25 Jahre Porsche BoxsterDie Gamechanger

Thomas Fuths

 · 17.02.2023

25 Jahre Porsche Boxster: Die GamechangerFoto: Markus Bolsinger
Die Menschen (v.l.) hinter dem Boxster: Stefan Stark entwarf das Interieur-Design der Detroit-Studie (links), Grant Larson kreierte das Exterieur-Design der Studie und des 986 (ganz rechts), Hans-Jürgen Wöhler entwickelte als Baureihenleiter die Nachfolger 987 und 981 zu einer Produktfamilie weiter, Harm Lagaaij zeichnete als kreativer Designchef für die Studie, den 986 und den 987 verantwortlich, Horst Marchart hatte als Vorstand für Forschung und Entwicklung die entscheidende Konzeptidee für den 986 und den 996.
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Es war ein mutiges und kreatives Team, das Porsche mit dem Boxster vor einem Vierteljahrhundert in die Zukunft schickte. Ohne sie wäre Porsche heute wohl nicht der erfolgreichste aller Sportwagenhersteller.

Weltpremiere in Amerika: Der Porsche-Designer Grant Larson – heute Direktor für Sonderprojekte – entwickelt 1992 die im Januar 1993 auf der NAIAS in Detroit präsentierte Boxster-Studie. Im Bild dahinter: der 550-1500 RS Spyder.
Foto: Markus Bolsinger

Vielleicht ist er der wichtigste Porsche aller Zeiten – weil Porsche ohne ihn mitunter aufgehört hätte, als eigenständiges Unternehmen zu existieren: der Boxster. Ein Vierteljahrhundert gibt es ihn jetzt. Porsche hat extra ein Jubiläumsmodell abgemischt; als Hommage an die legendäre Detroit-Studie von 1993 und die erste Serie des Jahres 1996. Verdammt lang her, die 90er. Wer im Frühjahr 2021 den Paletot von seinem Boxster zieht – ganz gleich ob Youngtimer oder Neuwagen – und den Roadster aus dem Winterquartier holt, taucht ein in die Porsche-Welt, wie wir sie kennen: 19 Gesamtsiege in Le Mans, Ikone 911, erfolgreichster Sportwagenhersteller, Freiheit im Boxster, sensationelle Elektromobilität an Bord des Taycan, volumenstarke SUV, Panamera als Kontrapunkt zum Establishment, Keimzelle des größten europäischen Automobilkonzerns, ein Global Player. Doch es gab eine Zeit davor. Eine Zeit des Stillstands. Eine Zeit, in der erst im letzten Moment die Besten ihres Faches zusammenkamen, um den Boxster zu erfinden und Porsche in die Zukunft zu schicken.

1988/89. Eine Welt im Umbruch. In Leipzig gehen die Menschen auf die Straße, um ihre Freiheit einzufordern. 500 Kilometer weiter südwestlich in Stuttgart formt sich ein junges Team, das Porsche schon bald neu erfinden wird. Unvorstellbar ist zu diesem Zeitpunkt die Tatsache, dass die kleine Sportwagenschmiede nur zehn Jahre später zu einem der profitabelsten Automobilhersteller der Welt aufsteigen und den Bau eines neuen Automobilwerkes in Leipzig beschließen wird. Noch ist Leipzig eine Stadt in der DDR und Porsche ein Unternehmen mit großen Problemen. Doch die Dinge kommen in den letzten zwei Jahren der 80er in Fahrt. Ganz gleich ob auf der großen politischen Bühne, auf den Straßen Leipzigs oder bei Porsche in Zuffenhausen – überall sind es einzelne oder Gruppen von Menschen, die den Lauf der Geschichte ändern und prägen. Menschen mit größerem Weitblick, größeren Visionen und größerem Mut; Menschen, die wissen, wann die Zeit des Handelns gekommen ist. Horst Marchart ist einer dieser Menschen.

Seit 1960 arbeitet er schon bei Porsche. Doch nun, fast drei Jahrzehnte nach seinem Start bei Porsche, steht Marchart als Leiter der Gesamtfahrzeugentwicklung vor schwierigsten Aufgaben. Er weiß, dass die Produktreihen 944 und 928 und sogar der gerade erst vorgestellte 911 der Serie 964 nicht mehr zeitgemäß sind. Es gibt kaum Gleichteile zwischen den drei Baureihen; zudem sind die Produktionsmethoden veraltet und deshalb viel zu teuer. Porsche verdient einfach zu wenig an den Sportwagen. Doch Marchart denkt längst über eine neue Porsche-Welt nach. Um aber wirklich etwas zu verändern, müsste er sie in der Hand haben: die Hebel der Macht. Einer der ähnlich über Porsche denkt wie er, hat das Unternehmen gerade erst verlassen: Dr. Wendelin Wiedeking, ein junger Produktionsexperte.


Die Meilensteine auf dem Weg zum heutigen Boxster

1989

Mit der Studie Panamericana zeigt Harm Lagaaij einen ersten Ausblick auf die Porsche-ZukunftFoto: Markus Bolsinger
Mit der Studie Panamericana zeigt Harm Lagaaij einen ersten Ausblick auf die Porsche-Zukunft

1992

Das Entwicklungsprojekt 989 – ein Viertürer mit V8-Frontmotor – macht Platz für den Boxster (986) und den 911 (996)Foto: Markus Bolsinger
Das Entwicklungsprojekt 989 – ein Viertürer mit V8-Frontmotor – macht Platz für den Boxster (986) und den 911 (996)

1993

Der neue Porsche 911 (993) kommt auf den Markt. Lagaaij schafft Design-Parallelen zum 968 und zum 928 GTSFoto: Markus Bolsinger
Der neue Porsche 911 (993) kommt auf den Markt. Lagaaij schafft Design-Parallelen zum 968 und zum 928 GTS

1996

Der neue Porsche Boxster (986) debütiert – ein Welterfolg. Bis 2004 werden 164.874 Exemplare verkauftFoto: Markus Bolsinger
Der neue Porsche Boxster (986) debütiert – ein Welterfolg. Bis 2004 werden 164.874 Exemplare verkauft

2004

Von der zweiten Generation (987) werden bis 2011 79.030 Stück produziert. Hinzu kommt das Coupé Cayman
Von der zweiten Generation (987) werden bis 2011 79.030 Stück produziert. Hinzu kommt das Coupé Cayman

2012

Wie die zwei Boxster zuvor gibt es auch den dritten nur mit Sechszylindern. 54.374 981 entstehen bis 2016Foto: Markus Bolsinger
Wie die zwei Boxster zuvor gibt es auch den dritten nur mit Sechszylindern. 54.374 981 entstehen bis 2016

Seit 2010

Der 987 kommt 2010 als Spyder auf den Markt. 2015 folgt – hier im Bild – der 981 Spyder, 2019 der aktuelle 718 SpyderFoto: Markus Bolsinger
Der 987 kommt 2010 als Spyder auf den Markt. 2015 folgt – hier im Bild – der 981 Spyder, 2019 der aktuelle 718 Spyder

Seit 2014

2014 ist der Boxster GTS (981) das neue Topmodell. Den 718 GTS treibt heute ebenfalls ein Sechszylinder anFoto: Markus Bolsinger
2014 ist der Boxster GTS (981) das neue Topmodell. Den 718 GTS treibt heute ebenfalls ein Sechszylinder an

Seit 2016

Der 718 (982) debütiert als Vierzylinder-Turbo. Später folgen Sechszylinder wie im neuen Boxster 25 JahreFoto: Markus Bolsinger
Der 718 (982) debütiert als Vierzylinder-Turbo. Später folgen Sechszylinder wie im neuen Boxster 25 Jahre

Der Boxster als Klassiker

Die erste Generation des Boxster ist für einen Porsche immer noch vergleichsweise günstig zu bekommen. Doch das Blatt wendet sich – gute Exemplare des 986 werden immer gefragter. Wichtig: Gerade beim 986 sollte eine Komplettlederausstattung (auch Türen und Armaturen) an Bord sein. Der 987 setzt sich als Facelift-Version mit LED-Rückleuchten besonders schön in Szene, der 981 ist als GTS die erste Wahl. Ein Traum sind alle Spyder.


Doch es kommen neue Leute an Bord. Fast parallel zum Fortgang von Wiedeking ist Ulrich Bez von der BMW Technik GmbH als neuer Vorstand für den Bereich Forschung und Entwicklung zu Porsche gewechselt. Schon einmal war er bei Porsche beschäftigt. Um sich sofort nach seiner Rückkehr ein Bild von den Projekten der Zukunft zu machen, lässt er sich im Design die News zeigen, an denen gearbeitet wird. Doch es fehlen die großen Visionen. Und so greift er zum Telefon und ruft seinen ehemaligen Kollegen Harm Lagaaij in München an – den Designchef der BMW Technik GmbH, mit dem er zusammen unter anderem den expressiven BMW Z1 konzipiert hatte. Bez bietet dem Niederländer an, bald Nachfolger von Anatole Lapine und damit neuer Porsche-Designchef zu werden. Harm Lagaaij nimmt die Herausforderung nach reiflicher Überlegung in dem Bewusstsein an, hier die Chance zu bekommen, ein Designstudio komplett neu aufzubauen. Sein Vorteil: Er kennt Porsche. Denn als junger Designer hatte Lagaaij – unter der Regie von Lapine – bereits in den 70ern in Zuffenhausen gearbeitet und unter anderem den Porsche 924 entworfen.

Als Horst Marchart Vorstand für Forschung und Entwicklung wird, hat er die besten Leute an Bord.

Am 1. April 1989 übernimmt Lagaaij offiziell den Job von Lapine. Als Dienstwagen bekommt der Chefdesigner einen Porsche 911 der Serie 964 und ist verwundert. Denn in den 13 Jahren seiner Abwesenheit scheint die Zeit stehengeblieben zu sein – der 964 wirkt vor allem vom Design her lediglich wie ein Facelift der G-Serie. Um so mehr gibt der neue Designchef sofort Vollgas. Er will mit »Style Porsche« – dem Automotive-Designstudio der Marke – intern und extern klarstellen, dass Porsche neu durchstartet. Und er erkennt, dass es dafür ein perfektes Zeitfenster gibt: den 14. bis 24. September. Denn da findet die 53. IAA in Frankfurt statt; und mittendrin – am 19. September – wird Ferry Porsche seinen 80. Geburtstag feiern.

Als Geschenk entwickeln die Designer für den Professor auf der Basis des Carrera 4 eine atemberaubende Studie: den Panamericana. Der Designer Steve Murkett kreiert das Exterieur. Der Clou ist das wandelbare Dach des Conceptcars: Es gibt als Mittelteil eine Art Softtop, das einfach per Reißverschluss ein- und ausgebaut wird. Die Karosserie fertigen die Porsche-Leute in einer Kunststoffsandwichbauweise mit Glasfaser- und Kohlefasermodulen. Auf der IAA bekommt Ferry Porsche den Panamericana symbolisch überreicht. Entgegen dem damaligen Bericht eines Nachrichtenmagazins, Ferry Porsche hätte der Wagen nicht gefallen, sagen Zeitzeugen, die dabei waren, übrigens noch heute, dass der Sohn des Firmengründers große Freude an der in die Zukunft projizierten Studie hatte. Für Harm Lagaaij ist der Panamericana auch rückblickend eine erste Initialzündung für jenen Aufbruch, in dessen Finale der Boxster und der 996 entstehen werden.

Parallel baut der Designchef sein Team mit neuen, jungen Talenten aus. Eines davon ist der amerikanische Exterieur-Designer Grant Larson, der zuvor bei Audi im Design war und bereits gehört hat, dass in Zuffenhausen nach Jahren mit nur wenigen neuen Modellen ein Neustart bevorsteht. Motorsportfreund Larson unterschreibt 1989 in Stuttgart. Zeitgleich arbeitet Harm Lagaaij daran, ein weiteres junges Talent zu Porsche zu holen: den Interieur-Designer Stefan Stark. Doch der ist noch in Tokio beschäftigt. Und so zieht es sich etwas hin, bis der Deutsche die Koffer packen und zurück nach Europa reisen kann. Larson und Stark kennen sich bereits von früher; die Automobildesign-Szene ist eine kreative und bunte Welt aus Menschen aller Nationen – doch sie ist auch überschaubar. Grant Larson und Stefan Stark werden auf jeden Fall sehr schnell zu zentralen Köpfen hinter der Boxster-Idee avancieren. Doch die existiert noch nicht wirklich.

986, 987, 981, 982 – die Auswahl ist groß. Doch es wird Zeit, sich einen guten 986 zu sichern.

Zunächst wird Arno Bohn 1990 neuer Vorstandsvorsitzender. Er übernimmt den Job von Heinz Branitzki, der sich in den Ruhestand verabschiedet hatte. In einem Kraftakt sorgen Bohn, Marchart und Lagaaij dafür, dass die aktuellen Modelle attraktiver werden, um das Unternehmen über Wasser zu halten. Die Teams um Marchart und Lagaaij entwickeln mit einem minimalen Budget aus dem sehr guten 944 S2 den noch besseren 968. Gleichzeitig bekommt der 928 mehr Leistung und ein breiteres Heck und wird so zum 928 GTS. 1991 kommen die zwei »neuen« Transaxle-Modelle auf den Markt. In dieser Phase holt Wolfgang Porsche persönlich einen Produktionsexperten zurück: Dr. Wiedeking. Er wird Vorstand für Produktion und Materialwirtschaft und beerbt den von der Zeit überholten Professor Rudi Noppen.

Horst Marchart findet in Wiedeking einen wichtigen Mitstreiter für das, was kommen muss, aber noch nicht da ist. Zunächst werden unter Bohn und Bez der viertürige Porsche 989 und ein 911-Nachfolger weiterentwickelt. Das 1988 gestartete 989-Projekt ist ein sehr früher Panamera mit einem 300 PS starken 3,6-Liter-V8-Frontmotor. Horst Marchart wird mit der technischen Umsetzung betreut. Doch er hält den Wagen für zu teuer; zudem ahnt er, dass der 989 nicht die notwendigen hohen Stückzahlen bringen wird. Die Zeit für einen avantgardistischen Gran Turismo dieser Art ist einfach noch nicht reif. Zu allem Übel gibt es kaum Gleichteile mit dem ebenfalls komplett neu aufgesetzten 964-Nachfolger – und dabei ist nicht vom späteren 993 oder 996 die Rede. Fakt ist: Noch immer fehlt eine schlüssige Vision, wie sich Porsche erfolgreich in die Zukunft katapultieren kann.

Doch jetzt zahlt sich aus, dass erfahrene Porsche-Leute und hoch engagierte neue Experten da sind und als Team zueinanderfinden. Einer dieser Gamechanger ist Horst Marchart. Fest steht, dass die Teams um ihn und Harm Lagaaij bei der Entwicklung des 989 wertvolle Erfahrungen auf dem Weg zu einer besseren Porsche-Modellmatrix gesammelt haben. Fest steht ebenfalls, dass Horst Marchart schon in den zurückliegenden Jahren genau hingesehen hat, wenn Unternehmensberater im Hause waren und skizzierten, welche künftigen Volumen und Kosteneinsparungen Porsche brauchen würde, um in eine neue Stabilität hineinzuwachsen. Als Ulrich Bez dann das Unternehmen verlässt, bekommt Marchart endlich die wirklichen Hebel der Macht in die Hand, um Kurs auf Richtung Turnaround zu nehmen: Arno Bohn bietet ihm an, Vorstand für Forschung und Entwicklung zu werden. Im Herbst 1991 muss er sich den Fragen des Aufsichtsrats stellen, um den Job zu bekommen. Horst Marchart soll erklären, was er anders machen würde. Und in dieser Sitzung stellt er dem Gremium seine Idee von zwei Sportwagen vor, die vom Frontend bis zur B-Säule nahezu identisch sind und auch in allen weiteren Bereichen einen hohen Grad an Gleichteilen aufweisen.

Zuerst ist der Aufsichtsrat skeptisch. Doch der Ingenieur macht deutlich, dass Porsche mit dieser Modellstruktur dramatisch die Kosten senken und die Volumen erhöhen könnte. 35.000 bis 40.000 Autos pro Jahr sind das Ziel. Der Aufsichtsrat gibt sein Go. Es ist die offizielle Geburtsstunde des Projektes 986/996 – und damit die Initialzündung für den Boxster. In den folgenden vier Monaten finden Plausibilitätsuntersuchungen statt, ob das Projekt 986/996 umsetzbar ist. Es ist plausibel, und Marchart überzeugt den Aufsichtsrat – nun als Vorstandsmitglied – vollends. Im Februar 1992 wird das Projekt 989 eingestellt und die Entwicklung des 986 und des 996 hochgefahren. Schon im April 1992 beginnt Grant Larson mit der Exterieur-Entwicklung einer Boxster-Studie für die North American International Auto Show (NAIAS) in Detroit im Januar 1993.

Er lässt sich vom Motorsport, vom 718 RS Spyder und 550 RS 60 Spyder und vom Leichtbau inspirieren. Stefan Stark kreiert das spektakuläre Interieur der Studie. Beide zusammen erschaffen ein Gesamtkunstwerk. Wenige Monate nach dem Designstart des Showcars beginnt auch die Entwicklung von vier 1:1-Modellen – jeweils zur Hälfte 986 und 996. Doch die Detroit-Studie ist derart gelungen, dass Grant Larson irgendwann von Harm Lagaaij den Auftrag erhält, seine Ideen auf eines der vier Modelle zu übertragen. Es entsteht eine neue Porsche-Roadster-DNA für die Ewigkeit. Bis heute fühlen sich alle Boxster-Verantwortlichen dieser DNA verpflichtet. Menschen wie der langjährige Boxster-Baureihenleiter Hans-Jürgen Wöhler, der aus dem Boxster als 987 und 981 mit neuen Modellen wie dem Spyder eine eigene Produktmarke werden lässt. Der auf 1.250 Exemplare limitierte Boxster 25 Jahre ist der neueste Höhepunkt diese Entwicklung. Und die beginnt – das ist nun klar – vor mehr als 30 Jahren im Kopf eines Mannes: Horst Marchart.