Wolfgang Schaeffer
· 20.11.2020
Die Bezeichnung RS steht bei Audi schon immer für höchste Performance. Das gilt in Zukunft auch für die elektrisch angetriebenen Modelle. Mit dem RS E-Tron GT rollt Anfang 2021 sogar der stärkste RS aller Zeiten auf die Straße
Es ist ein später Abend. Der vor Jahren stillgelegte Flughafen liegt in tiefster Dunkelheit. Lediglich entlang einer Startbahn markieren Positionslichter auf beiden Seiten die Begrenzung, tauchen den rauhen Asphaltstreifen in ein gespenstisch anmutendes rotes Licht. Noch stehen auch die drei großen Leuchten einer Ampel auf Rot. Dann der Countdown. Parallel zum Verlöschen des ersten Ampellichts mit dem linken Fuß voll auf die Bremse, der rechte drückt das Pedal daneben bis zum Bodenblech durch. Schnell genug, um für den Katapultstart gerüstet zu sein. Dann springt die Ampel auf Grün. Weg von der Bremse und der Prototyp des Audi RS E-Tron GT schießt pfeilschnell los. Auch wenn die Positionslichter den schnurgerade führenden Weg weisen und die Scheinwerfer das Flugfeld beleuchten, kostet es eine Menge Überwindung, mit einem derartigen Tempo in die Schwärze der Nacht einzutauchen. Fast in den Hintergrund rückt dabei, dass Kopf und Wirbelsäule mit unglaublicher Kraft in den Sitz gedrückt werden, sich die Finger haltsuchend ans Lenkrad krallen. Wirklich ins Bewusstsein kommt das erst in dem Moment, als ein heller Blitz das Ende dieser Beschleunigungsorgie verkündet. Ausatmen. Luftholen. Beim Zurückrollen schließlich der klare Gedanke: Auf öffentlichen Straßen verbietet sich ein solches Sprintmanöver.
Der Katapultstart raubt den Atem
Das muss auch gar nicht sein. Denn selbst der Antritt mit deutlich weniger Speed dürfte so manchem Fahrer und erst recht dem Beifahrer den Atem rauben. Dabei ist die von Audi angegebene Zeit von etwas weniger als drei Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 nicht so entscheidend. Es sind die ersten brutal schnellen Meter, die den Magen um die Wirbelsäule wickeln und ohne entsprechende Vorbereitung vor allem den Mitreisenden einen gehörigen Schrecken verursachen können.
Dessen ungeachtet haben sich die Entwickler von Audi Sport das Ziel gesetzt, trotz aller sportlichen Ansprüche den Komfort sowohl beim E-Tron GT als eben auch beim RS E-Tron GT nicht außer acht zu lassen. Beim letztgenannten Modell haben wir das am Steuer eines Prototypen auf etwa 150 kurvenreichen und bergigen Landstraßen ausführlich erfahren können. Es ist schon überaus beeindruckend, wie präzise der Elektro-RS mit seinem Quattro-Antrieb, der Hinterachslenkung und dem elektrischen Hinterachsdifferenzial, alles in Serie verbaut, um die Ecken fegt. Bis zu 646 PS mit Overboost (sonst 598 PS) leisten die mit einem Zweigang-Getriebe kombinierten beiden E-Maschinen, vorne 238, hinten 455 PS, im System. Das sind dann – aufgrund des deutlich stärkeren E-Motors an der Hinterachse – um die 122 PS mehr Systemleistung, als der E-Tron GT ohne die zusätzliche RS-Kraftspritze auf die Straße bringt. Das maximale Drehmoment des RS übertrifft mit 830 Newtonmetern (Nm) den GT um 180 Nm. Das erlaubt ein Höchsttempo, das erst bei 250 Kilometer pro Stunde abgeregelt wird. Beim GT ist bei 240 Schluss. Die Energie für die E-Triebwerke kommt aus einer Batterie mit einer Leistung von 93,4 Kilowattstunden (netto 85,9 kWh). Der Akku, bestehend aus 396 Pouche-Zellen in 33 Modulen, ist sehr flach im Fahrzeugboden eingebettet. Die Passagiere im Heck haben aufgrund einer Aussparung im Boden, wie beim Schwestermodell Porsche Taycan und auch beim GT – eine so genannte Fußgarage, also mehr Platz, um die Füße abzustellen.
Vier Heiz- und Kühlkreisläufe temperieren den Innenraum und die Hochvolt-Komponenten. Damit wird nach Audi-Angaben sowohl eine starke Leistungsabgabe auf der Straße als auch eine hohe Performance beim schnellen Laden erreicht.
Unterstützt wird die Performance des E-Sportlers von einer direkt reagierenden Lenkung, die ebenso wie Fahrwerk und Ansprechverhalten vor allem im Dynamic-Modus besonders scharf gestellt ist. Wird über die Drive-Select-Taste hingegen die Komfort-Gangart gewählt, zahlt sich die erstmals in einem Audi eingesetzte Luftfederung mit drei Kammern spürbar aus. Deutlich sanfter gleitet der RS E-Tron GT dann selbst über ramponierte Straßen oder Querrillen. Auch bei der etwas gelasseneren Fahrt über die Auto-bahn oder die Landstraße legt der Elektro- Sportler dann spürbar weniger Härte an den Tag, demonstriert seine komfortable Seite.
Große Spreizung zwischen Sportlichkeit und Komfort
Linda Kurz vom Produkt-Marketing sagt dazu: „Wir wollten beim RS E-Tron GT und auch beim E-Tron GT den Charakter eines Gran Turismo nachdrücklich betonen. Deshalb haben wir uns bewusst gegen eine kompromisslose Auslegung entschieden. Beide Versionen sollen sportlichen Ambitionen entgegenkommen, aber gleichwohl auch mit hoher Alltagstauglichkeit überzeugen. Das Ziel einer möglichst großen Spreizung zwischen Komfort und Sportlichkeit haben wir erreicht.“
Wenn der RS im Frühjahr des kommenden Jahres zeitgleich mit dem GT auf den Markt kommt, wird das Spitzenmodell der neuen Baureihe serienmäßig unter anderem über LED-Matrix-Licht, Carbid-Bremsscheiben, Torque Vectoring plus und die Luftfederung verfügen. Für den GT bietet Audi Sport diese Ausstattungspunkte als Option an.
Die Reifendruckkontrollanzeige (Reifendruck und Reifentemperatur) und die Beschleunigungsmessung (g-Meter) sind hingegen ausschließlich für den stärksten RS aller Zeiten verfügbar.