Joachim Fischer
· 29.01.2021
Auch der geliftete Audi RS4 Avant ist eine echte Fahrmaschine. 450 PS, 600 Nm und eine weiter geschärfte Optik begeistern im GF-Test
Für das Segment der Power-Kombis ging 1994 die Sonne auf. RS2 nannte Audi den A4 Avant, der in Zusammenarbeit mit Porsche entstand und – oft in Nogaroblau lackiert – zur Vorlage für eine ganze Fahrzeug-Klasse werden sollte. 315 PS aus dem Turbo-Fünfzylinder, Quattro-Allradantrieb und Porsche-Bremsen verhalfen dem Familien-Transporter mit einem Topspeed von 262 km/h zu Sportwagen-Fahrleistungen ohne seine praktischen Vorzüge einzuschränken. Ein Konzept, das bis heute höchst erfolgreich ist.
Mehr als ein Vierteljahrhundert später steht wieder einmal ein RS-Kombi in der Redaktions-Tiefgarage. Er nennt sich heutzutage Audi RS4 Avant und wird wie alle RS-Modelle bei Audi Sport entwickelt und gebaut, ist dort seit langem der Bestseller. Die inzwischen vierte Generation des RS4 wurde unlängst aufgefrischt, war dafür auch in der Muckibude.
Das sieht man am breiteren und flacheren Singleframe, gefüllt mit großen, dreidimensionale Waben im glänzend schwarzen Lackkleid. Zur Haube hin klafft als Reminiszenz an die Rallye-Monster vergangener Tage ein Luftspalt, unten flankieren Einlass-Schlunde das Hexagon. Die Serien-LED-Scheinwerfer sind ebenso neu gezeichnet, tragen seitlich Designblenden, die die Front optisch zusätzlich in die Breite ziehen. Die gleiche Wirkung erzielen die pro Seite um 30 Millimeter herausgezogenen Kotflügel über den RS-typisch ausgestellten Radhäuser. Zusammen ergibt das eine kraftstrotzende Frontansicht, die keinen Zweifel aufkommen lässt, dass hier etwas ziemlich Schnelles herannaht.
Kombi in Sportwagen-Optik
Am Heck haben die Designer zu einem ähnlichen Rezept gegriffen:
Flache LED-Rückleuchten mit verbreiternden Designblenden daneben sowie ein ausladender Diffusoreinsatz in Schwarz, der die beiden ovalen Endrohrblenden der zweiflutigen Auspuffanlage umschließt, sorgen für die gewünscht stämmige Optik. An den Flanken fallen insbesondere die fetten Radhäuser, die Schwelleraufsätze sowie die in Serie mindesten 19 Zoll großen Aluräder auf.
Drinnen findet man sich sofort zurecht. Ausgedient hat jedoch nun auch im RS4 der Dreh-/Drücksteller auf der Mittelkonsole. Mit dem MIB3 übernimmt ein 10,1-Zoll großer Touchscreen im Zusammenspiel mit dem serienmäßigen Virtual Cockpit die Anzeige- und Einstellungs-Funktionen – darunter hie wie da einige RS-spezifische. Eine verbesserte Sprachsteuerung, viele Online-Dienste wie etwa auch die Car-to-X-Funktion, sind entweder optional oder schon ab Werk an Bord des RS4. Klar, dass das Mobiltelefon perfekt eingebunden werden kann, ebenso schön, dass es auf Wunsch eine Heerschar von Assistenten gibt. Doch RS-Interessenten freuen sich wohl eher über die zwei individuell konfigurierbaren RS-Modi im Serien-Drive-Select – denn die haben Einfluss auf das Fahrerlebnis.
Für Letzteres ist auch im neuen RS4 der vom Vorgänger bekannte B-Zyklus-V6-Biturbo mit knapp 2,9 Litern Hubraum, 450 PS und 600 Newtonmetern Drehmoment zwischen 1.900 und 5.000 Umdrehungen pro Minute verantwortlich. Eine Achtgang-Tiptronik reicht die Kräfte an den permanenten Quattro-Allradantrieb mit selbstsperrendem Mittendifferential und radselektiver Momentensteuerung weiter.
Noch eine Schippe nachlegen
Wer aus fahrdynamischer Sicht noch weiter aufrüsten möchte, dem sei das RS-Dynamikpaket mit Sportdifferenzial, RS-Sportfahrwerk inklusive Dynamic Ride Control (DRC), Anhebung der Vmax auf 280 km/h, Dynamiklenkung und Matrix-LED-Scheinwerfern für 5.900 Euro empfohlen. Eine sinniges Päckchen, das auch im Testwagen montiert war und nochmal eine große Schippe drauflegt.
Wer zuweilen gerne auf die Rennstrecke abbiegt, sollte zudem über die Keramik-Bremsanlage für 6.000 Euro nachdenken. Das ist zwar eine Menge Geld, aber Haltbarkeit, Biss und Dosierwilligkeit der Keramik-Stopper überzeugen gerade auf dem Racetrack.
Bei einem RS4-Basispreis von 82.000 Euro nähert man sich so rasant der 100.000-Euro-Schwelle, die bei sorglosem Umgang mit den vielen, verlockenden Individualisierungsangeboten nur allzu schnell gerissen wird. Mitnehmen sollte man dennoch das MMI-Navi- und Infotainmentsystem mit MMI-Touch für 2.245 Euro, das RS-Komfortpaket für 1.250 Euro sowie – zur akustisch-emotionalen Abrundung des RS-Gesamterlebnisses – die Sportabgasanlage für 1.200 Euro.
So ausgerüstet erobert der RS4 Avant das Herz eines jeden Petrolheads im Sturm. Zum einen mit seiner unbändigen Beschleunigung: 4,0 Sekunden für den Sprint aus dem Stand auf 100 km/h sowie 14,1 Sekunden bis 200 km/h registriert die Messelektronik. Dazu kommt die optional auf 280 km/h angehobene Vmax. Ein Hammer!
Ein konzertantes Schauspiel
Gepresst in die formidabel unterstützenden Sportsitze überwacht man das Schauspiel aus blitzartig ansprechendem, drehzahlgierig hochdrehendem V6, ab 1,5 bar hyperventilierenden Turboladern und der ansatzlos die Gänge durchjubelnden Tiptronic. Dazu der grollende Sound der Sportabgasanlage – einfach herrlich.
Doch der RS4 kann auch quer – gemeint ist hier nicht unbedingt der provozierbare Drift mit abgeschaltetem ESP, sondern die mögliche Querbeschleunigung im Alltag, die einen höllisch schnell an die Grenzen des Zulässigen katapultiert. Mittels der messerscharfen Progressivlenkung seziert der RS4 kurvige Landstraßen in aneinander gereihte Radien, die er auf Wunsch mit heftiger Querbeschleunigung, aber ohne Nicken, Wanken oder sonstige Fahrwerksregungen super-neutral durcheilt. Dazu serviert er auch auf optionalen 20-Zöllern einen angenehmen Abrollkomfort – knackig, aber nicht knochenbrecherisch. In bester Sportwagen-Gesellschaft liegt auch der Verbrauch: 12,3 Liter pro 100 Kilometer waren es im flott gefahrenen Testschnitt, man kann aber auch einstellig bleiben.
Dann nutzt man vermutlich gerade das andere Talent des Audi RS4 Avant: das des Familien-Transporters, der klaglos auch große Frachten transportiert. Das ist sein Erfolgsgeheimnis und seine Stärke. Wir freuen uns schon auf die nächste „blaue Stunde“.
Test kompakt:
Der Audi RS4 Avant bleibt nach wie vor ein fahrdynamisches Erlebnis. Optisch leicht angeschärft und digital wieder auf die Höhe der Zeit gebracht begeistert er vor allem mit seinem Antrieb. Der V6 Bi-Turbo hängt bullenstark und giftig am Gas, der Quattro-Allradantrieb sorgt für Traktion in allen Fahrenslagen und das exzellente Fahrwerk begeistert auf Straße und Track. Wer mehr will, ordert das RS-Dynamikpaket und die Sportabgasanlage