Joshua Hildebrand
· 01.11.2021
Mit Gravel-Mode, erhöhter Bodenfreiheit und Offroad-Design zeigt der Taycan 4 Cross Turismo ernste Trekking-Ambitionen. Doch wie schlägt sich das Einstiegsmodell mit 380 PS und Allrad auf der Straße?
Noch fahren wir durch die Stadt, wollen aber gleich raus ins „Wilde“. Ja, der Taycan Cross Turismo ist im Vergleich zur Sportlimousine nicht nur etwas für den Boulevard, sondern auch fürs Grobe. Den Unterschied macht nicht nur die Optik, sondern auch der sogenannte „Gravel Mode“ – doch dazu gleich mehr.
Wir nehmen die erste Biegung in Richtung Landstraße. Mit voller Batterie und vollem Kaffeebecher treten wir das Fahrpedal durch. Die 380 PS Dauerleistung und maximal 500 Newtonmeter des Einstiegsmodell „4“ reichen locker aus, um unsere Mundwinkel synchron zur Beschleunigungskurve nach oben zu treiben. Die beiden permanent erregten Synchronmaschinen (PSM), jeweils eine an Hinter- und Vorderachse, sorgen nicht nur für nahtlosen Vortrieb, sondern auch eine starke Traktion. Die Kraft wird vorne über ein 1-Gang-Getriebe und hinten über ein Zweigang-Getriebe auf die Räder übertragen. Vorzugsweise fährt der Taycan heckgetrieben, erst im Bedarfsfall schalten sich die Vorderräder selektiv hinzu. Weil er beim Launch-Control- Start im Overboost sogar kurzzeitig bis zu 476 PS leistet, wirkt der robuste 800-Volt-Zuffenhausener subjektiv sogar stärker. Unser Messergebnis bestätigt die Porsche-Werksangaben: Nur 5 Sekunden vergehen bis Tempo 100, zehn Sekunden später (15,4) erreichen wir die 200er-Marke. Und das, obwohl er gute 2,3 Tonnen wiegt. Zwar beschleunigt er noch vehement weiter, der „In-die-Sitze-Drück-Effekt“ lässt nach oben heraus aber stark nach. Wenig später stoppt die Digital-Anzeige bei 220 GPS-km/h. Die Energie kommt übrigens aus der bei allen Cross-Turismo-Modellen serienmäßigen Performance-Batterie „Plus“ mit 93,4-kWh-Brutto- Kapazität. Wie beim Flachmann-Taycan beträgt die maximale Ladeleistung ebenfalls 270 kW, womit er an einer Schnellladesäule bestenfalls von fünf auf 80 Prozent (SoC) in rund 25 Minuten geladen werden kann.
Zuhause Strom zapfen geht dank Onboard-Lader mit serienmäßigen 11 kW, das Upgrade auf 22 kW kostet zusätzliche 1.666 Euro.
Das „4“-Modell mag zwar nicht der schnellste Cross-Turismo sein, allerdings ist er das reichweitenstärkste, weil der Verbrauch mit 26,5 kWh pro 100 Kilometer geringer ausfällt als bei den stärkeren Taycans. So sind wir mit vollem Akku bei zurückhaltender und vorausschauender Fahrweise 361 Kilometer weit gekommen. Für eine ähnliche Reichweite an kalten Tage empfiehlt sich die Wärmepumpe für 845 Euro.
Fakt ist: Auch das Offroad-Pendant verschleudert nicht einfach so seine Kapazitäten, geht effizient mit der Energie um. So rekuperiert auch die Steilheck-Variante, wo sie nur kann. Geht man vom Fahrpedal, so verzögern die E-Maschinen und speisen Energie zurück in den Akku. Erst bei stärkeren Bremsmanövern greifen die Radbremsen ein. Dabei ist das Pedal-Gefühl für Newcommer etwas gewöhnungsbedürftig.
Der Cross ist anpassungsfähig
Offroader? Reise-CUV? Oder doch Sportwagen? Ganz einfach: Er ist alles. Ausschlaggebend ist die Lust und Laune des Fahrers – und der gewählte Fahrmodus. Dank des optionalen Sport-Chrono-Pakets (1.113 Euro) steht neben den üblichen Fahrmodi auch ein „Gravel“- Mode zur Verfügung. So fährt er sich mal ganz brav, mal richtig sportlich, mal ganz schön versaut.
Das Layout, bestehend aus einem High-Tech-Fahrwerk samt adaptiver Luftfederung und einem Allradantrieb, der die Drehmomente radselektiv verteilen kann, macht‘s möglich. Dieser ist bereits beim Einstiegsmodell serienmäßig an Bord. Jene Antriebseinheit bildet eine hervorragende Kombination für wirklich alle Lebens- und Straßenlagen. Für die hervorragende Traktion zeichnet auch die geregelte Hinterachs-Quersperre (optional) verantwortlich. Es gibt sie im Rahmen des Porsche Torque Vectoring Plus für 1.487 Euro.
Im Vergleich zur Taycan-Limousine steht er gute 15 Millimeter höher da, eine Rundum-Verspoilerung aus robustem Kunststoff sorgt für den Naturburschen-Look. Hinzu kommt das äußerst markante Heck mit feststehendem Dachspoiler und einem ausladenden Diffusor. Wahre Offroad-Fans können die Bodenfreiheit mit dem optionalen Offroad- Design-Paket (1.642 Euro) auf 30 Millimeter steigern.
Auch wenn seine Robust-Optik nicht so richtig ins Innerstädtische passen mag, macht er auch hier eine stattliche Figur. Flüsterleise glitten wir eben noch neben der Straßenbahn her, genossen seinen ausgeprägten Komfort-Charakter einerseits, bemängelten seine etwas knausrige Rundum-Sicht andererseits. Naja, dafür sieht er eben richtig cool aus.
Apropos sehen: Meistens sieht man ihn erst, ehe man ihn hört – trotz des optionalen Electric Sport Sound (500 Euro). Ja, in einem Porsche zu sitzen und überhört zu werden, ist auch für uns immer noch etwas Neues. Das passt dann aber hervorragend zum entspannten Cruisen, weil die Luftfederung im „Normal“-Modus samtig-weich arbeitet und die Insassen verwöhnt, ohne dass der Fahrer fahrdynamische Kompromisse eingehen muss.
Das Cross-Utility-Vehicle kann aber auch anders: Gibt man ihm die Sporen, verwandelt er sich blitzartig in einen Sportwagen: satt liegend, sportlich, agil. Aus dem Softroader wird dann fast schon ein Hardliner. Ein gutes Stichwort: Denn beim Anblick von S-GO-806E verspüren wir dringliche Lust in leichtes Gelände zu fahren … Was es mit dem neuen Gravel-Fahrmodus auf sich hat? Das finden wir jetzt heraus! Aus der Landstraße ist nämlich inzwischen eine handfeste Schotterpiste geworden. In anderen Porsche-Modellen mag es schmerzen, über unbefestigte Straßen zu kraxeln, doch im Cross Turismo fühlt es sich richtig an. Obwohl es ein High-Class-Erlebnis für mindestens 95.658 Euro ist. Ups, vielleicht sollten wir das mit dem Offroad-Fahren doch lieber lassen?! Nein, jetzt ziehen wir das Ganze durch! Drücken auf die „Tube“, aktivieren den „Gravel“-Modus über die Mittelkonsole und schauen, was passiert.
Mehr-Feldein im „Softroader“
Tatsächlich spüren wir sofort eine geänderte Fahrpedalkennlinie, wodurch die Dosierbarkeit etwas weniger spitz ausfällt. Selbst auf losem Untergrund bleibt der Cross Turismo dann beherrschbar, suggeriert mit leicht übersteuerndem Fahrverhalten eine angenehme Portion Sportlichkeit, ohne Überforderung beim Fahrer auszulösen. Denn bevor uns das Heck gleich ganz überholt, bremst auch schon das Porsche Stability Management (PSM) unseren Übermut – gut so. Doch lässt sich als geübter Fahrer schnell der Grenzbereich ausmachen, weil der Taycan Cross Turismo mit einer sensationell ausgewogenen Lenkung gesegnet ist: der Servolenkung Plus, die im Paket (2.332 Euro) mit der vorteilhaften Hinterachslenkung ins Auto kommt. Sie hilft nicht nur beim innerstädtischen Rangieren, sondern auch bei engen Kurven. Immerhin ist der Taycan Cross Turismo gerundet 4,97 Meter lang, 1,97 Meter breit und 1,41 Meter hoch. Das Abrollverhalten ist selbst dank der mächtigen 20-Zoll-“Offroad Design“- Räder (2.154 Euro) sehr angenehm, selbst auf grobem Schotter.
Der Innenraum, das Bedienkonzept und die Assistenzsysteme kennt man bereits aus der Limousine. Fast schon selbstredend, dass auch der Cross Turismo die Insassen gut einpackt. Die hervorragend stützenden Adaptiv-Sportsitze Plus (2.035 Euro) sind zwar nicht günstig, bringen aber tolle Eigenschaften mit sich: haltstark und komfortabel, dazu vielfältig verstellbar. Obendrein gibt es vier große Bildschirme: für den Tacho, das Infotainment, die Bedienung der Klimafunktionen und anderem mehr und sogar für den Beifahrer (1.023 Euro) – eine nette Spielerei. Dafür, dass hier alles digital und ohne haptische Tasten funktioniert, ist die Bedienung logisch und geht schnell von der Hand. Zudem gibt es eine Sprachsteuerung.
Mehr Platz als in der Sportlimousine
Was beachtet werden sollte: Ohne Aufpreis können nur drei weitere Personen mitgenommen werden, da die 4+1-Sitzanlage 476 Euro extra kostet. Serienmäßig gibt es dafür mehr Kopffreiheit im Fond, eine in drei Teilen umlegbare Fondsitzlehne und ein variables Lade- volumen von 446 bis 1.212 Liter – deutlich mehr als bei der Limousine. Nicht zu vergessen sind die 85 Extra-Liter unter der Fronthaube.
Nicht nur deswegen qualifiziert sich das Kombi-Heck als bisher praktischster E-Porsche fürs Abenteuer – auch, wenn er (natürlich) nicht ganz günstig ist. Wer finanziell liquide genug ist, erhält bereits mit dem Einstiegsmodell „4“ ein faszinierendes Auto mit spannendem Design, genügend Power und einer anständigen Reichweite. Leider fehlt auch weiterhin die Möglichkeit, einen Anhänger zu ziehen. Dafür hat Porsche aber die passende 200-km/h-Dachbox gleich mit im Angebot.