Audi R8 V10 Coupé RWDGelbdruckmaschine

Arne Olerth

 · 20.11.2020

Audi R8 V10 Coupé RWD: GelbdruckmaschineFoto: Jan Bürgermeister

Sie meinen, der Supersportler Audi R8 Quattro bietet zu wenig Facetten? Bitteschön: Ab sofort gibt es die kraftvolle V10-Fahrmaschine auch ganz puristisch mit Heckantrieb – als Audi R8 RWD. Der Verzicht auf das traktionsfördernde Quattro-Prinzip hebt den Fahrspaß auf ein noch freudvolleres Level

Ein Revoluzzer, ein Rebell, ein rockender Superstar – dieser Audi R8 brennt sich jedem ins Gedächtnis, der je das Glück hatte, tief unten im Audi-Space-Frame in das griffige Sport-Lenkrad zu greifen.

Es ist wie beim Rückblick auf die eigene Schulzeit: Die Unangepassten hinterlassen den bleibendsten Eindruck – obgleich sie oft nicht Klassenbeste waren. Der Einstiegs-R8 spielt die Rolle des schillernden Exoten im Audi-Portfolio. Und daran ist weder seine exzentrisch-hinreißende Gestalt, noch der fulminante V10-Motor schuld. Nein, dieser Supersportler kommt mit Heckantrieb. Wie bitte? Ausgerechnet von Audi, deren Ringe seit Mitte der Sechziger-Jahre ausschließlich Autos mit Frontantrieb zieren, bis vor genau vier Jahrzehnten der Quattro-Allradantrieb dazukam? Der Einstiegs-R8 ist daher wahrlich ein Modell mit Sprengkraft. Dessen Verlockungen wohl nur wenige Interessenten widerstehen können. Schließlich überführte Audi das auf 999 Exemplare limitierte Sondermodell R8 Rear Wheel Series von 2018 jetzt in die Serie, als R8 Rear Wheel Drive.

Die Bediensatelliten für Start und Fahrprofil am Multilenkrad sind Serie
Foto: Jan Bürgermeister

Vorderachsdifferential nebst zugehörigen Antriebswellen, Kardanwelle, Mittendifferential und Lamellenkupplung fehlen beim R8 RWD – das spart 65 Kilo gegenüber dem Quattro-Bruder. Getreu dem Motto „Weniger ist mehr“ wurden hier im Gegenzug exzentrische Tugenden geschärft. Und ausnahmsweise kostet das gar nicht extra, spart vielmehr bares Geld. Konkret: 25.345 Euro. Mit 140.370 Euro Basispreis markiert der R8 RWD den Einstieg in die exklusive Welt der R8-Traumsportwagen.

Sprint mit Gaudi

Heben wir uns den Rundgang um die gelbe Flunder für später auf und gehen direkt in medias res: Auf der abgesperrten Flughafen-Startbahn liegen 910 Meter schwarzes Asphaltband vor uns, 20 Meter breit. Der V10 zwischen Fahrersitz und Hinterachse bollert und röchelt erwartungsvoll im erhöhten Leerlauf, ist genauso wie die Reifen auf Betriebstempe­ratur. Der Pilot? Hat die Anzeigen des Mess-Equipments konzen-triert im Blick. Mit einem Fingerschnipp am Drive-Select-Button des Lenkrad-Satelliten wird der Dynamic-Modus gesetzt, die Bremse mit links getreten. Jetzt noch ESC auf „Sport“ schalten und mit rechts das Pedal voll durchtreten. Der V10 bellt heiser auf, pendelt sich bei 3.500 Touren ein. Bremse auf – und ab dafür! Die hinteren Ultra-Ultra-High-Performance-Pneus (Michelin Pilot Sport 4S) mit einem Grippvermögen, das jede Pattex-Tube neidisch macht, versuchen sich vergeblich mit dem rauen Asphalt zu verzahnen. Die klebrigen Pellen haben angesichts der brachialen Gewalt von 540 Newtonmeter keine Chance – trotz Kingsize-Breite von 305 Millimetern. Mit deutlichem Wheelspin schießt der R8 vorwärts, wedelt dabei keck mit dem Heck. Blitzschnell erstürmt die Nadel die Drehzahl-Leiter, ehe das DSG in schwindelerregenden Regionen jenseits der 8.500 Touren die nächste Fahrstufe einschießt. Jetzt können die Pneus die V10-Momente parieren und die Urgewalt tatsächlich fast verlustfrei in Vortrieb umsetzen. Die Hundert fällt nach enorm vergnüglichen 3,7 Sekunden. Sicher: Der schlupfmindernde Quattro-Antrieb könnte hier einen Vorsprung von 0,2 Sekunden in die Waagschale werfen. Doch ist dies ein eher hypothetisches Geplänkel, hat Audi dem R8 Quattro doch unlängst eine Leistungsspritze von 30 PS spendiert. Der 540-PS-Motor, es fällt schwer hier von Basismotorisierung zu sprechen, bleibt damit exklusiv dem RWD vorbehalten. Und ganz ehrlich: 0,2 Sekunden mehr oder weniger haben allenfalls am Stammtisch Relevanz. Im Fahrbetrieb vermisst man diese keineswegs, kann man dem R8 RWD mangelnde Leistung oder gar Phlegmatismus so gar nicht vorwerfen. Die 200er-Marke wird nach 10,7 Sekunde pulverisiert, weiter geht der irrwitzige Vortrieb bis 324 Stundenkilometer. Doch setzt die Länge der Flughafen-Startbahn dem Messwesen hier Grenzen. Längsdynamik also kann er, der R8 mit Heckantrieb, muss sich aber seinen Familienmitgliedern mit Quattro-Allradantrieb geschlagen geben.

Freudvolle Querdynamik

Darum schicken wir den R8 RWD gleich weiter auf den schnellen Handling-Parcours. Und hier setzt sich der Heckantrieb wahrlich eindrucksvoll in Szene. Feinfühlig spielt die Lenkung auf, lastet doch weniger Gewicht auf der sie umbauenden Vorderachse. Die zugehörigen Räder müssen keine Antriebsmomente übertragen, können ihr Wirken ganz auf die Umset­zung von Lenkbefehlen ausrichten. Und damit machen sich am griffi­gen Volant des bajuwarischen Supersportlers fast schon preußische Tugenden bemerkbar: Richtungsanweisungen werden ansatzlos umgesetzt. Kein Diskutieren, kein Nachjustieren – klasse. Auch die Rückmeldung fällt eine Spur befreiter aus. Überhaupt wirkt die Vorderhand leichtfüßig und direkt, bereitet auf kurvigem Geläuf bei Landstraßentempo schlicht mehr Spaß. Natürlich haben die Audi-Ingenieure das Fahrwerk ihres Aushänge-Sportlers umfangreich an den Paradigmenwechsel des Antriebskonzepts angepasst: Sie spendierten dem R8 RWD einen stärkeren Vorderachs-Stabi, straffere Dämpfer rundum und eine spezielle Fahrwerksgeometrie mit größerem Sturz an der Hinterhand. Wird der R8 RWD damit zur Drift-Maschine?

Sicher, spaßig – oder beides?

Nicht zwangsläufig. Zum einen ist der Gripp der breiten Hinterräder derart hoch, die Antriebsachse darüber hinaus mit einem mechanischen Sperrdifferential gesegnet, dass nur extreme Manöver die Hinterhand überhaupt in einen instabilen Fahrzustand überführen können. Doch wacht zum anderen das enorm wirksame ESC-System wie ein Dobermann darüber, dass eben dieses nicht passiert. Heißt konkret: Selbst eilig bei Regen aus einem Kreisverkehr heraus beschleunigt, folgt der R8 RWD fast schon ernüchternd präzise dem vorgegebenen Kurs – begleitet vom hektischen Aufflackern der ESC-Lampe im Cockpit. Das System regelt dabei erfreulich feinfühlig, das Fahrerlebnis bleibt von rüden Eingriffen verschont.

Langweilig, sagen Sie? Keine Sorge, der R8 RWD kann auch anders: Im ESC-Sportmodus lässt der Hecktriebler durchaus das Heck keck nach außen schwingen. Sachte zwar, doch durchaus auch auf kurvigen Landstraßen spürbar. Und noch etwas trägt zum puren Fahrgenuss des Basis-R8 bei: Das von den Quattro-Brüdern unter Last bekannte, leichte Untersteuern der Vorderhand geht dem RWD völlig ab – wunderbar. Wer will, kann den rettenden Schutzengel auch ganz abschalten. Dabei sollte man aber genau wissen, was man tut, zählt ein Mittelmotor-Sportwagen im instabilen Fahrzustand doch eher zu den kapriziösen Fahrmaschinen. Der Bereich zwischen Haftungsabriss der Antriebsachse und Abflug fällt doch eher schmal aus. Logisch, dass solche Experimente im öffentlichen Verkehrsraum nichts zu suchen haben.

Doch diesseits der Querdynamik-Extreme ist der R8 RWD in erster Linie ein vollwertiger R8. Einer, der auffällt wie kaum ein anderer Sportwagen. Selbst heute noch, 14 Jahre nach seiner Vorstellung. Seit 2015 dreht Generation zwei die Köpfe, neu geformt an Bug und Heck, die betörende Karosserie mit mehr Ecken und Kanten präzisiert. Vor zwei Jahren gab´s das Facelift, das die Flunder weiter zuspitzte. Der Grill, breiter und flacher, sorgt für noch mehr Drama an der Front, genauso wie die darüber platzierten, flachen Lufteinlässe. Doch solche Feinheiten verblassen zur Makulatur, sobald der rote Startknopf am Volant gedrückt wird.

Der Rockstar unter den Verbrennern

Der R8 lebt von seinem Hauptdarsteller, dem 5,2-Liter-Hochdrehzal-V10. Im Zeitalter softturbo-beatme­ter Downsizing-Motörchen, effizienzverstärkt durch kleine Waschmaschinen-Motoren, fällt dem monumentalen Audi-Saugmotor die Rolle des Tyrannosau­rus Rex zu. Wahrlich jeder, der auch nur wenige Moleküle Hochoktaniges im Blut hat, wird hier in den Bann gezogen. Sein dumpfes Bollern hat durch den Otto-Partikelfilter zwar ein wenig an Bassigkeit verloren, doch lässt es nach wie vor die Nackenhärchen stramm stehen. Über das Drehzahlband wird es von einem hellen Trompeten abgelöst, das sich in ein fast schon infernalisches Kreischen bei Nenndrehzahl auswächst. Zum Weinen schön.

Wahrscheinlich wird der V10 in dieser Form nicht mehr ewig gebaut werden. Bis dato steigert eine Zylinderabschaltung und ein kombiniertes Saugrohr-/Direkt-Einspritzsystem die Effizienz. 14,5 Liter nahm sich der R8 RWD im Test, mehr als 20 Liter sind aber auch möglich. Angesichts von geringer Jahresfahrleistung und homöopathischer Verbreitung spielt das aber wahrlich eine untergeordnete Rolle.

Die ist auch durch die Anschaffungskosten gegeben. Denn: Der R8 RWD ist nur für Besser-Verdiener erreichbar – Einstiegs-Preis hin oder her. Und die sollten ernsthaft überlegen, ob sie tatsächlich einen Quattro brauchen. Selten hat sich ein Basismodell so eindrucksvoll ins Gedächtnis gebrannt – ein echter Revoluzzer eben.


Test kompakt:

Der R8 RWD ist ein automobiles Bonbon: der einzige Audi mit Heckantrieb. Dieser würzt das Fahrverhalten des Supersportlers auf Wunsch mit einer ordentlichen Portion Gaudi. Zudem wartet der RWD mit der besten Lenkung der R8-Familie auf. Dass er in der Längsdynamik leicht hinter dem Quattro zurückfällt, ist verschmerzbar – spart er doch starke 25.000 Euro. Schade nur, dass es den puristischen R8 nicht als Handschalter gibt.