Thomas Ammann
· 04.11.2022
Einmal von Norddeutschland nach Marokko und zurück – 1962 trat der spätere Porsche-Rennleiter Peter Falk zusammen mit einem Teamkollegen bei der Tour d’Europe auf einem 356 Super 90 an. 60 Jahre später ist klar: Der Pilot von damals ist wohlauf, und sein Rallye-Gefährt existiert sogar noch.
»Wieder einmal sind wir auf großer Fahrt, wieder einmal gehören wir zu den Verrückten, die ihren Urlaub, ihren Schlaf, ihr Geld für eine Sache opfern, die Außenstehende für absurd halten. Wieder einmal fahren wir aber auch einem Abenteuer entgegen, wie es kein Außenstehender erlebt.«
Ein richtiger Schlaks war er damals, 1962, als er diese Zeilen für das Porsche-Magazin Christophorus schrieb. Groß gewachsen, gertenschlank, noch keine 30 Jahre alt – und offensichtlich abenteuerlustig: Peter Falk, 1932 in Athen geboren als Sohn eines Archäologen, seit 1959 als Ingenieur im Fahrversuch bei Porsche tätig. Es war der Beginn einer langen und steilen Karriere beim Stuttgarter Sportwagenbauer. Im November 2022 feiert er seinen 90. Geburtstag – er ist das, was man ein Porsche-Urgestein nennt, und noch immer fühlt er sich der Marke aufs Engste verbunden. »Der Zusammenhalt über die vielen Jahre war einmalig«, erklärt Peter Falk, als wir ihn in der Werkstatt des Porsche Museums treffen, »das wäre so in keinem anderen Automobilunternehmen möglich gewesen.«
Schon vor seiner Porsche-Zeit war der studierte Maschinenbauingenieur im Rennsport aktiv, zunächst wie viele seiner motorsportbegeisterten Zeitgenossen auf einem Motorrad, später auf vier Rädern als gesuchter Navigator für Rallyes. So trat er unter anderem 1965 bei der Rallye Monte Carlo an, zusammen mit Herbert Linge – heute ebenfalls ein Porsche-Urgestein — auf einem Porsche 911 2.0. Es war der erste 911, den das Werk im Motorsport einsetzte. Das Team der Ingenieure belegte auf Anhieb Platz fünf im Gesamtklassement.
Seine Erfahrungen beim eingangs zitierten Abenteuer kamen dem »Verrückten« dabei sicher zugute. Drei Jahre zuvor, am 14. August 1962, waren Peter Falk und Walfried Winkler mit einem vom Werk gestellten, rubinroten Porsche 356 B Super 90 zur Tour d’Europe aufgebrochen. Dafür mussten sie ihren Jahresurlaub opfern. Sie wussten, was auf sie zukam: Es war nach 1960 schon ihre zweite Tour. »Huschke von Hanstein hatte mich bei ihm als Beifahrer empfohlen«, erinnert sich Falk, »und es stellte sich heraus, dass ich mehr fuhr als der schon betagte Winkler.« Der »Betagte« war damals 58.
Schon die nüchternen Fakten machen deutlich, dass es sich um ein Wahnsinnsunterfangen handelte: In elf Tagen waren 9.640 Kilometer zurückzulegen, teilweise mit vorgegebenen extremen Durchschnittsgeschwindigkeiten, wobei die Route von Hannover aus über die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Portugal und Spanien bis nach Gibraltar führte, und das nicht zwingend nur über gut befestigte Straßen. Von der Südspitze Europas aus ging es per Schiff nach Tanger, von dort bis Marrakesch – und schließlich ohne Aufenthalt die ganze Strecke wieder retour. Zielpunkt war Travemünde. Insgesamt 57 Teams wagten sich auf diese wilde Jagd quer durch den Kontinent, darunter auch Falk und Winkler mit ihrem 356 mit der Startnummer 72. »Es war wirklich ein Abenteuer«, erinnert sich Falk heute, »wir wollten einfach probieren durchzukommen.«
So viel sei verraten: Immerhin 50 Teams schafften es ins Ziel, auch unsere beiden Protagonisten. Ihr Wagen hielt weitgehend unbeschadet durch – mehr noch: Er überlebte auch die Jahrzehnte danach, wie man heute weiß. Erst vor Kurzem wurde er wiederentdeckt.
Und das nur, weil zwei Porsche-Liebhaber jahrelang ihren Traum verfolgten – den Traum vom eigenen 356. Der stand bei den beiden Mittfünfzigern unabhängig voneinander schon seit vielen Jahren ganz oben auf der Wunschliste, aber erfüllen konnten sie ihn sich erst, nachdem sie sich über ein anderes Restaurierungsprojekt zufällig kennengelernt und beschlossen hatten, zusammenzulegen. »Wir haben gesagt, wir wollen nicht warten, bis wir 75 sind«, erzählt Sören.
»Außerdem war die große Sorge«, ergänzt Immanuel, »dass auch Restaurierungsprojekte bald nicht mehr bezahlbar sein würden.« Wir treffen uns zum Gespräch in der blitzsauberen Werkstatt der beiden im Norden Hessens. Genauere Ortsangaben und ihre Nachnamen wollen sie ungern in der Presse lesen, aus Sorge vor ungebetenen Besuchern.
Wie kommt man an ein geeignetes Objekt? Ganz einfach: Man schaltet Kleinanzeigen in diversen Oldtimer-Magazinen. »Porsche 356 gesucht, Zustand egal«, war da Anfang 2021 zu lesen. »Wir haben beide nicht wirklich daran geglaubt«, gesteht Immanuel, »aber uns ist nichts Besseres eingefallen.« Die Resonanz war erwartungsgemäß mau. Es meldete sich genau ein Anbieter. »Der wohnte in der Nähe von Stuttgart«, erinnert sich Sören, »also fuhren wir ein paar Tage später dorthin.«
Was sie sahen, war nicht überzeugend. Aber auch nicht so abschreckend, dass sie gleich kehrtmachten. Der Wagen stand wohl schon seit Jahrzehnten in einer Garage und war reichlich verrottet. An einigen Stellen war das originale Rubinrot noch gut erhalten, aber »der Rost« habe »an allen Ecken und Enden genagt«, meint Immanuel. Ein Motor stand irgendwo in der Ecke, zusammen mit ein paar Umzugskartons voller Teile. »Wir haben alles inspiziert und dann eine gute Stunde überlegt, ob wir uns die Arbeit zutrauen«, erzählen die beiden. Dazu muss man wissen: Sören ist Bauingenieur (»Aber ich habe auch Schreiner gelernt«) und Immanuel (»Das Schweißen habe ich mir selbst beigebracht«) ist Lehrer. »Das Ergebnis war: Wir wagen es.«
Ein weiser Entschluss, wie sich herausstellte. Schon der erste Halter im originalen Pappdeckelbrief vom 13. Februar 1962 deutete auf ein besonderes 356-Exemplar hin: »Dr. Ing. h.c. F. Porsche KG« Als zweiter Besitzer wurde ein gutes Jahr später ein Zahnarzt aus Stuttgart vermerkt. Erst elf Jahre darauf verkaufte er den Wagen weiter, an einen Privatmann, auch in Stuttgart. Weitere Halter sind nicht eingetragen. Bemerkenswert: Der 356 behielt die ganze Zeit über sein ursprüngliches Kennzeichen – S-NK 216. Noch bemerkenswerter: Im Internet finden sich Bilder von einem rubinroten 356 mit ebenjenem Kennzeichen. Eines davon zeigt einen gewissen Peter Falk bei einer Verschnaufpause in Portugal während der Tour d’Europe (s. Foto S. 23). »Die körperliche Belastung hielt sich eigentlich in Grenzen«, meint Falk heute im Rückblick, »die größte Sorge war, dass der Wagen durchhält. Aber wir mussten nur gelegentlich Bremsbeläge und Zündkerzen wechseln. Das war’s.«
»Marokkanisches Abenteuer« nennt Falk seinen Reisebericht von dieser waghalsigen Tour im Christophorus Nr. 59. Zwei Tage und zwei Nächte nach dem Start hatten er und Winkler schon Madrid hinter sich gelassen und waren unterwegs nach Portugal, wo besagtes Foto entstand. »Der Weg geht westwärts in die Sierra de Gredos, ein Mittelgebirge wie etwa das Zentralmassiv in Frankreich«, berichtet Falk im Porsche-Magazin. »Die ersten ›fliegenden Zeitkontrollen‹ erwarten uns hier, und dann kommt die erste Entscheidung: Einen Berg haben wir zu überfahren, 29 km lang, verlangter Schnitt für GT-Fahrzeuge 76 km/h (!), nicht gesperrt. Schmale, überaus kurvenreiche Straße, bergauf, bergab, wieder bergauf. Ab und zu ein Lastwagen, der plötzlich vor uns steht, oder ein voll gepackter Esel am Straßenrand mitten in einer Kurve. Nur gut, daß sich diese Tiere durch das Reifenpfeifen nicht stören lassen.« Nach der Zwischenstation Lissabon war das nächste Ziel der Hafen von Gibraltar. Die Fähre nach Afrika wartete schon.
Großer Bahnhof in Tanger: »Der Empfang ist überwältigend, große Festbeleuchtung, Menschenmengen, die uns zuwinken, und das alles nachts um 2 Uhr«, beschreibt Falk seine Eindrücke. Sofort geht es weiter auf die nächste Etappe Richtung Süden, mit halsbrecherischen 84 km/h Durchschnittstempo. »Kurz nach Fès klettert plötzlich das Thermometer bis 40 °C im Schatten«, so Falk im Christophorus, »glühend heiße Luft kommt durch die Ausstellfenster, die wir schleunigst schließen, unsere Öltemperatur steigt, 101 km/h Schnitt zeigt der Speedpilot, es ist erst morgens 7 Uhr, die Sonne ist gerade aufgegangen.«
Auch Falks spätere Karriere war reich an Abenteuern. »Er gehörte zu der kleinen Gruppe von Besessenen«, schreibt sein Biograf Wilfried Müller in »Peter Falk - 33 Jahre Porsche Rennsport und Entwicklung: Menschen, Autos, Geschichten«, »die den Nachfolger des 356 auf die Räder brachten.« Das war Anfang der 1960er-Jahre, im Jahr 1969 wurde er Leiter der Abteilung Vorentwicklung und Rennen und feierte mit Porsche 1969 und 1970 die ersten beiden Sportwagen-Weltmeisterschaften. Von 1982 bis 1988 war Falk als Rennleiter verantwortlich für die bis dahin erfolgreichste Zeit des Porsche-Rennsports. »Falk steuerte die Entwicklung und die Einsätze«, so Müller, »führte Regie und blieb bei all den Dramen, den Triumphen und Weltmeistertiteln fast ungesehen, weil er das so wollte und alles andere für übertrieben eitel hielt.«
Es sei schwer, einzelne Rennwagen herauszugreifen, erzählt Falk. »Jedes Auto hat seine eigene Geschichte, und jede Entwicklung hatte Höhen und Tiefen.« Einige fallen ihm dann doch ein: »Der 917 wurde durch intensive Feinarbeit richtig schnell, mit dem 956 konnten wir 1982 einen Dreifach-Sieg in Le Mans feiern, und der Allradantrieb für die Paris-Dakar-Wagen zählt zu den absoluten Highlights.«
Als Leiter der Fahrwerksentwicklung verantwortete er von 1969 an auf der Versuchsseite die Serienentwicklung des 930 Turbo sowie der Modelle 944, 968 und 928. Den Elfer begleitete er von den Anfängen bis zum 993, dem letzten luftgekühlten Modell. Und am Beginn dieser einzigartigen Karriere stand das »marokkanische Abenteuer«. Dass sein Rallye-Gefährt von 1962 jetzt wiederaufersteht, verfolgt der alte Herr mit großem Interesse. Er steht im Austausch mit den beiden Enthusiasten und hat ihnen sogar eine Kopie seines Roadbooks von damals geschickt. »Dass dieses verlorene Auto wieder aufgetaucht ist, freut mich sehr«, sagt Falk, »das ist eine schöne Parallele zum Monte-Carlo-911, mit dem Herbert Linge und ich 1965 den fünften Platz belegten.« Der Oldtimer tauchte vor einigen Jahren wieder auf und wurde für seinen Besitzer von den Restaurierungs-Spezialisten von Porsche Classic wieder in den Originalzustand versetzt.
Rund 650 Stunden Arbeit haben Sören und Immanuel bisher in die Restaurierung ihres 356 investiert und dabei das – man muss sagen: typische – Auf und Ab der Gefühle erlebt. Karosseriearbeiten beim 356 sind wie ein anspruchsvolles Puzzle. »Alles ineinander verschachtelt wie ein Origami«, meint Sören. Leider habe sich der Wagen mangels Rostvorsorge an manchen Stellen »aufgelöst, einfach aufgelöst«. Andererseits gibt es die Momente, wo sie unter mehreren Lagen von Reparaturblechen die Originalsubstanz entdecken. Das bringt wieder einen Motivationsschub. »Wir nehmen uns die Zeit und passen die Bleche gründlich an«, sagt Immanuel, »wenn es nicht stimmt, probieren wir so lange, bis es stimmt.«
Deshalb rechnen sie mit mindestens weiteren 1.000 Stunden, bis ihr Traumauto wieder im alten Glanz erstrahlt. Und wenn es mal fertig ist? Sören und Immanuel wechseln einen kurzen Blick: »Erst mal werden wir natürlich die Tour von Falk und Winkler nachfahren – und danach teilen wir uns den Wagen brüderlich«, meint Sören und schmunzelt, »einen Monat fährt Immanuel, den nächsten Monat ich.«
Aber bis dahin wird, wie gesagt, noch einige Zeit vergehen. Sattler- und Lackierarbeiten wollen die ambitionierten Schrauber an Fachwerkstätten vergeben, aber die gesamte Elektrik wollen sie selbst neu aufbauen, und eine komplette Technikrevision steht auch noch an. »Leider ist der Originalmotor nicht mehr vorhanden«, sagt Immanuel, »der wurde offenbar schon 1962 ausgetauscht.« Jedenfalls lässt sich das so im Kfz-Brief nachvollziehen. Aber auch das zweite Aggregat ging irgendwann verlustig. Nicht so schlimm, finden die neuen Besitzer. »Ein ‚Matching-Numbers-Car‘ wäre bei einem Rallye-Auto zu viel verlangt, da die Motoren meist schnell verschlissen waren«, sagen sie. Ein Glücksfall ist es so oder so, dass sie diesen Überlebenden mit seiner bewegten Geschichte entdeckt haben. Die Erinnerungen an das größte Abenteuer in seiner Auto-Biografie werden künftig mitfahren.
Am elften Tag der Tour d’Europe, dem 25. August 1962, trafen Falk und Winkler nach annähernd 10.000 Kilometer zurückgelegter Strecke spätabends am Ziel in Travemünde ein. Sie errangen Platz vier im Gesamtklassement und wurden Klassensieger bei den GT-Wagen. Aber das war und ist nur eine Randnotiz in der Motorsporthistorie. »Aus uns Verrückten werden langsam wieder normale Menschen«, schließt Peter Falk seinen Christophorus-Bericht. »Bis zum nächsten großen Abenteuer.«
Fortsetzung folgte. Für Peter Falk und den 356.