Porsche-DNADer Heilige Gral

Jürgen Lewandowski

 · 23.04.2023

Porsche-DNA: Der Heilige GralFoto: THORSTEN DOERK/PORSCHE ARCHIV
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Mit dem 914 S hatte Ferdinand Piëch gezeigt, dass der 914 problemlos 300 PS vertrug – der 916 sollte nicht viel schwächer werden.

So sieht das Original aus: Die Optik des Porsche 916 orientierte sich zwar an der des 914/6 GT, doch er gab sich als souveräner Luxus-GT.
Foto: THORSTEN DOERK/PORSCHE ARCHIV

Natürlich wusste Ferdinand Piëch um die Qualitäten von Mittelmotor-Rennwagen – mit dem 904 GTS hatte sich Porsche erstmals in größeren Stückzahlen um diese Bauweise gekümmert, Modelle wie der Carrera 6 oder der 908 setzten die Tradition fort. Und 1969 sollte, parallel zum VW-Porsche 914, der Typ 917 das Haus Porsche endgültig an die Spitze des Motorsports bringen. So wundert es nicht weiter, dass Piëch sich im Versuch einen 914/6-Prototyp zur Seite gestellt und mit einem leicht gezähmten Triebwerk aus dem 908-Rennwagen mit »nur« noch 300 PS hatte ausrüsten lassen. Und wie nicht anders zu erwarten, erfüllte der auf den Namen 914 S getaufte Prototyp mit seinen
260 km/h Höchstgeschwindigkeit die Leistungansprüche des anspruchsvollen Technik-Chefs.

Rasch wurde noch ein zweiter 914 S gebaut, mit etwas weniger Leistung – 260 PS – und einer etwas höheren Alltagstauglichkeit, hier arbeiteten vier Weber-Doppelvergaser anstelle der kapriziösen Bosch-Renneinspritzanlage. Dazu bekam der silbern lackierte Wagen ein fest geschweißtes Blechdach, in dem ein minimales Schiebedach für etwas Frischluftzufuhr sorgte, und eine luxuriöse Innenausstattung samt Klimaanlage. Diesen Wagen erhielt Ferry Porsche im Herbst 1969 zu seinem 60. Geburtstag – er sollte in den nächsten Jahren mehr als 10.000 Kilometer darin zurücklegen.

Mit diesen beiden Unikaten hatte Ferdinand Piëch ein für alle Mal geklärt, dass ein 914 eigentlich immer untermotorisiert war, nun stand ihm der Gedanke nach einem gut motorisierten Unikat, das er in den nächsten Jahren tagtäglich einsetzen konnte. Deshalb schrieb Helmuth Bott, der spätere Technik-Vorstand des Hauses, am
31. August 1970 eine Hausmitteilung an Peter Falk mit der Bitte, für Herrn Piëch einen Rohbau 914 zu bestellen und mit einem von Herrn Hensler anzuliefernden Motor zu versehen. Natürlich hatte Ferdinand Piëch etliche Sonderwünsche, die alle zu seiner Zufriedenheit erledigt wurden: getönte Scheiben, verstellbarer Beifahrersitz, Ölkühlereinbau, großer Tank, innenbelüftete Bremsen, Stabilisatoren, Bilstein-Dämpfer. Dazu ein neuer Drehzahlmesser, der bis 10.000 U/min gehen sollte – der Grund dafür: Später sollte vor der Hinterachse ein 2,9-Liter-RSR-Motor die Arbeit aufnehmen. Termin: »Ohne Druck, jedoch nicht vernachlässigen.«

Im Februar 1971 wurde der Wagen, dem die Lebensgefährtin von Ferdinand Piëch rasch den Namen »Brutus« gab, ausgeliefert und zugelassen. Er sollte bis zum
16. April 1974 im Besitz der Familie Piëch bleiben. Dieses Unikat diente als Ideenträger für den Porsche 916 – er brachte die Aggressivität des 914/6 GT auf die Straße, verband sie mit mehr Alltagstauglichkeit und Komfort und gab dem neuen Familienmitglied mithilfe seiner eigenständigen Front- und Heckpartie ein anderes Aussehen. Zusammen mit dem verschweißten Stahldach – entsprechende Versuchsträger hatte es bereits vorher gegeben – konnte der 916 nun durchgehend in einer Wagenfarbe lackiert werden, was dieser Variante ein völlig eigenständiges Aussehen gab.

Man begann sich in Zuffenhausen – zumal auch die Verkaufszahlen des 914/6 nicht den Erwartungen entsprachen – mit dem Gedanken eines Luxus-914/6 anzufreunden, und es erging der Auftrag, mit den Erfahrungen von »Brutus« eine Topversion anzudenken und eine kleine Produktion vorzubereiten. Mit zu der Entscheidung hatte auch der Ende 1968 in Serie gegangene Ferrari 206 GT beigetragen, der von den Italienern unter dem Sub-Label »Dino« angeboten wurde. Ferrari konnte von dem 206 und 246 Dino bis 1974 mehr als 3.000 Exemplare verkaufen – das war eine schöne Erfolgsgeschichte, der die Stuttgarter nun ihre Version hinzufügen wollten.

Klar, dass in diesem Projekt nur das Beste zum Einsatz kommen sollte: der 2,4-Liter-S-Motor, der damals 190 PS lieferte. Über die zu verkaufenden Stückzahlen kursierten die unterschiedlichsten Angaben: zehn, 20, 50 oder sogar 100 Exemplare standen im Raum – keine wirklich großen Stückzahlen, dennoch hätte der 916 etwas Geld in die Kassen gespült und dem 914 eine interessante Image-Spritze verpasst.

Am 2. April 1971 fiel der offizielle Startschuss für den Typ 916 – zuerst einmal sollten sieben Exemplare produziert werden. Natürlich wurden diese Überlegungen an den großen Partner in Wolfsburg weitergeleitet: Carl H. Hahn, damals Vorstandsmitglied in Wolfsburg, antwortete am 14. Mai 1971 Ferry Porsche: dass der Wolfsburger Vorstand nichts dagegen hatte, den Typ 916 als reinrassigen Porsche anzubieten und verkaufen zu können – zumindest bei dem geplanten Topmodell war das Haus Porsche nun endlich die Bezeichnung Volkswagen-Porsche losgeworden.

Doch es dauerte seine Zeit, bis Porsche geklärt hatte, wie die Produktion des 916 ablaufen könnte – zuerst einmal sollten serienmäßige Karosserien, die alle in Hellelfenbein lackiert wurden, nach Stuttgart geliefert werden. Dabei musste berücksichtigt werden, auf welche Teile Karmann bei der Montage zu verzichten hatte – Stoßstangen, Schürzen, Motordeckel, Kunststoffdach und das Kombiinstrument im Armaturenbrett. Gleichzeitig hatte der Unterbau des Beifahrersitzes dem des Fahrersitzes zu entsprechen, da man im 916 auf einen verstellbaren Beifahrersitz Wert legte. Bei der Karosseriefirma Baur sollten dann die Kotflügel-Verbreiterungen, die Ölkühlerverblechung und das Stahldach eingebaut werden. Nach weiteren Arbeiten erfolgte auch bei Baur die Lackierung – lackiert wurden bei dem 916 aber nur die sichtbaren Bereiche, also die Außenhaut, der Motorraum und die Kofferräume. Der Wagenboden blieb elfenbeinfarbig, die Radhäuser wurden nur einfach schwarz ausgespritzt, und auch im Innenraum blieben die Autos unter den Teppichen und Verkleidungen elfenbeinfarbig.

Die Technik selbst wurde dann bei Porsche in Zuffenhausen montiert – auch hier war extrem viel Handarbeit nötig. Von August 1971 an war eine Produktion im 14-Tage-Rhythmus geplant, und das erste Fahrzeug erhielt am 23. Juli 1971 Luise Piëch zu ihrem Geburtstag geschenkt – die Fahrgestellnummer 914 233 0011 war hellgelb lackiert und hatte im Interieur eine braune, genauer gesagt: maronfarbene Lederausstattung erhalten. Der Sitzmittelstreifen war mit Gobelinstoff bezogen, die Teppiche dunkelbraun und der Himmel braun ausgeschlagen.

Rasch merkte man intern, dass der 916 viel zu teuer werden würde – knapp 40.000 Mark standen im Raum, etwa 10.000 Mark mehr als das Porsche-Spitzenmodell, der 911 S 2.4. So wurde am 1. Oktober 1971 beschlossen, das ganze Vorhaben wegen des zu hohen Preises abzubrechen – ganze zehn Fahrzeuge waren entstanden, die in den Porsche- und Piëch-Familien sowie an enge Freunde des Hauses diskret verkauft wurden, wovon der Großteil mit dem 2,7-Liter-Boxermotor des Carrera RS ausgestattet wurde. Der letzte 916 wurde am 2. Februar 1972 fertiggestellt – das war das Ende dieses Über-914.


TECHNISCHE DATEN (GEPLANTE EUROPA-VERSION)

Porsche 916

  • Motor: Sechszylinder-Boxermotor
  • Hubraum: 2.527 cmÑ
  • Bohrung x Hub: 87,5 x 70,4 mm
  • Verdichtung: 9,8:1
  • Gemischaufbereitung: mechanische Bosch-Saugrohreinspritzung
  • maximale Leistung: 210 PS (154 kW) bei 6.800 U/min
  • Radstand: 2.450 mm
  • Höchstgeschwindigkeit: ca. 235 km/h

TECHNISCHE DATEN (FAHRZEUG VON FERRY PORSCHE)

Porsche 914 S

  • Motor: Achtzylinder-Boxermotor
  • Hubraum: 2.996 cmÑ
  • Bohrung x Hub: 85 x 66 mm
  • Gemischaufbereitung: 4 Weber-Doppel-Fallstromvergaser 46 IDA 2/3
  • maximale Leistung: 260 PS (191 kW) bei 7.700 U/min
  • Radstand: 2.450 mm
  • Höchstgeschwindigkeit: 262 km/h