Martin Santoro
· 30.01.2023
Ein Porsche-Liebhaber und Karussell-Sammler erwirbt Fragmente kleiner Holz-Sportwagen, die in etwa dem Urmodell des 911 gleichen. Der Schreinermeister Rupert Kronenberger restauriert sie aufwendig und fertigt darüber hinaus gleich mehrere Nachbauten originalgetreu an.
Erinnern wir uns an die Welt, als sie noch durchgehend analog war. Tablet, Smartphone, Netflix existierten schlichtweg nicht. Frohnaturen waren wir Kinder trotzdem zu der Zeit, als das Telefon mit Wählscheibe zu Hause stand und nicht mit dem Auto voll vernetzt und stets überall dabei war. Automobile liebten wir damals auch schon. Bevor wir imstande waren, den ersten Satz mit mehr als zwei Worten zu formulieren, war Autofahren ein Herzenswunsch. Der Drang nach Mobilität scheint uns angeboren. Rührte daher womöglich das innige Verhältnis zwischen den Fahrgeschäften des Schaustellergewerbes und frühkindlichem Unterhaltungsdrang? Jungs fühlten sich als Helden, wenn sie den Fahrersitz mit Volant im Feuerwehr- oder dem Rennauto ergattern konnten – es ist dem pädagogischen Geschick der Karussellbauer zu verdanken, dass wohlweislich oft jeder Sitzplatz ein Lenkrad besaß.
Mit viel Lärm und Getöse läutete ein Horn oder eine Glocke die nächste Runde ein. Der kreisend tosende Nachwuchs bedankte sich bei den Eltern mit einem Strahlen im Gesicht. Blitzschnell konnte sich die Miene verdunkeln, sobald das Fahrgeschäft seine wilde Tour einstellte. Dann halfen nur Zuckerwatte und Popcorn zur Wiederaufhellung der Gemüter. Oder dem Drängen wurde nachgegeben und der kleinen Hand noch ein Jeton für eine weitere Rundfahrt gereicht.
Gleich welche Generation gerade heranwuchs, die schillernde Welt von Kirmes, Volksfest und Jahrmarkt zog uns unwiderstehlich an.
Die Melange aus bunten blinkenden Lichtern und dem Gewirr zahlloser Geräusche und Düfte regte früh auch die Fantasie von Rupert Kronenberger an. Der begnadete Schreinermeister aus Friedrichsdorf hat seine Bewunderung und den Spieltrieb aus Kindertagen in die Gegenwart gerettet, indem er vor bald 20 Jahren seine nostalgischen Erinnerungen in eine aktive Sammelleidenschaft transformierte. Zu seiner Passion zählt das Restaurieren von Kindersportkarussellen einschließlich ihrer sogenannten Besetzung. Ruperts Sachverstand im Umgang mit Holz sowie eine weit zurückreichende Freude an klassischen Volks- und Sportwagen führten dazu, dass sich sein Augenmerk insbesondere auf Karussell-Käfer und -Porsche richtete. Anfangs renovierte er die etwa anderthalb Meter langen Autoattrappen, inzwischen fertigt er sie nach traditionellen Vorgaben auch selbst an. Die Arbeit an diesen zauberhaften Miniaturen erledigt er nebenbei – wenn Luft ist, wenn nicht gerade die Empore einer Villa oder ein begehbarer Kleiderschrank die Auftragsbücher füllen. Ein Blick in seine Werkstatt verdeutlicht jedoch: Trotz Tagesgeschäft ist sein Hobby allgegenwärtig. Karussellautos hängen von der Decke, kauern in Regalen und lugen aus Ecken hervor. Gesammelt wird jedoch konsequent nur eine Herstellermarke: Hennecke aus Uelzen. Das ergab sich aus dem Erwerb von ersten Fragmenten eines Holzautos, das Rupert einer langwierigen Restauration unterzog. Das Forschen nach alten Katalogen und zeitgenössischem Zubehör ließ den Holzfachmann zum Experten für Fahrgeschäfte heranreifen. Sein Wissensdurst verschaffte ihm zudem tiefere Einblicke sowohl in das Schaustellergewerbe als auch in die Fabrikation ganzer Anlagen, die einstmals fürs kindliche Amüsement erdacht und gebaut wurden.
Einen Großteil seines Wissens stellt er für andere Interessierte als Kompendium auf der Internetseite bereit. Enthalten ist dort etwa die Historie der Firma Hennecke, 1870 als Bau- und Handelsbetrieb für Landmaschinen gegründet. 1923 fertigt Hans Hennecke auf Bestellung ein erstes Kinderkarussell. 1933 entsteht das Grundmodell für sämtliche späteren Ausführungen.
Während des Krieges sattelte der Betrieb auf die Fertigung von Munitionskisten um, nach 1945 wurden Rapsmühlen produziert. In kleinem Rahmen entstanden auch wieder vereinzelt Karusselle, bis 1956 die Zeit des Wirtschaftswunders einen neuen Aufschwung brachte. Bis 1964 lieferte Hennecke mehr als 100 Karusselle verschiedener Größen und mit prachtvoll bemalter Krone sogar bis nach Australien. In New York verfügte Hennecke auch über einen Handelsvertreter, der die dortige hohe Nachfrage abwickelte. Dokumente belegen eine Produktion von zehn Karussellen allein im Jahr 1965. An einem Aufbau arbeitete die Belegschaft rund sechs Monate, der Personalstand lag bei 27 Mitarbeitern – darunter Schreiner, Stellmacher, Schlosser, Maler und Elektriker.
Dem Boom folgte der Einbruch, bedingt durch die Konkurrenz billigerer Produkte aus Italien, fehlgeschlagene Neukonstruktionen sowie Zahlungsausfälle bei Exporten nach Südamerika. 1974 kam es schließlich zum bitteren Ende.
Was bei Hennecke bestellbar war, davon zeugen noch alte Kataloge. Es muss Ende der 1960er-Jahre gewesen sein, als das Unternehmen für die Besetzung der Karusselle auch erste Porsche-Cabrios ins Programm nahm, die sich am Urmodell des 911 orientierten. Rupert Kronenberger suchte lange, bis er eine dieser Preziosen sein Eigen nennen konnte. Intensiv bespielt und stark verschlissen, galt es, die Fragmente zu rekonstruieren. Besonders zeitintensiv war das Nachbilden diverser Karosserieteile wie der Kotflügel, die aus dem Vollen neu geschnitzt und geschliffen werden mussten, um der typischen Porsche-DNA zu folgen. Da der Kunsthandwerker ohnedies neue Formteile für Grundgestell und Beplankung anzufertigen hatte, legte er jeweils gleich eine ganze Charge an, aus der er fünf komplett neue Nachbauten konstruierte. Als beliebtes Schnitzholz kam weiche Linde zum Einsatz, der Rahmenaufbau besteht aus harter Eiche. Für die Beplankung benutzte Rupert ein modernes Spezialbiegesperrholz.
Anbauteile wie Scheinwerfer und Rückleuchten stammen von alten Fahrradbeleuchtungen. Beim Originalfahrzeug verwendete er Scheinwerfer einer NSU Quickly. Zier- und Verdeckleisten besorgte er sich aus dem Oldtimerhandel, Schriftzüge und Embleme sind Porsche-Originale.
300 Stunden verschlang der Aufbau eines jeden Karussell-Porsche. Rege Nachfrage kann Rupert Kronenberger dennoch verzeichnen. Auf seine kunsthandwerklich brillant ausgeführte Arbeit wurde sogar die Deutsche Manufakturenstraße aufmerksam. Der Verein stellte im Rahmen einer Ausstellung Ruperts gelben Karussell-Porsche 2018 in New York aus.