Joachim Fischer
· 19.02.2021
Der 911 Targa ist der vielleicht schönste Elfer im Programm des Klassikers. GUTE FAHRT testete den aktuellen Targa 4S mit 450 PS und 530 Nm
Wo bewahren Sie ihre Kunstgegenstände auf? Im Wohnzimmer? Im Tresor? Oder auch am liebsten in der Garage? Was gibt es Schöneres, als sich jeden Morgen schon vor der Fahrt ins Büro wieder neu in dasselbe, wunderschöne Automobil zu verlieben, das man gestern am Abend dort zurücklassen musste?
Die ersten Lichtstrahlen fallen auf die sanften Rundungen der Kotflügel, der Targa-Bügel glänzt mattsilbern. Die Türgriffe kommen sanft entgegen und die Scheinwerfer strahlen auf. Man sitzt gebettet in das feine Leder der anschmiegsamen, adaptiven Sportsitze. Herrlich! Der Dreh am Zündschlüssel links lässt die gut 7.000 Euro Aufpreis für die Clubsessel mit Edel-Bezug sogleich vergessen – man gönnt sich ja sonst nix. Der Boxer im Heck erwacht zum Leben. Der vertraute Klang von sechs Zylindern, zwei Turboladern aus vier Endrohren massiert sanft die Trommelfelle und man weiß: Ja, alles richtig gemacht! Der Tag kann beginnen.
Leider kann der Autor dieser Zeilen das morgendliche Vergnügen maximal zwei Wochen auskosten. Länger mag die Testwagen-Abteilung von Porsche ihren achatgrau-metallic-farbenen 911 Targa 4S leider nicht herausrücken. Dann darf er einen anderen Redakteur beglücken. Ich bin jetzt schon neidisch!
Warum? Für mich ist der Porsche 911 Targa ganz subjektiv der schönste Elfer im Trio aus 911Coupé und 911 Cabriolet. 1965 erblickte er aus Gründen des Überrollschutzes das Licht der Welt, benannt nach dem legendären Straßenrennen „Targa Florio“, bei dem Porsche in den 1950er-Jahren große Erfolge erzielt hatte.
1995 verlor er seinen klassischen Bügel, 2014 erhielt er ihn gottlob zurück und ist seither wieder das, was er immer war: Kunst auf Rädern!
Doch schauen wir uns die aktuelle Version des 911 Targa 4S auf Basis des 992er-Elfers einmal genauer an. Bis zur Fensterlinie entspricht er weitgehend dem aktuellen Cabrio 4S, die Außenhaut ist bis auf Heck- und Bugteil aus Aluminium gefertigt. Die Radhäuser und Kotflügel sind markanter modelliert als beim Vorgänger, dazu passt die im Stil der ersten Elfer eingeprägte Fronthaube zwischen den Serien-LED-Scheinwerfern. Am Heck fallen die ultraflachen Rückleuchten mit dem durchgehenden LED-Leuchtband ebenso ins Auge wie der nun breitere, variabel ausfahrende Heckspoiler sowie die Vierrohr-Auspuffanlage, die optional gegen eine Sportabgasanlage mit zwei ovalen Endrohren getauscht werden kann.
Das Glashaus ist dagegen das, was den Targa zum Targa macht. Da sind zunächst der namensgebende, feststehende und damit schützende Targa-Bügel sowie das vollautomatisch versenkbare Dach mit zwei integrierten, flächigen Magnesium-Elementen, die auch als Geräusch- und Wärmeschutz dienen. Hinzu kommt die beheizbare, umlaufende Heckscheibe. Elektrische Aktuatoren öffnen das Dach vollautomatisch in 19 Sekunden. Dazu wird die riesige Glasheckscheibe auf Tastendruck angehoben, gekippt und nach hinten gefahren. Gleichzeitig öffnen sich zwei Klappen im Targa-Bügel, das Verdeckelement wird entriegelt, während seiner Öffnung z-förmig gefaltet und hinter den Fondsitzen abgelegt. Danach werden die Bügelklappen und die Heckscheibe wieder geschlossen. Ein ungeheures Schauspiel! Zum Schutz überwacht zudem der serienmäßige Park-Assistent beim Öffnen und Schließen des Dachs den Bereich hinter dem Fahrzeug, denn die Fondscheibe schwenkt dabei über das Heck hinaus. Bei geöffnetem Dach kann ein integrierter Windabweiser manuell aufgestellt werden. Er verringert die Zugluft im Innenraum zwischen 50 km/h und 145 km/h deutlich.
Eine Hommage an die 1970er-Jahre
Im Innenraum entspricht der Targa dem Stand der aktuellen Carrera-Modelle. Klare horizontale Linien, nur noch wenige Schalter und eine zurückversetzte Instrumentenebene erinnern an Elfer der Siebziger. Ebenso das Design des mittig im Instrumenteneinsatz platzierten Drehzahlmessers. Er wird flankiert von zwei Displays mit Informationsanzeigen. Über der Mittelkonsole thront der 10,9-Zoll große Touchscreen des serienmäßigen Communication Management Systems PCM mit schwarmbasierter Online-Navigation und Connect Plus.
Doch der 911 Targa ist nicht nur automobile Skulptur und zeitgemäß digitalisiert – er ist auch ein Porsche. Das führt uns direkt zum Thema Antrieb. Hier ist der Targa ebenso „state of the art“. Er wird befeuert vom aktuellen Biturbo-Sechszylinder-Boxer mit knapp drei Litern Hubraum. Der Targa 4 leistet 385 PS, der 4S 450 PS bei 6.500 bis 7.500 Kurbelwellen-Rotationen sowie 530 Newtonmeter Drehmoment zwischen 2.300 und 5.000/min. Das sind beim 4S jeweils 30 PS
und Nm mehr als das Vorgängermodell lieferte. Wie im 911 Carrera und im 911 Cabrio durchströmt die turbo-komprimierte Luft die beiden neu positionierten
Ladeluftkühler, die nun statt des Luftfilters direkt über dem Motor, zentral unter dem Heckdeckelgitter sitzen. Zuvor waren sie seitlich in den hinteren Kotflügeln positioniert. Ebenfalls neu: die variable Ventilsteuerung VarioCam Plus, die den Gaswechsel erstmals mit asymmetrischen Einlassnockenwellen steuert. Dabei öffnen die beiden benachbarten Ventile eines Zylinders in der Teillaststellung mit unterschiedlichem Hub. Dadurch erhält die einströmende Luft einen definierten Drall im Brennraum, was die Gemischaufbereitung und Verbrennung verbessert.
Beide Targa-Modelle kommen serienmäßig mit einem neuen Achtgang-Doppelkupplungsautomaten PDK, dessen Fahrstufen alle neu übersetzt sind. Der erste Gang ist kürzer, der 8. Gang länger ausgelegt als die bisher höchste Stufe Nummer 7. Eine verlängerte Achsübersetzung senkt in allen Gängen zusätzlich die Drehzahlen, was sich positiv auf den Verbrauch auswirken soll – sofern man es gemächlich angehen lässt. Die Höchstgeschwindigkeit wird weiterhin in der sechsten Fahrstufe erreicht.
7-Gang-Handschaltung auf Wunsch
Für Sport-Fans ist der Targa 4S optional ohne Aufpreis auch mit 7-Gang-Handschaltgetriebe inklusive Sport Chrono-Paket, mechanischer Hinterachsquersperre und dynamischen Motorlagern zu haben.
Alle Targa verfügen zudem über den intelligenten Allradantrieb PTM, dessen Vorderachsgetriebe verbessert wurde. Das wassergekühlte Bauteil trägt nun verstärkte Kupplungslamellen für schnelleres Ansprechen und höhere Belastbarkeit. Stets mit an Bord ist bei den Targas auch das PASM-Fahrwerk mit elektronisch geregelten, verstellbaren Dämpfern.
Die ebenfalls elektronisch geregelte Hinterachs-Quersperre mit Torque Vectoring (PTV Plus) ist im 4S Serie, für den Targa 4 optional erhältlich. Dazu gibt‘s zur Füllung der üppigen Radhäuser am 4S Mischbereifung in 20 und 21 Zoll mit 245/35er-Gummis vorne und 305/30er-Walzen hinten (Targa 4: 19/20 Zoll, 235/40er & 295/35er).
Doch jetzt genug der Theorie. Wie fühlt sich der neue 911 Targa 4S an? Wir checken zunächst die Fahrleistungen. Da unser Testwagen neben anderen schicken Extras auch mit dem Sport Chrono Paket für 2.380 Euro gesegnet war, kamen wir auch in den Genuss der Launch Control. Also: Alle Fahrprogramme und Getriebe auf Sport, linken Fuß auf die Bremse, Gas geben bis sich die Startdrehzahl bei 5000/min eingependelt hat, sammeln – und los geht‘s über die abgesperrte Landebahn. Die Reifen reißen an, katapultieren den Elfer aus der Startposition. Nach 3,5 Sekunden fliegt die 100er-Marke vorbei, nach 12,3 Sekunden die 200er Hürde. Schluss ist erst bei 304 km/h. Mein lieber Herr Gesangsverein, da steckt Musik drin. Der Targa 4S unterbietet auch im 5. Versuch (weil‘s so viel Spaß macht) locker seine Werksvorgaben, insbesondere auf 200 km/h ist er einige Zehntelsekunden schneller als versprochen. Der Achtgang-Doppelkupplungs-Automat macht seine Sache hervorragend, feuert die Fahrstufen punktgenau und ohne Zugunterbrechung ab.
Der Allradantrieb liefert die nötige Traktion, damit der Boxer die Pneus nicht gleich an Ort und Stelle wegraucht. Die neue vierflutige Abgasanlage mit kennfeldgesteuerten und vollvariabel verstellbaren Abgasklappen singt dazu die altbekannte Boxer-Hymne – allerdings nicht überlaut. Vermutlich auch deshalb, weil ihr inzwischen ein Otto-Partikelfilter im Hals steckt.
In aller Offenheit
Jetzt aber raus auf die Landstraße – vorher haben wir natürlich die Glaskuppel bemüht und das Targadach publikumswirksam hinter den Sitzen verschwinden lassen. Die Seitenscheiben müssen diesmal leider öfters oben bleiben, denn wir haben bereits November... Der manuell aufstellbare Windabweiser verrichtet jetzt prima Dienste, lässt den (eiskalten) Luftstrom bei normalen Tempi nur wenig übers Haupthaar fächeln. Fährt man die Seitenscheiben herunter, gibt‘s natürlich sofort die targa-typischen Verwirbelungen unter Mithilfe der riesigen Glashöhle hinten. Notorischen Offenfahrern würden wir deshalb eher das 911 Cabrio empfehlen.
Doch wer nur ab und an die ganze Freiheit genießen will, wird bestens bedient. Der 911 Targa 4S ist ein Auto für Ästheten und Nostalgiker mit Stil. Geschlossen rollt er leise und langstreckentauglich wie ein Carrera Coupé. Sein Fahrverhalten ist ohne Fehl und Tadel: ruhig im schnellen Geradeauslauf, PASM sei Dank auch mit den Riesenrädern erstaunlich komfortabel, auf Knopfdruck aber auch sportlich knackig. So darf er ganz Racer sein. Hellwach und agil, dazu auch Dank der Servolenkung Plus präzise wie ein Laserschwert. Man wedelt mit ihm wie der Wind durch alle Kehren und Kurven, voller Traktion, noch weit entfernt vom Grenzbereich – aber manchmal schon ganz nah am Führerschein-Verlust.
Selbstverständlich ist der Targa immer online, klar gibt es heutzutage Assistenten wie den brandneuen „InnoDrive“ mit Abstands-Automatik, vorausschauendem Tempomat und aktiver Spurführung. Ob man das braucht, muss jeder für sich entscheiden. Meine Meinung: Das eigentliche Vergnügen ist, einen Porsche 911 Targa 4S selbst fahren zu dürfen – nicht sich von ihm fahren zu lassen. Da könnte man ja auch ein Taxi nehmen.
Ich muss unseren Testwagen jetzt leider wieder in der Garage abstellen. Morgen früh darf ich ihn noch einmal wecken – und hoffe still wie voraussichtlich auch vergeblich, irgendwann 143.956 Euro übrig zu haben.
Test kompakt
Der Porsche 911 Targa ist ein Design-Juwel für die Garage. Der mit dem Typ 991 im Jahr 2014 zurückgekehrte, charakteristisch- breite Bügel ist auch im neuesten Modell mit an Bord. Er verleiht dem faszinierenden Wandler zwischen der Cabrio- und Coupé-Welt seine unvergleichliche Dynamik. Abseits der Optik bietet der Targa 4S alle Sportwagen-Talente der 992er-Generation des Elfers – und ist so allein schon höchst faszinierend.