Porsche-RennsportPorsche 956 und 962 – Überflieger mit Abtrieb

Wilfried Müller

 · 04.11.2022

Porsche-Rennsport: Porsche 956 und 962 – Überflieger mit AbtriebFoto: Porsche AG
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Vor 40 Jahren begann die Erfolgsstory der Porsche 956 und 962. Dank mächtig Abtrieb und perfekter Teamarbeit beherrschten die Sportprototypen weltweit die nach den Regeln der »Gruppe C« ausgetragenen Rennserien. Im August 2022 feierte Porsche in Leipzig den Geburtstag der Überflieger.

Rennwagen-Ikonen sind sie alle: der Porsche 956 Langheck (vorne), der 956 Kurzheck (rechts) und der 962 Kurzheck (links).
Foto: Porsche AG

Die Kutscher von damals sind bei bester Laune, wie sie da auf Klappstühlen in einem großen Hangar im Leipziger Porsche Experience Center sitzen. Der Brite Derek Bell (Jahrgang 1941) und sein deutscher Ex-Kollege Jochen Mass, Ende September 76 Jahre alt, sowie Hans-Joachim Stuck, der 71 Lenze auf dem Zähler hat, fuhren in den 80ern für das Werksteam. Timo Bernhard (41) und Bernd Schneider (58) sind die Junioren im Club der ehemaligen Porsche-Rennfahrer. Der Ingenieur Helmut Schmid berichtet herrlich schwäbelnd über abnehmenden Spritverbrauch und steigende PS-Zahlen der Rennmotoren. Und der ehemalige Projektleiter Norbert Singer (1939 geboren) ist per Video-Schalte dabei. Beim Club der Gentleman-Glüher stehen sechs Exemplare des erfolgreichsten Porsche- Rennprototyps, der als 956, 962 C und 962 IMSA in den 80er-Jahren vornehmlich im Langstreckensport alles gewann, was es zu gewinnen gab. Dieses Auto und die Menschen, die es bewegten, feierte Porsche im Sommer 2022 auf der Werksrennstrecke in Leipzig unter der Headline »40 Jahre Gruppe C«.

Die »Gruppe C« war die konstruktiv extremste von drei Rennwagenklassen, die ab 1982 bis 1992 in der Langstrecken-Weltmeisterschaft und in nationalen Championaten starteten. Das technische Reglement schrieb für die WM ein Mindestgewicht von 800 Kilogramm und einen Tankinhalt von 100 Litern vor. Für die übliche Renndistanz von 1.000 Kilometern gestand das Reglement den Gruppe-C-Rennwagen 600 Liter Treibstoff zu, was damals eine Herausforderung an die Effizienz der Rennmotoren darstellte. Ein Dach und bestimmte Außenmaße mussten die neuen Rennwagen haben, ansonsten genossen die Designer freie Hand.

Am 22. Juni 1981 gab der Vorstand dem Rennleiter Peter Falk das Budget zur Entwicklung eines Rennprototypens frei, und die »Flachter Fünferbande« machte sich an die Arbeit. Unter Falks Ägide fungierte Norbert Singer als Aerodynamik-Zauberer und Projektleiter; Horst Reitter konstruierte das Chassis, Eugen Kolb zeichnete für die GFK-Karosserie verantwortlich, und Valentin Schäffer entwickelte den 2,65-Liter-Biturbo weiter, der ursprünglich für einen Rennwagen in der amerikanischen CART-Meisterschaft gedacht war. Die fünf und ihre Mitstreiter arbeiteten rund einen Kilometer südlich vom Weissacher Entwicklungszentrum nahe beim Örtchen Flacht, daher der Name, der heute den Charakter eines Ehrentitels angenommen hat.

Der 956 war ein Revoluzzer. Statt eines Gitterrohrrahmens wie all seine Prototypenvorgänger, verfügte das Auto über ein Aluminium-Monocoque. Singer erinnert sich: »Das war learning by doing. Der Flugzeugbauer Dornier beriet uns zum Thema Material und Verarbeitung. Wir bauten ein Probeexemplar. Und das zweite Monocoque in der Porsche-Motorsportgeschichte war bereits unser erster 956 für die Rennstrecke. Natürlich wussten wir von Kohlefaser-Chassis in der Formel 1 und holten das Angebot eines Zulieferers ein. Es lautete auf eine Million Mark, und das war für unsere Schwaben deutlich zu viel.« Auch Norbert Singers Aerodynamik hatte es in Flacht noch nicht gegeben. Singer adaptierte den aus der Formel 1 bekannten »Ground Effect« auf seinen Rennprototypen. Venturi-Kanäle und Diffusoren im Unterboden beschleunigten den Fahrtwind unter dem Rennwagen.

Der entstehende Unterdruck saugte das Auto an die Fahrbahn, was sehr hohe Kurvengeschwindigkeiten ermöglichte, die Fahrstabilität verbesserte und Bremswege verkürzte. Die Fünferbande verwirklichte zwei Versionen des 956. Für winklige Strecken und extremen Abtrieb entstand das »Kurzheck« – auf den ersten Blick von der Seite am frei über dem Heck stehenden Flügel zu erkennen. Diese Version verfügte über drei Diffusoren: Da war die Singer-Delle vor der Vorderachse, die dem Luftstrom höhere Geschwindigkeiten aufzwang und vorne Abtrieb brachte. Dazu kamen zwei Längskanäle und Diffusoren unter den Flanken. Am 27. März 1982 feierte die Rennabteilung den Rollout des neuen Rennwagens, und künftig wurde die Typnummer 956 so erklärt: »In neun Monaten von fünf Männern mit einem Sechszylinder auf die Räder gestellt.« Der Abtrieb entpuppte sich als so brutal, dass das Kurzheck ab Tempo 180 kopfüber unter der Decke hätte fahren können. Derek Bell gibt zum Besten: »Bei unseren ersten Testfahrten auf der Strecke von Le Castellet in Südfrankreich war es, als wären ein paar Kurven verschwunden. Wo du vorher ein S angebremst hattest, fuhrst du jetzt wie auf Schienen voll durch. Die extrem schnelle Signes-Kurve am Ende der langen Geraden ging laut Norbert ebenfalls voll. Es brauchte Überwindung, das zu probieren.«

Selbst für ausgewiesen furchtlose Künstler ihres Fachs waren die möglichen Kurvengeschwindigkeiten des 962 C zu viel. Walter Röhrl, der als Rallye-Profi einst Monster wie den völlig überpowerten Audi quattro »S1« am Limit über Bergpfade getrieben hatte, konnte sich bei Tests einer Allradlenkung für den 962 C im Oktober 1991 nicht entschließen, die Signes-Kurve am Ende der langen Geraden in Le Castellet mit Vollgas zu durchpfeilen. Norbert Singer erinnert sich an ein kleines persönliches Highlight mit seinem Ground-Effect-Rennwagen: »Unser Vorstand Helmuth Bott war ein Fan von Vergleichstests und noch immer nicht ganz von meiner Idee überzeugt, dass Abtrieb am Ende wichtiger als Höchstgeschwindigkeit und reine Power war. Deshalb beorderte er 1983 einen rund 1.000 PS starken 917/30 mit viel breiteren Reifen, als sie unser 956 hatte, zum Duell mit unserem Auto nach Weissach. Der 956 war mit gut 350 PS weniger auf der nur 2,54 Kilometer langen Strecke sagenhafte 4,1 Sekunden schneller als der 917/30. Das hat uns gefreut und Herrn Bott überzeugt.« Für schnelle Strecken wie Le Mans entstand das

»Langheck«, dessen seitliche Diffusoren flacher ausgelegt waren, und dem die Singer-Delle fehlte. Der Abtrieb betrug rund die Hälfte von dem des »Kurzhecks« dafür erreichte dieser Porsche exorbitante Höchstgeschwindigkeiten. 1988 wurde Hans-Joachim Stuck in einem 962 C auf der langen Geraden von Le Mans mit 395 km/h gemessen. Ab 1984 baute Porsche für die US-Rennkunden eine spezielle Version des 956, den 962 IMSA. Weil das Reglement im US-Sport vorschrieb, die Fahrerfüße hinter der Vorderachse zu platzieren, verlagerte man in Flacht die Vorderachse um zwölf Zentimeter nach vorne. Außerdem vorgeschrieben waren in den USA ein Überrollkäfig aus Stahl und ein voll luftgekühlter Motor mit nur einem Turbolader und Einzelzündung.

Da es für die US-Rennen keine Begrenzung der Spritmenge gab, rollte der 962 IMSA mit einem 120-Liter-Tank an den Start. Der Motorenspezialist Andial in Kalifornien passte die Porsche-Motoren unter anderem mit der Vergrößerung des Hubraums auf 3,2 Liter an die winkligen amerikanischen Kurse an. Ab 1985 startete dieser Nachfolger des 956 als 962 C auch in der Gruppe-C-Weltmeisterschaft und in nationalen Championaten, allerdings mit Doppelturbo und Doppelzündung. In Le Mans setzt das Werk im selben Jahr beim Training erstmals einen voll wassergekühlten Dreiliter-Biturbo ein und nennt eine Leistung von 700 PS. Gegen den 956 und den 962 war im Prototypensport über viele Jahre kein Kraut gewachsen.

Der erste Einsatz in Le Mans 1982 wurde von einem Dreifachsieg gekrönt. Bis 1987 folgten fünf weitere Gesamtsiege bei den »24 Heures« en suite. Porsche-Fahrer gewannen auf dem 956 und 962 C fünf Weltmeistertitel, die Marke sicherte sich das Championat von 1982 bis 1985, in der amerikanischen IMSA GTP holten Porsche-Teams vier Markenmeisterschaften und drei Fahrertitel zwischen 1985 und 1988. Die Liste der Erfolge ist schier endlos, und Porsche stellte mit dem Prototypen einen weiteren, erstaunlichen Rekord auf.

Während andere Hersteller wie Nissan, Toyota, Jaguar und Mercedes-Benz ihre Prototypen in kleinsten Stückzahlen herstellten, baute die kleine Rennsportabteilung in Flacht neben zehn 956 für das Werksteam 18 Kunden-Rennwagen. Der 962 C rollte in 15 Exemplaren für das Werk auf den Hof, während für Kunden sagenhafte 77 Exemplare des 962 C und 962 IMSA entstanden, teils in den USA von Spezialisten wie Fabcar und Holbert Racing in Lizenz gebaut. Rennserien wie die Langstrecken- oder Prototypen-Weltmeisterschaft, die IMSA-GTP-Serie, die All Japan Sports Prototype Championship oder der deutsche Supercup hätten ohne diese Rennwagen schlicht nicht stattgefunden.

Jeder, der im Sommer 2022 den 956 und seinen Nachfolger 962 feierte, verbindet seine persönlichen Geschichten mit dem erfolgreichsten Rennprototypen von Porsche. Derek Bell erinnert sich an sein Vorstellungsgespräch beim damaligen Entwicklungsvorstand Helmuth Bott: »Er sagte zu mir: ›Wir bauen ein Monocoque. Das haben wir noch nie gemacht. Wir setzen auf Ground Effect, damit haben wir keine Erfahrung. Wir versuchen, Diffusoren trotz unseres breiten Boxermotors zum Funktionieren zu bringen. Wie das gehen soll, wissen wir noch nicht. Aber in unserer Rennabteilung hat bislang immer alles Erfolg gebracht.‹ Dieser letzte Satz überzeugte mich. Ich unterschrieb meinen Vertrag.«

Bell wurde auf Porsche 962 IMSA im Jahr 1984 Fahrermeister der amerikanischen IMSA GTP und auf Porsche 962 C Fahrer-Weltmeister 1985 und 1986. Den ersten Titel holte er gemeinsam mit Hans-Joachim Stuck, denn bei den Langstreckenrennen lösten sich zwei Fahrer im Cockpit ab. Stuck kam 1985 ins Werksteam, da hatte er eine Traumkarriere im Tourenwagen und schwierige Zeiten in der Formel 1 bereits hinter sich. Der Bayer erzählt: »Der 962 C war der beste Rennwagen, den ich je fuhr. Die Kombination aus Kraft, Abtrieb, Bremse und Handling war einzigartig. Ich fühlte mich im Werksteam 100 Prozent zu Hause und sicher. Ich wusste: Mit dem Auto kann ich mich aufs Fahren konzentrieren. Ich muss keine Sorge haben, dass da irgendwas bricht. Mein erster Sieg in Le Mans 1986 ist neben der Geburt meiner Söhne der größte Moment meines Lebens. Wie lange hatte ich davon geträumt, eines der drei großen Rennen – Indy, Monaco oder Le Mans – zu gewinnen!« Bernd Schneider fuhr 1990 bis 1992 für Kremer Porsche und Joest Racing private Porsche 962 C und erinnert sich an einen heroischen Moment: »In Watkins Glen 1991 war ich mit dem Auto auf der Geraden, ich glaube über 210 Meilen pro Stunde schnell. Ich habe zwar nicht gewonnen, aber für die Fans war ich der Held.«

Jochen Mass war einer der athletischsten Werksfahrer – er fand die 90 Kilogramm Pedaldruck beim Bremsen, die fehlende Servolenkung, die Enge und Hitze im Cockpit nicht weiter belastend: »Der 956 und der 962 C waren für damalige Verhältnisse komfortable Rennwagen, die durch ihre spezielle Aerodynamik sehr ruhig und stabil lagen.« Der gebürtige Bayer erinnert sich an ein anderes Problem: »Ab 1984 erprobten wir das PDK. Es war anfangs zu schwer, zu unzuverlässig, und es fraß bis zu 20 PS. Außer Stucki wollte es niemand im Auto haben. Aber wenn du es nicht hattest, musstest du 15 Kilo Ballast reinpacken, damit sich die PDK-Fahrer nicht benachteiligt fühlten. 15 Kilo ändern das Handling erheblich.« Hans Joachim Stuck war happy als PDK-Tester, fuhr unermüdlich und gewann 1986 mit der zukunftweisenden Technik ein kurzes Rennen in Monza. 1987 war er bei Versuchen in Le Castellet mit dem Porsche-Doppelkupplungsgetriebe erstmals konstant schneller als mit der konventionellen Box.

Heute ist das PDK aus Porsche-Sportwagen wie dem 911, Cayman und Boxster kaum noch wegzudenken. Die Namen der Werksfahrer Bell, Mass und Stuck sind mit der Geschichte des erfolgreichsten Porsche-Rennprototyps ebenso verbunden wie die Namen ihrer Fahrerkollegen Jacky Ickx, Stefan Bellof oder Vern Schuppan. In Amerika galt Al Holbert auf seinem 962 Mitte der 80er-Jahre als das Maß der Dinge. Nach triumphalen Jahren in der Weltmeisterschaft und der IMSA verringerte das Werk 1986 die Entwicklungsarbeit am 962 C und forcierte die Entwicklung eines Monopostos für die amerikanische CART-Meisterschaft. Zugleich legten Mercedes-Benz und Jaguar in der Gruppe C zu. 1987 kam das Ende der Porsche-Dominanz, Jaguar gewann acht der zehn Läufe zur Weltmeisterschaft. Im Juli 1987 zog sich die Werksmannschaft aus der Sportprototypen-WM zurück, der letzte Sieg in der Weltmeisterschaft mit einem 962 C gelang dem Joest Racing Team am 21. Mai 1989 im französischen Dijon.

Die Faszination der Porsche 956 und 962 aber lebt. Als es darum geht, die Rennwagen in Leipzig für Demo- und Fotofahrten zu bewegen, sind Bell und Co. blitzartig bei ihren alten Geräten, gleiten erstaunlich gewandt in die Cockpits, und dann zeigen die Stoppuhren: Die alten Kutscher wissen noch immer, wo das Gaspedal liegt.


956, 962 C, 962 IMSA – die Erfolge

24 Stunden Le Mans

  • Sechs Gesamtsiege zwischen 1982 und 1987

24 Stunden von Daytona

  • Fünf Gesamtsiege

Sportwagen-Weltmeisterschaft

  • Fahrertitel 1982 und 1983: Jacky Ickx; 1984: Stefan Bellof;
    1985: Derek Bell/Hans-Joachim Stuck; 1986: Derek Bell
  • Markentitel 1982 bis 1985
    Team-Weltmeisterschaft 1986: Brun-Motorsport

IMSA GTP (USA)

  • Fahrertitel 1985 und 1986: Al Holbert; 1987: Chip Robinson
  • Markentitel 1985 bis 1988

All Japan Sports Prototype Championship

  • Zwischen 1983 und 1989: sechs Fahrer-Meisterschaften

Supercup Deutschland

  • Meister 1986: Hans-Joachim Stuck, Joest Racing
  • Meister 1987: Hans-Joachim Stuck, Porsche AG
  • Meister 1988: Jean-Louis Schlesser, Joest Racing
  • Meister 1989: Bob Wollek, Joest Racing