Porsche-Menschen – Der Züricher Designer Alfredo HäberliKünstler, Karosse und Kulisse

Jan van Rossem

 · 04.11.2022

Porsche-Menschen – Der Züricher Designer Alfredo Häberli: Künstler, Karosse und KulisseFoto: Christian Grund
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Gegensätze ziehen sich an, sagt der Volksmund. Aber immer hat er auch nicht recht. Der Züricher Designer Alfredo Häberli und sein Traumauto sind eher ein harmonisches Duett. Mit idyllischem Hintergrund.

Auch wenn auf diesem Foto die Radler betont uninteressiert vorbeirauschen – das ist selten. Alfredo Häberli und sein Porsche sind eine Attraktion auf den Straßen Zürichs.
Foto: Christian Grund

Man muss schon ziemlich lange suchen, bis man die Zusammenkunft solch einer mehr als ansehnlichen Dreieinigkeit aus Mensch, Maschine und Location findet wie in dieser Geschichte. Sie handelt von einem Aufsehen erregenden Künstler, einer Aufsehen erregenden Karosse und einer Aufsehen erregenden Kulisse. Das Praktische daran: Der Protagonist bringt quasi alles mit.

Der Künstler: Alfredo Häberli, in Argentinien geborener Schweizer Designer, hat sich zur Aufgabe gemacht, die Welt um uns herum, vor allem den Wohnraum, bis ins Detail zu verschönern. Seine Entwürfe reichen vom Sofa bis zum Eierbecher, von der Stehlampe bis zur Türklinke, vom Sessel bis zum Pfefferstreuer. Alles in feinster Ästhetik. Wie er selbst. Volle, grau melierte Haare, feine Gesichtszüge, tadellose Figur, ein gewinnendes Lachen. Ein Mann, der auch im reifen Alter locker als Model durchgehen würde. Was heißt würde – gelegentlich lässt er sich von befreundeten Journalisten überreden, für Produktionen zu modeln.

Die Karosse: Für eine dieser Produktionen hat er gleich ein besonderes Accessoire mitgeliefert. Sein Lieblingsauto. Seinen besonderen Stolz. Einen 911er, Coupé, Baujahr 1977, aus den frühen Jahren der G-Reihe. Die Kombination von Außenfarbe und Interieur hat es ihm bei seinem Modell besonders angetan: »Die Lackfarbe heißt Platindiamant – ein goldiger Ton, der je nach Lichteinfall auch silbrig schimmert«, schwärmt Häberli. Drinnen hellbraunes Kunstleder mit samtigen Veloursstreifen. »Eine sehr seltene Melange!« Eins steht fest: Auch das Model bereichert jede Fotoproduktion.

Die Kulisse: Ein weiterer sehr günstiger Umstand ist die Tatsache, dass sich Häberlis Studio, wo die Aufnahmen starten sollen, am Ostufer des Zürichsees befindet. Wenn sich hier vor dem gemütlich in den Sonnenstrahlen glitzernden Wasser und den sanft in den Wellen schaukelnden Segelschiffchen ein platindiamantfarbener 911er und ein Fahrer mit Modelmaßen zu einer Ausfahrt begeben, macht sich das Traumfoto fast von selbst (was auf keinen Fall als despektierlicher Kommentar zu den großartigen Aufnahmen des engagierten Fotografen verstanden werden soll).

Die Fahrt führt entlang des Sees, später ein wenig die naheliegenden Hügel hinauf durch das üppige Grün der dichten Wälder. Auch das sehr fotogen. Alfredo Häberli, heute 58 Jahre alt, erzählt nebenbei von seiner Jugend, seinem Werdegang und vor allem seinem Faible für Automobile. Besonders eine Episode hat sich für immer bei ihm eingebrannt: Als er 1977 mit seinen Eltern aus Argentinien in die Schweiz auswanderte, trug der Teenager im Rucksack sein liebstes Matchbox-Auto, Nummer MB14. Einen Iso Grifo. Das schnittige Sportcoupé aus den späten 1960er-Jahren war ein Entwurf von Giorgio Giugiaro für Bertone. »Die Faszination für die Form dieses Spielzeugs ist einer der Gründe, warum ich selbst Designer geworden bin«, vermutet Häberli. Eine besondere Verbindung zu Autos besaß er ohnehin quasi von Geburt an: Er wuchs in Córdoba auf, nur wenige Kilometer entfernt von der Rennstrecke Autódromo Oscar Cabalén.

Die Inspiration Auto blieb immer eine Konstante in Häberlis Werk, vor allem die Gestaltungsprinzipien des Porsche 911 hat er für seine Arbeiten verinnerlicht: »Wenige Schnitte, die Form aus einem Guss, sehr skulptural«, sagt er. »Das ist auch mein Ziel im Design: mit möglichst reduzierten Linien starke Emotionen erreichen.« In diesem Halbsatz bringt er die Konklusion seines argentinisch-schweizerischen Naturells auf den Punkt – Präzision trifft Poesie. »Nichts dran, was nicht nötig ist! Nur so nähert man sich der perfekten Form. Der 911 ist einfach unerreicht.«

Ob Fahrzeuge, Landschaften oder ein Eishockeyhelm, der ihn gerade fasziniert – Häberli schaut immer ganz genau hin. So kommen immer neue Ideen in seinem Kopf in Gang. »Beobachten«, sagt er, »ist die schönste Form des Denkens.« Im Studio vertieft er die Gedanken. So entstehen seine intelligenten Produkte mit Persönlichkeit.

Alfredo Häberlis Karriere verläuft gradlinig und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Sein Industriedesign-Studium an der Höheren Schule für Gestaltung in Zürich schließt er mit Auszeichnung ab. Die überzeugende Art, mit der er seinen Enthusiasmus für Formgebung schon damals zu vermitteln vermag, verschafft ihm rasch Kontakte zur Möbelindustrie und anderen Sparten. Dabei mag durchaus auch seine imposante Erscheinung hilfreich gewesen sein.

Spritztouren wie heute mit seinem Porsche, auch Spaziergänge sind für Alfredo Häberli nicht ausschließlich Entspannung. Sie bringen seine Gedanken in Bewegung. Bewegung, ob im Auto, zu Fuß oder im Kopf, ist ein wichtiger Motor seiner Kreativität. Selbst am Schreibtisch vor einem weißen Blatt werden seine Ideen durch die Bewegung seiner Hand und die Fahrt des Zeichenstifts auf dem Papier materialisiert. Sie nehmen eine konkrete Form an. Eine Linie wie ein kleiner Spaziergang bildet die Silhouette von Häberlis Sessel namens Take Off – im Geiste steht dahinter: »for a walk«. Mach dich auf zu einem Spaziergang! Das Möbel gestaltete er 2005 für das italienische Avantgarde-Label Moroso. Der komfortable Sessel gilt längst als Klassiker.

Solche Fahrten des Stiftes auf dem Papier haben oft zu Beginn kein echtes Ziel. Es geht nicht von A nach B. Das Gleiche gilt für seine Ausfahrten mit dem Traumwagen. Es geht um ein Gefühl von Glück, die Erfahrung perfekter Harmonie, darum, Teil einer grandiosen Gestaltung zu sein, um eine tiefe Befriedigung, dem Wahren und Schönen ganz nahe zu sein. Und wenn sein Stift auf dem Papier die perfekte Form gefunden hat, dann stellt sich bei dem Designer auch Zufriedenheit ein.

Ob er nicht auch einmal gern ein Auto entwerfen würde? Er ist mit vielen Arbeiten schon nahe dran. Es gibt von Häberli zahlreiche Studien zur Elektromobilität, angedachte Kooperationen mit verschiedenen Herstellern, sogar ein kleines Möbelstück in Auto-Form, eine Mischung aus fahrbarem Sitz und Aufbewahrungssystem für die schwedische Möbelmarke Offecct. Schon lange her dieser Entwurf, er stammt aus dem Jahr 2002 – seiner frühen Zeit als Designer.Das Thema wird ihn nie loslassen. Aber ein Auto zu entwerfen, wenn es die nahezu perfekte Form schon gibt, könnte für einen Designer auch ziemlich frustrierend sein.

Häberli dreht noch einmal den Zündschlüssel um und macht eine kleine Runde durch die Züricher Innenstadt. Das ist natürlich ein besonderes Schaulaufen für die doppelte Attraktion – Mensch und Maschine. An vielen roten Ampeln bildet sich ein Pulk von glühenden Verehrern. Es sind viele weibliche dabei. Aber möglicherweise stiehlt der Porsche in diesem Fall dem Fahrer die Schau. Alfredo Häberli kann damit prima leben.