Joachim Fischer
· 18.12.2020
Die werden doch wohl nicht ... ,oder? Doch: GUTE FAHRT vergleicht Porsche Taycan Turbo und VW E-Up!
Das darf doch wohl nicht wahr sein. Was bringt eine seriöse Automobilredaktion wie GUTE FAHRT dazu, einen superedlen E-Sportler wie den Porsche Taycan Turbo gegen das Einsteiger-E-Mobil E-Up! von Volkswagen zu stellen. Das ist doch Zeitverschwendung, Äpfel mit Birnen vergleichen, den Hasen gegen den Igel rennen lassen – oder vielleicht doch nicht?
Nun ja, schauen wir mal genauer hin, wie die Talente verteilt sind. Die permanenterregte Synchronmaschine des Volkswagen E-Up! (Einzeltest GF 6/20) ist vorne quer eingebaut, treibt die Vorderräder an und leistet nach der letzten Überarbeitung 83 PS und 210 Nm Drehmoment. Viel wichtiger aber ist, dass die Reichweite beim Technik-Update auf bis zu 258 Kilometer nach WLTP angestiegen ist. Das wurde hauptsächlich durch ein neues Batteriepaket erreicht, das zwar nicht größer als das alte ist, aber dessen 168 Zellen dank einer höheren Energiedichte nun brutto 36,8 kWh bereithalten. Nutzbar sind davon 32,3 kWh. Der Akku ist in zwei Blöcke geteilt: Ein flacher ist unter den Vordersitzen montiert, ein höherer unter der Rückbank. Das ist vorteilhaft, denn so wird das doch immense Gewicht der Batterie von 248 Kilogramm möglichst tief und damit fahrdynamisch vorteilhaft platziert. Die Gewichtsverteilung ist zudem mit jeweils rund 50 Prozent auf Vorder- und Hinterachse nahezu optimal gelungen.
Der Taycan bietet unglaubliche Power
Der Porsche Taycan Turbo (Einzeltest GF5/20) kann über die meisten Werte des E-Up! nur verächtlich summen. Er ist in so gut wie jeder Disziplin mindestens doppelt so gut, speziell bei der Leistung seiner beiden permanenterregten E-Maschinen an Vorder- und Hinterachse sogar um ein Vielfaches potenter als der E-Up!. 625 PS, im Overboost gar kurzfristig 680 Pferdchen, dazu 850 Nm Drehmoment. Klar, dass der Taycan Allradantrieb braucht und hat, hinten wurde zwecks noch explosiverer Beschleunigung gar ein Zweigang-Getriebe angeflanscht. Der Lithium-Ionen Akku-Pack mit seinen 93,4 kWh Gesamtkapazität – 83,7 kWh davon sind nutzbar – liegt komplett im Unterboden des Sportwagens. Nur im Fond wurden sogenannte „Fußgaragen“ ausgespart, damit man hinten trotz tief eingebauter Einzelsitze bequem logiert und sich nicht mit den Knien die Ohren massiert.
396 sogenannte Pouch-Zellen verteilen sich auf 33 Module, die Nennspannung beträgt gewaltige 800 Volt. Zum Gewicht des Akkus macht Porsche in den technischen Daten keine Angaben, doch es dürften wohl mindestens 600 Kilo sein. Die Gewichtsverteilung ist ebenso perfekt wie beim E-Up!.
Bleiben die Grundmaße. Mit seinen 3,60 Metern Gesamtlänge ist der E-Up! rund 140 Zentimeter kürzer als der gut 4,96 Meter lange Taycan. In der Breite trennen die beiden 32 Zentimeter, in der Höhe überragt der E-Up! den Taycan um zwölf Zentimeter. Im Radstand liegt der Taycan mit 2.417 zu 2.900 Millimetern vorne. Bleibt noch das Gewicht: Hier siegt klar der kleine Volkswagen, denn er bringt trotz Batterie inklusive Fahrer nur schmale 1.235 Kilo auf die Waage. Der große Taycan mit seinem Riesen-Akku schleppt dagegen im Minimum gewaltige 2.305 Kilo mit sich herum. Das ist ziemlich viel für einen Sportwagen!
Kommen wir zu den Fahrleistungen. Hier gibt‘s für den E-Up! wirklich gar nichts zu gewinnen. Er sprintet in tapferen 11,1 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h, nach 4,5 Sekunden steht Stadtautobahn-Tempo 60 an. Der Überholsprint von 80 auf 120 km/h dauert 9,3 Sekunden, bei Tempo 130 wird abgeregelt – Feierabend, zu Gunsten der Reichweite.
Genau das Doppelte wird dem Taycan zugestanden. 260 km/h sind hier die Vmax! Der E-Porsche jagt aus dem Stand in 3,2 Sekunden auf 100 km/h, nach 10, 5 Sekunden ist er 200 km/h schnell. Zur Erinnerung: Da nähert sich der E-Up! gerade gemächlich der 100er-Marke.
Das macht deutlich – gerade auch unter Berücksichtigung der gewaltigen Gewichtsdifferenz – was für eine unglaubliche Power der Porsche bereitstellt. Wie vom Katapult abgefeuert flitzt er los, von allen verfügbaren elektronischen Helfern daran gehindert, dass er die vier angetriebenen Gummiwalzen gleich an Ort und Stelle aufraucht. Der Grip ist infernalisch, der Druck auf die Nackenmuskeln lässt erahnen, was Formel 1-Fahrer aushalten müssen. Wirklich atemberaubend.
Im direkten Vergleich möchte man im E-Up! – unfairerweise – frei nach Galilei ausrufen: „Und er bewegt sich doch“. Dabei ist der kleine Volkswagen alles andere als lahm.
Gerade in der Stadt erweist er sich als wieselflink, kommt mit dem E-typisch hohen Anfahrmoment flott von der Ampel weg, ist wendig und lässt sich (fast) in jede Parklücke quetschen.
Letzteres fällt mit dem deutlich längeren und breiteren Taycan schon wesentlich schwerer. In Parkhäusern und erst recht am Straßenrand muss man schon mal geduldig nach einer passenden Lücke suchen. Die Rundumsicht ist zudem eingeschränkter als beim E-Up!. Wendig ist der Taycan aber trotz seiner Größe. Die brachiale Leistung – das neben der aufregenden Optik wahre Faszinosum – kann man dagegen in der City nicht recht auskosten.
Über Land sieht die Sache schon anders aus. Hier darf der Taycan bei Gelegenheit seine unvergleichliche Power ausspielen. Die hochpräzise, fein rückmeldende Lenkung und das exzellent abgestimmte, in der Härte verstellbare Luft-Fahrwerk sind fantastisch – ein echter Porsche.
Der E-Up! fährt sich fluffig
Der E-Up! schwimmt im Landstraßenverkehr problemlos mit, gibt sich höchst komfortabel, rollt ruhig ab – wenn auch nicht so leise wie der Taycan. Die Lenkung ist angenehm straff und präzise. Er fährt sich im besten Sinne kinderleicht, fluffig und flott.
Bleibt die Autobahn. Jetzt schlägt endgültig die Stunde des Porsche. Hier darf er wenigstens ab und an mal toben, kann die Muskeln spielen lassen und im Antritt nahezu alles pulverisieren, was sonst so herumrollt. Ungewohnt und faszinierend zugleich: Selbst bei voller Beschleunigung summt der E-Porsche nur so vor sich hin. Ein Elfer würde dagegen längst wie eine Raubkatze kreischen, auf deren Schwanz ein Bus parkt. Geradeauslauf, Hochgeschwindigkeitskurven, Abrollkomfort – alles perfekt. Ein Porsche durch und durch.
Der E-Up! tut sich dagegen auf der Autobahn etwas schwer. Bei einer abgeregelten Vmax von 130 km/h mag hier keine rechte Freude aufkommen. Voll-Speed sollte zu Gunsten der Reichweite besser die Ausnahme bleiben, schwimmt man mit 110 km/h mit, ist man laufend zwischen LKWs und auf der linken Spur schneller Fahrenden eingekeilt. Nur bei den Lastwagen mitzockeln macht einen aber auch mürbe. Vielleicht sollte Volkswagen darüber nachdenken, dem Kleinen in der Spitze doch Tempo 150 km/h zu erlauben.
Rennstrecke? E-Up!-Piloten dürfte wohl gar nicht auf die Idee kommen. Und das ist auch gut so – der Track ist kein E-Up!-Terrain. Taycan-Treter dürften dagegen schon in Versuchung geraten. Sofern es an der Rennbahn einen Schnelllader gibt, steht der Sache grundsätzlich nichts im Wege. Ganz im Gegenteil!
Sogar fette Drifts sind drin
Die gebotenen Fahrleistungen kann man ohnehin nur auf einer abgesperrten Strecke gänzlich ausloten. Ebenso den Grenzbereich des Fahrwerks, das bei abgeschaltetem PTM (Traction Management) auch fette Drifts genehmigt – sofern Kundige am Lenkrad zaubern. Auch die serienmäßige Porsche Surface Coated Brake (PSCB) mit innenbelüfteten Bremsscheiben dürfte solche Ausflüge vertragen. Noch besser wären hier natürlich die optionalen Keramik-Stopper.
Kommen wir zum Verbrauch und der direkt davon abhängigen Reichweite – der Archillesferse der Elektromobilität. Der Porsche Taycan genehmigte sich im flott gefahrenen GF-Testschnitt 27,2 kWh pro 100 Kilometer. Im Minimum, bei wirklich verhaltener Fahrweise, waren es 19,8 kWh, im Maximum beim Tempobolzen auf der Autobahn auch mal 40,3 kWh. Die Reichweite lag im Testschnitt bei 344 km, nach WLTP sind maximal 442 Kilometer drin. Das kann man schaffen, wenn man auf Power-Eskapaden verzichtet und immer fleißig vorausschauend rekuperiert. Der VW E-Up! gibt sich erwartungsgemäß bescheidener. Sein Testverbrauch lag im Schnitt bei 16,5 kWh pro 100 Kilometer, das Minimum bei 12,0, das Maximum bei 24,8 kWh. Das entsprach einer Testreichweite von stattlichen 192 Kilometern, wir schafften im Eco Plus Fahrmodus mit reduzierter Leistung für Antrieb und Klimaanlage sogar fast die 258 Kilometer nach WLTP.
Der E-Up! ist ein City-Stromer
In der Praxis bedeutet das: Der E-Up! ist der perfekte Begleiter für die City und das Umland. Die täglichen Aufgaben wie Pendeln zur Arbeit sowie den Heimweg mit Abstechern ins Fitnessstudio sowie zum Einkaufen schafft er mit links. Während der Standzeiten kann man ihn ruhig ein wenig an den inzwischen immer häufiger vorzufindenden öffentlichen Ladesäulen nuckeln lassen. Liefern sie 7,2 kW oder 11 kW pro Stunde, merkt man das bereits. Bieten sie als Schnelllader gar 40 kW Gleichstrom, ist der fast leere 32,3er-Akku nach rund einer Stunde wieder voll. Deshalb die CCS Ladedose unbedingt mitbestellen – auch für den Fall, dass man sich doch mal auf die Langstrecke wagen will. Komplett problemlos wird der tägliche Umgang mit dem E-Up!, sofern man die Möglichkeit hat, zu Hause oder am Arbeitsplatz eine Wallbox mit 7,2 oder 11 kW Leistung zu installieren. Dann ist der E-Up! quasi allzeit bereit.
Für den Porsche Taycan Turbo ist eine 11-kW-Wallbox dagegen schon fast das Minimum. An ihr muss er mit leerem 83,7er-Akku rund 9 Stunden hängen, um wieder zu 100 Prozent gefüllt zu sein. Besser wäre eine 22-kW-Wallbox oder gleich ein echter Schnelllader. Hier kann der Taycan Turbo die Vorteile seiner 800-Volt-Architektur voll ausspielen und mit bis zu 270 kW geladen werden – sofern die Säule das überhaupt hergibt. Viele Schnelllader schaffen nur 125 bis 150 kW. Hat man so ein 270-kW-Kraftwerk zur Verfügung, bedeutet das bei voller Leistung in der Praxis: 5 Minuten Laden für 100 Kilometer Reichweite nach WLTP. Oder von 5 auf 80 Prozent Akku-Leistung in 22,5 Minuten – gerade lang genug für einen Espresso und ein Brötchen an der Autobahn.
Damit ist auch klar, wo sich der Taycan Turbo heimisch fühlen soll: auf der Langstrecke! Für möglichst kurze Ladezeiten war den Ingenieuren nichts zu schwer.
Die Krux mit den Ladesäulen
Doch das Leben ist ab und an ein Spielverderber. Besetzte Säulen, zugeparkte Säulen, defekte Säulen oder einfach nur schwachbrüstige sind momentan oftmals die Realität. Dafür kann der Taycan Turbo nichts, doch das erschwert einem das rein elektrische Langstreckenfahren derzeit noch – ganz speziell, wenn man abseits der großen Autobahnachsen unterwegs ist.
Der Ladevorgang selbst bereitet weder E-Up! noch Taycan Turbo Probleme. Das klappt prima, speziell, wenn man eine der Ladekarten der Hersteller zur Hand hat, die europaweit rund 150.000 Säulen ohne vorherige Anmeldeprozedur zugänglich machen und über die auch gleich abgerechnet wird – bestenfalls gar zu Sondertarifen.
Rabatt auf den Grundpreis gibt‘s für Porsches Taycan Turbo leider nur vorübergehend. Inklusive dem derzeit wegen der Covid-19-Pandemie noch bis 31.12.2020 auf 16 Prozent reduzierten Mehrwertsteuersatz kostet er stolze 149.148 Euro.
Extra-Förderung hält der Staat bei diesem Einstandspreis für unnötig. Es gilt aber die 0,5-Prozent-Dienstwagen-Besteuerung für E-Mobile über 60.000 Euro. Der E-Up liegt unter diesem Limit und wird als Dienstwagen mit nur 0,25 Prozent des Listenpreises bemessen.
Letzterer beträgt inklusive 16 Prozent Steuer 22.420 Euro. Zieht man vom aktuellen E-Up!-Preis noch die Förderung vom Staat in Höhe von 6.000 Euro ab, kann man fürs gleiche Geld 9 kleine VW-Stromer oder einen Taycan Turbo bestellen. Doch das ist graue Theorie. Momentan ist der E-Up! leider gar nicht individuell konfigurierbar, da VW zuletzt von der Nachfrage überrannt wurde und erst einmal Bestellungen abarbeiten muss. Das sagt doch schon ziemlich viel über den heimlichen Sieger dieser ungleichen Test-Paarung aus, oder?
Test kompakt:
Im Vergleich dieser zwei so unterschiedlichen Kontrahenten gibt es zwei Sieger: Der VW E-Up! ist die perfekte E-Lösung für die City und deren Umland. Kompakt, wendig, spritzig und flexibel glänzt er mit einer für Pendler und Wenigfahrer perfekten Reichweite bei guter Nachladbarkeit. Der Porsche Taycan Turbo ist der echte Sportwagen unter den E-Mobilen. Bullenstark, schnell, fahraktiv und luxuriös wie kein Zweiter bietet er sich auch Dank seiner ultra-schnellen Ladezeiten für die Langstrecke an – sofern man passende Schnelllader findet ...