Motorsport50 Jahre Porsche 917 – Mut, Respekt, Angst

Roland Loewisch

 · 01.05.2023

Motorsport: 50 Jahre Porsche 917 – Mut, Respekt, AngstFoto: Heiko Simayer
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Porsche feiert das 50. Jubiläum des ikonischen Porsche 917. Aber wie ist es überhaupt, einen solchen Rennwagen zu fahren? Zum Beispiel den Gulf-Kurzheck von 1970. Verdammt heftig!

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Foto: Heiko Simayer

Es fällt recht schwer, nicht vor Ehrfurcht im Boden zu versinken. Aber das sollte ich mir verkneifen – ich würde heiligen Grund beschädigen: Das Porsche-Skidpad in Weissach haben sich 1969 Ferry Porsche und Herbert Linge ausgedacht als Testfläche mitten auf einer ehemaligen Ziegenwiese. Hier haben die Ingenieure, Mechaniker sowie Test- und Rennfahrer damals die ersten 917 für die Langstreckenrennen abgestimmt – ein paar Runden links herum, ein paar rechts herum, und dann ab auf die A 8. Nachts, selbstverständlich ohne Kennzeichen. Immerhin hatten sie neben einem ziemlich sinnlosen Rückspiegel auch Blinker.

Und jetzt steht hier so ein Porsche. Ein 917, lackiert in den berühmten Gulf-Farben, bereit zum Tracktest, und ich darf ihn fahren. Genauer: Der Rennwagen ist die Nummer 15 von 25 Stück, die am 21. April 1969 den FIA-Abnehmern zur Homologation vorgestellt wurden. Zunächst – wie alle 917 – mit dem langen Heck ausgestattet, wurde Nr. 15 im Dezember 1970 auf Kurzheck umgebaut und mit dem Kennzeichen S-T 5709 am 7.1.1970 straßenzugelassen. So ist auch das gesamte Leben dieses Exemplars fast minutiös bekannt: Am 1.2.1970 rannte es mit Rodríguez und Kinnunen am Steuer beim 24-Stunden-Rennen in Daytona; in Sebring und Brands Hatch wurde es als Trainingsauto eingesetzt, in Watkins Glen raste es am 12.7.70, 1971 wurde es gequält bei den 1.000-Kilometer-Rennen in Buenos Aires, Brands Hatch und Spa. Marc Lieb holt mich in die Gegenwart zurück. »Der 917 fährt sich fast wie ein normales Auto«, sagt der Le-Mans-Sieger von 2016 und heutige Porsche-Vertriebsmann, der mich in die Geheimnisse des 917 einweist, die eigentlich keine sind. Er hat seine 917-Erfahrungen in der jüngst voll restaurierten Nummer 1 gemacht: »Man muss gar nicht so viel beachten beim Losfahren, der Wagen ist kein Hexenwerk. Er besitzt keine Sintermetallkupplung oder so etwas – ganz normal vorn links den ersten Gang einlegen und Kupplung kommen lassen, wie bei einem Straßenauto.«

Irgendwie erinnert diese Fahrt im 917 einen an die Jungs, die damals zum ersten Mal auf dem Mond gelandet sind!

Das macht Mut. Nicht jeder der einstigen Helden – übrigens auch die Helden von Liebs Vater, der die Langstreckenrennen damals intensiv verfolgt hat – mochte das Modell: Attwood zum Beispiel verfluchte das Auto zunächst, weil er es für gemein, hinterhältig und unfahrbar hielt. Elford dagegen liebte es, weil er es als Rallyefahrer gewohnt war, mit instabilen Fahrzuständen umzugehen. Und Bell behauptet noch heute glaubhaft, es sei das Auto seines Lebens. Jeder 917 atmet Geschichte. Nr. 15 auch.

»Ich war zuerst auch überrascht, wie einfach das Auto zu fahren ist«, fährt Lieb fort, »das hatte ich nicht erwartet. Aber damals wurde viel Wert auf Fahrbarkeit gelegt. Obwohl die Leistung schon extrem war.« Damit meint er 580 PS und 460 Nm aus einem 4,5-Liter-Zwölfzylinder bei einem Fahrzeuggewicht von rund 800 Kilogramm. Und während der V12 mit dem Zylinderbankwinkel von 180 Grad und seinem prägnanten liegenden Lüfterrad warmläuft, kommt auch Lieb ins Schwärmen: »Das Auto ist wunderbar puristisch. Es strahlt Aggressivität aus und kommt dem Bild von einem Sportwagen, wie man ihn sich üblicherweise vorstellt, sehr nahe.« Seine Hand streicht über die nur 1,2 Millimeter dicke Kunstharzhaut, klopft an die Scheiben aus Plexiglas: »Insgesamt ein schönes rundes Design inklusive der wenigen aerodynamischen Hilfsmittel wie der Abrisskante vorn, des Heckflügels, der kleinen NACA ducts an den Seiten, auch wenn diese dreieckförmigen Lufteinlässe erst später eingefügt wurden.«

Unter anderem saßen Vic Elford, Hans Herrmann, Brian Redman, Richard Attwood und Derek Bell am Steuer.

Und jetzt wird es Ernst – der Motor ist wieder abgeschaltet, der 917 zum Ritt bereit. Vor dem eigentlichen Fahren hat mir Lieb ja nun die Sorge genommen – vor dem Platznehmen nicht. Denn die Kiste mag alles haben, was ein alter Rennwagen braucht – Power, Aerodynamik, Ruhm und Charisma –, aber ihr fehlt, was auch neue Racer nicht haben: Platz. Also irgendwie das Auto erklimmen, dabei auf die Gummidichtungen an der Tür achten, dann Beine zuerst einfädeln und mit dem Rest des Körpers hinterherrutschen. In der voreingestellten Sitzschalenkonfiguration geht allerdings die Tür über meinem Helm nicht zu, ich sitze zu aufrecht. Also den Sitz auf dünnen Schienen ganz nach hinten schieben. Obwohl das Lenkrad in Höhe und Länge verstellbar ist, bleibt die mögliche Konfiguration für mich suboptimal. Was völlig normal ist – auch die alten Haudegen palavern noch heute darüber, damals nur mit abgewinkeltem Kopf gefahren zu sein. Denn die verdickte Kante zwischen Tür und Karosserie verläuft direkt über dem Scheitelpunkt des Hauptes – da stört jeglicher menschlicher Auswuchs nur, besonders die behelmte Hirnschale …

Schluss mit dem Jammern auf schrägem Niveau – nach der Neujustierung lässt sich die Tür tatsächlich schließen, wenn auch kein Haar dazwischen passt. Kupplung, Bremse und Gas lassen sich in dieser ausgeprägten Liegeposition immerhin problemlos bedienen. Der kurze Schalthebel befindet sich glücklicherweise gewohnt rechts vom Fahrer, auch wenn man rechts sitzt, weil die meisten Rennstrecken rechtsherum befahren wurden. Einmal im Stand testen: Die Schaltwege sind kurz, die Schaltgassen eng beieinander – aber das Getrag-Fünfganggetriebe sollte problemlos arbeiten.

Bleibt noch das fehlende Wissen über ein paar Schalter und Knöpfe. Kurze Anweisung: Finger weg. Denn: Die Sonne scheint, Scheibenwischer sind also nicht nötig. Licht auch nicht.

Ich registriere gerade noch den zweiten Sitz, der laut damaligem Reglement vorhanden, aber nicht wirklich nutzbar sein musste. Die grüne Öldrucklampe leuchtet auf bei Leerlauf und niedrigen Drehzahlen: missachten –nur nicht, wenn sie dauerhaft leuchtet. Schalter für die Scheibenspritzanlage: in Ruhe lassen, Scheibe ist sauber. Die Benzinpumpen pumpen auch ohne mein Zutun, auch um die Zündungsknöpfe muss ich mich nicht kümmern, und vom Minikippschalter rechts vom Zündschlüssel die Finger weg – da hat Porsche einst mit wassergekühlten Westen experimentiert. Und jetzt: Kopf schief halten und viel Spaß. Aber bitte keine 40 Millionen Euro in der Betonmauer, im Kiesbett, in Reifenstapeln oder auf den Grasnarben versenken – auch wenn der Wert eine reine Schätzung ist. Doch die limitierte Stückzahl und die Rennhistorie lassen den Wert sehr glaubhaft erscheinen. »Und dann sitzt du in so einem Auto drin und hast wirklich nur vier Räder und einen Riesenmotor. Das ist so genial, alles ausgerichtet auf die Motorleistung und dann voll auf Le Mans getrimmt …«, hat Marc Lieb noch gesagt und dann die Tür verschlossen. Ich fühle mich wie der einsamste Mensch der Welt, der vor Freude platzen könnte. Wäre Platz vorhanden.

Der Blick nach vorn wird begrenzt von zwei wunderbar blauen Gulf-Kunststoffbergen mit Lüftungsschlitzen, ansonsten lässt die Plexiglaskuppel viel Sicht auf den Betonboden frei. Ich registriere gerade noch, dass sogar der Zündschlüssel aus Gewichtsgründen perforiert ist. Einmal drehen, und sofort springt der Zwölfzylinder hinter meinem Rücken willig an. Was sich draußen als giftiges Fauchen gibt, hört sich im Auto an wie asthmatisches Rasseln. Das ändert sich allerdings beim Gasgeben sofort. Beim Schalten bitte immer eine Gedenksekunde zugeben, haben sie gesagt. Sowohl beim Hoch- als auch beim Runterschalten, denn so mussten auch die mutigen Recken damals fahren, wollten sie ihr Getriebe dauerhaft schonen. »Und beim fünften Gang auf die Finger aufpassen – der findet sich gefährlich nah an der Karosserie innen!«

»Ich war fast ein bisschen enttäuscht, wie leicht der 917 zu fahren ist«, hat Lieb gestanden – ich bin allerdings kein bisschen enttäuscht, auch wenn der Renner mit normalem Spiel von Gas und Kupplung problemlos losrollt. Kaum über 3.000 Touren gedreht, will der Motor mehr, das Öldruckwarnlicht geht aus, der Zeiger im leicht gekippt eingebauten Drehzahlmesser fängt endlich an zu tanzen, und der Wagen will einfach nur nach vorn. Oder in die Kurve. Oder sonst wohin. Jedenfalls fahren.

Es ist eine Freude, durch die Gänge zu tanzen, auch mit Gedenksekunde – nur die Bremsen erscheinen total weich. Tatsächlich hat Lieb mich vorher gewarnt: »Nach heutigen Maßstäben können die gar nichts.« Was die Vertrauensbildung nicht gerade fördert. Womit ich aber nicht gerechnet habe, sind die hohen Lenkkräfte am schmucklosen, perforierten Volant, die unter anderem den enorm fetten Reifen geschuldet sind. Hinzu kommt, dass durch die liegende Sitzposition die Arme fast lang ausgestreckt sind und nicht, wie bei heutigen Rennwagen, stark angewinkelt kräfteschonend eingesetzt werden können.

So leicht der Porsche 917 auch zu bedienen ist, so sehr fordert er trotzdem den Mann, auch wenn ich nicht im Mindesten die Tempi der Racer erreichen sollte. Damals rasten die Piloten mit 360 km/h über Landstraßen in Frankreich, auch in tiefster Nacht mit ihren lächerlichen Lichtfunzeln. Und bei Regen sahen sie wahrscheinlich gar nichts mehr und verließen sich auf ihren Instinkt, ihr Talent und wohl auch auf ihr Glück. Denn die Füße sind vor der Vorderachse positioniert und prädestiniert, beim kleinsten Frontaleinschlag in Höhe der Hüftgelenke anzudocken.

Mit jedem Kilometer machen sich Dopamin, Serotonin und Co. verstärkt bemerkbar, werden die Bizeps härter und das Hirn leerer. Letztlich holen mich nicht die 917-Eigner, die Spezialisten vom Porsche-Museum, von der Piste, sondern in die Augen laufender Schweiß und die schmerzhafte Einsicht, dass man aufhören soll, wenn’s am schönsten ist. Wie kann man nur? Ach, denkt doch, was ihr wollt. Bei eventuellen Fragen findet ihr mich noch eine Weile im siebenten Himmel – irgendwo auf Wolke 917.


Foto: Heiko Simayer

TECHNISCHE DATEN

Porsche 917 K

  • Motor: V12, luftgekühlt
  • Hubraum: 4.494 cm³
  • Gemischaufbereitung: mechan. Kraftstoffeinspritzung
  • Zündung: Zwei Zündkerzen pro Zylinder
  • Maximale Leistung: 580 PS bei 8.400/min
  • Literleistung: 129 PS
  • Gewicht: 800 kg