Audi E-Tron GT RS & QuattroUnd es hat „Zoom“ gemacht

Arne Olerth

 · 19.03.2021

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Foto: Audi

Mit bis zu 475 kW drückt der neue Audi E-Tron GT fünf Reisende flüsterleise in neue Geschwindigkeitsregionen. Neben fulminanten Fahrleistungen verwöhnt der Gran Turismo mit klasse Komfort – fulminante erste Fahreindrücke

Mit einem Schlag war alles anders: Im Herbst 2006 stellte Audi den Supersportler R8 vor, stieg damit in den Olymp des Automobilbaus empor. Die Mittelmotorflunder mit 420 PS starkem V8, später auch mit fulminantem V10 (560 PS), würzte das Angebotsportfolio mit ordentlich Drama und Exklusivität – was auf die gesamte Marke ausstrahlt, bis heute. Jetzt scheint sich der geschickte Coup zu wiederholen. Diesmal nicht mit einem Hochdrehzahl-Saugmotor-Konzept, vielmehr zeitgerecht mit Elektro-Antrieb. Auch dieser, so viel sei an dieser Stelle bereits verraten, ist ein beeindruckendes Juwel seiner Bauart – eine weitere Parallele zum Markenbruder R8. Anstelle von kompromissloser Sportlichkeit setzt Audi nun jedoch auf mehr Praktikabilität und Komfort, kurz: auf einen Gran Turismo. Sein Name: Audi E-Tron GT. Und wir dürfen – schon kurz nach seiner Präsentation (GUTE FAHRT 03/21) – das neue Aushängeschild der Marke Audi intensiv Probe fahren. Anschnallen, bitte!

Supersportler für fünf

Breit, flach, atemberaubend – der erste Eindruck begeistert auf ganzer Linie. Dass Audi schöne Autos bauen kann, ist seit Jahren bekannt – doch mit dem E-Tron GT liefern sie ein neues Meisterwerk ab. Schon die Proportionen lassen aufhorchen: Mit 4,99 Meter Länge, 1,96 Meter Breite, einer Höhe von 1,41 Meter sowie einem Radstand von 2,90 Meter kommt der Gran Turismo seinem Markenbruder A7 in allen Maßen sehr nah. Darauf haben die Schöpfer um Audis Design-Grande Marc Lichte eine wahrhaft skulpturales Form erarbeitet, die mit ihrer Strahlkraft wahrlich jeden Autofan in den Bann zieht.

Ein enorm breiter Singleframe-Kühlergrill, das Erkennungszeichen eines jeden Audi, kennzeichnet die tief liegende Front. Dieser ist fast gänzlich geschlossen und kommt in Grau oder in Wagenfarbe lackiert – ein Alleinstellungsmerkmal. Stilprägend: die eindrucksvollen Leuchtgrafiken des Tagfahrlichts. Ein Verbund scharf gezeich­neter Winkel prägt den digitalen Charakter. Audi liefert die LED-Scheinwerfer auf Wunsch mit Matrixlicht, auch Laser-Fernlicht ist möglich. Unter den Leuchteinheiten liegen senkrechte Air Curtain-Lufteinlässe, welche die Luftströmung eng um die Räder herumleiten. Kraftvoll modellierte Kotflügel und eine mit Sicken strukturierte, flache Haube prägen die Front.

In der Seitenansicht offenbart sich die gesamte Ästhetik des E-Gran Tursimo: lange Haube, flache Front-Scheibe sowie eine Dachlinie, die sich schon hinter dem Kopf des Fahrers in Richtung Asphalt neigt und langgezogen ins Heck ausläuft. Dazu gibt es große Räder mit Felgen in Kingsize-Formaten bis zu 21 Zoll sowie enorm kraftvoll herausgezogene Radhäuser, zusätzlich betont mittels messerscharf ins Blech gebügelter Karosserielinien. Das setzt den Allradantrieb optisch eindrucksvoll in Szene.

Das Heck? Nach unserem Dafürhalten klar die Schokoladenseite des E-Tron GT: Sämtliche Linien formieren sich hier zu einem geballten Abschiedsgruß. Das Dach läuft in einem ausfahrbaren Spoiler mit Abrisskante aus, von unten hält ein eindrucksvoller Diffusor dagegen. Dazwischen verläuft ein flaches Leuchtband, das die beiden prägnanten Heckleuchten verbindet. Wischblinker, Lichtinszenierung? Natürlich alles möglich.

800-Volt-Architektur

Das Cockpit im Monoposto-Stil rückt den Fahrer in den Mittelpunkt. Seine Sitzposition ist angenehm sportlich tief, die hoch gezogene Mittelkonsole passt zum sportlichen Charakter. Fürstliche Ellenbogen- und gute Kopffreiheit zahlen genauso Punkte auf das Wohlfühl-Konto ein wie die klasse Sportfauteuils. Diese zeigen sich gleichermaßen langstrecken- tauglich straff gepolstert wie klasse fixierend – bereit für die sportliche Hatz. Das Digitalcock­pit sitzt unter einer Hutze auf dem luftig-schlank wirkenden Armaturenträger. Ein Head Up-Display ist möglich, Augmented Reality aber nicht. Das hätte mehr Bauraum erfordert und damit die Leichtigkeit des Designs getrübt. Aus gleichem Grund durfte hier auch nicht Audis Oberklasse-Bedienkonzept mit zwei Touchscreens plus haptischem Feedback auf der Mittel­kon­sole einziehen. Vielmehr gibt es neben einem 10-Zoll-Touch­screen mit Klick-Bestätigung eine schlanke Bedieneinheit klassischer Bauart für die Climatronic darunter. Optisch leicht und intuitiv bedienbar – sicher keine schlechte Lösung. Egal ob Lenkrad-Tasten, Lenkstockschalter oder Mittelkonso­le – bewähr­te Bedienelemente prä­gen das Bild. Jeder, der einen kompakten Audi A3 bedienen kann findet sich auch auf Anhieb im großen Gran Turismo zurecht. Nur der Blick zurück, der im Format an einen Briefschlitz erin­nert, erfordert Zugeständnisse.

Die müssen auch groß gewachsene Fondpassagiere machen. Der Autor des Textes, zugegebenermaßen eine Sitzgröße, kann hier kaum bequem logieren – die Dachlinie verläuft zu niedrig. Reisende mit gewöhnlich langem Oberkörper sollten keine Probleme haben, Audi hat im Akkupack Aussparungen für die Füße gelassen und die angenehm breite Fondbank tief montiert.

Schwamm drüber, denn im Fahrbetrieb möchte man sowieso nur vorne links sitzen. Zu Beginn schnappen wir uns das Topmodell RS E-Tron GT. Dessen zwei per­manenterregte E-Synchronmaschinen (PSM) liefern 598 PS, kurzfristig gar 646 PS und 830Newtonmeter – bereit für ein Fahrerlebnis der besonderen Art. Tempo 250 Spitze erreichen auch andere Autos, aber der Weg dorthin ist wahrlich einma­lig. Der Punch lässt niemals nach, ganz gleich welche Tempodifferenz überbrückt werden soll. Dieser Audi skaliert das Tempo-Erlebnis neu, der Fahrer wundert sich, wie lahm manch vermeint­lich potenter Verkehrs­teilnehmer auf einmal erscheint. Dabei ist der RS nicht auf Krawall ge­bürstet, vielmehr unglaublich souverän. Dazu haben die Entwickler die hintere E-Maschine sogar mit einem Zweiganggetriebe versehen – zugunsten von noch mehr Spurtstärke. Den Standardsprint gibt Audi mit 3,3 Sekunden an – durchaus glaubhaft. Der R8 V10 mit 570 PS braucht hier 0,1 Sekunde mehr – kann zudem nur zwei Passagiere transportieren.

GT in Höchstform

Doch es ist nicht nur die Längsdyna­mik, die berauscht. Auf kurvenrei­chem Geläuf jedweder Couleur läuft der GT zu Höchstform auf. Hoch präzise setzt er die Anweisungen am Volant um, zeigt sich enorm neutral. Wieselflink und mit maximaler Traktion lässt er die schiere Größe vergessen, mutiert zur präzi­sen Fahrmaschine. Allradantrieb mit einem Motor je Achse, Sperrdiff hinten, Allradlenkung, Luftfederung mit Adaptiv-Dämpfung – der Test-RS ist mit allem gerüstet, was das Fahrwerk-Regal hergibt (teils aufpreis­pflichtig). Sogar der unterstützende Sound mit einer bassigen Note unter Last passt, wirkt keinesfalls befremdlich spacig.

Das aber ist nur eine Facette des Grand Turismo. Auf Knopfdruck entspannen sich die Systeme, das Fahrwerk verflauscht etwaige Belagsverwerfungen gekonnt. Dank extra-niedrigem cW-Wert (0,24) verwöhnt das Auto selbst bei hohem Tempo mit flüsterleisem Akustikkomfort – klasse. Nutzbare 85 kWh fasst der Akku, das reicht nach WLTP-Norm für 472 Kilometer. Wir wären knapp 300 Kilometer weit gekommen – zu verlockend war das Ausloten der gebotenen Leistung.

Keine Sorge, auch beim Nachfassen ist der Audi Spitze: In bestenfalls fünf Minuten kann Strom für weitere, freudvolle 100 Kilometer geladen werden. Von 5 auf 80 Prozent dauert es keine 23 Minuten – bei 800 Volt und 270 kW Ladeleistung.

138.200 Euro kostete der RS, da schielt manch Interessent zum kleineren E-Tron GT Quattro. Der bleibt fünfstellig (99.800 Euro) – zumindest beim Basispreis.

Damit reduziert sich der Ausstattungsumfang ein wenig, die Luftfederung beispielsweise kostete extra. Auch gibt es einen Abzug in Sachen Leistung: auf 476 PS, kurzfristig 530 PS und 630 Nm Drehmoment. Merkt man das? Nur im direkten Vergleich zur RS-Vollfettstufe. 4,1 Sekunden reichen für den Standardsprint, der ansatzlose Vortrieb und die unglaublich druckvolle Beschleunigung begeistert auch hier.

Keine Frage: Der E-Tron GT wird genauso einen Fankreis erschließen wie der R8 vor 15 Jahren. Und das Image der Marke weiter polieren. Übrigens: Beide Boliden laufen auf der selben Montagelinie am Standort Böllinger Höfen in Neckarsulm vom Band.