Porsche-DNA911 Targa – die Evolutionsstufen

Thomas Imhof

 · 23.02.2023

Porsche-DNA: 911 Targa – die EvolutionsstufenFoto: Porsche-Archiv
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Aus der Not geboren, als Kompromiss zwischen radikal offen und konsequent geschlossen – wie Porsche mit dem 911 Targa eine neue Fahrzeuggattung erfand und zu einem im doppelten Sinn »sicheren« Welterfolg machte.

Porsche-Geniestreich: Diese Zeichnungen zeigen die verabschiedete Fließheckversion des künftigen 911 Targa.  Ikonisch: der bis heute genutzte »targa«-Schriftzug.
Foto: Porsche-Archiv

Es ist der 12. Juni 1964. Was da als Attrappe »offener Wagen 901« im Sonderbau des Karosseriebaus Ferry Porsche, dessen Sohn und Designchef F. A. Porsche sowie vier weiteren leitenden Mitarbeitern präsentiert wird, sieht aus wie ein ausgeschlachtetes 911 Coupé. Ein blechverkleideter und nicht fahrbarer Prototyp aus Holz. Zwischen der Windschutzscheibe und einem Überrollbügel eingefügt ist ein Dach, das hinter den Sitzen verstaut werden kann. Wo am Heck ein riesiges Loch klafft, würde noch ein per Reißverschluss zu lösendes Softwindow eingefügt, erklären die anwesenden Ingenieure. Harald Wagner, heute 95 und damals Leiter des Inlandsverkaufs, erinnert sich in einem Interview von 2018 genau an seinen ersten Eindruck: »Ein affenscheußliches Auto, furchtbar!«

Die Kritik an der schlechten Überschlagsicherheit von Cabrios in den USA löste bei Porsche die Initialzündung zur Erfindung des ersten Sicherheitscabriolets der Welt aus – des Targa.

Erste Skizzen dessen, was da nun vor den Herren stand, datieren vom 2. Juli 1963. Die verantwortlichen Porsche-Ingenieure, die mit diesem Prototyp das Bügelprinzip erstmals in die Großserie tragen sollten, folgten ohnehin keiner plötzlichen Designinspiration, sondern einer Not: Zwar war im Lastenheft des 901 alias 911 ein Vollcabrio vorgesehen, doch drohte Porsche ausgerechnet aus seinem größten Einzelmarkt, den USA, Ungemach. Denn dort wütete der durch sein Pamphlet »Unsafe at Any Speed« bekannt gewordene Verbraucherschutzanwalt Ralph Nader nicht zu Unrecht gegen den fehlenden Schutz von Cabrio-Insassen bei einem Überschlag. Auch wenn das »Department of Transportation« ein entsprechendes Verbot dann nie aussprach, brachte zum Beispiel Chevrolet in vorauseilendem Gehorsam seine Corvette 1967 auf Wunsch mit einem T-Bar-Roof – zwei herausnehmbare Dachhälften, getrennt durch eine feststehende Längsstrebe – heraus. Für Porsche konnte das keine Lösung sein, immerhin war beim Vorgänger 356 jedes dritte Modell ein Cabrio gewesen.

Am eingangs erwähnten Junitag des Jahres 1964 fiel die endgültige Entscheidung für die Bügelversion – doch gingen ihr lange Diskussionen voraus. F. A. Porsche (»Butzi«) favorisierte zunächst eine Version mit eigenständigem Heck. »Ein gelungenes Heckmotor-Cabriolet mit Fließheck hat es nie gegeben, denn es stört irgendwie die optische Balance«, zitiert ihn Karl Ludvigsen in seinem Standardwerk »Porsche – Perfektion ist selbstverständlich«. Ein Ende 1963 entstandenes Foto zeigt »Butzi« mit zwei Plastilinmodellen im Maßstab 1:7,5: Das linke ist jenes mit »abgesatteltem« Heck, das rechte jenes, das schließlich das Rennen machen sollte. Denn zu hoch wären bei einem Alleingang die Kosten für eigenständige Werkzeuge gewesen.

Am Ende der 964-Ära sank der Targa-Anteil am 911-Volumen auf fünf Prozent. Darauf leitete Porsche einen Paradigmenwechsel ein – und machte den neuen Targa zum gläsernen Elfer.

Am 11. August 1965 meldet Porsche die Verdecklösung zum Patent an. Was nun »nur« noch fehlt, ist ein griffiger und international verständlicher Name. Als Verkaufs-
chef Wagner seine deutschen Porsche-Großhändler zu einem ersten Sneak-Preview nach Stuttgart einlädt, legt Walter Franz von »Fleischhauer« (Köln) den Finger genau in jene Wunde: »Das ist weder ein Coupé noch ein Cabriolet. Da müsst ihr euch jetzt einen Namen einfallen lassen«, bemerkt er in die Runde. Es beginnt das, was man neudeutsch ein Brainstorming nennen würde. In der Verkaufsleitung geht man alle Rennstrecken durch, doch gab es schon einen »Nürburg« von Daimler; »Le Mans« oder »Monza« waren von General Motors besetzt, also kommt man auf Porsches Hausstrecke, die Targa Florio auf Sizilien. Erinnert sich Wagner: »Kaum war der Name ausgesprochen, sagte ein Kollege: ›Nein, dann sagen die Kunden Flori.‹ Darauf ich: ›Dann lassen wir einfach das Florio weg.‹ Und so entstand der Name Targa, was im Italienischen entgegen der immer wieder repetierten Mär jedoch für eine Plakette oder ein Nummernschild und nicht für einen Schutzschild (»lo Scudo«) steht. Sei’s drum – eine schöne Geschichte ist es trotzdem.

6. September 1965, IAA Frankfurt: Der neue 911 Targa steht im Rampenlicht des Porsche-Standes. Nach »Carrera« ist es das zweite Modell mit einem aus dem Porsche-Motorsport entlehnten Gattungsbegriff. Sein Hingucker ist ein unlackierter Bügel aus gebürstetem Nirosta-Stahl – eine Idee von F. A. Porsche, der so die Schutzfunktion auch optisch hervorheben will. Porsche preist den Newcomer als »erstes Sicherheitscabrio der Welt« an. Das herausnehmbare Dach aus strapazierfähigem Kunstleder und dessen Aludruckgussrahmen lassen sich wie eine Ziehharmonika zusammenfalten und statt wie anfangs angedacht hinter den Sitzen im vorderen Teil des Kofferraums verstauen. Die Heckscheibe aus flexiblem Kunststoff (»Softwindow«) lässt sich per Reißverschluss heraustrennen und komplett herunterklappen – für maximalen Durchzug von hinten.

Auf der IAA spricht Porsche noch von vier Variationsmöglichkeiten: »Spyder«, »Hardtop«, »Voyage« und »Bel Air«. Doch die Variante »Voyage« mit einem »Schnelldach«, das man als Notlösung bei einem plötzlichen Wolkenbruch aufziehen und dann wieder zusammenrollen konnte, ging später nicht in Serie. So blieben drei Durchzugsstufen: mit Dach und offener Heckscheibe, Dach und Heckscheibe offen oder mit Dach, aber geschlossener Heckkapuze. Neben der Karosseriesteifigkeit verbessert Porsche nach Falltests aus zwei Meter Höhe auch noch den Sturzbügel. Der erste, am 21. Dezember 1966 gebaute Serien-Targa ist zugleich der 100.000. Porsche – er geht ausgestattet mit am Heck montierter Flüstertüte, Blaulicht und Schriftzügen an die baden-württembergische Polizei. Hat Porsche anfangs nur eine Tagesproduktion von sieben Targa eingetaktet, wird der Ausstoß schnell auf zehn erhöht – was aber nur die Inlandsabfrage abdeckt, wo das Bügel-Cabrio schnell 40 Prozent Anteil erreicht. Bald wird den Verantwortlichen bei Porsche klar, was für einen Hit sie hier aus dem Hut gezaubert haben. Zum Mehrpreis von 1.400 D-Mark gegenüber den Coupés gibt es ihn als 911, 911 S und 912 Targa. Die erste große Modifikation kommt schon zum Modelljahr 1968 – eine feste beheizbare, Heckscheibe aus Sicherheitsglas. Zunächst nur als Option und zum Modelljahr 1969 dann als Serienteil. Im Herbst 1968 feiern indes die drei Kiemen im Bügel Premiere – sie verschwinden erst wieder im Herbst 1989, weil beim Typ 964 die Zwangsentlüftung nun über die Schweller verläuft. Anfang der 70er-Jahre erobern die Targa Anteile von teils über 40 Prozent am gesamten Porsche-Produktionsvolumen. Als im Sommer 1973 die Ablösung durch die G-Serie erfolgt, hat Porsche 25.429 Einheiten gebaut – fast genau ein Drittel des 911er-Volumens.

Mit dem 914 geht ab 1969 ein zweites Porsche-Targa-Modell an den Start – womit sich die Idee endgültig durchsetzt. Derweil entlässt die bis Sommer 1989 gebaute G-Serie mit 57.371 Exemplaren so viele Bügeltypen auf die Straße wie keine andere 911-Generation vor oder nach ihr. Den G-Serie-Targa stattet Porsche in den ersten beiden Modelljahren (1974/75) mit einem festen Kunststoffdach zum Herausnehmen aus. Parallel dazu gibt es als Extra das herausnehmbare Faltdach – außer im Modelljahr 1975, als beim Carrera kein Aufpreis fällig wird. Ab Modelljahr 1976 dann gelangt das patente Faltdach wieder standardmäßig zum Einsatz. Zum gleichen Zeitpunkt taucht erstmals – zunächst als Option – ein schwarzer Edelstahlbügel auf, ein Jahr später geht er in Serie.

Dann betritt im Frühjahr 1983 und nach rund 20 Jahren Abstinenz ein hausinterner Gegner die Bühne: das 911 SC Cabrio auf Basis der Targa-Rohkarosse. Beide Modelle leisten 204 PS und erhalten eine automatische Heizungsregulierung sowie eine zweistufig beheizbare Heckscheibe. Und zum Modelljahr 1987 gibt es sogar zum Ende des Schwanengesangs des G-Modells einen Turbo 3,3 Targa – er bleibt mit nur 297 Einheiten eine absolute Rarität.

Noch einmal setzt Porsche beim im Herbst 1989 anlaufenden »964« auf das Urprinzip – doch die Resonanz bei den Kunden, die ja nun auch das Vollcabrio im Angebot finden, lässt sukzessive nach. Am Ende der Bügelära im Sommer 1993 ist der Targa-Anteil auf fünf Prozent geschrumpft, im letzten Produktionsjahr baut Zuffenhausen gerade noch 436 Einheiten. Von insgesamt 63.762 964-Kunden wählten nur noch 4.863 die T-Option.

Nach zusammen 87.663 Bügel-Targa leiten die Schwaben daher Ende 1995 konsequenterweise einen Paradigmenwechsel ein: Indem sie den Targa – als Mitglied der zwei Jahre zuvor eingeführten 993-Baureihe – zum gläsernen Elfer machen. Wieder ist die IAA die Premierenbühne – 30 Jahre nach dem Targa-Urknall. In der Presseinfo spricht Porsche von nicht weniger als »der Kulturrevolution des Offenfahrens«. Sie basiert auf einer modifizierten und 30 Kilogramm schwereren Cabrio-Karosse, was zunächst nicht verwundert. Doch was für ein technisch ausgefeilter Aufbau präsentiert sich den Besuchern: Das Targa-Dach aus getöntem Verbundglas schiebt sich elektrisch wie ein überbreites Schiebedach unter die Heckscheibe. Eingerahmt wird der Glaspalast durch in Wagenfarbe lackierte Bügel aus Stahlblech. Ein separater, elektrischer Windabweiser und ein ebenfalls elektrisches Rollo, das im Winter wärmt und im Sommer mächtig UV-Licht filtert, erleichtern den Einsatz auch bei mäßigem Wetter. Der Geräuschpegel liegt im geschlossenen Auto in etwa auf dem Niveau eines Coupés mit geschlossenem Schiebedach, stellt Porsche heraus. Ja und im Zubehörprogramm gibt es sogar Träger für Ski und Surfbretter.

Mit dem Ende 2001 erschienenen 996 Targa ergänzt Porsche die Glashaus-Revolution um eine separat zu öffnende Glashecklappe. Eine Idee, die Ferry Porsche schon in den 60er-Jahren gehabt haben soll. Die dann aber verworfen wurde, weil man Zweifel an der Dichtigkeit hatte. Gegenüber dem 993 sind die Dachholme nochmals verstärkt und durch eine Quertraverse verbunden. Mit diesem Targa lässt es sich nun auch locker zum Supermarkt fahren – aus Sicherheitsgründen kann die Heckklappe aber nur bei geschlossenem Glasdach geöffnet werden.

Die sechste Targa-Generation auf Basis des neuen 997 erscheint Ende 2005. Es gibt sie ausschließlich mit »breiter« Karosserie und erstmals mit Allradantrieb (serienmäßig) als Targa 4 und Targa 4S. Als zusätzlicher Blickfang rahmen nun hochglanzpolierte und eloxierte Aluminiumleisten die Dachkanten ein. Ein typisches Merkmal aller Glasdach-Targa sind auch beim 997 die im spitzen Winkel auslaufenden hinteren Seitenscheiben. Das 1,54 m² große Glasdach lässt sich in nur sieben Sekunden öffnen und genauso schnell wieder schließen. Der hintere Kofferraum unter der gläsernen Heckscheibe fasst 230 Liter – 25 mehr als im Coupé; eine elektrische Zuziehhilfe sichert einen leisen Schließvorgang.

Und dann kommt das große Comeback des Bügels mit dem 991 Targa, der auf der North American International Auto Show in Detroit Anfang 2014 Weltpremiere feiert. Das Highlight ist das neue Dachsystem aus zwei beweglichen Hauptteilen: dem Stoffdach und der Glasheckscheibe. Die Stoffkapuze wird z-förmig gefaltet und hinter den Sitzen abgelegt. Droht der nach hinten ausschwenkenden Heckscheibe der Kontakt von weniger als 40 Zentimeter hinter dem Targa stehenden Objekten, ertönt ein Warnsignal. Der ganze Sesam-öffne-dich-Akt dauert 19 Sekunden.

Stärker geneigt als beim Urmodell trägt der Targa-Bügel – innen stabiler Stahlrohrbügel, außen lackierter Aludruckguss – wieder die klassischen drei »Kiemen«. Plus einen verchromten Targa-Schriftzug. Die Legende ist zurück und steigert den Targa-Absatz von den 8.459 Einheiten des 997-Glasdach auf 19.373 Autos – die Kunden haben das Bügel-Comeback goutiert. Mit dem zum Sommer 2020 eingeführten 992 Targa – allradgetrieben wie 997 und 991 Targa – startet nunmehr die achte Generation dieses 911er-Klassikers. Ob in seiner wandlungsfreudigen Urform, als Exemplar der Panoramaglas-Architektur oder als moderne und komplett durchautomatisierte Bügelikone – der Targa bleibt bis heute der glücklichste Kompromiss zwischen Cabrio und Coupé. Ein Porsche-Geniestreich!