Geheimnisträger

Christoph Reifenrath

, Thomas Fuths

 · 08.02.2023

GeheimnisträgerFoto: Markus Bolsinger
Den 911 S gab es nie mit 210 PS. Und den 210-PS-Motor gab es nie mit Sportomatic. Beides ist in diesem 911 S vereint. Eine Kombination, die viele Fragen aufwirft.
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Er ist und bleibt ein Mysterium, wurde offiziell so nie gebaut. Trotzdem gibt es ihn. Dieser – in Grün-Diamanteffekt lackierte – 911 S Sportomatic von 1972 ist eigentlich der erste 911 Carrera RS 2.7. Na ja, fast.

Vor 50 Jahren kam er auf den Markt. Der 911 Carrera RS 2.7. Die Ikone unter den Ikonen. Wir von Porsche Klassik haben uns vor diesem Hintergrund noch einmal aufgemacht, mehr über seine Ursprünge zu erfahren. Denn die gehen womöglich auf einen geheimnisvollen 911 S mit Sportomatic zurück. Vor vielen Jahren hatten wir ihn kurz im Außenlager des Porsche Museums entdeckt und auch mit zwei Bildern im Heft. Jetzt wollten wir ihn noch einmal genau untersuchen, ihn in seiner ganzen Schönheit präsentieren, und dabei Antworten finden. Woher kommt dieser 911? Wer hat ihn entwickelt oder ist ihn gefahren? Was ist seine Geschichte? Denn dieser 911 ist nur auf den ersten Blick ein S. Jahrzehnte fristete der mit der Identifikationsnummer 9113300013 versehene Wagen ein unbeachtetes Dasein. Abgestellt, vergessen, dann wiederentdeckt. Ausgeliefert wurde er im Juli 1972 an die Porsche KG, erstmals offiziell zugelassen aber erst gut sechs Jahre später am 12. Oktober 1978. Die Motornummer – 6330023 – und der 911-S-Schriftzug auf der Motorklappe deuten auf ein 2,4-Liter-S-Triebwerk hin.

Grün-Diamanteffekt passt wunderbar zu einem 911 des zweiten Jahrzehnts. Man muss wissen: Ferry Porsche mochte grüne Sportwagen sehr.
Die Klarheit des 911-Coupé-Designs mit seinen Kanonenrohren und der Flyline im Heck ist bis heute unübertroffen.
Foto: Markus Bolsinger

Der Sechszylinder-Boxer mit mechanischer Bosch-Saugrohr-Einspritzung sollte demnach eigentlich 190 PS leisten. Tut er aber nicht: Im Fahrzeugschein eingetragen sind 210 PS, die Leistungsdaten des 2,7-Liter-Carrera-RS-Triebwerks, dessen Motornummer jedoch mit den Ziffern 66 beginnen müsste. Auch das verbaute, halbautomatische Drei-Gang-Sportomatic-Getriebe will nicht passen, denn den insgesamt nur 1.580-mal gebauten und 245 km/h schnellen Carrera RS 2.7 mit dem charakteristischen Entenbürzel gab es nur mit Fünf-Gang-Schaltgetriebe. Den bereits erwähnten Entenbürzel und die beim RS im Heck um 4,2 Zentimeter verbreiterte Karosserie wiederum hat dieser 911 nicht, dennoch ist die beim damaligen Rennsport-Homologationsmodell verwendete 15-Zoll-Mischbereifung, 185/70 vorn, 215/60 hinten, montiert und eingetragen. Fakt ist: Die Fahrgestellnummer 9113300013 weist unseren Geheimnisträger als das 13. produzierte S-Coupé des Modelljahres 1973 aus: 911 steht für die Baureihe, 3 für Modelljahr 1973 (nicht Baujahr!), 3 für S, die erste 0 für Coupé, die finale 13 für die Produktionsnummer. Dazu passt auch die skizzierte Motornummer 6330023. Die aber wiederum gehört zur Version mit einem Schaltgetriebe. Mit der Sportomatic hätte nach der 633 eine 9 folgen müssen, keine 0.

Die Sportomatic verknüpfte die Agilität der Schaltung mit dem Komfort der Automatik. In den 60er- und 70er-Jahren war diese Art Getriebe en vogue. Der avantgardistische NSU Ro 80 hatte serienmäßig eine Halbautomatik.
Das Vierspeichen-Lenkrad weist den Porsche-Prototyp als F-Serie aus. Der Volant war dünn, aber im Kranz mit feinem Leder bezogen. Der Pralltopf wurde aus Kunststoff gefertigt.
Foto: Markus Bolsinger

Selbstverständlich wäre die Umsetzung der ungewöhnlichen Modifikationen bei einem, wie die lange zulassungslose Zeit nahelegt, ausschließlich als Werkswagen genutzten Prototyp grundsätzlich kein unlösbares Problem gewesen. Denn in seinen Grundfesten handelt es sich bei dem 210 PS starken 2,7-Liter-Motor um den lediglich überarbeiteten 2,4-Liter-Motor aus dem 911 S. Größere Zylinderbohrungen von 90 statt 84 Millimetern ergeben die Hubraumerhöhung von 2.341 auf 2.687 Kubikzentimeter; zudem erhielt das Triebwerk geschmiedete Kolben mit f lacherem Boden sowie mit einer Nikasil-Laufschicht versehene Zylinder. Andere Motorenteile wie Kurbel- und Nockenwelle, Zylinderköpfe und Ventile blieben dagegen unverändert. Kein Hexenwerk also. Auch zeitlich lässt sich unser »Zwischenwelt-911er« durchaus erklären. Denn die Arbeiten am Projekt RS beginnen unter dem Arbeitstitel 911 SC (Super Carrera) bereits im Frühjahr 1972. Unser 911 könnte also theoretisch ein RS-Entwicklungsprototyp gewesen sein. Äußerlich möglichst unauffällig, aber eben mit aktualisierter Technik.

Der Verzicht auf den Bürzel, der den Auftrieb an der Hinterachse senkte und zur Überraschung der Entwickler Tilman Brodbeck und Hermann Burst sowie des Designers Rolf Wiener gleichzeitig die Höchstgeschwindigkeit um 4,5 km/h steigerte, ergab da absolut Sinn. Denn die Offenlegungsschrift (Nummer 2238704) für dieses extrem auffällige, seinerzeit einmalige Bauteil wurde erst am 5. August 1972 beim Deutschen Patentamt eingereicht. Doch einiges spricht gegen diese Theorie. Warum sollte bei einem unzweifelhaft für die die Teilnahme an Gruppe-4-Rennveranstaltungen konzeptionierten Fahrzeug eine Sportomatic installiert werden? Die wog schließlich mehr als das Schaltgetriebe und hätte beim Beschleunigen wertvolle Zehntel liegen lassen und bei den Serienfahrzeugen zudem rund 5 km/h Höchstgeschwindigkeit gekostet, die der Heckbürzel gebracht hätte. Seine Standfestigkeit hatte das (ab August 1967 und bis zum Modelljahr 1981 optional angebotene) Sportomatic-Getriebe außerdem längst bewiesen. Im ebenfalls 210 PS starken Porsche 911 R bei den 84 Stunden des »Marathon de la Route«, den Vic Elford, Hans Herrmann und Jochen Neerpasch schon 1967 auf dem Nürburgring spektakulär gewonnen hatten. Wozu die zu guter Letzt auffällige Sonderlackierung des Lackherstellers Lesonal, wenn es um Unauffälligkeit gegangen wäre? Fragen über Fragen, die sich auch mithilfe des Porsche-Werksarchivs bis heute nicht vollständig beantworten lasssen.

Betrachtet man die Ausstattung des 911, erscheint eine ganz andere Theorie wahrscheinlich. Die Sitzf lächen sind exklusiv mit fest vernähten, schwarzen Fellen versehen. Schließlich war die Sitzheizung 1972 noch nicht erfunden. Der Pilot am Steuer des 911 Carrera 2.7 Sportomatic wird also ein Freund des Wintersports gewesen sein. Zudem muss er ein Faible für grüne Autos gehabt haben. Wir von Porsche Klassik gehen deshalb davon aus, dass es Ferry Porsche persönlich war, der sich mit diesem Sportwagen zum Skifahren aufmachte. Im einzigen jemals gebauten 911 Carrera RS 2.7 Sportomatic mit Touring-Paket. Die Idee lebt bis heute fort – im aktuellen 911 GT3 mit Touring-Paket und Doppelkupplungsgetriebe. Ferry Porsche hätte ihn wohl in der Sonderfarbe Tannengrünmetallic lackieren lassen. :::

Das Dach des Porsche Museums bildete die Kulisse für das Fotoshooting mit dem einzigartigen 911 S 2.7 Sportomatic.Foto: Markus Bolsinger
Das Dach des Porsche Museums bildete die Kulisse für das Fotoshooting mit dem einzigartigen 911 S 2.7 Sportomatic.
Felle waren die Sitzheizung der 70er-Jahre. Fest mit dem Sitz verbunden waren sie aber nur in diesem 911.
Der 911 Carrera RS 2.7 debütierte am 5. Oktober 1972 auf dem Pariser Salon – vor exakt 50 Jahren.Foto: Markus Bolsinger
Der 911 Carrera RS 2.7 debütierte am 5. Oktober 1972 auf dem Pariser Salon – vor exakt 50 Jahren.