Wolfgang Schäffer
· 24.02.2023
Er war 25 Jahre im Familienbesitz. Er war sogar das Hochzeitsauto der Tochter. Und doch musste dieser Porsche 911 Carrera nun gehen.
Erinnerungen und Erlebnisse, die auf ewig verbinden – aber die Zukunft ist wichtiger.
Dass dieser Abschied nicht leicht sein würde, das war Dr. Jörg Weissenborn klar. Doch nach fast genau 25 Jahren musste sich der 77-Jährige gelernte Maschinenbauer aus dem niedersächsischen Bersenbrück nun von seinem geliebten 911 Carrera trennen. Der Vernunft wegen. Dabei hatte doch gerade die Unvernunft beide zusammengeführt, ihn und den 911er. »Muss das sein? Weshalb denn wieder ein Porsche?« Weissenborn muss immer ein wenig grinsen, wenn er von jenem Moment vor nun 25 Jahren erzählt, von der keineswegs begeisterten Reaktion seiner Frau Almut, nachdem er mit ihr über seine Überlegungen gesprochen hatte. Auf der anderen Seite hatte sie sich aber auch damit abgefunden, wie fasziniert ihr Ehemann von den Produkten des Stuttgarter Sportwagenherstellers war. Und das schon immer. Schließlich hatte er 1975, direkt nach seiner Promotion, seinen ersten Targa Baujahr 1967 erworben. Auf den Zweiliter mit 110 PS folgte 1979 ein Targa mit 2,4 Liter Hubraum und 130 PS sowie drei Jahre später erneut ein solches Elfer-Derivat mit einem 175 PS starken 2,7-Liter-Boxertriebwerk.
Und so stand dann schließlich dieser Carrera vor der Tür. Ein Frauenarzt aus Hamburg hatte den in der Farbe Granatrotmetallic lackierten Elfer Baujahr 1987 mit einem 217 PS starken 3,2-Liter-Sechszylinder-Boxermotor mit Katalysator, einem Stahlschiebedach und einem Kilometerstand von knapp 80.000 Kilometern für damals 33.000 D-Mark (umgerechnet heute um die 17.000 Euro) angeboten. Damals war ein zehn Jahre alter Porsche eben das, was auch heute ein zehn Jahre alter Porsche ist: ein Fall für einen Gebrauchtwagenhändler. Paradiesische Zeiten aus heutiger Sicht, in denen man für dieselbe Summe auch noch einen guten Porsche 356 bekommen hätte und frühe Porsche 911 sogar um einiges günstiger gewesen wären. Die Gattin trug es mit Fassung, die Kinder Katharina und Martin waren von Stund an begeistert. Für den Nachwuchs gab es sogar einen speziell angefertigten Kindersitz, wenn nicht der Zweitwagen, sondern der Porsche für den gemeinsamen Ausf lug genutzt wurde. Der Porsche konnte sich nicht etwa auf ein leichtes Leben als Spaßfahrzeug freuen: Weissenborn bewegte seinen Elfer tagtäglich zur Arbeit – vom damaligen Wohnort Buxtehude nach Bergedorf. Das bedeutete über 65 Kilometer hin und die Strecke abends wieder zurück. Sommer wie Winter.
Eigentlich ging auch immer alles glatt. Manchmal zu glatt: »Wir sind relativ unbedarft mit dem Auto in den Skiurlaub gefahren. Auf einer schneebedeckten Serpentinenstraße landete der Wagen in einer Schneewehe. Wir mussten mit einem Traktor rausgezogen werden. Von da an waren Winterreifen in der kalten Jahreszeit für mich gesetzt«, blickt Weissenborn schmunzelnd auf den Ausrutscher zurück. Der hatte übrigens nur eine kleine Delle zur Folge. Weitere kleinere Rempler ließen sich allesamt ebenfalls schnell wieder beheben. Etwas heftiger war da schon das Malheur mit dem implodierten Tank vor einigen Jahren, da die Entlüftung des Kraftstoffbehälters verstopft war. Ein Knall, ein Schreck, eine Reparatur. Der Sechszylinder aber lief und läuft nach wie vor wie geschmiert. »Der Motor hat jetzt 403.000 Kilometer auf der Uhr. Bis auf normale Inspektionen und Ölwechsel musste noch nie etwas an dem Boxer gemacht werden. Das ist schon echt klasse. Auch das Fünfgang-Getriebe schaltet tadellos. Übrigens bis heute mit der ersten Kupplung. Porsche-Qualität halt«, ist Weissenborn nach wie vor von der Marke angetan.
Diese Begeisterung hat sich im Lauf der Zeit wie von Zauberhand auch auf jene übertragen, die nicht sofort begeistert waren. »Ja, meine Frau ist trotz der ersten Bedenken immer gerne mit mir im Carrera unterwegs gewesen. Die inzwischen erwachsenen Kinder ebenso. Meine Tochter hat den Elfer als Hochzeitsauto ausgewählt. Ihr Ehemann ist dann an dem Tag selbst gefahren«, erzählt Jörg Weissenborn mit erkennbarem Stolz in der Stimme. Sogar eine Freundin seiner Tochter habe dann den Wagen für ihre Hochzeit angefragt – und selbstverständlich bekommen. Und doch war die Trennung nun unumgänglich.
Rostfraß hatte jede Chance auf eine neue Plakette der Hauptuntersuchung zunichtegemacht. Von einen patinierten Fahrzeug ist dieser Porsche leider inzwischen weit entfernt. Um weiter Spaß an dem Elfer zu haben, wäre eine umfangreiche Restauration notwendig gewesen. Ein solches Projekt aber wollte Weissenborn nicht mehr in Angriff nehmen. Da kam ihm der Kontakt zu Alexander Reimann gerade recht. Der ist seit inzwischen etwa 15 Jahren im Auto-Geschäft. Gemeinsam mit seinem Partner Anton Wagner führt der 38-Jährige seit 2020 das Unternehmen Asphalt Rebellen in Lohne bei Oldenburg, das sich auf sportliche Young- und Oldtimer spezialisiert hat. Nicht ohne Stolz erzählt der gelernte Kaufmann, dass die Asphalt Rebellen mittlerweile weltweit tätig sind, der Kundenkreis entsprechend groß sei. »Inzwischen verkaufen wir um die 150 Autos im Jahr«, so Reimann. Die Asphalt Rebellen werden in der sportlichen Young- und Oldtimer-Szene immer bekannter. Das hat letztlich auch zum Geschäft mit Jens Weissenborn geführt: »Wir hatten die Anfrage eines Kunden nach einem Carrera aus den späten 80er-Jahren. Als Dr. Weissenborn auf uns zugekommen ist, um zu erfahren, was er wohl am besten mit seinem zwar wunderbar originalen, aber eben leider auch recht verrosteten Porsche machen könnte, haben wir mit ihm dann über einen Kauf verhandelt.« Zwar hatte der 77-Jährige da schon längst erkannt, dass sein Auto so nicht länger fahrbar war. Dennoch dauerte es noch eine ganze Weile, bis er sich durchringen konnte, den Wagen tatsächlich abzugeben. »Die Trennung ist mir und meiner Familie wirklich schwergefallen. Das Auto war so lange ein treuer Begleiter im Alltag. Es sind enorm viele Erinnerungen damit verbunden.« Fast scheint es so, als könne er seinem 911 kaum in die Augen blicken.
»Bis auf normale Inspektionen und Ölwechsel musste noch nie etwas an dem Boxer gemacht werden. Auch das Fünfgang-Getriebe schaltet mit der noch immer ersten Kupplung tadellos. Porsche-Qualität halt.«
Umso klarer sieht der 77-jährige Rentner die Situation. Zwar ist er als Vorsitzender der Kirchenkreissynode Bramsche sowie als Kirchenvorstand in Bersenbrück noch überaus aktiv, doch auch wenn er fit ist: Das Bewusstsein ist da, dass es nur vernünftig und im Prinzip unvermeidbar ist, sich von dem Carrera zu trennen. Das macht nicht nur der Blick auf die unübersehbaren Roststellen, sondern auch das vernichtende Urteil der Prüfer anlässlich der letzten Hauptuntersuchung deutlich. Und doch: Wehmut macht sich breit, wenn er zum letzten Mal im und vor seinem Porsche für die Fotos posiert. Da tröstet es wenig, wenn Alexander Reimann betont, dass Jörg Weissenborn ja nun mit dem erzielten Erlös für den Carrera die vergangenen 25 Jahre quasi kostenneutral unterwegs gewesen sei. Geld ist nicht alles. Weitaus schöner hört es sich für ihn da an, dass »sein« Elfer eine Zukunft hat. Die Asphalt Rebellen haben den Wagen an einen Restaurationsbetrieb im Süden Deutschlands veräußert. Wenn alles wie geplant verläuft, wird der 911 Carrera schon bald wieder in neuem Glanz auf den Straßen dieser Welt zurück sein für vielleicht noch einmal 400.000 Kilometer. Es spricht nicht ein Grund dagegen, das bisschen Blech lässt sich ersetzen. Jörg Weissenborn schaut dem Granatroten noch einmal tief in die Scheinwerfer: »Porsche-Qualität halt.« :::