Thorsten Elbrigmann
· 26.04.2023
Sein Name: »VW–Rekord«. Sein Schicksal: umrankt von Mythen und Halbwahrheiten. Versuch einer Aufklärung mit überraschenden neuen Fakten zum Typ 64.
Frank Jung, Leiter des Porsche Museums, schiebt einen ganzen Wagen mit Akten heran. Alles, was das Porsche Konstruktionsbüro seit 1937 zum Thema KdF-Wagen, dessen Derivaten und Vorläufern geplant und gebaut hat. Wir haben uns Zeit genommen. Der Scanner zum Digitalisieren aller nötigen Unterlagen steht bereit. Hier und heute fällt der Startschuss zur Aufklärung der Geschichte des Berlin-Rom-Wagens. Ein Marathon, dessen weitere Stationen Berlin, Hessisch Oldendorf, Hamburg und Gmünd sein werden. Im Mittelpunkt stehen folgende Fragen: Wie viele Exemplare des Typ 64 hat es gegeben? Woran kann man sie unterscheiden? Welcher oder welche Wagen haben überlebt? Was ist über ihren Lebensweg bekannt?
Alles beginnt auf dem VW-Veteranentreffen in Bad Camberg. Ein Gespräch unter Freunden mit der launigen Aussage: »Wusstest du, dass es schon 1940 in Deutschland ein illegales Autorennen gegeben hat? Mit einem VW Käfer und einem Käfer-Sportwagen?« Wusste ich nicht. Aber dann sehe ich die Bilder: ein waidwunder VW 38, die Nummer 16. Daneben ein Berlin-Rom-Wagen mit dem Stuttgarter Probekennzeichen IIIA – 0685. Beschädigt, aber nicht so stark wie der KdF-Wagen. Nach Studium der Unterlagen und ein paar Anrufen wird klar: Das ist der Wagen, der im August 1940 an Bodo Lafferentz gegeben wurde, zu dem Zeitpunkt Chef der »Deutschen Arbeitsfront«. Offensichtlich hat sich die Nazi-Größe direkt nach Erhalt des Wagens ein illegales nächtliches Rennen auf einem nicht freigegebenen Teilstück der Reichsautobahn bei München-Freimann mit seinem Adjutanten geliefert – und dabei die Feldbahngleise zu spät erkannt, die quer über dem Beton lagen. Tarnscheinwerfer sind eben nicht gerade LED-Licht.
Verwirrend: 38/41 wird als »Sportwagen 2« bezeichnet, 38/42 aber als »Sportwagen 1«. Alle Fahrzeuge wurden noch im Krieg verändert, was Zuordnungen stark erschwert – eine Quelle vieler Irrtümer. Anscheinend erhielten alle Wagen verbesserte Fensterdichtungen.
Im Anschluss versuchte er der Obersten Bauleitung München für die Reichsautobahnen den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben: Die hätte nicht richtig abgesperrt. Es folgte ein amtlicher Briefwechsel, der aus heutiger Sicht fast amüsant erscheint. Eine hübsche kleine Geschichte. Doch mit einem Mal steht da eine Behauptung im Raum: Der Lafferentz-Wagen sei der Typ 64, der als einziger den Krieg überlebt hat und nun versteigert werden soll. Somit hat das Thema natürlich eine ganz andere Relevanz. Inzwischen ist die Auktion vorbei – mit seltsamem Ausgang. Die Zahlen 17 und 70 klingen im Englischen ähnlich, wurden falsch verstanden. Am Ende steht ein Debakel: 70 Millionen Dollar auf der Anzeigentafel, ein verwirrter Auktionator, das Korrigieren auf 17 Millionen und abgesprungene Bieter. Resultat: nicht versteigert. Irgendwie steht der Typ 64 unter keinem guten Stern. Der glücklose Ahnherr der späteren Marke Porsche verschwindet wieder hinter dem Vorhang. Und alle Fragen bleiben offen.
Fangen wir mal ganz vorn an. Am 8.10.1938 wird die entscheidende Aktennotiz im Konstruktionsbüro Porsche angefertigt: »Betr.: VW – Rekord. Es gelangt ein solches Fahrzeug zur Ausführung. Für das Fahrgestell ist die Typenbezeichnung 64 vorgesehen, und gelangt eine diesbezügliche Stückliste, sowie die Zeichnungen der geänderten Teile zur Ausgabe. Das Fahrgestell entspricht weitgehend der Normalausführung. Der Aufbau läuft bekanntlich unter der Bezeichnung VW 60 K 10. Der Liefertermin für das Fahrgestell ist der 1.2.39.« Mit »Normalausführung« ist der KdF-Wagen gemeint. »Geänderte Teile« bedeutet: gegenüber dem KdF-Wagen geänderte Teile. Somit ist der Typ 64 genau das, was da steht: ein »VW – Rekord«, ein Sport-Käfer, kein Porsche Nr. 1.
Nettes Detail zur Bedienung des Typ 64 auf Seite 3 der Anleitung: »Bei kaltem Motor die Knöpfe ›L‹ ganz herausziehen und ohne Gas zu geben den Anlasserknopf drücken.« Es gab zwei Choke-Züge nach hinten zu den Vergasern.
Ein Wagen nur? Am 12.10.38 die Präzisierung: »In Ergänzung zur Mitteilung vom 8. ds. M. wird festgestellt, dass zwei weitere Fahrgestelle des Typs 64, also insgesamt drei zur Anfertigung gelangen. Das gleiche gilt vom dazugehörigen Aufbau Typ 60 K 10. Weiter gelangt ein vierter Motor dieses Typs zur Ausführung und sind bei der Bestellung die von der Normalausführung abweichenden Teile mit genügender Reserve zu bestellen (beispielsweise Räder und Reifen).« Somit ist klar: Es waren von Anfang an drei Wagen geplant. Und die wurden auch gebaut. Das Märchen von dem dritten Wagen, der aus Unfallteilen des zweiten Wagens gebaut wurde, lässt sich zum Beispiel mit der »Zusammenstellung der KdF-Wagen – Stand 31.12.40« widerlegen. Hier tauchen die Fertigungsnummern 41, 42, 43 mit dem Vermerk »Sportwagen I - III« auf. Der schwere Unfall aber, der dem Wagen mit dem Kennzeichen IIIA – 0701 auf einer Landstraße widerfuhr, fand definitiv erst 1941 statt.
Alle Listen weisen seltsamerweise den Typ 64 mit der Fahrgestellnummer 38/41 als »Sportwagen II« aus, obwohl dessen Fahrgestell das älteste ist (19.8.39). Zum »Sportwagen I« avancierte 38/42 (Fahrgestell vom 20.12.39). Die Vermutung hierzu: Weil es der Wagen des Chefs war. Die Nummer 3 kam am 15.6.1940 hinzu. Das ist schon seltsam, denn das Berlin-Rom-Rennen wurde ja schon lange vor dem Krieg abgesagt. Dennoch wurde selbst noch im Krieg ein Wagen gebaut. Die Fahrversuche liefen weiter – die aerodynamischen Berechnungen datieren zum Beispiel vom 1.9.1939. Sind das Hinweise darauf, dass Porsche schon damals einfach mehr plante?
Wer baute die Karosserien? Es gibt zwei Hinweise auf Reutter in Stuttgart, doch wirklich sicher ist das nicht. Übrigens hießen die Karosserien Typ 60 K 10, die Fahrgestelle Typ 64. Wieder eine Quelle vieler Missverständnisse.
Was geschah mit den drei Berlin-Rom-Wagen? 38/41 und 42 verblieben zunächst bei Porsche, einer – 38/43 – wurde im August 1940 an Bodo Lafferentz abgestellt – zusammen mit einer Betriebsanleitung. Sieben Seiten, geschrieben auf der Schreibmaschine, datiert vom 28.8.1940. Ob der Unfallfahrer sie gelesen hatte? Wir wissen es nicht, wir wissen nur, dass er und sein Adjutant im KdF-Wagen 38/16 nur Tage später (um den 1.9.1940) zum Rennen antraten und von einem Feldbahngleis ausgebremst wurden (siehe Fotos und Unterlagen rechts). Der Wagen wurde anschließend gerichtet. Lafferentz erhielt dann aber vermutlich 38/41 – und auch nicht er persönlich, sondern dieser Wagen war zu Repräsentationszwecken in Berlin eingeplant. Das bestätigt seine Frau Verena Lafferentz-Wagner (Enkelin von Richard Wagner) in einem Briefwechsel von 2013: »Der Volksporsche (...) müßte der von meinem Mann gefahrene Wagen sein. Er stand zuletzt im Wagenpark der Zentrale des Volkswagenwerkes im Hof der Knesebeckstraße - Ecke Kurfürstendamm. (...) Kurz vor Ende des Krieges durchschlug eine Brandbombe das Dach des Volksporsches und fiel auf den Fahrersitz. Pjotr (ein russischer Kriegsgefangener, Anm. d. Red.) riß die Türe auf, packte die Brandbombe und ließ sie im Hof ausbrennen. Ein VW Ingenieur und der Russe reparierten die Schadstelle. Der Volksporsche war komplett aus Aluminium (ohne weitere Lackierung). (...) Als die Russen Berlin eroberten, fiel der Volksporsche ihnen komplett und fahrbereit in die Hände.«
Dieser Zeitzeugenbericht wirft Fragen auf. Da sie Bodo Lafferentz erst nach 1940 kennenlernte, konnte Frau Lafferentz-Wagner natürlich nichts zum Unfallwagen sagen. Ende 1940 ist der ursprünglich silberne Wagen 38/41 der Einzige der drei Sportwagen, der in den Porsche-Listen mit »abgestellt« – zu der Zeit gern ein Synonym für »abkommandiert« – vermerkt ist. Es klingt plausibel, dass der Wagen bis Kriegsende in Berlin verblieb, wo die Größen des Regimes auf ihn zugreifen konnten. Aber war er da noch silber? In der »Motor-Kritik« Nr. 14/1940 (Ende Juli erschienen) ist ein schwarzer Wagen zu sehen, der eigentlich nur die Nummer 38/41 nach einem Umbau sein kann. Und die Russen? Es gibt glaubwürdige Zeitzeugenberichte, die besagen, dass der Wagen nicht wieder aufgebaut wurde und die Reste nach Gmünd gelangten.
Zurück zu den Fakten: Alle drei Wagen unterscheiden sich bei ihrem Bau: Scheibenwischer, Winker, Leuchten. Viel wichtiger: die seitliche Fensterlinie! Wagen 38/41 (silber): leichter Versatz von Tür zu hinterer Seitenscheibe, Wagen 38/42 (dunkelblau): großer Versatz, Wagen 38/43 (schwarz): kein Versatz. Der dritte Wagen war der »modernste« Berlin-Rom-Wagen mit den größten Fensterflächen inklusive stärker gewölbter Frontscheibe. Noch während des Krieges wurden an allen Autos mehrfach die Dichtungen getauscht. Die große Antenne für das »Radiogerät« hat zunächst der Wagen 38/42, später eventuell der Wagen 38/43. Wagen 38/42 (mit breiten und lackierten Lüftungsöffnungen mit Platz für das Nummernschild dazwischen) erlitt 1941 einen schweren Verkehrsunfall, bei dem die linke Seite aufgerissen wurde. Auch dieser Wagen erhielt eine Reparatur, bekam augenscheinlich ebenfalls große Ausstellfenster. Nutzte Ferdinand Porsche ihn nach dem Unfall nicht mehr und stieg auf 38/43 um? Es gibt in der »Allgemeinen Automobilzeitung« Nr. 35/1941 unseres Verlages auf Seite 684 drei Fotos eines Wagens in München mit Ferdinand Porsche daneben. Dieser Wagen hat eine Antenne, sehr breite schwarze Dichtungen und sogar dunkle Türgriffe. Und die Front wie Sportwagen 3. Ist das wirklich 38/43 oder 38/42 mit anderer Front? Es scheint, als sei der Wagen nicht schwarz, sondern dunkel lackiert. Dunkelblau?
Bei der Kapitulation waren wahrscheinlich noch alle Wagen in Obhut von Porsche – einer mit beschädigter Karosserie (38/41), die anderen beiden recht gut intakt. Allerdings weist die Inventarliste von Porsche am 28.7.1945 nur einen Wagen aus: »38/41 – 64/1« mit Motor 38/43. Herbert Kaes, Ingenieur bei Porsche, gab in einem späteren Interview an, dass amerikanische Soldaten einen der Wagen zerstörten. Sie sollen im Mai 1945 das Dach abgeschnitten und ihn kaputt gefahren haben. Das wird Wagen 38/42 gewesen sein, allerdings sind Fotos der Aktion unbekannt. Ironie des Schicksals: Nur Tage zuvor (um den 20.4.45) hatte Porsche wohl diesen Wagen durch die feindlichen Linien hindurch von Stuttgart nach Zell bringen lassen. Hierfür existiert ein Fotobeleg eines französischen Kriegsberichterstatters (1. franz. Armee, Combat Command 4), der ihn in Altensteig im Schwarzwald fotografiert hat. Erkennungszeichen: zweimal sieben Schlitze vorn mit Platz für ein Nummernschild dazwischen – aber auch kein Fensterversatz.
Ein Wagen wurde aus den besten Teilen noch im Frühsommer 1945 zusammengefügt: Die Karosserie 38/43 (die übrigens an nur vier Punkten mit dem Zentralrohrrahmen verbunden ist) wurde auf dem unbeschädigten Fahrgestell von 38/41 montiert. Sie erhielt Schiebefenster, unten montierte Scheibenwischer und den großen Grill – wohl 1947/48 bei einer Überarbeitung durch Farina in Italien. Der »Sport 64« wurde von Ferry Porsche nur Wochen nach seiner Entlassung aus Kriegsgefangenschaft angemeldet (26.4.1946, Kennzeichen: K45.240) und genutzt. Er ist deshalb als »Wagen Ferry« vermerkt. Nach dem Krieg wurde der Wagen in Hellblau lackiert und am 14.6.1949 an Otto Mathé verkauft. Seltsam: In einem Schreiben von 1951 beschreibt Mathé Schäden, die zum Unfall 1941 passen, den 38/42 erlitt. Aber das Mathé-Auto hat eindeutig die Seitenfensterlinie der Karosserie von 38/43.
Otto Mathé als genialer Tüftler baute den Typ 64 mehrfach um: von Links- auf Rechtslenkung zum Beispiel. Vorübergehend hat er ihn auch mit anderen Motoren ausgerüstet, unter anderem mit dem Vogelsang-Motor aus einem Fetzenflieger. Übrigens hat er auch das Fahrgestell getauscht, heute steckt unter dem leichten Alukleid ein Käfer-Fahrgestell (wahrscheinlich eines von 1951), und arbeitete es um. Nach seinem Tod wurde der Wagen zweimal verkauft und einmal unter Zuhilfenahme von sehr viel neuem Blech aufgearbeitet.
Die Frage, wo die Karosserien gebaut wurden, ist nicht ganz klar zu beantworten. Es findet sich nur ein Hinweis in einer von Erwin Kommenda abgezeichneten Aktennotiz von 1939: »VW – Rekord 60 K 10: (...) Die Rückfrage bei Reutter ergab, dass in dieser Firma sich nurmehr ein Mann befindet, der Aluminium-Bleche bearbeitet (für geringe Blechdicken schwierig)!« Und auch Ferry Porsche gab in einem späteren Interview Reutter als Erbauer an. Allerdings reklamierte der Besitzer der Münchner Firma Rupflin Ende der 1960er-Jahre die Urheberschaft für sich. Bleibt noch der Gelehrtenstreit um den Porsche-Schriftzug am Bug des Typ 64. Der Schriftzug, der heute darauf haftet, wurde erst im Besitz von Otto Mathé angebracht. Allerdings fertigte nach eigenem Bekunden der damalige Lehrling Karl Egarter bei Porsche mit der Laubsäge aus Aluminium einen Schriftzug aus Einzelbuchstaben an, der zum Hofgartenrennen 1948 in Innsbruck für wenige Tage am Typ 64 angebracht wurde. Grund: die Präsentation des ersten Porsche, des 356 »Nr. 1« Roadster.
Dieser Artikel bildet den Recherchestand nach Prüfung aller vorliegenden Quellen ab und versucht sie in Einklang zu bringen mit den Zeitzeugenberichten. Das aber gelingt nicht immer, denn die Erinnerungen der Protagonisten scheinen getrübt durch die lange Zeit zwischen den Ereignissen und den Interviews. Deshalb waren die Dokumente von Porsche und alle zur Verfügung stehenden Fotos die wichtigsten Quellen – bei denen ist aber oft die Datierung unsicher, die Qualität schlecht. Der so wichtige Versatz zwischen Tür und Seitenfenster bereitet Kopfzerbrechen: Auf den Fotos von April 1945 scheint er am Wagen mit breitem Grill nicht vorhanden zu sein, auf den Münchner Fotos aus dem Herbst 1941 eventuell schon. Erhielten die Wagen 42 und 43 nach ihren Unfällen genau das jeweils andere Frontstyling? Es bleiben Zweifel – und wir bleiben dran.