Test Porsche 911 Carrera S CabrioletLuft nach oben?!

Unbekannt

 · 07.07.2021

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Foto: Jan Bürgermeister

Das Porsche 911 Carrera S Cabrio verkörpert den ikonischen Sportwagen in seiner freizügigsten Form. Ganz klar: Dieser Elfer ist die beste Wahl für Genießer. Stellt sich nur die Frage: Ist da noch Luft nach oben? Test!

Spyder, Targa, Speedster, Roadster oder Cabrio? Bei Porsche gibt es ziemlich viele Wege, offen zu fahren. Letztlich sind alle genannten Varianten höchst emotional. Doch das 911 Cabrio besitzt für die Zuffenhausener einen ganz besonderen Stellenwert: Schon der erste Porsche-Sportwagen, der 356 „Nr. 1“ Roadster von 1948, war ein offenes Auto – mit einem provisorischen Segeltuch bespannt.

Coupéhafte Dachwölbung trotz Stoffverdeck

70 Jahre später steht die allerneuste Generation des Lust-Modells vor uns. Mit der neuen 992-Basis ist auch das Oben-ohne-Modell größer und muskulöser geworden. 20 Millimeter mehr Länge bei gleichgebliebenem Radstand, dazu 45 Millimeter breitere Kotflügel sowie größer dimensionierte Räder an der Hinterachse lassen den neuen Elfer im Vergleich zum 991 noch markanter auftreten. Die typischen 992-Insignien hat natürlich auch er: etwa das durchgängige LED-Leuchtband am Heck, einen breiteren Spoiler sowie die dritte Bremsleuchte im symbolischen „Elfer“-Design, flankiert von jeweils neun Kühlrippen: 9 – 9 – 2 eben. Auf Wunsch erhält das Cabrio LED-Matrixscheinwerfer (2.903 Euro). Kennt man aber alles bereits vom Coupé (GF 4/20) oder Targa (GF 3/21).

Highlight ist auf jeden Fall das neu entwickelte Leichtbau-Dach mit Magnesium-Elementen, das sogar im geschlossenen Zustand mit einer nahezu coupéartigen Dachlinie zu gefallen weiß. Keine aufwölbenden Unterbrechungen stören die Seitenlinie – und das ist, ehrlich gesagt, richtig selten bei Cabrios. Dank eines neuen und leichteren hydraulischen Dachantriebs lässt sich das Faltdach in jeweils rund zwölf Sekunden öffnen und schließen – übrigens bis Tempo 50 oder per Fernbedienung aus der näheren Umgebung. Für die individuelle Note kann der Kunde übrigens aus den Stofffarben Schwarz, Dunkelblau, Braun und Rot wählen – so passt es eigentlich immer.

Und auch im Innenraum brilliert der Freiluft-Elfer in neuer Manier: horizontal geprägt, geradlinig, edel, sportlich-nüchtern und natürlich auch voll-connected. Wer bestenfalls 3.617 Euro in die sehr empfehlenswerten, 18-fach verstellbaren Adaptiv-Sportsitze Plus investiert, kann auch gleich noch aus unzähligen Farb- und Materialkombinationen wählen – macht im Extremfall 8.500 Euro zusätzlich. Jedenfalls merkt man schnell, welchen qualitativen Anspruch die Zuffenhausener beim neuen Cabrio verfolgt haben. So wurde der 2+2-Sitzer im Innenraum weiter perfektioniert: Der Außenstoff ist vollflächig mit einer isolierenden Dämmmatte unterlegt, die Dachsegmente sind innen mit Himmelverkleidungen abgedeckt und auch die Seitenteile sind vollständig bestofft, so dass wir bei geschlossenem Verdeck keine technischen Bauteile sehen können. Hartgesottene Freiluft-Liebhaber werden aber ohnehin zumeist komplett freizügig herumkurven, wind-empfindliche Fahrer mögen die vier Glasscheiben hochfahren und das Windschott bequem über die Taste in der Mittelkonsole ausfahren – das geht bis zu einer Geschwindigkeit von 120 km/h.

Sonnenbrille? Sitzt! Haarbürste? Haben wir dabei. Portemonnaie? Steckt in der Hosentasche. Accessoires, die wir als 911-Cabrio-Fahrer immer dabei haben sollten. Wir schnellen los, während wir über das Drehrädchen am Lenkrad in den Sport-Plus-Modus wechseln. Besser als in den Wet-Mode allemal, der mit 992-Generation nun auch neu in das Cabriolet eingezogen ist. Erkennen Sensoren Wasser auf der Straße, so ploppt ein Hinweis im Tacho auf, Fahrmodus und Fahrweise zu ändern. Aber, zum Glück aber haben wir Cabrio-Wetter und einen äußerst lustvollen Antrieb „unterm Hintern“. Quell der Freude ist der 450 PS starke Dreiliter-Sechszylinder-Boxer im Heck, der neben Getriebe und Fahrwerk mithilfe der Sport-Response-Taste am Lenkrad kurzfristig (20 Sekunden) nachgeschärft werden kann. Auch ohne erreichen wir schon in 3,7 Sekunden die magische 100 km/h-Marke aus dem Stand. Nach nur zwölf Sekunden kratzt die digitale Nadel bereits an der 200. Knapp 310 km/h sind im 911 Cabrio tatsächlich möglich – mit etwas Mut und geschlossenem Verdeck.

Zwischen Cruisen und Sporteln

Im Highspeed-Bereich bringt den Elfer so schnell nichts aus der Ruhe, saugt er sich doch dank ausgeklügelter Aerodynamik regelrecht an die Fahrbahn. Grundbaustein hierfür ist zum einen die strömungsoptimierte Formgebung der 992-Baureihe, das Verdeck, der vergrößerte, variable Heckspoiler sowie das Kühlsystem in der Front, welches über adaptive Luftklappen verfügt.

Bei einem kleinen Musik-Päuschen à la Eros Ramazzotti kommen wir kurz runter, trinken einen Espresso Doppio und genießen die Aussicht. Lange währt unser Zwischenstopp jedoch nicht, schon kribbelt es wieder in Füßen und Händen. Eros muss jetzt leider wieder still sein, weil der Klang des Biturbo-Sechszylinders wahrlich besser ist als jede italienische Ballade. Trotz immer strenger werdenden Geräuschanforderungen und Ottopartikelfilter haben die Zuffenhausener einen richtig fetzigen Beat kreiert – nicht zuletzt wegen der optionalen Sport-Abgasanlage für 2.606 Euro.

Noch besser wird das Porsche-Erlebnis durch das Sport-Chrono-Paket (Serie Handschalter) mit bereits erwähntem Fahrmodus-Drehregler, speziellem ESP-Sport-Modus (PSM Sport), Laptimer, Porsche Track Precision App und dynamischen Motorlagern. Diese binden anstelle des bisherigen Motorschwerts den Boxer an die Längsträger an. Sie minimieren das Nachschwingen des Triebwerks und erhöhen Fahrkomfort sowie Fahrstabilität – das merkt man: Mit komplett deaktiviertem PSM stechen wir eigentlich viel zu schnell in die nächste Kurve, die fieserweise auch noch zumacht. Ein beherzter Tritt auf Bremspedal und die Sechskolben-Keramikstopper (8.937 Euro) verzögern unseren Übermut. „War alles gar nicht so schlimm“, denken wir und treffen doch noch zielgenau die Ideallinie. Unglaublich, wie verwindungssteif und spurtreu das Cabrio ums Eck streift. Auch, weil hier im 992 eine der besten Lenkungen überhaupt arbeitet: mit ausgewogenen Rückstellkräften, messerscharfer Präzision, doch stets viel Gefühl vermittelnd. Vor allem spürbar beim 2S-Modell ohne Antriebseinflüsse an der Vorderachse.

Gute Sportfahrer sind übrigens schon am Scheitelpunkt der Kurve wieder auf dem Gas. Bis das tendenziell untersteuernde Fahrverhalten in übersteuerndes umschlägt, muss man es wirklich arg übertreiben. Vor allem wird der Fahrer in der neuesten Generation des Elfer Cabrio auch von jeder Menge Hightech und Assistenzsystemen unterstützt. Während das aktive Dämpfersystem PASM auf die Bedürfnisse des Fahrers eingestellt werden kann (Normal oder Sport), hat das 992 Cabrio auch
serienmäßig Torque Vectoring Plus (PTV) mit elektronisch geregelter, vollvariabler Quersperre an Bord. Dank gezielter Bremseingriffe und Sperren des Differenzials lässt sich der Porsche noch agiler bewegen, um schließlich noch samtiger aus Kurven herausbeschleunigen zu können.

Überirdische Querdynamik dank Hightech

Und das macht er richtig gut: 530 Newtonmeter liegen in einem breiten Drehzahlband zwischen 2.300 und 5.200 Umdrehungen an. Der Biturbo hängt gierig am Gas, das achtstufige Doppelkupplungsgetriebe legt die Gänge sauber ein. Richtige Genießer schalten übrigens selbst über die Wippen am Lenkrad. Wobei man sagen muss, dass die letzten beiden Gangstufen wohl eher aus Effizienzgründen implementiert wurden: Die Höchstgeschwindigkeit erreicht man bereits im sechsten Gang.

Beim 992 macht sich vor allem die gewachsene Spurweite bemerkbar. Dass er aufgrund seiner gewachsenen Größe eventuell an Agilität eingebüßt hat, bewahrheitet sich jedoch nicht. Vor allem mit Extras wie der 10-mm-Tieferlegung (PASM), der
aktiven Wankstabilisierung (PDCC) und der Hinterachslenkung kaschiert das 1.600-Kilo-Cabrio ganz lässig seinen Wohlstandsspeck. Dafür sieht aber einfach jeder Millimeter seiner Karosserie betörend aus und der Durchschnittsverbrauch von rund zwölf Litern wird locker zur Nebensache. Denken Sie also lieber an die wichtigeren Dinge: Sonnenbrille, Haarbürste und Geldbeutel. Luft nach oben? Höchstens auf unserem Konto. Ja, es gibt nichts, was gegen dieses tolle Elfer Cabrio sprechen könnte – außer vielleicht der Preis von mindestens 137.887 Euro.