird. Am Anfang ist der 964 einfach ein gut ausgestatteter Porsche – unter anderem mit Klimaanlage, elektrisch einstellbaren Ledersportsitzen, Sitzheizung, Scheinwerferreinigungsanlage, Servolenkung und Sperrdifferenzial an Bord. Einfach ein typischer 911 seiner Zeit, ursprünglich gar schon mit Frontairbags ausgerüstet. Ein 964 mit deutlichem Komfort. Und genau das wird einem der Vorbesitzer auf Dauer zu gemütlich. Denn der ist ein passionierter Rennfahrer aus Rheine. Ein Profi, der in Serien wie dem Veedol-Langstreckenpokal startet und zusammen mit Porsche-Ingenieuren aus Weissach schon mal kurzerhand die Vorderachse seiner 911-Rennwagen weiterentwickelt. Den roten Carrera 2 bewegt er als Daily Driver. Irgendwann bekommt der Mann einen 964 Cup in die Finger, dessen Karosserie bei einem Unfall zerstört worden ist.
Wo und wann, lässt sich bislang trotz intensiver Recherchen nicht genau rekonstruieren. Fakt ist, dass der 964 Cup zum Organspender für den Daily Driver wird. Wahrscheinlich umgebaut von der damaligen Horst Derkum GmbH aus Bergisch Gladbach, die intensiv im Motorsport aktiv war. Heute wäre das angesichts der Preise für einen 964 Cup unvorstellbar – einige angebotene Modelle durchschlagen die Schallmauer von 300.000 Euro. Doch in jenen Tagen sind luftgekühlte Elfer vergleichsweise »normale« Sportwagen, die zu moderaten Preisen gehandelt werden. Und so wirft der rote 964 C2 nun seinen 250 PS starken 3,6-Liter-Boxer ab und erhält einen Cup-Motor in der 265 PS starken Rennausführung samt Cup-Getriebe. Der Motor besitzt statt des schweren und damals neuen Zweimassen-Schwungrades ein deutlich leichteres Renn-Schwungrad. Das in den unteren zwei Gängen länger und in den oberen Gängen kürzer übersetzte Getriebe lässt sich aufgrund modifizierter Synchronringe deutlich schneller schalten. Mit der neuen Motor-Getriebe-Kombination erinnert der rote 964 in seiner Abstimmung an den 1991 vorgestellten 911 Carrera RS, der zwar leichter, aber auch 5 PS schwächer ist. Weshalb der Rennfahrer aus Rheine den Wagen 2013 verkauft, verliert sich zurzeit noch im Dunkel der Geschichte.
Ein Vorbesitzer ist Rennfahrer. Der bekommt eines Tages den Antrieb eines 964 Cup in die Finger und lässt ihn in den C2 einbauen. So entsteht ein Daily Driver mit Motorsport-Genen.
Der Porsche 964 C2 mit der Cup-DNA wird auf jeden Fall von einem Gutsbesitzer und Porsche-Kenner adliger Herkunft erworben und von ihm im Raum Osnabrück neu zugelassen. Er perfektioniert das Fahrwerk unter anderem mit einem anderen Stabilisator. Zu diesem Zeitpunkt dürfte der 964 auch die Stoßfänger des RS bekommen haben. Rund 20.000 Euro investiert der Freiherr in den Wagen und versetzt ihn damit auch optisch wieder in einen exzellenten Zustand. Rot jedoch gefällt den neuen Eigentümern des mittlerweile knapp 24 Jahre alten Porsche auf Dauer weniger als gedacht, und so verlässt der Wagen 2016 die Sammlung und den Gutshof in Richtung Lohne. Um dort von Pablo und Martina in Empfang genommen zu werden. »Rot«, sagt Martina, »ist eindeutig meine Lieblingsfarbe.« Für beide ist der Umgang mit klassischen Fahrzeugen eine Art Meditation. Ein Gegenpol zur beruflichen Welt.
Sie studierte Jura, er das Bauen von Flugzeugen. Beide arbeiten gemeinsam an ihren Fahrzeugen. »Wir versuchen immer zu optimieren«, so Pablo und Martina. Da der 964 bereits auf dem Gutshof in guten Händen war, mussten sie nur kleinere Details korrigieren. Der Wagen bekam neue Cup-Gussräder, eine neue Abgasanlage mit größerem Endrohr und kosmetische Features wie rote Dreipunktsicherheitsgurte. Eine stilvolle Entscheidung, denn der 964 Cup wurde damals mit roten Sechspunktgurten ausgeliefert. Viel mehr war nicht zu tun. Und so empfiehlt sich der wohl einzige 964 C2 normaler Bauart mit Cup-Motor als pure und mitunter durchaus eigensinnige Fahrmaschine. Der Motor und das Getriebe haben den Charakter des Porsche verändert. Matching Numbers spielen hier keine Rolle. Ähnlich wie bei einem Singer-Porsche. Vielmehr schufen die Eigentümer der Vergangenheit und Gegenwart ein Unikat, das mit zurückhaltender Schlichtheit und außergewöhnlicher Agilität fasziniert. Ein Sportwagen der reinen Lehre. Ein Glücksfall.
TECHNISCHE DATEN
Porsche 964 C2 mit Cup-Motor
Schuppen Eins – das Klassiker-Zentrum im Weser-Ems-Bereich
Die Fotoproduktion dieser Geschichte fand im Schuppen Eins in Bremen statt. 1959 errichtet, war der Komplex einst der größte Hafenschuppen der Hansestadt. Zwischen 2009 und 2013 wurde das unter Denkmalschutz stehende Gebäude durch den heutigen Betreiber, die KJH Schuppen Eins OHG, für 28 Millionen Euro saniert und zu einem Hotspot für automobile Klassiker umgebaut. Die Nutzung des Gebäudes ist vielfältig. Im Erdgeschoss gibt es einen 150 Meter langen Boulevard mit Betrieben für Old- und Youngtimer sowie verschiedensten weiteren Geschäften und Gastronomie. Der Schuppen Eins bietet zudem Eventräume. Im Obergeschoss gibt es indes Büros, Einstellplätze für Klassiker und 20 Wohnlofts. Die Location gilt als idealer Ort für automobile Events.
Ungeklärte Fakten.
Bis zum Redaktionsschluss ist nicht exakt klar, wie der Cup-Motor in den C2 kam und aus welchem Wagen er stammt. PORSCHE KLASSIK wird weiter recherchieren und den Schleier der Geschichte lüften.