Thomas Ammann
· 04.11.2022
Quer durch Deutschland im Cayenne der ersten Generation, mit dem 356 huckepack auf dem Anhänger. Gedanken über den »dritten Porsche«, der gerade sein 20. Jubiläum feiert und zum Erfolgsmodell für die Marke wurde.
»Das ist schon spooky«, ruft Judith, als sie in den Rückspiegel schaut. Jedes Mal durchlebt sie eine Schrecksekunde, weil ihr ein rotes Auto ganz dicht auf der Stoßstange zu hängen scheint. Allerdings verkehrt herum, mit dem Heck zuerst. Es dauert dann immer einen Moment, bis ihr wieder bewusst wird: Was da formatfüllend im Rückspiegel auftaucht, ist nicht ein besonders fieser Drängler, sondern nur das 356 Cabrio, das wir auf dem Hänger hinter uns herziehen.
Alles in Ordnung also. Wir sind auf dem Weg von Hamburg nach Partenen im österreichischen Vorarlberg. Judith, Götz, ich, der gut verzurrte 356 und unser Cayenne S, Baujahr 2004, der eigentliche Protagonist dieser Geschichte. Während Götz und ich in Vorarlberg die Silvretta Classic Rallye fahren werden, will Judith die faszinierende Landschaft erkunden. Knapp 900 Kilometer sind heute von Hamburg nach Partenen zurückzulegen, und das in einem äußerst gemächlichen Tempo. Maximal 80 sind mit dem Hänger erlaubt. Da lässt sich leicht ausrechnen, dass die Fahrt zwangsläufig etwas länger dauern wird. Und deshalb sind wir über zwei Dinge besonders froh: Erstens können wir uns am Steuer abwechseln, was die Fahrerei halbwegs erträglich macht, und zweitens haben wir mit dem Cayenne den weltbesten Zugwagen, den man sich denken kann. Er ist geräumig, komfortabel, mit seinem 4,5-Liter-V8-Motor erfreulich kräftig, und er ist vor allem von Haus aus schon so schwer, dass man die gut zwei Tonnen Anhängelast (inklusive Trailer) kaum spürt. Maximal dreieinhalb Tonnen darf der Cayenne ziehen. Mehr braucht man wirklich nicht.
Bis vor anderthalb Jahren war es für uns eine Frage der Ehre, zu den Oldtimer-Rallyes »auf Achse« anzureisen. Aber das Dogma ist nach mehreren Roadtrips dieser Art irgendwie gefallen. Aus naheliegenden Gründen kann man praktisch immer nur zu zweit und mit begrenztem Gepäck reisen, und außerdem sind Autobahnfahrten mit dem 356 B Cabrio von 1960 in der sommerlichen Urlaubsreisezeit inzwischen nur noch ein begrenztes Vergnügen für Mensch und Maschine. Man wird zum rollenden Bremsklotz, wenn man dem Oldtimer nicht Dauervollgas zumuten will.
Ein Zugwagen musste also her, und wir waren uns schnell einig, dass nur ein Cayenne infrage kommt. Schon aus stilistischen Gründen. Einen Porsche-Klassiker will man einfach nicht mit etwas anderem als einem Porsche ziehen.
Aber es gibt noch deutlich mehr, was für einen Cayenne spricht (siehe oben), und nicht zu vergessen: Modellgeschichtlich befindet sich die erste Generation, intern E 1 getauft, derzeit in einem Stadium, das man freundlich mit »Gebrauchtwagen« umschreibt. Zu Deutsch: Die Kurse sind im Keller. Zum Preis eines zehn Jahre alten VW Golf bekommt man also ein »sportliches Mehrzweckfahrzeug mit erhöhter Bodenfreiheit«, so die Wikipedia-Definition, »variablem Laderaum und einem permanenten Allradantrieb« – und zudem mit 340 PS und weniger als 180.000 Kilometer auf dem Tacho. Unser basaltschwarzes Exemplar aus dem Jahr 2004 hat außerdem (fast) alles an Extras, was das Herz begehrt. Nur der Tempomat fehlt, was beim Hängerbetrieb tatsächlich etwas schmerzt. Dafür gibt es aber sogar Lenkradheizung — die zugegebenermaßen in diesem Sommer entbehrlich war — und einen funktionierenden CD-Wechsler – für alle, die noch CDs zu Hause horten.
Mit dem Erwerb des Cayenne fiel noch ein anderes Dogma, das zumindest für Judith und mich galt: Uns kommt kein SUV ins Haus. So ein Riesentrumm braucht doch kein Mensch. Inzwischen wissen wir die Vorzüge einer erhöhten Sitzposition und einer Ladefläche gigantischen Ausmaßes durchaus zu schätzen. Wenn auch nicht das Rangieren in der Tiefgarage. Deshalb wird der Cayenne fast ausschließlich für Langstreckeneinsätze genutzt.
Aber im Grunde ist er in erster Linie gar kein SUV, sondern ein Porsche. Einer, dessen Fahrwerk während der Entwicklung sogar von Walter Röhrl getestet wurde. »Unter anderem auf der legendären Nürburgring-Nordschleife sowie auf Eispisten am Polarkreis«, wie Porsche kürzlich in einer Artikelserie zum 20. Jubiläum des Cayenne verriet. »Das Feingefühl des vierfachen Rallye Monte Carlo-Siegers am Lenkrad« habe vor allem »das Setup des Allradsystems maßgeblich« beeinflusst.
Da cruist man doch gleich ganz anders über die Autobahn, wenn man sich das vor Augen hält. Selbst in den Kasseler Bergen gibt es weder an der Durchzugskraft noch am Allradsystem etwas zu mäkeln. Wobei ... es ist durchaus lehrreich, sich das wilde Treiben auf bundesdeutschen Fernstraßen auch einmal mit Tempo 80 von der rechten Spur aus anzuschauen, wenn alle, wirklich alle, an einem vorbeidüsen. So bekommt das Hängerfahren im Cayenne eine ganz eigene Qualität.
Das Leben erscheint plötzlich wie ein langer, ruhiger Fluss. Und die Diskussion ums Tempolimit verliert mit einem Mal ihren Schrecken. Übrigens soll der Cayenne S in der Spitze 242 km/h bringen. Getestet haben wir es noch nicht. Inzwischen gibt es ja Versionen mit 680 PS, die fast 300 laufen. Das klingt auch ein bisschen spooky.
Dass die Entscheidung von Porsche-Management und -Eigentümern, den »dritten Porsche« Anfang der 2000er-Jahre auf den Markt zu bringen, eine mutige war; dass der Cayenne als Gemeinschaftsprojekt mit dem Volkswagen Touareg entstand und zunächst im neuen Werk in Leipzig – später auch in Osnabrück – gebaut wurde; dass der erste serienmäßige Porsche-Viertürer dem Stuttgarter Sportwagenbauer völlig neue Märkte erschloss und damit sehr nachhaltig den Erfolg des Unternehmens sicherte, das alles haben wir jetzt hier gar nicht besprochen. Dass er weltweit begeistert aufgenommen wurde und das Segment der sportlichen SUV prägte, lässt sich heute aber mit Sicherheit sagen. Der einmillionste Cayenne lief im Sommer 2020 vom Band, 2021 wurden mehr als 80.000 Exemplare ausgeliefert, und die Erfolgsserie riss auch 2022 nicht ab.
Trotz seines jugendlichen Alters von 20 Jahren hat der Cayenne also schon viel bewegt. Er ist auf dem besten Weg, ein Klassiker zu werden. Handgeschaltete GTS-Modelle der zweiten Generation, die ab 2007 auf dem Markt waren, werden heute schon über dem damaligen Neupreis gehandelt. Das sind gute Aussichten für ein Auto, das angesichts der aktuellen Diskussionen hierzulande zuweilen aus der Zeit gefallen scheint.
Als wir schließlich nach zwölf Stunden in Partenen zu Füßen des Silvretta-Gebirges ankommen, bemerken wir, dass wir hier in zwei Jahren auch mit dem Cayenne an der Classic Rallye teilnehmen könnten. Seine Rallyetauglichkeit hat er in der Transsyberia-Version schon vor Jahren unter Beweis gestellt.
Cayenne statt 356 – das allerdings ist ein Gedanke, an den wir uns erst noch gewöhnen müssen.